VwGH Ra 2020/18/0491

VwGHRa 2020/18/04917.1.2021

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch die Vorsitzende Vizepräsidentin Dr.in Sporrer, den Hofrat Mag. Nedwed, den Hofrat Dr. Sutter, die Hofrätin Dr.in Sembacher und den Hofrat Mag. Tolar als Richterinnen und Richter, unter Mitwirkung der Schriftführerin Mag.a Kienesberger, über die Revision des H M in W, vertreten durch Mag. Dr. Helmut Blum, Rechtsanwalt in 4020 Linz, Mozartstraße 11/6, gegen das Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom 8. Juni 2020, L515 2184201‑1/39E, betreffend eine Asylangelegenheit (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl), den Beschluss gefasst:

Normen

AsylG 2005 §3 Abs1
AsylG 2005 §3 Abs4a
AsylG 2005 §34
AsylG 2005 §34 Abs1 Z1
AsylG 2005 §34 Abs2
AsylG 2005 §7
AsylG 2005 §7 Abs1
AsylG 2005 §7 Abs1 Z1
AsylG 2005 §7 Abs1 Z2
AsylG 2005 §7 Abs1 Z3
AsylG 2005 §7 Abs2a
AsylG 2005 §7 Abs3
AsylG 2005 §9
FlKonv Art1 AbschnA Z2
FlKonv Art1 AbschnC
FlKonv Art1 AbschnC Z3
FlKonv Art1 AbschnC Z5
VwRallg
62008CJ0175 Salahadin Abdulla VORAB

European Case Law Identifier: ECLI:AT:VWGH:2021:RA2020180491.L00

 

Spruch:

Die Revision wird zurückgewiesen.

Begründung

1 Der Revisionswerber, ein Staatsangehöriger der Republik Armenien, stellte am 28. Dezember 2000 über seine gesetzliche Vertretung den Antrag, ihm Asyl durch Erstreckung gemäß §§ 10 und 11 Asylgesetz 1997 (AsylG) zu gewähren.

2 Nach Abweisung seines Antrages mit Bescheid des Bundesasylamtes vom 26. Februar 2002 gab der Unabhängige Bundesasylsenat der Beschwerde des Revisionswerbers mit Bescheid vom 10. Juli 2007 statt, gewährte ihm gemäß § 11 Abs. 1 AsylG Asyl durch Erstreckung von seinem Vater und stellte gemäß § 12 AsylG fest, dass ihm kraft Gesetzes die Flüchtlingseigenschaft zukomme.

3 Mit Bescheid vom 13. Dezember 2017 erkannte das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (BFA) nach viermaliger rechtskräftiger strafrechtlicher Verurteilung des Revisionswerbers diesem den Status des Asylberechtigten gemäß § 7 Abs. 1 Z 1 Asylgesetz 2005 (AsylG 2005) ab und stellte fest, dass ihm gemäß § 7 Abs. 4 AsylG 2005 die Flüchtlingseigenschaft nicht mehr zukomme (Spruchpunkt I.). Das BFA erkannte dem Revisionswerber den Status des subsidiär Schutzberechtigten nicht zu (Spruchpunkt II.), erteilte ihm keinen Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen, erließ gegen ihn eine Rückkehrentscheidung, stellte fest, dass seine Abschiebung nach Armenien zulässig sei (Spruchpunkt III.), und legte eine Frist von zwei Wochen für die freiwillige Ausreise fest (Spruchpunkt IV.).

4 Mit Erkenntnis vom 12. April 2018 wies das Bundesverwaltungsgericht (BVwG) die Beschwerde des Revisionswerbers ohne Durchführung einer mündlichen Verhandlung als unbegründet ab und sprach aus, dass eine Revision nach Art. 133 Abs. 4 B‑VG nicht zulässig sei.

5 Mit Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes vom 29. August 2019, Ra 2018/19/0522, wurde dieses Erkenntnis wegen Rechtswidrigkeit des Inhaltes aufgehoben. Unter Verweis auf seine Rechtsprechung zum Begriff des „besonders schweren Verbrechens“ hielt der Verwaltungsgerichtshof fest, dass das BVwG eine konkrete fallbezogene Prüfung hätte vornehmen und insbesondere die Tatumstände berücksichtigen müssen, die der Strafbemessung hinsichtlich des Delikts, das das BVwG als besonders schweres Verbrechen qualifiziert habe, und der weiteren Verurteilungen wegen verschiedener Vergehen zu Grunde gelegen seien. Es könne auch nicht davon ausgegangen werden, dass die vom BVwG vorgenommene Gefährdungsprognose auf einer verfahrensrechtlich einwandfreien Grundlage erfolgt sei. Insoweit hätte auch eine mündliche Verhandlung nicht unterbleiben dürfen.

6 Mit dem nunmehr angefochtenen Erkenntnis wies das BVwG die Beschwerde nach Durchführung einer Verhandlung, soweit sie sich gegen die Aberkennung des Status des Asylberechtigten, die Nichtzuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten und die Nichterteilung eines Aufenthaltstitels gemäß § 57 AsylG 2005 richtete, als unbegründet ab. Im Übrigen gab es der Beschwerde statt und änderte die verwaltungsbehördliche Entscheidung dahingehend ab, dass die Rückkehrentscheidung auf Dauer für unzulässig erklärt und dem Revisionswerber ein befristeter Aufenthaltstitel „Aufenthaltsberechtigung plus“ in der Dauer von zwölf Monaten erteilt wurde. Die Frist für die freiwillige Ausreise wurde ersatzlos behoben und die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B‑VG für nicht zulässig erklärt.

7 Begründend stellte das BVwG zusammengefasst fest, es könne „aufgrund des angenommenen Sachverhaltes im Einzelfall nicht davon ausgegangen werden, dass die [vom Revisionswerber] verwirklichten Straftaten ein besonders schweres Verbrechen im Sinne des § 6 Abs. 1 Z 4 AsylG 2005“ darstellen würden. Es sei jedoch der Aberkennungstatbestand des § 7 Abs. 1 Z 2 AsylG 2005 verwirklicht. Auf Grund der Straffälligkeit des Revisionswerbers im Sinne des § 2 Abs. 3 AsylG 2005 liege auch der Fall des § 7 Abs. 3AsylG 2005, wonach eine Aberkennung des Status des Asylberechtigten nur innerhalb von fünf Jahren nach Zuerkennung erfolgen dürfe, nicht vor. Der Vater des Revisionswerbers habe in der mündlichen Verhandlung als Zeuge zu seinen Fluchtgründen befragt angegeben, dass seine hauptsächlichen Probleme aus seiner politischen Tätigkeit resultiert hätten, da er Mitglied einer mittlerweile schon seit langem aufgelösten Oppositionspartei gewesen sei, die einen Regierungswechsel zum Ziel gehabt habe. Das BVwG kam zu dem näher begründeten Ergebnis, dass die Umstände, auf Grund deren der Vater des Revisionswerbers, von welchem dieser seinen Status abgeleitet habe, als Flüchtling anerkannt worden sei, nicht mehr bestünden. Dass dem Vater bereits die österreichische Staatsbürgerschaft verliehen worden sei und in seinem Fall eine Aberkennung des Status des Asylberechtigten nicht mehr möglich wäre, stehe dieser Beurteilung nicht entgegen, zumal der Verwaltungsgerichtshof in seinem Erkenntnis vom 23. Oktober 2019, Ra 2019/19/0059, ausdrücklich festgehalten habe, dass die Frage, ob die Umstände, auf Grund deren die Bezugsperson als Flüchtling anerkannt worden sei, nicht mehr bestünden, ohne Bindung an eine allfällige diesbezügliche Entscheidung im Verfahren über die Aberkennung des Asylstatus des Familienangehörigen durch das Verwaltungsgericht selbstständig zu beurteilen sei. Im Falle des Revisionswerbers liege überdies zum Entscheidungszeitpunkt keine individuelle oder generelle Gefährdung vor, welche einer Rückkehr in den Herkunftsstaat entgegenstehen und demnach eine Aufrechterhaltung des Asylstatus gebieten würde.

8 Gegen dieses Erkenntnis brachte der Revisionswerber zunächst eine Beschwerde an den Verfassungsgerichtshof ein, der deren Behandlung mit Beschluss vom 21. September 2020, E 2452/2020‑5, ablehnte und sie dem Verwaltungsgerichtshof zur Entscheidung abtrat.

9 Die vorliegende außerordentliche Revision wendet sich gegen die Aberkennung des Status des Asylberechtigten und bringt zu ihrer Zulässigkeit im Wesentlichen vor, dem BVwG sei es verwehrt, den Aberkennungsgrund im Sinne des § 7 AsylG 2005 „auszutauschen“. Das BFA habe die Aberkennung ausschließlich auf den Aberkennungstatbestand des § 7 Abs. 1 Z 1 AsylG 2005 gestützt, nicht aber auf eine wesentliche Änderung der Umstände in Armenien. Eine Asylaberkennung hinsichtlich des Revisionswerbers sei schon deshalb nicht zulässig, weil dem Vater des Revisionswerbers als mittlerweile österreichischem Staatsbürger der Asylstatus nicht mehr aberkannt und somit auch nicht mehr geprüft werden könne, ob die Umstände, auf Grund deren ihm Asyl zuerkannt worden sei, weiterhin bestünden. Es könne nicht mehr in einem rechtsstaatlich einwandfreien Verfahren festgestellt werden, aus welchen konkreten Gründen der Vater des Revisionswerbers Asyl erhalten habe, da dieser nur mehr wenig zum maßgeblichen Sachverhalt beitragen könne und der entsprechende Asylakt nicht mehr zur Verfügung stehe.

10 Mit diesem Vorbringen wird die Zulässigkeit der Revision nicht dargetan.

11 Nach Art. 133 Abs. 4 B‑VG ist gegen ein Erkenntnis des Verwaltungsgerichtes die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.

12 Nach § 34 Abs. 1 VwGG sind Revisionen, die sich wegen Nichtvorliegens der Voraussetzungen des Art. 133 Abs. 4 B‑VG nicht zur Behandlung eignen, ohne weiteres Verfahren in nichtöffentlicher Sitzung mit Beschluss zurückzuweisen.

13 Nach § 34 Abs. 1a VwGG ist der Verwaltungsgerichtshof bei der Beurteilung der Zulässigkeit der Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B‑VG an den Ausspruch des Verwaltungsgerichtes gemäß § 25a Abs. 1 VwGG nicht gebunden. Die Zulässigkeit einer außerordentlichen Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B‑VG hat der Verwaltungsgerichtshof im Rahmen der dafür in der Revision vorgebrachten Gründe (§ 28 Abs. 3 VwGG) zu überprüfen.

14 Soweit die Revision vorbringt, das BVwG habe den Asylaberkennungsgrund unzulässigerweise ausgetauscht, macht sie damit geltend, dass ausschließlich die Aberkennung des Asylstatus nach § 7 Abs. 1 Z 1 AsylG 2005 Sache des Beschwerdeverfahrens gewesen sei und somit vom Verwaltungsgericht zu prüfen gewesen wäre.

15 Der Verwaltungsgerichtshof judiziert in mittlerweile ständiger Rechtsprechung, dass das Verwaltungsgericht prinzipiell nicht nur die gegen einen verwaltungsbehördlichen Bescheid eingebrachte Beschwerde, sondern auch die Angelegenheit zu erledigen hat, die von der Verwaltungsbehörde zu entscheiden war. Eine Auslegung des § 27 VwGVG dahingehend, dass die Prüfbefugnis der Verwaltungsgerichte stark eingeschränkt zu verstehen wäre, ist demnach unzutreffend. Allerdings stellt die „Sache“ des bekämpften Bescheides den äußersten Rahmen für die Prüfbefugnis des Verwaltungsgerichts dar. „Sache“ des Beschwerdeverfahrens vor dem Verwaltungsgericht ist jene Angelegenheit, die den Inhalt des Spruchs der vor dem Verwaltungsgericht belangten Verwaltungsbehörde gebildet hat (vgl. zu allem VwGH 29.6.2020, Ro 2019/01/0014, Rn. 16, mwN).

16 In seinem Erkenntnis vom 29. Juni 2020, Ro 2019/01/0014, hat der Verwaltungsgerichtshof unter Verweis auf das Erkenntnis vom 17. Oktober 2019, Ro 2019/18/0005, ausgesprochen, dass die nach § 7 AsylG 2005 vom BFA zu entscheidende Angelegenheit die Aberkennung des Status des Asylberechtigten als solches ist und damit sämtliche in § 7 AsylG 2005 vorgesehene Aberkennungsgründe umfasst. Dementsprechend ist die „Sache“ des verwaltungsgerichtlichen Beschwerdeverfahrens nicht nur die Klärung der Frage, ob der vom BFA angenommene Aberkennungsgrund (nach § 7 Abs. 1 Z 1 bis 3 AsylG 2005) tatsächlich vorlag, sondern sie umfasst sämtliche in § 7 AsylG 2005 vorgesehenen Aberkennungsgründe. Es ist dem Verwaltungsgericht daher nicht verwehrt, bei Verneinung einer der Voraussetzungen des § 7 Abs. 1 AsylG 2005 die anderen Voraussetzungen des § 7 Abs. 1 AsylG 2005 zu prüfen (vgl. erneut VwGH 29.6.2020, Ro 2019/01/0014, Rn. 19).

17 Es ist dem Verwaltungsgericht somit nicht entgegenzutreten, wenn es im Revisionsfall auch das Vorliegen des Aberkennungstatbestandes nach § 7 Abs. 1 Z 2 AsylG 2005 geprüft hat.

18 Die Revision bringt weiters vor, dass es nicht zulässig sei, dem Revisionswerber den Status des Asylberechtigten wegen Wegfalls der fluchtauslösenden Umstände abzuerkennen, weil seiner Bezugsperson (hier: seinem Vater) die österreichische Staatsbürgerschaft verliehen worden sei.

19 Der Verwaltungsgerichtshof hat sich in seinem Erkenntnis vom 23. Oktober 2019, Ra 2019/19/0059, ausführlich mit den Voraussetzungen für eine Aberkennung nach § 7 Abs. 1 Z 2 AsylG 2005 iVm Art. 1 Abschnitt C Z 5 GFK auseinandergesetzt, wenn einem Fremden zuvor der Status des Asylberechtigten nach den Bestimmungen des Familienverfahrens (§ 34 AsylG 2005) bzw. durch Asylerstreckung zuerkannt worden war. Auf die Begründung dieses Erkenntnisses kann daher im Einzelnen gemäß § 43 Abs. 2 zweiter Satz VwGG verwiesen werden.

20 Bestehen demnach jene Umstände, auf Grund deren die Bezugsperson als Flüchtling anerkannt worden ist, nicht mehr, und kann es die Bezugsperson daher nicht weiterhin ablehnen, sich unter den Schutz ihres Heimatstaates zu stellen, besteht weder nach dem Zweck des internationalen Flüchtlingsschutzes noch nach jenem des Familienverfahrens nach dem AsylG 2005 eine Rechtfertigung dafür, den Asylstatus des Familienangehörigen, der diesen Status von der Bezugsperson nur abgeleitet hat, aufrecht zu erhalten.

21 Für die Aberkennung des einem Familienangehörigen im Familienverfahren (bzw. durch Asylerstreckung) zuerkannten Status des Asylberechtigten wegen Wegfalls der fluchtauslösenden Umstände kommt es also darauf an, ob die Umstände, auf Grund deren die Bezugsperson als Flüchtling anerkannt worden ist, nicht mehr bestehen und es diese daher nicht weiterhin ablehnen kann, sich unter den Schutz ihres Heimatlandes zu stellen. Diese Frage hat die Behörde (bzw. das Verwaltungsgericht) ohne Bindung an eine allfällige diesbezügliche Entscheidung im Verfahren über die Aberkennung des Asylstatus des Familienangehörigen selbstständig zu beurteilen.

22 Gelangt die Behörde (bzw. das Verwaltungsgericht) in so einem Fall zu der Beurteilung, dass die genannten fluchtauslösenden Umstände nicht mehr vorliegen, ist der Asylstatus eines Familienangehörigen, dem dieser Status im Familienverfahren (bzw. durch Asylerstreckung) zuerkannt worden ist, abzuerkennen, sofern im Entscheidungszeitpunkt hinsichtlich des Familienangehörigen nicht die Voraussetzungen für die Zuerkennung des Status des Asylberechtigten gemäß § 3 Abs. 1 AsylG 2005 (drohende Verfolgung im Sinne des Art. 1 Abschnitt A Z 2 GFK) vorliegen (vgl. in diesem Sinn auch EuGH 2.3.2010, C-175/08 u.a., Aydin Salahadin Abdulla u.a., Rn. 81 ff).

23 Entgegen dem Revisionsvorbringen steht auch der Umstand, dass die Bezugsperson ‑ im vorliegenden Fall der Vater des Revisionswerbers ‑ mittlerweile die österreichische Staatsbürgerschaft erlangt hat, einer Aberkennung von Asyl hinsichtlich des Familienangehörigen nicht entgegen. Dass dem Vater des Revisionswerbers wegen des Wechsels der Staatsangehörigkeit der Asylstatus nicht mehr abzuerkennen wäre, liegt daran, dass in seinem Fall die zeitlichen Einschränkungen der Asylaberkennung gemäß § 7 Abs. 1 Z 2 AsylG 2005 aus dem Grunde des § 7 Abs. 3 erster Satz AsylG 2005 greifen könnten (vgl. zum Asylausschluss wegen Erwerbes einer neuen Staatsangehörigkeit aber grundsätzlich Art. 1 Abschnitt C Z 3 GFK). Für die Asylaberkennung in Bezug auf den Revisionswerber kommt es ‑ wie erwähnt ‑ auf die mögliche Entscheidung in einem Aberkennungsverfahren der Bezugsperson aber nur insoweit an, als selbstständig zu klären ist, ob die fluchtauslösenden Umstände im Verfahren der Bezugsperson, von der Asyl abgeleitet wurde, noch vorliegen. Im Übrigen ist das Schicksal des Aberkennungsverfahrens des Revisionswerbers von seinem Vater losgelöst. Dafür spricht insbesondere auch, dass die Ausnahme vom Grundsatz nach § 7 Abs. 3 AsylG 2005, nämlich die Straffälligkeit des Asylberechtigten, für jedes Familienmitglied gesondert zu beurteilen ist.

24 Voraussetzung einer solchen Aberkennung ist allerdings nach dem Gesagten, dass sowohl eine inhaltliche Auseinandersetzung mit der (als Vorfrage zu beantwortenden) Frage erfolgt, ob die Umstände, auf Grund deren die Bezugsperson als Flüchtling anerkannt worden ist, nicht mehr bestehen, als auch eine Prüfung der Frage, ob hinsichtlich des Fremden - hier also des Revisionswerbers - die Voraussetzungen für die Zuerkennung des Status eines Asylberechtigten gemäß § 3 Abs. 1 AsylG 2005 vorliegen (vgl. VwGH 22.4.2020, Ra 2019/14/0501, Rn. 14).

25 Das BVwG traf im vorliegenden Fall Länderfeststellungen zur politischen Lage und Opposition in Armenien, in denen unter anderem ausgeführt wird, dass die Protestbewegung von 2018, die den Ministerpräsidenten der bis dahin regierenden Republikanischen Partei Armeniens (HHK) aus dem Amt gezwungen habe, den Oppositionsgruppen deutlich mehr Freiheit vor den nationalen Wahlen im Dezember 2018 gegeben habe. Die Parlamentswahlen im Dezember hätten die politische Landschaft verändert und der politische Pluralismus habe sich nach dem Regierungswechsel im Mai ausgedehnt. Vor dem Hintergrund dieser Feststellungen erwog das BVwG, dass der Vater des Revisionswerbers zum Entscheidungszeitpunkt aufgrund der geänderten politischen Lage in Armenien keine Verfolgung mehr befürchten müsse. In Bezug auf eine allfällige Verfolgungsgefahr des Revisionswerbers führte das BVwG aus, es sei nicht nachvollziehbar, dass dieser aus Rache aufgrund eines 20 Jahre zurückliegenden politischen Engagements seines Vaters bei einer Rückkehr verfolgt werden würde. Bei der Republik Armenien handle es sich zudem um einen sicheren Herkunftsstaat im Sinne der Herkunftsstaaten‑Verordnung, was für die Annahme der Schutzwilligkeit und ‑fähigkeit der armenischen Behörden spreche.

26 Diesen Erwägungen setzt die Revision nichts entgegen, sondern bringt lediglich vor, dass nicht mehr in einem rechtsstaatlich einwandfreien Verfahren festgestellt werden könne, aus welchen Gründen dem Vater des Revisionswerbers Asyl zuerkannt worden sei. Dabei übersieht sie jedoch, dass das BVwG den Vater als Zeugen in der mündlichen Verhandlung einvernahm und zu seinen Fluchtgründen befragte. Es kam schließlich unter Heranziehung aktueller Länderberichte zu dem nicht unvertretbaren Ergebnis, dass zum Entscheidungszeitpunkt weder der Vater des Revisionswerbers noch der Revisionswerber selbst bei einer Rückkehr nach Armenien einer konventionsrelevanten Verfolgung ausgesetzt wären.

27 Die Revision macht schließlich zur Zulässigkeit geltend, der Revisionswerber würde aufgrund der Kriegssituation zwischen Armenien und Aserbaidschan bei einer Rückkehr sofort zum Militär eingezogen und ins Kriegsgebiet geschickt werden.

28 Dazu ist zunächst darauf hinzuweisen, dass die Furcht vor der Ableistung des Militärdienstes bzw. der bei seiner Verweigerung drohenden Bestrafung im Allgemeinen keine asylrechtlich relevante Verfolgung darstellt, sondern nur bei Vorliegen eines Konventionsgrundes Asyl rechtfertigen kann (vgl. VwGH 20.4.2018, Ra 2018/18/0154, mwN).

29 Betreffend eine mögliche Einberufung des Revisionswerbers zum Wehrdienst setzte sich das BVwG mit dem im Verfahren erstatteten Vorbringen zudem umfassend auseinander und verneinte deren Wahrscheinlichkeit, da sich der Revisionswerber nicht mehr in jenem Alter befände, in dem er den Wehrdienst ableisten müsse. Dazu traf es aktuelle Länderfeststellungen betreffend Wehrdienst und Rekrutierungen, Wehrersatzdienst sowie Wehrdienstverweigerung und erwog, dass der Revisionswerber aufgrund seines Alters nicht mehr wehrpflichtig sei und einer allfälligen Strafverfolgung wegen der unterlassenen Musterung durch die Entrichtung einer Geldbuße entgehen könne. Vor dem Hintergrund der Berichtslage sei nicht davon auszugehen, dass im Rahmen der Ableistung des Wehrdienstes konventionswidrige Handlungen verübt würden. Überdies bestehe die Möglichkeit der Befreiung von der Wehrpflicht sowie der Ableistung eines Wehrersatzdienstes.

30 Sofern die Revision mit ihrem Vorbringen auf den Konflikt um Bergkarabach Bezug nimmt, steht der Berücksichtigung dieses Vorbringens das Neuerungsverbot entgegen. Das BVwG hatte seine Entscheidung an der zum Entscheidungszeitpunkt maßgeblichen Sach- und Rechtslage auszurichten. Das angefochtene Erkenntnis wurde spätestens am 11. Juni 2020 erlassen, sodass es dem BVwG von vornherein nicht möglich war, die sich ab Juli 2020 abzeichnende Verschärfung des Konflikts in seine Entscheidung einzubeziehen (vgl. VwGH 20.11.2020, Ra 2020/20/0309).

31 In der Revision werden sohin keine Rechtsfragen aufgeworfen, denen im Sinne des Art. 133 Abs. 4 B‑VG grundsätzliche Bedeutung zukäme. Die Revision war daher in einem gemäß § 12 Abs. 2 VwGG gebildeten Senat zurückzuweisen.

Wien, am 7. Jänner 2021

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