VwGH Ra 2021/03/0051

VwGHRa 2021/03/00514.10.2021

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Handstanger und die Hofräte Dr. Lehofer und Mag. Samm als Richter, unter Mitwirkung des Schriftführers Dr. Zeleny, über die Revision der Landeshauptfrau von Niederösterreich gegen den Beschluss des Landesverwaltungsgerichts Niederösterreich vom 3. März 2021, Zl. LVwG‑AV‑30/001‑2021, betreffend Kostentragung für die Sicherung einer Eisenbahnkreuzung (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Landeshauptfrau von Niederösterreich; mitbeteiligte Parteien: 1. Marktgemeinde P in P, vertreten durch Mag. Michael Luszczak, Rechtsanwalt in 2700 Wiener Neustadt, Grazer Straße 77/2, und 2. Ö AG in W, vertreten durch die Walch Zehetbauer Motter Rechtsanwälte OG in 1010 Wien, Biberstraße 11), zu Recht erkannt:

Normen

VwGG §26 Abs1
VwGG §34 Abs1
VwGVG 2014 §24
VwGVG 2014 §28 Abs3

European Case Law Identifier: ECLI:AT:VWGH:2021:RA2021030051.L03

 

Spruch:

Der angefochtene Beschluss wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Die Revisionsbeantwortung der zweitmitbeteiligten Partei wird zurückgewiesen.

Begründung

1 Die zweitmitbeteiligte Partei (iF auch: Ö) ist eine Eisenbahninfrastrukturunternehmerin und Betreiberin der Schieneninfrastruktur der Eisenbahnstrecke Wiener Neustadt ‑ Aspang, die bei km 64,670 eine Gemeindestraße der erstmitbeteiligten Gemeinde kreuzt.

2 Mit Bescheid des Landeshauptmannes von Niederösterreich vom 20. Dezember 2016 war (unter Festlegung einer Bauausführungsfrist von zwei Jahren) angeordnet worden, dass diese Eisenbahnkreuzung gemäß § 4 Abs. 1 Z 4 EisbKrV durch Lichtzeichen mit Schranken zu sichern ist; zuvor war die Eisenbahnkreuzung (auf Basis eines Bescheids des LH vom 25. Februar 1999) durch eine zuggeschaltete Lichtzeichenanlage gesichert.

3 Mit Schriftsatz vom 20. Dezember 2019 stellte die Ö (mangels Einigung über die Kostentragung für die mit Bescheid vom 20. Dezember 2016 angeordneten Sicherungsanlagen) einen Antrag auf behördliche Kostenentscheidung gemäß § 49 Abs. 2 iVm § 48 Abs. 2 bis 4 EisbG.

4 Die belangte Behörde und nunmehrige Revisionswerberin beauftragte im behördlichen Verfahren die Sachverständigenkommission gemäß § 48 Abs. 4 EisbG mit der Erstattung eines Gutachtens und ordnete auf dessen Basis mit Bescheid vom 12. November 2020 die Aufteilung der mit Euro 276.673,27 (Errichtungskosten) bzw. Euro 20.073,‑‑ (Barwert der Erhaltungskosten für acht Jahre) festgesetzten Kosten der Sicherungsanlage im Verhältnis 1:1 an, und verpflichtete die mitbeteiligte Gemeinde zur Zahlung des Hälftebetrags an die Ö, hinsichtlich der Errichtungskosten alternativ entweder zur Zahlung näher valorisierter jährlicher Leistungen für acht Jahre oder einmalig des halben Barwerts.

5 Aufgrund der gegen diesen Bescheid erhobenen Beschwerde der zweimitbeteiligten Gemeinde hob das Verwaltungsgericht mit dem nunmehr in Revision gezogenen Beschluss den Bescheid vom 12. November 2020 gemäß § 28 Abs. 3 zweiter Satz VwGVG auf und verwies die Angelegenheit zur Erlassung eines neuen Bescheids an die belangte Behörde zurück; die Revision wurde für nicht zulässig erklärt.

6 Begründend führte das Verwaltungsgericht ‑ auf das Wesentliche zusammengefasst ‑ Folgendes aus: Das im Behördenverfahren eingeholte Gutachten der Sachverständigenkommission, welches die Behörde ihrem Bescheid zu Grunde gelegt habe, weise ‑ näher darzustellen versuchte ‑ Mängel betreffend die Kostenaufteilungsmasse sowie die Barwertermittlung bzw. Abzinsung der Erhaltungskosten auf und sei deshalb nicht schlüssig und nachvollziehbar. Die belangte Behörde hätte deshalb entweder die Sachverständigenkommission auffordern müssen, ihr Gutachten zu ergänzen, oder alternativ andere (Amts‑)Sachverständige für die jeweiligen Fachgebiete beiziehen müssen, um den Sachverhalt so weit zu klären, dass darauf eine tragfähige behördliche Entscheidung gegründet werden könne. Indem sie dies unterlassen habe, habe die belangte Behörde bloß ansatzweise ermittelt und bestünden besonders gravierende Ermittlungslücken. Im Hinblick auf die Komplexität der Sache sei von einem erheblichen Erörterungsbedarf auszugehen. Es lägen aufgrund des mangelhaften Gutachtens keine Ermittlungsergebnisse vor, die allenfalls in einer mündlichen Verhandlung nachgeholt bzw. ergänzt werden könnten. Die Ergänzung des Verfahrens und Feststellung des maßgeblichen Sachverhalts durch das Verwaltungsgericht wäre ‑ schon wegen der erforderlichen Beiziehung der Sachverständigenkommission ‑ weder rascher noch kostensparender. Der angefochtene Bescheid sei deshalb aufzuheben und die Angelegenheit zur Erlassung eines neuen Bescheids an die belangte Behörde zurückzuverweisen gewesen.

7 Gegen diesen Beschluss richtet sich die vorliegende außerordentliche Amtsrevision der Landeshauptfrau von Niederösterreich, die zur Zulässigkeit unter anderem vorbringt, das Verwaltungsgericht sei von der (näher bezeichneten) Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zur meritorischen Entscheidungspflicht gemäß § 28 VwGVG abgewichen.

8 Die zweitmitbeteiligte Partei, die Ö, erstattete einen als „Beantwortung der Revision“ bezeichneten Schriftsatz, in dem sie sich der Amtsrevision im Ergebnis anschloss.

9 Die erstmitbeteiligte Gemeinde erstattete eine Revisionsbeantwortung mit dem Antrag auf Zurückweisung, in eventu auf Abweisung der Revision.

Der Verwaltungsgerichtshof hat ‑ in einem gemäß § 12 Abs. 1 Z 2 VwGG gebildeten Senat ‑ erwogen:

10 Die Revision ist im Sinne des angeführten Zulassungsvorbringens zulässig und begründet.

11 Der Verwaltungsgerichtshof erkennt in ständiger Rechtsprechung (beginnend mit VwGH 26.6.2014, Ro 2014/03/0063), dass die in § 28 Abs. 3 zweiter Satz VwGVG vorgesehene Möglichkeit der Zurückverweisung einer Rechtssache an die Verwaltungsbehörde eine Ausnahme von der grundsätzlichen meritorischen Entscheidungszuständigkeit der Verwaltungsgerichte darstellt. Nach dem damit gebotenen Verständnis steht diese Möglichkeit nicht auf derselben Stufe wie die im ersten Satz des § 28 Abs. 3 VwGVG verankerte grundsätzliche meritorische Entscheidungskompetenz der Verwaltungsgerichte. Vielmehr verlangt das im § 28 VwGVG insgesamt normierte System, in dem insbesondere die normative Zielsetzung der Verfahrensbeschleunigung bzw. der Berücksichtigung einer angemessenen Verfahrensdauer ihren Ausdruck findet, dass von der Möglichkeit der Zurückverweisung nur bei krassen bzw. besonders gravierenden Ermittlungslücken Gebrauch gemacht wird. Eine Zurückverweisung der Sache an die Verwaltungsbehörde zur Durchführung notwendiger Ermittlungen wird daher insbesondere dann in Betracht kommen, wenn die Verwaltungsbehörde jegliche erforderliche Ermittlungstätigkeit unterlassen hat, wenn sie zur Ermittlung des maßgebenden Sachverhalts (vgl. § 37 AVG) lediglich völlig ungeeignete Ermittlungsschritte gesetzt oder bloß ansatzweise ermittelt hat. Gleiches gilt, wenn konkrete Anhaltspunkte annehmen lassen, dass die Verwaltungsbehörde (etwa schwierige) Ermittlungen unterließ, damit diese dann durch das Verwaltungsgericht vorgenommen werden.

12 Der Verwaltungsgerichtshof hat auch bereits wiederholt hervorgehoben, dass selbst Bescheide, die in der Begründung dürftig sind, keine Zurückverweisung der Sache rechtfertigen, wenn brauchbare Ermittlungsergebnisse vorliegen, die im Zusammenhalt mit einer allenfalls durchzuführenden Verhandlung (§ 24 VwGVG) zu vervollständigen sind.

13 Zwar kann sich im Rahmen der Verhandlung auch herausstellen, dass die noch fehlenden Ermittlungen einen Umfang erreichen, der eine Behebung und Zurückverweisung erlaubt. Allerdings hat der Verwaltungsgerichtshof klargestellt, dass eine erforderliche Ergänzung eines Gutachtens bzw. Befragung von Sachverständigen oder überhaupt die Notwendigkeit der Einholung eines (weiteren) Gutachtens im Allgemeinen nicht die Zurückverweisung nach § 28 Abs. 3 zweiter Satz VwGVG rechtfertigen (vgl. zum Ganzen etwa VwGH 9.8.2021, Ra 2021/03/0005, mwN).

14 Der vorliegende Revisionsfall gleicht in den entscheidenden Gesichtspunkten jenem, der dem eben zitierten Erkenntnis VwGH Ra 2021/03/0005, zu Grunde gelegen ist: Auch im gegenständlichen Fall hat das Verwaltungsgericht zwar Mängel des eingeholten Gutachtens der Sachverständigenkommission und des darauf aufbauenden Bescheides der belangten Behörde aufgezeigt, aber nicht dargelegt, dass diese eine Zurückverweisung der Rechtssache an die belangte Behörde gerechtfertigt hätten.

15 Im Übrigen: Der (formularmäßige) Hinweis im Gutachten der Kommission, sie könne ihr Gutachten nur auf Feststellungen gründen, „die sich aus den ihr vorliegenden Unterlagen und erteilten Informationen in Verbindung mit der speziellen Sachkunde der vertretenen Sachverständigen ergeben“, indiziert entgegen der nicht näher konkretisierten Auffassung des Verwaltungsgerichts keine „Unvollständigkeit bei den Erhebungen“. Ebensowenig kann der Umstand, es könne „nicht ausgeschlossen werden“, dass sich innerhalb einzelner Kostenblöcke der seitens der Ö der gegenständlichen Sicherungsanlage zugeordneten Leistungen solche fänden, die der Anlage gar nicht zuzurechnen seien, bei Fehlen konkreter Einwendungen der mitbeteiligten Gemeinde gegen die durch die Kommission attestierte Plausibilität bzw. Angemessenheit der geltend gemachten Kosten, eine die Zurückweisung rechtfertigende Ergänzungsbedürftigkeit des Sachverhalts belegen.

16 Der angefochtene Beschluss war daher gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufzuheben.

17 Die Zurückweisung der „Revisionsbeantwortung“ der Ö beruht darauf, dass das VwGG keinen Eintritt als mitbeteiligte Partei auf Seiten der revisionswerbenden Partei kennt. Wenn sich die Ö daher in ihrer Revisionsbeantwortung im Ergebnis der Amtsrevision anschloss, war dieser Schriftsatz der Sache nach als verspätete Revision zu werten und gemäß § 34 Abs. 1 VwGG zurückzuweisen (vgl. auch dazu VwGH 9.8.2021, Ra 2021/03/0005, mwN).

Wien, am 4. Oktober 2021

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