VwGH Ra 2021/03/0005

VwGHRa 2021/03/00059.8.2021

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Handstanger und die Hofräte Dr. Lehofer und Mag. Nedwed als Richter, unter Mitwirkung des Schriftführers Dr. Zeleny, über die Revision der Landeshauptfrau von Niederösterreich gegen den Beschluss des Landesverwaltungsgerichts Niederösterreich vom 27. November 2020, Zl. LVwG‑AV‑659/001‑2019, betreffend die Kostentragung für die Sicherung einer Eisenbahnkreuzung (mitbeteiligte Parteien: 1. Land Niederösterreich vertreten durch Dr. Andrew P. Scheichl, Rechtsanwalt in 1010 Wien, Wipplingerstraße 20/8‑9 und 2. Ö AG in W, vertreten durch die Walch/Zehetbauer/Motter Rechtsanwälte OG in 1010 Wien, Biberstraße 11), zu Recht erkannt:

Normen

AVG §52
VwGVG 2014 §28 Abs3

European Case Law Identifier: ECLI:AT:VWGH:2021:RA2021030005.L00

 

Spruch:

Der angefochtene Beschluss wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Die als Revision zu wertende Revisionsbeantwortung der zweitmitbeteiligten Partei (Ö AG) wird zurückgewiesen.

Begründung

1 Die zweitmitbeteiligte Partei (im Folgenden: Ö) ist ein Eisenbahninfrastrukturunternehmen und Eigentümerin bzw. Betreiberin der Schieneninfrastruktur der Eisenbahnstrecke Absdorf/Hippersdorf ‑ Stockerau. Diese Eisenbahnstrecke kreuzt bei km 15,060 eine Landesstraße des Landes Niederösterreich.

2 Mit Bescheid vom 28. September 2016 ordnete der Landeshauptmann von Niederösterreich an, diese Eisenbahnkreuzung mit näher genannten Sicherungsanlagen zu sichern.

3 Mit Schriftsatz vom 18. April 2018 stellte die Ö (mangels Einigung mit dem Land Niederösterreich über die Kostentragung für diese Sicherungsanlagen) bei der Landeshauptfrau von Niederösterreich den Antrag auf behördliche Kostenentscheidung gemäß § 49 Abs. 2 iVm § 48 Abs. 2 bis 4 Eisenbahngesetz 1957 (EisbG).

4 Die Landeshauptfrau von Niederösterreich beauftragte in weiterer Folge die gesetzlich vorgesehene Sachverständigenkommission mit der Erstattung eines Gutachtens, das am 30. Jänner 2019 erstattet wurde.

5 Gestützt auf die Ergebnisse dieses Gutachtens setzte die Landeshauptfrau von Niederösterreich mit Bescheid vom 10. Mai 2019 die mit der Errichtung sowie der Erhaltung und Inbetriebhaltung der Sicherungsanlage verbundenen Kosten fest, ordnete eine Kostenaufteilung zwischen der Ö und dem Land Niederösterreich an und verpflichtete das Land Niederösterreich, der Ö näher genannte Beträge zu zahlen.

6 Aufgrund der gegen diesen Bescheid erhobenen Beschwerde des Landes Niederösterreich hob das Landesverwaltungsgericht Niederösterreich mit dem nunmehr angefochtenen Beschluss den Bescheid der Landeshauptfrau von Niederösterreich vom 10. Mai 2019 gemäß § 28 Abs. 3 zweiter Satz VwGVG auf und verwies die Angelegenheit zur Erlassung eines neuen Bescheids an die Landeshauptfrau von Niederösterreich zurück. Die Revision erklärte das Verwaltungsgericht für nicht zulässig.

7 Begründend hielt das Verwaltungsgericht zusammengefasst fest, das im Behördenverfahren eingeholte Gutachten der Sachverständigenkommission, welches die Behörde ihrem Bescheid zu Grunde gelegt habe, sei ‑ aus näher dargestellten Gründen ‑ nicht schlüssig und nachvollziehbar. Die Landeshauptfrau von Niederösterreich hätte entweder die Sachverständigenkommission auffordern müssen, ihr Gutachten zu ergänzen, oder alternativ andere (Amts‑)Sachverständige für die jeweiligen Fachgebiete beiziehen müssen, um den Sachverhalt so weit zu klären, dass darauf eine tragfähige behördliche Entscheidung gegründet werden könne. Indem sie dies unterlassen habe, habe die belangte Behörde bloß ansatzweise ermittelt. Im Hinblick auf die Komplexität der Sache sei von einem erheblichen Erörterungsbedarf auszugehen. Es lägen aufgrund des mangelhaften Gutachtens keine Ermittlungsergebnisse vor, die allenfalls in einer mündlichen Verhandlung einfach nachgeholt werden könnten. Die Ergänzung des Gutachtens würde sich für das Verwaltungsgericht wesentlich komplizierter gestalten als für die Behörde. Aus den genannten Gründen sei der angefochtene Bescheid aufzuheben und die Angelegenheit zur Erlassung eines neuen Bescheides an die Landeshauptfrau von Niederösterreich zurückzuverweisen.

8 Gegen diesen Beschluss richtet sich die vorliegende außerordentliche Amtsrevision der Landeshauptfrau von Niederösterreich, die zur Zulässigkeit unter anderem vorbringt, das Verwaltungsgericht sei von der (näher bezeichneten) Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zu seiner meritorischen Entscheidungspflicht gemäß § 28 VwGVG abgewichen.

9 Das Land Niederösterreich erstattete eine Revisionsbeantwortung mit dem Antrag auf Zurück‑ bzw. Abweisung der Revision. Die Ö erstattete einen als „Revisionsbeantwortung“ bezeichneten Schriftsatz, in der sie sich der Amtsrevision im Ergebnis anschloss. Dazu brachte das Land Niederösterreich eine Replik ein.

Der Verwaltungsgerichtshof hat ‑ in einem gemäß § 12 Abs. 1 Z 2 VwGG gebildeten Senat ‑ erwogen:

10 Die Revision ist im Sinne des angeführten Zulassungsvorbringens zulässig und begründet.

11 Der Verwaltungsgerichtshof erkennt in ständiger Rechtsprechung (beginnend mit VwGH 26.6.2014, Ro 2014/03/0063), dass die in § 28 Abs. 3 zweiter Satz VwGVG vorgesehene Möglichkeit der Zurückverweisung einer Rechtssache an die Verwaltungsbehörde eine Ausnahme von der grundsätzlichen meritorischen Entscheidungszuständigkeit der Verwaltungsgerichte darstellt. Nach dem damit gebotenen Verständnis steht diese Möglichkeit nicht auf derselben Stufe wie die im ersten Satz des § 28 Abs. 3 VwGVG verankerte grundsätzliche meritorische Entscheidungskompetenz der Verwaltungsgerichte. Vielmehr verlangt das im § 28 VwGVG insgesamt normierte System, in dem insbesondere die normative Zielsetzung der Verfahrensbeschleunigung bzw. der Berücksichtigung einer angemessenen Verfahrensdauer ihren Ausdruck findet, dass von der Möglichkeit der Zurückverweisung nur bei krassen bzw. besonders gravierenden Ermittlungslücken Gebrauch gemacht wird. Eine Zurückverweisung der Sache an die Verwaltungsbehörde zur Durchführung notwendiger Ermittlungen wird daher insbesondere dann in Betracht kommen, wenn die Verwaltungsbehörde jegliche erforderliche Ermittlungstätigkeit unterlassen hat, wenn sie zur Ermittlung des maßgebenden Sachverhalts (vgl. § 37 AVG) lediglich völlig ungeeignete Ermittlungsschritte gesetzt oder bloß ansatzweise ermittelt hat. Gleiches gilt, wenn konkrete Anhaltspunkte annehmen lassen, dass die Verwaltungsbehörde (etwa schwierige) Ermittlungen unterließ, damit diese dann durch das Verwaltungsgericht vorgenommen werden.

12 Der Verwaltungsgerichtshof hat auch bereits wiederholt hervorgehoben, dass selbst Bescheide, die in der Begründung dürftig sind, keine Zurückverweisung der Sache rechtfertigen, wenn brauchbare Ermittlungsergebnisse vorliegen, die im Zusammenhalt mit einer allenfalls durchzuführenden Verhandlung (§ 24 VwGVG) zu vervollständigen sind.

13 Zwar kann sich im Rahmen der Verhandlung auch herausstellen, dass die noch fehlenden Ermittlungen einen Umfang erreichen, der eine Behebung und Zurückverweisung erlaubt. Allerdings hat der Verwaltungsgerichtshof klargestellt, dass eine erforderliche Ergänzung eines Gutachtens bzw. Befragung von Sachverständigen oder überhaupt die Notwendigkeit der Einholung eines (weiteren) Gutachtens im Allgemeinen nicht die Zurückverweisung nach § 28 Abs. 3 zweiter Satz VwGVG rechtfertigen (vgl. zum Ganzen etwa VwGH 12.4.2018, Ra 2017/04/0061, mwN).

14 Im gegenständlichen Fall hat das Verwaltungsgericht zwar Mängel des eingeholten Gutachtens der Sachverständigenkommission und des darauf aufbauenden Bescheides der belangten Behörde aufgezeigt. Dass diese Mängel im Sinne der dargestellten höchstgerichtlichen Rechtsprechung eine Zurückverweisung der Rechtssache an die belangte Behörde gerechtfertigt hätten, vermag das Verwaltungsgericht aber nicht darzulegen.

15 Wenn das Verwaltungsgericht argumentiert, die Gutachtensergänzung im gerichtlichen Verfahren wäre deutlich umständlicher als eine Verfahrensergänzung durch die belangte Behörde, rechtfertigt allein dieses Argument eine Zurückverweisung der Rechtssache nicht. Abgesehen davon ist nicht nachvollziehbar, weshalb eine Gutachtensergänzung durch das Verwaltungsgericht nicht auch schriftlich und im Falle einer notwendigen Erörterung ‑ anders als das Verwaltungsgericht vermeint ‑ nur mit repräsentativen Mitgliedern der Gutachterkommission erfolgen können sollte. Auf die Möglichkeit für das Verwaltungsgericht, auch andere geeignete Beweismittel ‑ wie etwa ein Gutachten eines anderen geeigneten Sachverständigen ‑ einzuholen und der Feststellung des Sachverhalts zugrunde zu legen (vgl. näher VwGH 24.1.2018, Fr 2017/03/0009), sei lediglich hingewiesen.

16 Der angefochtene Beschluss war daher gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufzuheben.

17 Die Zurückweisung der „Revisionsbeantwortung“ der Ö beruht darauf, dass das VwGG keinen Eintritt als mitbeteiligte Partei auf Seiten der revisionswerbenden Partei kennt. Wenn sich die Ö daher in ihrer Revisionsbeantwortung der Amtsrevision anschloss, war dieser Schriftsatz der Sache nach als verspätete Revision zu werten und gemäß § 34 Abs. 1 VwGG zurückzuweisen (vgl. in diesem Sinne etwa VwGH 26.6.2019, Ra 2019/03/0012, 0015, mwN).

Wien, am 9. August 2021

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