VwGH Ra 2019/21/0324

VwGHRa 2019/21/032416.4.2020

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch die Vorsitzende Vizepräsidentin Dr.in Sporrer als Richterin sowie die Hofräte Dr. Pelant und Dr. Pfiel als Richter, unter Mitwirkung der Schriftführerin Mag.a Eraslan, über die Revision des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl gegen das Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichtes vom 18. September 2019, W152 2111125- 1/14E, betreffend Feststellung der dauernden Unzulässigkeit einer Rückkehrentscheidung und Erteilung eines Aufenthaltstitels nach § 55 Abs. 1 AsylG 2005 (mitbeteiligte Partei: N G in G, im Verfahren vor dem Verwaltungsgericht vertreten durch die ARGE Rechtsberatung - Diakonie und Volkshilfe, 1170 Wien, Wattgasse 48/3), den Beschluss gefasst:

Normen

BFA-VG 2014 §9 Abs2 Z8
B-VG Art133 Abs4
VwGG §28 Abs3
VwGG §34 Abs1

European Case Law Identifier: ECLI:AT:VWGH:2020:RA2019210324.L00

 

Spruch:

Die Revision wird zurückgewiesen.

Begründung

1 Der Mitbeteiligte, ein im Jahr 1998 geborener afghanischer Staatsangehöriger, stellte nach seiner Einreise in das Bundesgebiet am 13. Februar 2014 einen Antrag auf internationalen Schutz.

2 Diesen Antrag wies das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (BFA) mit Bescheid vom 23. Juni 2015 zur Gänze ab (Spruchpunkte I. und II.). Unter einem sprach es aus, dass dem Mitbeteiligten ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen gemäß den §§ 57 und 55 AsylG 2005 (von Amts wegen) nicht erteilt werde, und erließ gegen ihn gemäß § 10 Abs. 1 Z 3 AsylG 2005 iVm § 9 BFA-VG eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 2 Z 2 FPG; des Weiteren stellte das BFA gemäß § 52 Abs. 9 FPG fest, dass die Abschiebung des Mitbeteiligten nach Afghanistan zulässig sei; schließlich setzte es gemäß § 55 Abs. 1 bis 3 FPG die Frist für die freiwillige Ausreise mit 14 Tagen ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung fest (jeweils Spruchpunkt III.). 3 Die dagegen erhobene Beschwerde zog der Mitbeteiligte am Ende der mündlichen Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht (BVwG) am 19. Juli 2019 in Bezug auf die Spruchpunkte I. und II. des angefochtenen Bescheides des BFA vom 23. Juni 2015 wieder zurück.

4 Hinsichtlich des übrigen, aufrechterhaltenen Teils der Beschwerde erkannte das BVwG sodann mit dem nunmehr angefochtenen Erkenntnis vom 18. September 2019, dass der Beschwerde gegen Spruchpunkt III. des angefochtenen Bescheides vom 23. Juni 2015 stattgegeben werde. Das BVwG stellte fest, dass eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 FPG und § 9 BFA-VG auf Dauer unzulässig sei. Demzufolge erteilte es dem Mitbeteiligten gemäß § 58 Abs. 2 iVm § 55 Abs. 1 AsylG 2005 den Aufenthaltstitel "Aufenthaltsberechtigung plus".

Unter einem stellte das BVwG das Beschwerdeverfahren zu den Spruchpunkten I. und II. des genannten BFA-Bescheides beschlussmäßig ein und sprach insgesamt aus, dass eine Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig sei.

5 Zur Integration des unbescholtenen (unverheirateten und kinderlosen, in Österreich über keine Angehörigen verfügenden) Mitbeteiligten, der nach eigenen Angaben im Herkunftsstaat fünf Jahre lang in einem Kurs Lesen, Schreiben und Rechnen gelernt hatte, stellte das BVwG fest, er habe seit der Einreise im Februar 2014 (laut Sprachzertifikat vom 5. Mai 2017) Deutschkenntnisse auf dem Niveau A2 erworben, die er in der mündlichen Verhandlung vom 19. Juli 2019 unter Beweis gestellt habe. Seit 10. März 2019 sei er als ehrenamtlicher Mitarbeiter bei einer Notschlafstelle tätig, wobei er bislang insgesamt 140 Stunden geleistet habe. Bereits seit 2. Juni 2017 sei er Mitglied eines Boxvereines, nehme regelmäßig am Training teil und habe einen Wettkampf bestritten. Durch seine sportlichen Aktivitäten habe er einen Freundeskreis erworben. Die Bindung zum Heimatstaat sei dagegen völlig abgebrochen, es bestünden keine Kontakte zu allenfalls in Afghanistan lebenden Verwandten. Aus dieser Integration folgerte das BVwG, der Mitbeteiligte erfülle die Voraussetzungen für die Erteilung einer "Aufenthaltsberechtigung plus" nach § 55 Abs. 1 AsylG 2005. 6 Die dagegen erhobene außerordentliche Amtsrevision des BFA erweist sich als unzulässig:

Nach Art. 133 Abs. 4 B-VG ist gegen das Erkenntnis eines Verwaltungsgerichtes die Revision (nur) zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.

7 An den Ausspruch des Verwaltungsgerichtes nach § 25a Abs. 1 VwGG ist der Verwaltungsgerichtshof bei der Beurteilung der Zulässigkeit der Revision unter dem genannten Gesichtspunkt nicht gebunden (§ 34 Abs. 1a erster Satz VwGG). Zufolge § 28 Abs. 3 VwGG hat allerdings die außerordentliche Revision gesondert die Gründe zu enthalten, aus denen entgegen dem Ausspruch des Verwaltungsgerichtes die Revision für zulässig erachtet wird. Im Rahmen der dafür in der Revision vorgebrachten Gründe hat der Verwaltungsgerichtshof dann die Zulässigkeit einer außerordentlichen Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zu überprüfen (§ 34 Abs. 1a zweiter Satz VwGG).

8 Insoweit führt die Amtsrevision aus, hätte der Mitbeteiligte seinen "Antrag auf internationalen Schutz" (gemeint wohl: die Beschwerde gegen Spruchpunkte I. und II. des Bescheides vom 23. Juni 2015) zurückgezogen, weil er bewusst, also mit einem unwahren Fluchtvorbringen, einen von vornherein unbegründeten Antrag gestellt hatte, wären die für ihn sprechenden integrationsbegründenden Umstände durch den Missbrauch des Asylwerbern für die Dauer ihres Verfahrens eingeräumten Aufenthaltsrechts maßgeblich relativiert. Da das BVwG nicht aufgeklärt habe, warum der Mitbeteiligte seine Beschwerde zurückgezogen habe, beruhe seine Interessenabwägung auf einem ungeklärten Sachverhalt im Hinblick auf § 9 Abs. 2 Z 8 BFA-VG. Sein Verfahren erweise sich daher als mangelhaft und weiche "von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes" ab. 9 Dem ist zu entgegnen, dass das BFA, das an der vom BVwG durchgeführten Beschwerdeverhandlung nicht teilgenommen hat, im verwaltungsgerichtlichen Verfahren kein Vorbringen hinsichtlich einer missbräuchlichen Stellung des (einzigen) durch den Mitbeteiligten eingebrachten Antrages auf internationalen Schutz erstattet hat. Auch sonst können den vorgelegten Verwaltungsakten keine Hinweise für eine missbräuchliche Antragstellung entnommen werden, die für das BVwG Anlass geboten hätten, Überlegungen in diese Richtung anzustellen. Gründe für das Vorliegen eines Rechtsmissbrauchs werden im Übrigen auch in der Revision nicht inhaltlich konkretisiert.

10 Mit dem dargestellten Vorbringen zeigt die Revision daher nichts auf, was das Vorliegen einer wesentlichen Rechtsfrage im Sinne des Art. 133 Abs. 4 B-VG begründen könnte, sodass sie gemäß § 34 Abs. 1 und 3 VwGG mit Beschluss zurückzuweisen war.

Wien, am 16. April 2020

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