VwGH Ra 2018/21/0067

VwGHRa 2018/21/006729.5.2018

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch die Vorsitzende Vizepräsidentin Dr.in Sporrer und die Hofräte Dr. Pelant, Dr. Sulzbacher und Dr. Pfiel sowie die Hofrätin Dr. Julcher als Richterinnen und Richter, unter Mitwirkung des Schriftführers Mag. Samonig, über die Revision des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl gegen das Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichtes vom 28. Februar 2018, G307 2137356-1/17E, betreffend ersatzlose Behebung einer Rückkehrentscheidung und der darauf aufbauenden Aussprüche, Feststellung der Unzulässigkeit einer Rückkehrentscheidung und Erteilung eines Aufenthaltstitels (mitbeteiligte Partei: S Z in S, vertreten durch Mag. Ludwig Nowotny, Rechtsanwalt in 4722 Peuerbach, Graben 11), zu Recht erkannt:

Normen

AsylG 2005 §55;
AsylG 2005 §58 Abs2;
AsylG 2005 §58 Abs9 Z2;
AVG §38;
AVG §59 Abs1 impl;
BFA-VG 2014 §9 Abs3;
BFA-VG 2014 §9 Abs4 Z2;
BFA-VG 2014 §9;
FrPolG 2005 §46a Abs1 Z4;
FrPolG 2005 §46a Abs6;
FrPolG 2005 §52 Abs4 Z4;
FrPolG 2005 §52 Abs5;
FrPolG 2005 §53 Abs1;
FrPolG 2005 §53 Abs3 Z1;
NAG 2005 §20 Abs3;
NAG 2005 §24 Abs1;
NAG 2005 §25 Abs2;
NAG 2005 §28 Abs1;
NAG 2005 §45;
VwGG §42 Abs2 Z2;
VwGVG 2014 §17;
VwGVG 2014 §27;
VwGVG 2014 §28;
VwRallg;

European Case Law Identifier: ECLI:AT:VWGH:2018:RA2018210067.L00

 

Spruch:

Das angefochtene Erkenntnis wird insoweit, als festgestellt wurde, eine Rückkehrentscheidung gegen den Mitbeteiligten sei auf Dauer unzulässig, und insoweit, als dem Mitbeteiligten eine "Aufenthaltsberechtigung plus" nach § 55 Abs. 1 AsylG 2005 erteilt wurde, wegen Rechtswidrigkeit infolge Unzuständigkeit des Verwaltungsgerichtes aufgehoben.

Im Übrigen, nämlich betreffend die ersatzlose Behebung der Rückkehrentscheidung und der darauf aufbauenden Aussprüche samt Erlassung eines befristeten Einreiseverbotes, wird die Revision als unbegründet abgewiesen.

Begründung

1 Der 1984 geborene Mitbeteiligte, ein serbischer Staatsangehöriger, kam bereits als Kind nach Österreich und verfügt aktuell über einen Aufenthaltstitel "Daueraufenthalt - EU".

2 Der Mitbeteiligte wurde wiederholt straffällig, wobei er zuletzt mit rechtskräftigem Urteil vom 20. Mai 2016 wegen schweren Betrugs gemäß §§ 146, 147 Abs. 2 StGB zu einer (unbedingten) Freiheitsstrafe in der Dauer von fünfzehn Monaten verurteilt wurde. Dabei wurden vom Strafgericht als mildernd das reumütige Geständnis und die teilweise Schadensgutmachung, als erschwerend der rasche Rückfall, zwei einschlägige Vorstrafen, die Begehung innerhalb offener Probezeit und die Tatwiederholung gewertet.

3 Im Hinblick auf die Straftaten des Mitbeteiligten erließ das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (BFA) mit Bescheid vom 22. September 2016 gegen ihn gemäß § 52 Abs. 5 FPG iVm § 9 BFA-VG eine Rückkehrentscheidung und gemäß § 53 Abs. 1 iVm Abs. 3 Z 1 FPG ein mit zehn Jahren befristetes Einreiseverbot. Gemäß § 52 Abs. 9 FPG stellte das BFA noch fest, dass die Abschiebung des Mitbeteiligten nach Serbien zulässig sei. Des Weiteren wurde gemäß § 55 FPG keine Frist für die freiwillige Ausreise gewährt und einer Beschwerde gegen die Rückkehrentscheidung gemäß § 18 Abs. 2 Z 1 BFA-VG die aufschiebende Wirkung aberkannt.

4 Der dagegen erhobenen Beschwerde gab das Bundesverwaltungsgericht (BVwG) mit Erkenntnis vom 26. April 2017 nur dahin Folge, dass die Dauer des Einreiseverbotes auf sieben Jahre herabgesetzt wurde. Im Übrigen wies es die Beschwerde als unbegründet ab.

5 Infolge dagegen erhobener Beschwerde hob der Verfassungsgerichtshof diese Entscheidung des BVwG mit Erkenntnis vom 11. Oktober 2017, E 2007/2017, auf. In der Begründung verwies der Verfassungsgerichtshof auf § 9 Abs. 4 BFA-VG, der eine "absolute" Aufenthaltsverfestigung vorsehe, sofern sich der Drittstaatsangehörige auf Grund eines Aufenthaltstitels rechtmäßig im Bundesgebiet aufhalte und - nach der für den vorliegenden Fall relevanten Z 2 - von klein auf im Inland aufgewachsen und hier langjährig rechtmäßig niedergelassen sei. Die Anordnung einer Rückkehrentscheidung sei bei Vorliegen dieser Voraussetzungen unzulässig. Das BVwG habe sich mit der Anwendbarkeit von § 9 Abs. 4 BFA-VG im vorliegenden Fall nicht auseinandergesetzt. Vielmehr habe es eine Abwägungsentscheidung nach § 9 Abs. 1 BFA-VG getroffen und diese in entscheidungsrelevanten Punkten auf Negativfeststellungen gestützt: Ob der Mitbeteiligte bereits im Alter von zwei Jahren in das Bundesgebiet eingereist sei, ob er sich über einen Zeitraum von 30 Jahren durchgehend in Österreich aufgehalten und ob er Kinder habe, könne nicht festgestellt werden. Die Klärung dieser Sachverhaltsfragen wäre allerdings - so der Verfassungsgerichtshof - für den vorliegenden Fall von besonderer Relevanz gewesen, weshalb das BVwG die Ermittlungstätigkeit in diesen entscheidungsrelevanten Punkten samt Durchführung der beantragten mündlichen Verhandlung nicht hätte unterlassen dürfen.

6 Im fortgesetzten Verfahren führte das BVwG am 9. Jänner 2018 eine mündliche Verhandlung durch und sprach sodann mit dem nunmehr angefochtenen Erkenntnis vom 28. Februar 2018 - in ausdrücklicher Stattgebung der Beschwerde und unter impliziter ersatzloser Behebung des Bescheides des BFA vom 22. September 2016 - aus, dass eine Rückkehrentscheidung gegen den Mitbeteiligten "in Bezug auf den Herkunftsstaat Serbien" gemäß § 9 BFA-VG auf Dauer unzulässig sei. Unter einem erteilte das BVwG dem Mitbeteiligten "gemäß § 54 Abs. 1 Z 1, § 58 Abs. 2 iVm § 55 Abs. 1 Asylgesetz 2005" (von Amts wegen) eine "Aufenthaltsberechtigung plus" für die Dauer von 12 Monaten. Die Revision erklärte es gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG für nicht zulässig.

7 Das BVwG stellte nunmehr fest, der Mitbeteiligte, der sich davor bei den Großeltern in Serbien aufgehalten hatte, sei im Alter von zwei Jahren zu seinen bereits in Österreich lebenden Eltern gezogen. Seither halte er sich - abgesehen von einer zur Leistung des Präsenzdienstes erfolgten Unterbrechung im Zeitraum April bis Oktober 2005 - durchgehend (rechtmäßig) in Österreich auf. Des Weiteren traf das BVwG noch nähere Feststellungen zu seinem aktuellen Arbeitsverhältnis, zum Bestehen einer Lebensgemeinschaft mit einer österreichischen Staatsbürgerin und zu den näheren Umständen seines Heranwachsens in einer zerrütteten Familienbeziehung. Die Straftaten habe der Mitbeteiligte zur Finanzierung seiner damals bestehenden Heroinsucht begangen; seit Anfang 2016 sei er jedoch nicht mehr suchtmittelabhängig und diesbezüglich in Behandlung. Das Strafgericht habe ihm deshalb auch einen Strafaufschub bis 1. Juni 2018 gewährt. Der Mitbeteiligte sei Vater eines 2001 geborenen Sohnes und einer 2004 geborenen Tochter; für den Sohn, der derzeit bei seinen Großeltern lebe, sei der Mitbeteiligte obsorgeberechtigt, für die Tochter deren Mutter.

8 In der rechtlichen Beurteilung zitierte das BVwG zwar das Erkenntnis VwGH 7.11.2012, 2012/18/0052, wonach die Wendung "von klein auf" so zu verstehen sei, dass sie jedenfalls für eine Person, die erst im Alter von vier Jahren oder später nach Österreich eingereist sei, nicht zum Tragen kommen könne. Im Falle von "Heimataufenthalten" des Fremden komme es primär auf deren Dauer (in Relation zum Lebensalter), aber auch darauf an, in welchen Lebensabschnitt diese Aufenthalte fallen. In den weiteren Rechtsausführungen ging das BVwG dann aber auf die Voraussetzungen des § 9 Abs. 4 Z 2 BFA-VG nicht mehr ein. Vielmehr kam es nach Abwägung der wechselseitigen Interessen nach § 9 Abs. 1 iVm Abs. 2 BFA-VG sowohl in Bezug auf die Rückkehrentscheidung als auch in Bezug auf das Einreiseverbot mit näherer Begründung zum Ergebnis, dass die privaten und familiären Interessen des Mitbeteiligten das aus dessen Straftaten ableitbare öffentliche Interesse an der Aufenthaltsbeendigung überwiegen und daher aufenthaltsbeendende Maßnahmen unverhältnismäßig wären. Im Rahmen der Begründung zum Einreiseverbot findet sich auch noch eine Passage, wonach im Hinblick auf die Bemühungen des Mitbeteiligten seit seiner letzten Verurteilung schon die Annahme einer weiteren maßgebenden Gefährdung nicht mehr gerechtfertigt sei.

9 Sei die Rückkehrentscheidung somit auf Grund des § 9 Abs. 1 bis 3 BFA-VG auf Dauer für unzulässig zu erklären, dann sei dem Mitbeteiligten - so folgerte das BVwG in seinen abschließenden Ausführungen - gemäß § 58 Abs. 2 AsylG 2005 ein Aufenthaltstitel nach § 55 AsylG 2005 zu erteilen. Da sich der Mitbeteiligte "bis dato" rechtmäßig im Bundesgebiet aufhalte und einer geregelten Arbeit mit einem über der Geringfügigkeitsgrenze liegenden Einkommen nachgehe, sei ihm eine "Aufenthaltsberechtigung plus" zur Aufrechterhaltung des Privat- und Familienlebens gemäß § 55 Abs. 1 Z 2 AsylG 2005 zu erteilen.

10 Gegen dieses Erkenntnis richtet sich die vorliegende Amtsrevision des BFA, über die der Verwaltungsgerichtshof nach Aktenvorlage und Durchführung eines Vorverfahrens - der Mitbeteiligte erstattete keine Revisionsbeantwortung - erwogen hat:

11 Hat das Verwaltungsgericht - so wie hier das BVwG - in seinem Erkenntnis ausgesprochen, dass die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig sei, hat die Revision zufolge § 28 Abs. 3 VwGG gesondert die Gründe zu enthalten, aus denen entgegen dem Ausspruch des Verwaltungsgerichtes die Revision für zulässig erachtet wird (außerordentliche Revision). Die Zulässigkeit einer außerordentlichen Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG hat der Verwaltungsgerichtshof dann im Rahmen dieser vorgebrachten Gründe zu überprüfen (§ 34 Abs. 1a zweiter Satz VwGG).

12 In der Amtsrevision wird ihre Zulässigkeit damit begründet, dass das BVwG insoweit von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes (Hinweis auf VwGH 20.10.2016, Ra 2016/21/0224) abgewichen sei, als es im Hinblick auf das Aufenthaltsrecht des Mitbeteiligten die Feststellung der Unzulässigkeit einer Rückkehrentscheidung und die Erteilung eines Aufenthaltstitels nach § 55 AsylG 2005 nicht hätte vornehmen dürfen. Das trifft zu, weshalb sich die Amtsrevision diesbezüglich als zulässig und auch als berechtigt erweist.

Die Amtsrevision ist aber auch in jenem Punkt zulässig, in dem sie nicht erfolgreich ist. Das BFA zeigt nämlich zutreffend auf, dass ausdrückliche Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zu der Frage fehlt, in welchem Umfang eine Bindung an die Entscheidung des BVwG, mit der die gegen einen Drittstaatsangehörigen mit Aufenthaltstitel "Daueraufenthalt - EU" ergangene Rückkehrentscheidung ersatzlos behoben wurde, bei einer nachfolgenden "Rückstufung" gemäß § 28 Abs. 1 NAG besteht.

13 Auszugehen ist davon, dass der Mitbeteiligte über einen Aufenthaltstitel "Daueraufenthalt - EU" verfügt. Damit kommt ihm nach § 20 Abs. 3 NAG in Österreich - unbeschadet der befristeten Gültigkeitsdauer des diesem Aufenthaltstitel entsprechenden Dokumentes - ein unbefristetes Niederlassungsrecht zu (vgl. VwGH 15.12.2015, Ra 2015/22/0024, Punkt 4.3. der Entscheidungsgründe). Demzufolge hat das BFA die Zulässigkeit der gegen den Mitbeteiligten erlassenen Rückkehrentscheidung zu Recht am Maßstab des § 52 Abs. 5 FPG geprüft; diese Bestimmung lautet:

"(5) Gegen einen Drittstaatsangehörigen, der vor Verwirklichung des maßgeblichen Sachverhaltes auf Dauer rechtmäßig niedergelassen war und über einen Aufenthaltstitel ‚Daueraufenthalt - EU' verfügt, hat das Bundesamt eine Rückkehrentscheidung zu erlassen, wenn die Voraussetzungen gemäß § 53 Abs. 3 die Annahme rechtfertigen, dass dessen weiterer Aufenthalt eine gegenwärtige, hinreichend schwere Gefahr für die öffentliche Ordnung oder Sicherheit darstellen würde."

14 Einschränkungen der Zulässigkeit (u.a.) einer Rückkehrentscheidung ergeben sich jedoch auch noch aus § 9 BFA-VG, dessen Abs. 1 bis 4 samt Überschrift (auszugsweise) wie folgt lauten:

"Schutz des Privat- und Familienlebens

§ 9. (1) Wird durch eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 FPG, eine Anordnung zur Außerlandesbringung gemäß § 61 FPG, eine Ausweisung gemäß § 66 FPG oder ein Aufenthaltsverbot gemäß § 67 FPG in das Privat- oder Familienleben des Fremden eingegriffen, so ist die Erlassung der Entscheidung zulässig, wenn dies zur Erreichung der im Art. 8 Abs. 2 EMRK genannten Ziele dringend geboten ist.

(2) Bei der Beurteilung des Privat- und Familienlebens im Sinne des Art. 8 EMRK sind insbesondere zu berücksichtigen:

...

(3) Über die Zulässigkeit der Rückkehrentscheidung gemäß § 52 FPG ist jedenfalls begründet, insbesondere im Hinblick darauf, ob diese gemäß Abs. 1 auf Dauer unzulässig ist, abzusprechen. Die Unzulässigkeit einer Rückkehrentscheidung gemäß § 52 FPG ist nur dann auf Dauer, wenn die ansonsten drohende Verletzung des Privat- und Familienlebens auf Umständen beruht, die ihrem Wesen nach nicht bloß vorübergehend sind. ...

(4) Gegen einen Drittstaatsangehörigen, der sich auf Grund

eines Aufenthaltstitels rechtmäßig im Bundesgebiet aufhält, darf

eine Rückkehrentscheidung nicht erlassen werden, wenn

1. ...

2. er von klein auf im Inland aufgewachsen und hier

langjährig rechtmäßig niedergelassen ist."

15 Der zitierte § 9 Abs. 4 Z 2 BFA-VG normiert - worauf schon der Verfassungsgerichtshof im ersten Rechtsgang hingewiesen hatte -

für die auch im vorliegenden Fall gegebene Konstellation eines rechtmäßigen Aufenthalts auf Grund eines Aufenthaltstitels, dass bei Vorliegen der dort weiters genannten Voraussetzungen eine Rückkehrentscheidung jedenfalls unzulässig ist. Nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes kommt es für die Frage, welches Lebensalter unter der Wendung "von klein auf" zu verstehen sei, maßgeblich auf die Integration in das in Österreich gegebene soziale Gefüge sowie auch auf die Kenntnis der deutschen Sprache an. Eine solche Integration beginne aus dem Blickwinkel der Sozialisation des Kindes etwa nach Vollendung des dritten Lebensjahres, wobei jedoch die Abgrenzung zum vorangehenden Lebensabschnitt fließend sei. Vor diesem Hintergrund sei die Wendung "von klein auf" so zu deuten, dass sie jedenfalls für eine Person, die erst im Alter von vier Jahren oder später nach Österreich eingereist ist, nicht zum Tragen kommen könne. Aber auch eine Person, die zwar vor Vollendung ihres vierten Lebensjahres nach Österreich eingereist bzw. in Österreich geboren ist, sich jedoch danach wieder für längere Zeit ins Ausland begeben hat und somit nicht bereits im Kleinkindalter sozial in Österreich integriert wurde, werde man von dieser Regelung - weil eine solche Person nicht in Österreich "aufgewachsen ist" - nicht als erfasst ansehen können (vgl. zu den insoweit inhaltsgleichen Vorgängerbestimmungen VwGH 9.11.2011, 2011/22/0264, Punkt 7.4. der Entscheidungsgründe, mwN). Vor diesem Hintergrund kann es angesichts der (unbekämpft) festgestellten Einreise des Mitbeteiligten nach Österreich im Alter von zwei Jahren und des seither - bis auf eine insgesamt nicht ins Gewicht fallende Unterbrechung im Jahr 2005 - durchgehenden rechtmäßigen Aufenthalts nicht zweifelhaft sein, dass der Mitbeteiligte "von klein auf im Inland aufgewachsen" und "hier langjährig rechtmäßig niedergelassen" ist. Das wird auch in der Amtsrevision nicht in Frage gestellt.

16 Schon deshalb war der Bescheid des BFA vom 22. September 2016 vom BVwG zur Gänze (ersatzlos) zu beheben. In der Amtsrevision wird diesbezüglich zwar - grundsätzlich zu Recht -

darauf hingewiesen, dass eine solche Aufhebung im Spruch des angefochtenen Erkenntnisses nicht ausdrücklich vorgenommen wurde. Der Verwaltungsgerichtshof hat jedoch in der Vergangenheit schon wiederholt einen Spruch, mit dem in Stattgebung der Beschwerde gegen eine Rückkehrentscheidung (nur) die Unzulässigkeit der Erlassung einer Rückkehrentscheidung und darauf aufbauend die Voraussetzungen für die Erteilung eines Aufenthaltstitels nach § 55 AsylG 2005 festgestellt wurden bzw. ein solcher Aufenthaltstitel erteilt wurde, dahin gedeutet, dass damit implizit auch die vom BFA erlassene Rückkehrentscheidung und die damit untrennbar zusammenhängenden weiteren Aussprüche (samt allfälliger Erlassung eines Einreiseverbotes) aufgehoben wurden (vgl. ausgehend von VwGH 17.11.2016, Ra 2016/21/0193, Rn. 5 iVm 15, zuletzt VwGH 15.3.2018, Ra 2018/21/0014, Rn. 5 iVm 11, und Ra 2018/21/0017, Rn. 5 iVm 8).

17 In Bezug auf die vom BVwG (implizit) vorgenommene gänzliche Aufhebung des Bescheides des BFA vom 22. September 2016 wird in der Amtsrevision als Rechtswidrigkeit nur bemängelt, das BVwG habe nicht eindeutig zum Ausdruck gebracht, ob es von der Unzulässigkeit der Rückkehrentscheidung (schon) wegen Fehlens der Voraussetzungen nach § 52 Abs. 5 iVm § 53 Abs. 3 FPG oder im Grunde des § 9 BFA-VG ausgegangen sei. Dem komme aber für eine allfällige "Rückstufung" nach § 28 Abs. 1 NAG Relevanz zu. Nach der genannten Bestimmung habe die Behörde nämlich das Ende des unbefristeten Niederlassungsrechts mit Bescheid festzustellen und von Amts wegen einen befristeten Aufenthaltstitel "Rot-Weiß-Rot - Karte plus" auszustellen, wenn gegen den Inhaber eines Aufenthaltstitels "Daueraufenthalt - EU" zwar die Voraussetzungen des § 52 Abs. 5 FPG für die Erlassung einer Rückkehrentscheidung vorliegen, diese Maßnahme aber im Hinblick auf § 9 BFA-VG nicht verhängt werden könne. Demnach komme eine solche "Rückstufung" nicht in Betracht, wenn eine Rückkehrentscheidung schon wegen Nichtbestehens einer Gefährdung iSd § 52 Abs. 5 iVm § 53 Abs. 3 FPG (gegenwärtige, hinreichend schwere Gefahr für die öffentliche Ordnung oder Sicherheit) unzulässig sei. Dabei handle es sich für die Niederlassungsbehörde um eine Vorfrage, bei deren Beurteilung sie an die diesbezügliche Begründung im Verfahren zur Erlassung aufenthaltsbeendender Maßnahmen gebunden sei.

18 Diese Überlegungen gehen schon deshalb ins Leere, weil die Niederlassungsbehörde bei der Beurteilung der Voraussetzungen für eine "Rückstufung" nicht an die Begründung des BVwG in seinem Erkenntnis, mit dem sie die Rückkehrentscheidung des BFA ersatzlos behebt, gebunden ist. Im Verfahren, das zur Erlassung des angefochtenen Erkenntnisses führte, war Hauptfrage, ob die Erlassung einer Rückkehrentscheidung gegen den Mitbeteiligten zulässig ist oder nicht. Hierfür war (nur) Vorfrage, ob eine maßgebliche Gefährdung vorliegt und/oder ob die Beurteilung nach § 9 BFA-VG zu einem für den Mitbeteiligten günstigen oder ungünstigen Ergebnis führt. An diese Vorfragenbeurteilung ist die Niederlassungsbehörde im Rückstufungsverfahren nicht gebunden; eine Bindung besteht nur insofern, als sie (ohne maßgebliche Sachverhaltsänderung) von der - aus welchem Grund auch immer gegebenen - Unzulässigkeit einer Rückkehrentscheidung gegen den Mitbeteiligten auszugehen hat (vgl. etwa VwGH 28.11.2013, 2013/03/0070, Punkt C.3.2.2. der Entscheidungsgründe, wonach eine Bindung nur in Bezug auf in anderen Verfahren gelöste Hauptfragen besteht). Die Niederlassungsbehörde hat somit die für eine Rückstufung nach § 28 Abs. 1 NAG präjudizielle Frage des weiteren Vorliegens einer Gefährdung iSd § 52 Abs. 5 FPG (dann zeitaktuell) selbständig zu prüfen.

19 Es hat daher auch in einem Fall wie dem vorliegenden - entgegen der in der Amtsrevision vertretenen Meinung - dabei zu bleiben, dass für das BVwG keine bestimmte "Prüfreihenfolge" besteht und nichts dagegen spricht, das etwa strittige Vorliegen einer maßgeblichen Gefährdung dahinstehen zu lassen, wenn klar ersichtlich ist, die Interessenabwägung habe ohnehin zu Gunsten des Fremden auszufallen (siehe in diesem Sinn zu einem ähnlichen Einwand in der dort erhobenen Amtsrevision VwGH 20.10.2016, Ra 2016/21/0224, Rn. 18). Es begründet daher keinen relevanten Verfahrensmangel, dass sich dem angefochtenen Erkenntnis nicht eindeutig entnehmen lässt, aus welchem Grund das BVwG in tragender Weise von der Unzulässigkeit einer Rückkehrentscheidung gegen den Mitbeteiligten ausgegangen ist.

20 Die insoweit nicht berechtigte Amtsrevision war daher in diesem Punkt gemäß § 42 Abs. 1 VwGG als unbegründet abzuweisen.

21 Was die mit der Amtsrevision in erster Linie bekämpfte, gemäß § 9 Abs. 3 BFA-VG getroffene Feststellung, dass eine Rückkehrentscheidung gegen den Mitbeteiligten auf Dauer unzulässig sei, und den Ausspruch, dass ihm gemäß § 55 Abs. 1 AsylG 2005 ein Aufenthaltstitel "Aufenthaltsberechtigung plus" erteilt werde, anlangt, ist zunächst auf das auch vom BFA ins Treffen geführte und schon erwähnte Erkenntnis VwGH 20.10.2016, Ra 2016/21/0224, zu verweisen. Dort kam der Verwaltungsgerichtshof mit näherer Begründung, auf die gemäß § 43 Abs. 2 zweiter Satz VwGG verwiesen wird, zu dem Zwischenergebnis, der Ausspruch nach § 9 Abs. 3 BFA-VG über die dauernde oder nur vorübergehende Unzulässigkeit der Erlassung einer Rückkehrentscheidung sei nicht Selbstzweck. Es gehe vielmehr darum, eine eindeutige Grundlage für die weitere aufenthaltsrechtliche Stellung des Fremden zu schaffen, sei es durch Duldung oder Erteilung des Aufenthaltstitels nach § 55 AsylG 2005. Daran anknüpfend führte der Verwaltungsgerichtshof aus, dass diese Zielsetzung in der dort zu beurteilenden Konstellation eines (aufgrund der fristgerechten Stellung des Antrags auf Verlängerung eines Aufenthaltstitels gemäß § 24 Abs. 1 dritter Satz NAG gegebenen) rechtmäßigen Aufenthalts nicht zum Tragen komme. Erweise sich die Erlassung einer Rückkehrentscheidung - aus welchem Grund bzw. auf welche Dauer auch immer - als unzulässig, so habe die Niederlassungsbehörde gemäß § 25 Abs. 2 dritter Satz NAG nämlich ohnehin "einen Aufenthaltstitel mit dem gleichen Zweckumfang zu erteilen", das heißt dem Verlängerungsantrag stattzugeben und den bisherigen Aufenthaltstitel erneut (allenfalls aber auch einen anderen, nunmehr in Betracht kommenden Titel nach dem NAG) auszustellen. Es sei somit weder Platz für eine (bei vorübergehender Unzulässigkeit der Rückkehrentscheidung gemäß § 46a Abs. 1 Z 4 iVm Abs. 6 FPG zu erteilende) Duldung, die einen titellosen Aufenthalt voraussetze, noch für einen (bei dauernder Unzulässigkeit der Rückkehrentscheidung gemäß § 58 Abs. 2 AsylG 2005 zu erteilenden) Aufenthaltstitel nach § 55 AsylG 2005, der nicht neben einen bereits bestehenden Aufenthaltstitel treten könne. Dazu wurde vom Verwaltungsgerichtshof auch auf § 58 Abs. 9 Z 2 AsylG 2005 verwiesen, wonach ein Antrag auf Erteilung eines Aufenthaltstitels nach dem 7. Hauptstück des AsylG 2005 (das ist u.a. eine Aufenthaltsberechtigung nach § 55 AsylG 2005) als unzulässig zurückzuweisen ist, wenn der Drittstaatsangehörige bereits über ein Aufenthaltsrecht (u.a.) nach dem NAG verfügt. Davon ausgehend sei § 9 Abs. 3 BFA-VG dergestalt teleologisch zu reduzieren, dass (jedenfalls) im Rückkehrentscheidungsverfahren nach § 52 Abs. 4 Z 4 FPG die entbehrlichen Aussprüche über die nur vorübergehende oder dauernde Unzulässigkeit der Erlassung einer Rückkehrentscheidung zu unterbleiben hätten und die Erteilung eines Aufenthaltstitels nach § 55 AsylG 2005 nicht in Betracht komme.

22 Diese Überlegungen gelten - wie in der Amtsrevision zu Recht ins Treffen geführt wird - sinngemäß auch für die vorliegende Konstellation. Der Mitbeteiligte verfügt nämlich - wie erwähnt - über einen Aufenthaltstitel "Daueraufenthalt - EU" und damit über ein unbefristetes Niederlassungsrecht. Erweist sich demnach eine Rückkehrentscheidung nach § 52 Abs. 5 FPG - aus welchem Grund auch immer - als unzulässig, besteht dieses Aufenthaltsrecht weiter. Allenfalls kann nach § 28 Abs. 1 NAG eine (oben in Rn. 17 f angesprochene) "Rückstufung" vorgenommen werden. Die Erteilung eines Aufenthaltstitels nach § 55 AsylG 2005 kommt aber jedenfalls nicht in Betracht und es hat somit auch eine Feststellung nach § 9 Abs. 3 BFA-VG über die Unzulässigkeit einer Rückkehrentscheidung, die hierfür die Grundlage bilden sollte, zu unterbleiben.

23 In Bezug auf diese Feststellung und die daran anknüpfende Erteilung eines Aufenthaltstitels nach § 55 AsylG 2005 erweist sich das angefochtene Erkenntnis daher als mit Rechtswidrigkeit infolge Unzuständigkeit des Verwaltungsgerichtes belastet und es ist somit insoweit gemäß § 42 Abs. 2 Z 2 VwGG aufzuheben.

Wien, am 29. Mai 2018

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