VwGH Ra 2018/22/0200

VwGHRa 2018/22/020017.6.2019

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Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Robl sowie die Hofräte Dr. Mayr und Mag. Berger als Richter, unter Mitwirkung der Schriftführerin Mag.a Strasser, über die Revision des D N, vertreten durch Dr. Erich Ehn, Rechtsanwalt in 1010 Wien, Seilerstätte 28, gegen das Erkenntnis des Verwaltungsgerichtes Wien vom 11. Juli 2018, VGW-151/064/6064/2018-8, betreffend Aufenthaltstitel (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Landeshauptmann von Wien), zu Recht erkannt:

Normen

B-VG Art133 Abs4
NAG 2005 §11 Abs1 Z4
NAG 2005 §30 Abs1
NAG 2005 §47 Abs2
VwGG §42 Abs2 Z3 litb
VwGG §42 Abs2 Z3 litc

European Case Law Identifier: ECLI:AT:VWGH:2019:RA2018220200.L00

 

Spruch:

Das angefochtene Erkenntnis wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.

Der Bund hat dem Revisionswerber Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.106,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

1 Der Revisionswerber, ein serbischer Staatsangehöriger, stellte am 12. Oktober 2017 einen Erstantrag auf Erteilung eines Aufenthaltstitels "Familienangehöriger" gemäß § 47 Abs. 2 Niederlassungs- und Aufenthaltsgesetz (NAG) unter Berufung auf seine am 21. Juli 2017 geschlossene Ehe mit der österreichischen Staatsbürgerin R S.

Der Landeshauptmann von Wien (belangte Behörde) verständigte die Landespolizeidirektion (LPD) Wien gemäß § 37 Abs. 4 NAG vom Verdacht des Bestehens einer Aufenthaltsehe und ersuchte um Überprüfung. Nach einer unangekündigten Erhebung an der gemeinsamen Wohnadresse des Ehepaares und einer getrennten Befragung des Revisionswerbers und seiner Ehefrau R S, in der die beiden widersprüchliche Angaben gemacht hätten, teilte die LPD Wien der belangten Behörde in ihrem Bericht vom 15. Jänner 2018 mit, dass eine Aufenthaltsehe vorliege. 2 Mit Bescheid vom 27. März 2018 wies die belangte Behörde den Antrag des Revisionswerbers aufgrund des Vorliegens einer Aufenthaltsehe gemäß § 11 Abs. 1 Z 4 in Verbindung mit § 30 Abs. 1 NAG ab. Unter Verweis insbesondere auf den Bericht der LPD Wien wurde begründend ausgeführt, dass die Ehe mit R S lediglich zum Zweck der Erlangung eines Aufenthaltstitels eingegangen und ein gemeinsames Familienleben im Sinn des Art. 8 EMRK weder beabsichtigt noch bisher geführt worden sei. 3 In der dagegen erhobenen Beschwerde beantragte der Revisionswerber die Durchführung einer mündlichen Verhandlung und brachte vor, das Zusammenleben der Ehegatten sei zwar aufgrund der Vorgaben des Sichtvermerksabkommens für serbische Staatsangehörige beschränkt, jedoch sei er während seiner Aufenthalte in Österreich an der ehelichen Anschrift wohnhaft und auch den Nachbarn bekannt. Ferner könnten Verwandte und Bekannte namhaft gemacht werden, die das Zusammenleben des Ehepaares während seiner Aufenthalte in Österreich bestätigen könnten. Durch deren Einvernahme könne festgestellt werden, dass ein Familienleben bestehe und die angenommene Aufenthaltsehe nicht vorliege.

4 Mit dem angefochtenen Erkenntnis vom 11. Juli 2018 wies das Verwaltungsgericht Wien nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung am 5. Juli 2018 die Beschwerde des Revisionswerbers als unbegründet ab. Die ordentliche Revision an den Verwaltungsgerichtshof nach Art. 133 Abs. 4 B-VG wurde für unzulässig erklärt.

Das Verwaltungsgericht hielt fest, dass die Ehe zwischen dem Revisionswerber und R S zu dem Zweck geschlossen worden sei, dem Revisionswerber einen rechtmäßigen Aufenthalt in Österreich zu ermöglichen. Im Rahmen der Beweiswürdigung berücksichtigte das Verwaltungsgericht sowohl die Ermittlungen der LPD Wien, somit die Erhebung an der gemeinsamen Wohnadresse der Ehegatten sowie deren Befragung und die hierbei getätigten widersprüchlichen Aussagen, als auch die Aussagen der in der mündlichen Verhandlung vernommenen Ehefrau R S und das unentschuldigte Fernbleiben des Revisionswerbers, welches - so das Verwaltungsgericht - darauf hindeute, dass damit die gerichtliche Vernehmung und dadurch aufkommende Widersprüche und Unstimmigkeiten in den Aussagen des Ehepaares vermieden werden sollten.

Aus den zahlreichen Widersprüchen in den Aussagen und der fehlenden persönlichen Beziehung der R S zum Revisionswerber sei klar erkennbar, dass ein gemeinsames Familienleben zu keinem Zeitpunkt beabsichtigt gewesen sei. Gestützt darauf ging das Verwaltungsgericht davon aus, dass das Erteilungshindernis des § 11 Abs. 1 Z 4 in Verbindung mit § 30 Abs. 1 NAG verwirklicht sei, indem sich der Revisionswerber im gegenständlichen Antrag auf die Ehe berufen habe. Eine Interessenabwägung gemäß § 11 Abs. 3 NAG sei in einem solchen Fall nicht vorgesehen. 5 Gegen dieses Erkenntnis richtet sich die vorliegende außerordentliche Revision.

6 Eine Revisionsbeantwortung wurde nicht erstattet.

 

Der Verwaltungsgerichtshof hat in einem gemäß § 12 Abs. 1 Z 2 VwGG gebildeten Senat erwogen:

7 Der Revisionswerber bringt zur Zulässigkeit vor, das Verwaltungsgericht habe entscheidende Beweise, insbesondere die in der mündlichen Verhandlung durch den Rechtsvertreter beantragte Vernehmung des Sohnes sowie einer Bekannten der Ehefrau als Zeugen, nicht erhoben und dieses Vorgehen auch in keiner Weise begründet, obwohl die Ablehnung solcher Beweisanträge nachvollziehbar zu begründen sei. Bei Vernehmung der beantragten Zeugen und korrekter Würdigung der Beweisergebnisse wäre das Verwaltungsgericht zum Ergebnis gelangt, dass zwischen dem Revisionswerber und seiner Ehefrau keine Aufenthaltsehe, sondern eine aufrechte Ehe bestehe, die ein gemeinsames Familienleben umfasse.

Die Revision ist im Hinblick auf dieses Vorbringen zulässig und berechtigt.

8 Nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes dürfen Beweisanträge nur dann abgelehnt werden, wenn die Beweistatsachen als wahr unterstellt werden, es auf sie nicht ankommt oder das Beweismittel an sich ungeeignet ist, über den Gegenstand der Beweisaufnahme einen Beweis zu liefern und damit zur Ermittlung des maßgeblichen Sachverhalts beizutragen. Ob eine Beweisaufnahme in diesem Sinn notwendig ist, unterliegt der einzelfallbezogenen Beurteilung des Verwaltungsgerichtes. Eine Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung im Sinn des Art. 133 Abs. 4 B-VG liegt nur dann vor, wenn diese Beurteilung grob fehlerhaft erfolgt wäre und zu einem die Rechtssicherheit beeinträchtigenden unvertretbaren Ergebnis geführt hätte (vgl. VwGH 13.11.2018, Ra 2018/21/0164, Rn. 15 ff; 8.11.2018, Ra 2018/22/0138, Rn. 6, jeweils mwN).

9 Ferner ist es nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht zulässig, ein vermutetes Ergebnis noch nicht aufgenommener Beweise vorwegzunehmen. Das Verwaltungsgericht darf sich über erhebliche Behauptungen und Beweisanträge - ungeachtet der Ergebnisse des bisherigen Beweisverfahrens - nicht ohne Ermittlungen und ohne Begründung hinwegsetzen (vgl. zu allem VwGH 20.2.2018, Ra 2017/20/0303, Rn. 11, mwN).

10 Dem angefochtenen Erkenntnis lässt sich - worauf der Revisionswerber zutreffend hinweist - keine Begründung dafür entnehmen, warum den in der Verhandlung zum Nachweis des Vorliegens eines Familienlebens gestellten Beweisanträgen nicht entsprochen wurde. Vor allem im Hinblick auf die beantragte Vernehmung des im gemeinsamen Haushalt (mit dem Revisionswerber und seiner Ehefrau) lebenden Sohnes der Ehefrau, mit dem der Revisionswerber nach den Aussagen der Ehefrau in der Verhandlung regelmäßig Kontakt habe, kann vorliegend nicht davon ausgegangen werden, dass unklar gewesen wäre, wozu der Zeuge befragt werden hätte sollen, dass es auf dieses Beweismittel nicht ankäme bzw. dass die Durchführung der beantragten Vernehmung keine abweichenden Feststellungen ermöglicht und somit zu keinem anderen, für den Revisionswerber günstigeren Ergebnis führen hätte können (vgl. zur beantragten Vernehmung von Personen, die mit den Ehegatten an der gleichen Adresse logieren, VwGH 10.5.2011, 2007/18/0890; bzw. zur beantragten Vernehmung von Familienangehörigen - dort den Schwiegereltern - VwGH 22.1.2013, 2012/18/0184).

11 Das angefochtene Erkenntnis enthält keine Ausführungen dahingehend, dass dieses Beweismittel von vornherein untauglich wäre oder es darauf nicht ankäme. Dass sich das Verwaltungsgericht begründungslos - ohne das Vorliegen der in der Rechtsprechung aufgestellten Kriterien zur Ablehnung eines Beweisantrages darzulegen - über einen nicht von vornherein untauglichen Beweisantrag hinwegsetzte, erweist sich nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes als unzulässig (vgl. neuerlich VwGH Ra 2018/21/0164, Rn. 17, mwN).

12 Das angefochtene Erkenntnis war daher gemäß § 42 Abs. 2 Z 3 lit. b und c VwGG wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufzuheben.

13 Die Entscheidung über den Aufwandersatz beruht auf den §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der VwGH-Aufwandersatzverordnung 20

14.

Wien, am 17. Juni 2019

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