VwGH Ra 2020/14/0528

VwGHRa 2020/14/052828.12.2020

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Präsident Dr. Thienel, die Hofrätin Mag. Rossmeisel und den Hofrat Dr. Himberger als Richter, unter Mitwirkung der Schriftführerin Mag. Schramel, in der Revisionssache des A B, vertreten durch Mag. Thomas Klein, Rechtsanwalt in 8010 Graz, Sackstraße 21, gegen das Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom 23. Juli 2020, W150 2198702‑1/10E, betreffend Angelegenheiten nach dem AsylG 2005 und dem FPG (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl), den Beschluss gefasst:

Normen

AsylG 2005 §8 Abs1
MRK Art3

European Case Law Identifier: ECLI:AT:VWGH:2020:RA2020140528.L00

 

Spruch:

Die Revision wird zurückgewiesen.

Begründung

1 Der Revisionswerber, ein Staatsangehöriger Afghanistans, stellte am 16. Februar 2016 einen Antrag auf internationalen Schutz nach dem Asylgesetz 2005. Zu seiner Begründung brachte er Furcht vor Verfolgung von Mitgliedern einer kriminellen radikalislamischen Organisation vor.

2 Das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl wies diesen Antrag mit Bescheid vom 29. Mai 2018 ab, erteilte dem Revisionswerber keinen Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen, erließ gegen ihn eine Rückkehrentscheidung und stellte fest, dass seine Abschiebung nach Afghanistan zulässig sei. Die Frist für die freiwillige Ausreise legte die Behörde mit 14 Tagen ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung fest.

3 Die dagegen erhobene Beschwerde wies das Bundesverwaltungsgericht nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung mit dem in Revision gezogenen Erkenntnis als unbegründet ab. Unter einem sprach das Verwaltungsgericht aus, dass die Erhebung einer Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B‑VG nicht zulässig sei.

4 Mit Beschluss vom 21. September 2020, E 2756/2020-7, lehnte der Verfassungsgerichtshof die Behandlung der gegen dieses Erkenntnis gerichteten Beschwerde gemäß Art. 144 Abs. 1 B‑VG ab und trat die Beschwerde gemäß Art. 144 Abs. 3 B‑VG dem Verwaltungsgerichtshof zur Entscheidung ab.

5 Im Anschluss brachte der Revisionswerber die gegenständliche Revision ein.

6 Nach Art. 133 Abs. 4 B‑VG ist gegen ein Erkenntnis des Verwaltungsgerichtes die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.

7 Nach § 34 Abs. 1 VwGG sind Revisionen, die sich wegen Nichtvorliegens der Voraussetzungen des Art. 133 Abs. 4 B‑VG nicht zur Behandlung eignen, ohne weiteres Verfahren in nichtöffentlicher Sitzung mit Beschluss zurückzuweisen.

8 Nach § 34 Abs. 1a VwGG ist der Verwaltungsgerichtshof bei der Beurteilung der Zulässigkeit der Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B‑VG an den Ausspruch des Verwaltungsgerichtes gemäß § 25a Abs. 1 VwGG nicht gebunden. Die Zulässigkeit einer außerordentlichen Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B‑VG hat der Verwaltungsgerichtshof im Rahmen der dafür in der Revision vorgebrachten Gründe (§ 28 Abs. 3 VwGG) zu überprüfen.

9 Soweit die Revision fehlende Feststellungen zu der radikalislamistischen Gruppierung „Yahaha“ geltend macht, zeigt sie damit einen Verfahrensmangel auf. Werden Verfahrensmängel ‑ wie hier Feststellungsmängel ‑ als Zulassungsgründe ins Treffen geführt, muss auch schon in der abgesonderten Zulässigkeitsbegründung die Relevanz dieser Verfahrensmängel, weshalb also bei Vermeidung des Verfahrensmangels in der Sache ein anderes, für den Revisionswerber günstigeres Ergebnis hätte erzielt werden können, dargetan werden. Dies setzt voraus, dass ‑ auch in der gesonderten Begründung für die Zulässigkeit der Revision zumindest auf das Wesentliche zusammengefasst ‑ jene Tatsachen dargestellt werden, die sich bei Vermeidung des Verfahrensmangels als erwiesen ergeben hätten (vgl. VwGH 19.5.2020, Ra 2020/14/0189, mwN). Dem wird die vorliegende Revision, die in der Zulassungsbegründung nicht einmal ansatzweise Ausführungen zur Relevanz des behaupteten Verfahrensmangels enthält, nicht gerecht.

10 Das Bundesverwaltungsgericht hat ‑ nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung, in der es sich einen persönlichen Eindruck vom Revisionswerber verschaffen konnte ‑ dem Fluchtvorbringen unter mehreren Gesichtspunkten die Glaubwürdigkeit abgesprochen. Dem auf der als unglaubwürdig eingestuften Prämisse fußenden Vorbringen zu den Verfolgungshandlungen durch die „Yahaha“ ist sohin der Boden entzogen. Entfernt sich ‑ wie hier ‑ die Revision von den Feststellungen, ist das diesbezügliche Vorbringen auch aus diesem Grund nicht geeignet, eine Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung aufzuzeigen (vgl. etwa VwGH 9.1.2020, Ra 2019/19/0356, mwN).

11 Wenn der Revisionswerber rügt, das Bundesverwaltungsgericht habe sich nicht mit den aktuellen Entwicklungen aufgrund der Covid‑19‑Pandemie in Afghanistan auseinandersetzt, macht er ebenfalls einen Verfahrensmangel geltend, ohne die Relevanz darzulegen.

12 Der Verwaltungsgerichtshof hat bereits wiederholt festgehalten, dass die bloße Möglichkeit einer durch die Lebensumstände bedingten Verletzung des Art. 3 EMRK nicht ausreichend ist. Vielmehr ist es zur Begründung einer drohenden Verletzung von Art. 3 EMRK notwendig, detailliert und konkret darzulegen, dass exzeptionelle Umstände vorliegen. Bei der Frage, ob im Fall der Rückführung eine Verletzung des Art. 3 EMRK zu gewärtigen ist, kommt es nicht darauf an, ob infolge von zur Verhinderung der Verbreitung des SARS‑CoV‑2‑Virus gesetzten Maßnahmen sich die Wiedereingliederung im Heimatland wegen schlechterer wirtschaftlicher Aussichten schwieriger als vor Beginn dieser Maßnahmen darstellt, solange die Sicherung der existentiellen Grundbedürfnisse weiterhin als gegeben anzunehmen ist (vgl. etwa VwGH 11.11.2020, Ra 2020/14/0390, mwN).

13 Vor diesem Hintergrund werden mit dem vorliegenden Revisionsvorbringen, das sich in einem Verweis auf wirtschaftliche Auswirkungen der Maßnahmen zur Bekämpfung der Verbreitung des SARS‑CoV‑2‑Virus erschöpft, ohne aufzuzeigen, von welchen konkreten Auswirkungen der Revisionswerber (im Zeitpunkt der Erlassung des Erkenntnisses) betroffen gewesen wäre, keine exzeptionellen Umstände dargelegt, nach denen im Fall der Ansiedelung in den als innerstaatliche Fluchtalternative in Betracht kommenden Orten die reale Gefahr einer drohenden Verletzung seiner durch Art. 2 oder Art. 3 EMRK garantierten Rechte zu gewärtigen oder die Inanspruchnahme der innerstaatlichen Fluchtalternative unzumutbar wäre (vgl. VwGH 9.11.2020, Ra 2020/20/0373, mwN).

14 Schließlich wendet sich die Revision gegen die Erlassung einer Rückkehrentscheidung und verweist dabei auf die „außergewöhnliche Integration“ des Revisionswerbers. Nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ist eine unter Bedachtnahme auf die jeweiligen Umstände des Einzelfalls in Form einer Gesamtbetrachtung durchgeführte Interessenabwägung im Sinn des Art. 8 EMRK im Allgemeinen ‑ wenn sie auf einer verfahrensrechtlich einwandfreien Grundlage erfolgt und in vertretbarer Weise im Rahmen der von der Rechtsprechung entwickelten Grundsätze vorgenommen wurde ‑ nicht revisibel (vgl. VwGH 11.11.2020, Ra 2020/14/0149, mwN).

15 Es entspricht der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes, dass einer Aufenthaltsdauer von weniger als fünf Jahren für sich betrachtet noch keine maßgebliche Bedeutung für die nach Art. 8 EMRK durchzuführende Interessenabwägung zukommt (vgl. etwa VwGH 21.2.2020, Ra 2020/18/0002, mwN). Liegt ‑ wie im gegenständlichen Fall ‑ eine relativ kurze Aufenthaltsdauer des Betroffenen in Österreich vor, so wird nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes regelmäßig erwartet, dass die in dieser Zeit erlangte Integration außergewöhnlich ist, um die Rückkehrentscheidung auf Dauer für unzulässig zu erklären (vgl. etwa VwGH 30.12.2019, Ra 2019/18/0498, mwN).

16 Das Bundesverwaltungsgericht setzte sich im gegenständlichen Fall mit den Integrationsschritten des Revisionswerbers, den Kenntnissen der deutschen Sprache, dem gemeinnützigen Engagement und diversen Empfehlungsschreiben hinreichend auseinander und kam zu dem Schluss, dass der Revisionswerber für seinen knapp über vierjährigen Aufenthaltszeitraum keine ausgeprägten integrationsverfestigenden Maßnahmen gesetzt habe (vgl. VwGH 11.8.2020, Ra 2020/14/0347, zur erforderlichen außergewöhnlichen Integration bei einem ‑ wie hier ‑ erst viereinhalbjährigen Aufenthalt). Dass sich das Bundesverwaltungsgericht mit seiner Beurteilung von den dargestellten Leitlinien des Verwaltungsgerichtshofes in unvertretbarer Weise entfernt hätte, wird von der Revision nicht dargetan.

17 In der Revision werden somit keine Rechtsfragen aufgeworfen, denen im Sinne des Art. 133 Abs. 4 B‑VG grundsätzliche Bedeutung zukäme. Die Revision war daher gemäß § 34 Abs. 1 VwGG ohne weiteres Verfahren zurückzuweisen.

Wien, am 28. Dezember 2020

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