Normen
AsylG 2005 §18
AsylG 2005 §3
B-VG Art133 Abs4
EURallg
32011L0095 Status-RL Art4
European Case Law Identifier: ECLI:AT:VWGH:2021:RA2020140282.L00
Spruch:
Die Revision wird zurückgewiesen.
Begründung
1 Der Revisionswerber, ein Staatsangehöriger Afghanistans, stellte am 23. Juli 2015 einen Antrag auf internationalen Schutz, den er zusammengefasst mit einer Bedrohung durch die Taliban und einer Entführung begründete.
2 Mit Bescheid vom 2. September 2017 wies das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl diesen Antrag zur Gänze ab, erteilte keinen Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen, erließ gegen den Revisionswerber eine Rückkehrentscheidung und stellte fest, dass seine Abschiebung nach Afghanistan zulässig sei. Die Frist für die freiwillige Ausreise legte die Behörde mit 14 Tagen ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung fest.
3 Die dagegen erhobene Beschwerde wies das Bundesverwaltungsgericht (BVwG) mit Erkenntnis vom 7. November 2019 als unbegründet ab und sprach aus, dass die Erhebung einer Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B‑VG nicht zulässig sei.
4 Der Verfassungsgerichtshof lehnte die Behandlung der dagegen erhobenen Beschwerde mit Beschluss vom 25. Februar 2020, E 4588/2019‑7, ab und trat diese über gesonderten Antrag mit Beschluss vom 25. März 2020, E 4588/2019‑9, dem Verwaltungsgerichtshof zur Entscheidung ab. In der Folge wurde die vorliegende Revision eingebracht.
5 Nach Art. 133 Abs. 4 B‑VG ist gegen ein Erkenntnis des Verwaltungsgerichtes die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.
6 Nach § 34 Abs. 1 VwGG sind Revisionen, die sich wegen Nichtvorliegens der Voraussetzungen des Art. 133 Abs. 4 B‑VG nicht zur Behandlung eignen, ohne weiteres Verfahren mit Beschluss zurückzuweisen.
7 Nach § 34 Abs. 1a VwGG ist der Verwaltungsgerichtshof bei der Beurteilung der Zulässigkeit der Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B‑VG an den Ausspruch des Verwaltungsgerichtes gemäß § 25a Abs. 1 VwGG nicht gebunden. Die Zulässigkeit einer außerordentlichen Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B‑VG hat der Verwaltungsgerichtshof im Rahmen der dafür in der Revision vorgebrachten Gründe (§ 28 Abs. 3 VwGG) zu überprüfen.
8 Vorauszuschicken ist, dass der Verwaltungsgerichtshof gemäß § 41 VwGG, soweit nicht Rechtswidrigkeit infolge Unzuständigkeit des Verwaltungsgerichtes oder infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften vorliegt, das angefochtene Erkenntnis oder den angefochtenen Beschluss auf Grund des vom Verwaltungsgericht angenommenen Sachverhalts im Rahmen der geltend gemachten Revisionspunkte bzw. der Erklärung über den Umfang der Anfechtung zu überprüfen hat. Somit sind Änderungen der Sach‑ und Rechtslage, die sich nach Erlassung des angefochtenen Erkenntnisses ereignet haben und daher vom Verwaltungsgericht nicht berücksichtigt werden konnten, einer Prüfung im gegenständlichen Revisionsverfahren entzogen.
9 In der Begründung ihrer Zulässigkeit wendet sich die Revision gegen die Ausführungen des BVwG zur behaupteten Apostasie und rügt dazu eine Verletzung der Begründungspflicht, aktenwidrige Feststellungen sowie Ermittlungsmängel. Ebenso führt sie Begründungsmängel im Hinblick auf die behauptete Verfolgung durch die Taliban ins Treffen. Das BVwG habe weiters unzureichende Feststellungen zur Erreichbarkeit der Herkunftsprovinz getroffen und sei weiters von der Zumutbarkeit der Inanspruchnahme einer innerstaatlichen Fluchtalternative ausgegangen, ohne die persönlichen Umstände des Revisionswerbers umfassend in die Beurteilung miteinzubeziehen. Schließlich wendet sich die Revision auch gegen die Rückkehrentscheidung.
10 Mit diesem Vorbringen wird die Zulässigkeit der Revision nicht dargelegt:
11 Soweit die Revision zunächst Begründungs‑, Ermittlungs- und Feststellungsmängel in Zusammenhang mit der behaupteten Apostasie des Revisionswerbers releviert, macht sie Verfahrensmängel geltend. Werden Verfahrensmängel als Zulassungsgründe ins Treffen geführt, muss auch schon in der abgesonderten Zulässigkeitsbegründung die Relevanz dieser Verfahrensmängel, weshalb also bei Vermeidung des Verfahrensmangels in der Sache ein anderes, für den Revisionswerber günstigeres Ergebnis hätte erzielt werden können, dargetan werden. Dies setzt (in Bezug auf Feststellungsmängel) voraus, dass ‑ auch in der gesonderten Begründung für die Zulässigkeit der Revision zumindest auf das Wesentliche zusammengefasst ‑ jene Tatsachen dargestellt werden, die sich bei Vermeidung des Verfahrensmangels als erwiesen ergeben hätten (vgl. VwGH 19.5.2020, Ra 2020/14/0189, mwN). Die Relevanz der geltend gemachten Verfahrensfehler ist in konkreter Weise darzulegen (vgl. VwGH 19.5.2020, Ra 2019/14/0599, mwN). Dieser Anforderung wird die Revision mit dem allgemeinen gehaltenen Vorbringen, es sei nicht auszuschließen, dass der Spruch des Erkenntnisses anders gelautet hätte, nicht gerecht.
12 Darüber hinaus hat sich das BVwG mit dem diesbezüglichen Vorbringen auseinandergesetzt und dargelegt, aus welchen Gründen es zum Ergebnis gelangte, dass beim Revisionswerber eine Apostasie nicht eingetreten sei und keine nachhaltige Distanzierung von seinem Glauben vorliege. Es verwies unter anderem auf den Umstand, dass sich der Revisionswerber in allen Einvernahmen als sunnitischer Moslem bezeichnet habe. Erst am Ende der dritten Beschwerdeverhandlung vor dem BVwG habe seine Rechtsvertretung angegeben, dass dieser seinen Glauben nicht mehr praktiziere. Durch den späten Vortrag erwecke es den Eindruck eines konstruierten Vorbringens durch die Rechtsvertretung, zumal sich aus den eigenen Angaben des Revisionswerbers im gesamten Verfahren keine Hinweise auf eine mögliche Apostasie ergeben hätten. Die Revision vermag nicht aufzuzeigen, dass die Beweiswürdigung im Revisionsfall unvertretbar wäre (zum Maßstab für das Vorliegen einer Rechtsfrage grundsätzlicher Bedeutung im Zusammenhang mit der Beweiswürdigung vgl. VwGH 19.3.2021, Ra 2021/19/0072, mwN).
13 Soweit die Revision Begründungsmängel betreffend das Fluchtvorbringen im Zusammenhang mit der behaupteten Bedrohung durch die Hezb‑e‑Islami und die Taliban (insbesondere unterstellte politische Gesinnung als Spion, Eigenschaft als Familienangehöriger einer mit der Regierung verbundenen Personen bzw. wohlhabenden Person, Eigenschaft als Rückkehrer aus westlichen Ländern) rügt, ist entgegenzuhalten, dass sich das BVwG nach Durchführung von drei Tagsatzungen in einer auf den Einzelfall Bedacht nehmenden Beweiswürdigung mit dem Vorbringen des Revisionswerbers zu den Gründen seiner Flucht ausführlich auseinandergesetzt und schlüssig dargelegt hat, warum es diesem keinem Glauben schenkt bzw. dieses vor dem Hintergrund der getroffenen Länderfeststellungen als nicht asylrelevant betrachtet. Nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ist dieser als Rechtsinstanz tätig und im Allgemeinen nicht zur Überprüfung der Beweiswürdigung im Einzelfall berufen. Im Zusammenhang mit der Beweiswürdigung liegt ‑ wie bereits hingewiesen ‑ eine Rechtsfrage grundsätzlicher Bedeutung nur dann vor, wenn das Verwaltungsgericht die Beweiswürdigung in einer die Rechtssicherheit beeinträchtigenden, unvertretbaren Weise vorgenommen hat (vgl. VwGH 19.5.2020, Ra 2019/14/0328, mwN). Die Revision, die zudem teilweise von ihren eigenen Prämissen ausgeht, ohne die Unrichtigkeit der anderslautenden Erwägungen des Verwaltungsgerichts darzutun, legt nicht dar, dass die Beweiswürdigung zu diesem Vorbringen des Revisionswerbers in unvertretbarer Weise vorgenommen worden wäre und sich die Erwägungen des BVwG in seiner Gesamtheit als unschlüssig darstellen würden. Auch ist eine tragende Grundsätze des Verfahrensrechts berührende Verkennung der Begründungspflicht (vgl. dazu neuerlich VwGH 19.5.2020, Ra 2019/14/0328; 28.2.2019, Ra 2018/12/0023) nicht ersichtlich. Vor dem Hintergrund der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes, wonach die Glaubhaftmachung des Fluchtvorbringens einer einzelfallbezogenen Beurteilung unterliegt und im Allgemeinen nicht revisibel ist (vgl. VwGH 22.1.2021, Ra 2021/01/0003, mwN), zeigt die Revision nicht auf, dass die Beurteilung des BVwG unvertretbar wäre.
14 Soweit die Revision Feststellungsmängel in Zusammenhang mit der Erreichbarkeit der Herkunftsprovinz und dem Zugang des Revisionswerbers zur erforderlichen medizinischen Behandlung rügt, macht sie abermals Verfahrensmängel geltend, ohne die Relevanz der geltend gemachten Verfahrensfehler in konkreter Weise darzulegen. Im Übrigen ging das BVwG davon aus, dass dem Revisionswerber die Inanspruchnahme einer innerstaatlichen Fluchtalternative unter anderem in den Städten Kabul, Herat und Mazar‑e Sharif offenstehe, in denen er ‑ so wie bei einer Rückkehr in die Heimatprovinz ‑ auch Zugang zu leistbaren Behandlungsmöglichkeiten habe, wobei es sich auf dazu eingeholte Anfragebeantwortungen der Staatendokumentation stützte.
15 Vor dem Hintergrund der unbestritten gebliebenen Feststellungen des BVwG, wonach es sich bei dem Revisionswerber um einen volljährigen, jungen, ledigen, kinderlosen, hinreichend gesunden und innerhalb des Leistungskalküls arbeitsfähigen Mann mit Sprachkenntnissen, Schulbildung sowie Berufserfahrung und familiären Unterstützungsmöglichkeiten handle, vermag die Revision nicht darzulegen, dass die Annahme des BVwG, dem Revisionswerber stehe auf Grundlage der getroffenen Feststellungen in Mazar‑e Sharif und Herat eine innerstaatliche Fluchtalternative offen, unvertretbar wäre. Dies gelingt ihr auch nicht mit dem Hinweis auf einen enorm angespannten Arbeitsmarkt. Eine schwierige Lebenssituation, insbesondere bei der Arbeitsplatz- und Wohnraumsuche sowie in wirtschaftlicher Hinsicht, die ein Fremder im Fall der Rückkehr in sein Heimatland vorfinden würde, reicht nach der Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes für sich betrachtet nicht aus, um die Verletzung des nach Art. 3 EMRK geschützten Rechts mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit annehmen zu können oder um eine innerstaatliche Fluchtalternative zu verneinen (vgl. zum Ganzen VwGH 30.3.2020, Ra 2020/14/0020, mwN).
16 Soweit sich der Revisionswerber gegen die im Rahmen der Erlassung der Rückkehrentscheidung nach § 9 BFA‑VG vorgenommene Interessenabwägung des BVwG wendet, ist festzuhalten, dass nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes eine unter Bedachtnahme auf die jeweiligen Umstände des Einzelfalls in Form einer Gesamtbetrachtung durchgeführte Interessenabwägung im Sinn des Art. 8 EMRK im Allgemeinen ‑ wenn sie auf einer verfahrensrechtlich einwandfreien Grundlage erfolgte und in vertretbarer Weise im Rahmen der von der Rechtsprechung entwickelten Grundsätze vorgenommen wurde ‑ nicht revisibel im Sinn des Art. 133 Abs. 4 B‑VG ist. Die Beurteilung, ob die Erlassung einer Rückkehrentscheidung einen unverhältnismäßigen Eingriff in die nach Art. 8 EMRK geschützten Rechte eines Fremden darstellt, hat nach der Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes unter Bedachtnahme auf alle Umstände des Einzelfalles stattzufinden. Dabei muss eine gewichtende Abwägung des öffentlichen Interesses an einer Aufenthaltsbeendigung mit den gegenläufigen privaten und familiären Interessen des Fremden, insbesondere unter Berücksichtigung der in § 9 Abs. 2 BFA‑VG genannten Kriterien und unter Einbeziehung der sich aus § 9 Abs. 3 BFA‑VG ergebenden Wertungen in Form einer Gesamtbetrachtung vorgenommen werden (vgl. VwGH 15.6.2021, Ra 2020/14/0399, mwN).
17 Der Verwaltungsgerichtshof hat in seiner Rechtsprechung wiederholt zum Ausdruck gebracht, dass einer Aufenthaltsdauer von weniger als fünf Jahren für sich betrachtet noch keine maßgebliche Bedeutung für die nach Art. 8 EMRK durchzuführende Interessenabwägung zukommt und in Fällen, in denen eine relativ kurze Aufenthaltsdauer des Betroffenen in Österreich vorliegt, regelmäßig erwartet wird, dass die in dieser Zeit erlangte Integration außergewöhnlich ist, um die Rückkehrentscheidung auf Dauer für unzulässig zu erklären (vgl. VwGH 28.12.2020, Ra 2020/14/0528, mwN).
18 Die Revision vermag nicht aufzuzeigen, dass das BVwG ausgehend von den getroffenen Feststellungen bei der im Einzelfall vorgenommenen Gewichtung der festgestellten Umstände die in der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes aufgestellten Leitlinien missachtet oder in unvertretbarer Weise zur Anwendung gebracht hätte. Soweit in diesem Zusammenhang Feststellungsmängel gerügt werden, fehlt es diesem Vorbringen ebenfalls an der dafür notwendigen Relevanzdarstellung.
19 Im Übrigen hat das Bundesverwaltungsgericht zutreffend auf die Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofs hingewiesen, wonach es im Sinn des § 9 Abs. 2 Z 8 BFA‑Verfahrensgesetz maßgeblich relativierend ist, wenn integrationsbegründende Schritte in einem Zeitpunkt gesetzt wurden, in dem sich der Fremde seines unsicheren Aufenthaltsstatus bewusst sein musste (vgl. VwGH 15.4.2020, Ra 2019/14/0420, mwN).
20 In der Revision werden keine Rechtsfragen aufgeworfen, denen im Sinne des Art. 133 Abs. 4 B‑VG grundsätzliche Bedeutung zukäme. Die Revision war daher gemäß § 34 Abs. 1 VwGG ohne weiteres Verfahren zurückzuweisen.
Wien, am 3. September 2021
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