VwGH Ra 2017/17/0052

VwGHRa 2017/17/005211.7.2018

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Holeschofsky sowie die Hofrätinnen Mag. Dr. Zehetner, Mag.a Nussbaumer-Hinterauer, Mag. Liebhart-Mutzl und Dr. Koprivnikar als Richterinnen und Richter, unter Mitwirkung der Schriftführerin Mag.a Sowa, über die Revision der U s.r.o. in B in der S, vertreten durch Dr. Margit Kaufmann, Rechtsanwältin in 1080 Wien, Florianigasse 7/6, gegen das Erkenntnis des Verwaltungsgerichts Wien vom 21. November 2016, VGW- 002/032/1310/2016, VGW-002/032/4857/2016, VGW-002/032/3021/2016, VGW-002/032/4859/2016, betreffend Beschlagnahme und Einziehung nach dem Glücksspielgesetz (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Landespolizeidirektion Wien), zu Recht erkannt:

Normen

12010E056 AEUV Art56;
AVG §37;
AVG §45 Abs2;
GSpG 1989 §53;
GSpG 1989;
VStG;
VwRallg;

European Case Law Identifier: ECLI:AT:VWGH:2018:RA2017170052.L00

 

Spruch:

Das angefochtene Erkenntnis wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhalts aufgehoben.

Der Bund hat der revisionswerbenden Partei Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.346,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

1 Mit Bescheid der Landespolizeidirektion Wien vom 22. Jänner 2016 wurde gemäß § 53 Abs. 1 Glücksspielgesetz (GSpG) die Beschlagnahme von vier näher bezeichneten, im Eigentum der revisionswerbenden Partei stehenden Glücksspielgeräten angeordnet (Spruchpunkt I.) und gemäß § 54 Abs. 1 GSpG deren Einziehung verfügt (Spruchpunkt II.).

2 Mit dem angefochtenen Erkenntnis wies das Verwaltungsgericht Wien die dagegen erhobene Beschwerde als unbegründet ab und sprach aus, dass die Revision an den Verwaltungsgerichtshof unzulässig sei. Es führte aus, nähere Feststellungen zur Glücksspieleigenschaft der verfahrensgegenständlichen Geräte, zu ihrer Betriebsbereitschaft und zu den konkreten Rahmenbedingungen der verbotenen Ausspielungen seien im Hinblick auf die beiden erfolgten, rechtskräftigen Bestrafungen des Inhabers des Lokals, in dem die Geräte aufgestellt gewesen seien, wegen unternehmerischen Zugänglichmachens der verfahrensgegenständlichen Geräte gemäß § 52 Abs. 1 Z 1 drittes Tatbild GSpG nicht zu treffen. Auf Grund umfangreicher Feststellungen gelangte es zu dem Schluss, dass eine Unionsrechtswidrigkeit von Bestimmungen des Glücksspielgesetzes nicht vorliege.

3 Gegen dieses Erkenntnis richtet sich die vorliegende außerordentliche Revision mit dem Antrag auf Aufhebung des Erkenntnisses wegen inhaltlicher Rechtswidrigkeit und wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften. Die belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht erstattete keine Revisionsbeantwortung.

 

Der Verwaltungsgerichtshof hat in einem gemäß § 12 Abs. 2 VwGG gebildeten Senat erwogen:

4 Die Revision erweist sich schon hinsichtlich des erstatteten Zulässigkeitsvorbringens zur Frage der Bindungswirkung rechtskräftiger Straferkenntnisse gegen Dritte als zulässig und berechtigt.

5 Die Zulässigkeit einer Beschlagnahme nach § 53 Abs. 1 GSpG setzt das Vorliegen eines substantiierten Verdachts auf Übertretung des Glücksspielgesetzes voraus. Nicht entscheidungswesentlich ist, ob der Verstoß vom Eigentümer der Glücksspielgeräte selbst oder einer anderen Person verwirklicht wurde und ob bereits überhaupt eine Bestrafung einer Person erfolgt ist (vgl. VwGH 22.11.2017, Ra 2016/17/0304; 12.5.2017, Ra 2016/17/0163). Wenngleich nach der hg. Rechtsprechung im Zeitpunkt der Beschlagnahme noch nicht im Einzelnen nachgewiesen sein muss, ob das durchgeführte Spiel tatsächlich ein Glücksspiel im Sinn des Glücksspielgesetzes ist, erfordert die Überprüfung eines Beschlagnahmebescheids jedenfalls Feststellungen über die Art des Spiels, weil ansonst eine Überprüfung der rechtlichen Beurteilung der belangten Behörde (bzw: des Verwaltungsgerichts) nicht möglich ist (vgl. VwGH 12.10.2017, Ra 2017/17/0313; 26.1.2009, 2005/17/0223).

6 Im konkreten Fall stellte das Verwaltungsgericht zum Verdacht auf Übertretung des Glücksspielgesetzes lediglich fest, dass der Inhaber des Lokals in dem die Glücksspielgeräte aufgestellt gewesen seien, zweimal rechtskräftig wegen unternehmerischen Zugänglichmachens nach § 52 Abs. 1 Z 1 dritter Fall GSpG betreffend die verfahrensgegenständlichen Geräte schuldig erkannt worden sei, ohne weitere Feststellungen in diesem Zusammenhang zu treffen.

7 Nach ständiger Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes entfaltet ein rechtskräftiges Strafurteil bindende Wirkung hinsichtlich der tatsächlichen Feststellungen, auf denen sein Schuldspruch beruht, wozu jene Tatumstände gehören, aus denen sich die jeweilige strafbare Handlung nach ihren gesetzlichen Tatbestandselementen zusammensetzt. Diese Bindung besteht allerdings nur hinsichtlich jener Personen, denen gegenüber das Strafurteil ergangen ist, nicht aber gegenüber Dritten (vgl. VwGH vom 1.9.2015, Ro 2014/15/0023 mwN). Auch im Verwaltungsstrafverfahren ist von der Beschränkung der Bindungswirkung von Straferkenntnissen auf Parteien, denen gegenüber sie ergangen sind, auszugehen (vgl. z.B. VwGH 26.3.2014, 2009/13/0172; 27.9.2000, 2000/07/0075; 28.11.2006, 2005/06/0387).

8 Dadurch dass das Verwaltungsgericht in Verkennung der Rechtslage den substantiierten Verdacht des Vorliegens von fortgesetzten Verstößen gegen eine oder mehrere Bestimmungen des § 52 Abs. 1 GSpG lediglich mit einer Bindungswirkung an die gegenüber einem Dritten erlassenen, rechtskräftigen Straferkenntnisse begründete, belastete es das angefochtene Erkenntnis mit Rechtswidrigkeit des Inhalts. Bei diesem Ergebnis erübrigt sich ein Eingehen auf das übrige in diesem Zusammenhang erstattete Vorbringen.

9 Die Revision wendet sich auch gegen die Beurteilung des Verwaltungsgerichts, wonach keine Unvereinbarkeit der im Revisionsfall anzuwendenden Bestimmungen des GSpG mit dem Unionsrecht vorliege.

10 In den Erkenntnissen vom heutigen Tag, Ra 2018/17/0048 und 0049, sowie vom 16. März 2016, Ro 2015/17/0022, hat der Verwaltungsgerichtshof u.a. ausgeführt, dass nach der Rechtsprechung des Gerichtshofes der Europäischen Union (EuGH) zur Beurteilung der Frage der Unionsrechtswidrigkeit durch den nationalen Richter eine Gesamtwürdigung der Umstände, unter denen die Dienstleistungsfreiheit beschränkende Bestimmungen des Glücksspielgesetzes erlassen worden sind und unter denen sie durchgeführt werden, zu erfolgen hat. Nach der Judikatur des EuGH sind bei der Gesamtwürdigung nicht bloß der Wortlaut der Bestimmungen des Glücksspielgesetzes samt Gesetzesmaterialien, sondern auch faktische Gegebenheiten (wie etwa der Umfang der Beschaffungskriminalität und der Kriminalität gegenüber Glücksspielern im Mitgliedstaat, eine allfällige expansionistische Geschäftspolitik der Konzessionäre und deren Zielsetzung etc.) in den Blick zu nehmen (vgl. auch VwGH 20.4.2016, Ra 2016/17/0066, mwN).

11 Nach den Ausführungen des Verwaltungsgerichts stellen bestimmte Arten von Glücksspiel - etwa das Automatenglücksspiel - ein gravierendes Problem im Hinblick auf die Spielsucht dar, während bei anderen Spielen (zB Rubbellosen) die Spielsuchtproblematik praktisch nicht gegeben sei.

12 Wenn die Revision in diesem Zusammenhang lediglich vorbringt, dass "in der österreichischen Bevölkerung der Anteil der pathologischen Spieler gering" sei, vermag sie mit dieser allgemeinen Behauptung keine Zweifel an der Richtigkeit der Gesamtwürdigung durch das Verwaltungsgericht zu erwecken (vgl. VwGH vom heutigen Tag, Ra 2018/17/0048 und 0049, sowie VwGH 16.3.2016, Ro 2015/17/0022).

13 Dasselbe gilt für das Vorbringen, dass "die Auftraggeber der Studien mit dem Glücksspiel gut verdienen und die Stellungnahmen daher alle im Sinne der Auftraggeber sind und somit keine objektive Beweiskraft haben". Welchen konkreten vom Landesverwaltungsgericht zu Grunde gelegten Studien sie die Beweiskraft abspricht, ist der Revision nicht zu entnehmen. Die Revision vertritt auch die nicht näher begründete Auffassung, wonach ein wirksamer Spielerschutz nur durch ein generelles Verbot (von Glücksspielen) erreicht werden könnte. Dass diesbezüglich Beweisergebnisse vorlägen oder dass sie in diesem Zusammenhang Beweisanträge gestellt hätte und das Verwaltungsgericht diesen zu Unrecht nicht nachgekommen wäre, ist der Revision allerdings nicht zu entnehmen.

14 Das Verwaltungsgericht traf folgenden "Feststellungen":

"Am österreichischen Glücksspielmarkt üben die C. AG und die Ö. GmbH eine umfassende Werbetätigkeit für die von ihnen legal angebotenen Glücksspiele aus; dies betrifft insbesondere Lotterien und klassische Kasinospiele. Bei diesen Werbeauftritten werden Glücksspiele teilweise verharmlosend dargestellt;

zielgruppenfokussierte Werbung soll der Akquirierung neuer Kundengruppen, zB Jugendliche und Frauen, dienen. Hinsichtlich solcher Werbetätigkeit ergriff der Bundesminister für Finanzen als Aufsichtsbehörde bislang keine Maßnahmen neben der Vorschreibung bescheidmäßiger Auflagen. Für Spielautomaten außerhalb von Kasinos besteht hingegen keine umfassende Werbetätigkeit der legalen (und illegalen) Anbieter im Bundesgebiet."

15 Auch wenn das Verwaltungsgericht in der Folge im Rahmen seiner Gesamtwürdigung zum Ergebnis kam, dass keine Hinweise vorlägen, "die den Schluss zuließen, dass hinsichtlich des besonders suchtgefährdenden Automatenglücksspiels außerhalb von Spielbanken eine umfassende, expansionistische oder reißerische Werbetätigkeit der Anbieter entfaltet" werde, so entziehen sich doch die vom Verwaltungsgericht getroffenen "Feststellungen" betreffend die Werbung der Überprüfbarkeit durch den Verwaltungsgerichtshof:

16 Weder im angefochtenen Erkenntnis noch in den vorgelegten Verwaltungsakten finden sich Anhaltspunkte, aus denen sich ergäbe, auf Grundlage welcher Beweismittel oder Ermittlungsschritte das Verwaltungsgericht zur Annahme des Vorliegens verharmlosender Glücksspielwerbung oder des Zwecks der Glücksspielwerbung zur Gewinnung neuer Kundengruppen gelangt ist, wobei auch keine der Parteien in diesem Zusammenhang ein derartiges Vorbringen erstattet hatte. Das Verwaltungsgericht traf diesbezüglich auch keine ausreichenden Feststellungen. Ebenso fehlt eine Beweiswürdigung in diesem Zusammenhang zur Gänze. Es ist nicht ersichtlich, auf welche konkreten Werbemaßnahmen sich das Verwaltungsgericht bezog und welche Beweismittel vom Verwaltungsgericht herangezogen wurden. Ob die Aussage, es liege teilweise verharmlosende Werbung vor, den Feststellungen oder der rechtlichen Beurteilung zuzuordnen ist, kann dahingestellt bleiben, weil keinerlei Beweisergebnisse vorliegen, die Derartiges belegten. Die Beurteilung, "zielgruppenfokussierte Werbung soll der Akquirierung neuer Kundengruppen, z.B. Jugendliche und Frauen, dienen", würde erfordern, dass bezüglich der beworbenen Glücksspiele feststeht, dass gerade die mit der Werbung angesprochene Gruppe bislang dieses Glücksspiel weit weniger oder gar nicht gespielt hat als andere nicht angesprochene Gruppen (vgl. dazu auch das Erkenntnis vom heutigen Tag, Ra 2018/17/0048 und 0049). Solche Feststellungen sind dem angefochtenen Erkenntnis nicht zu entnehmen, sodass sich das durchgeführte Verfahren auch in dieser Hinsicht als mangelhaft erweist. Sollte das Verwaltungsgericht auf Grund noch zu treffender Feststellungen zu der rechtlichen Beurteilung gelangen, dass eine expansionistische Werbestrategie vorliegt, wäre zu beachten, dass diese sich im Rahmen der durchzuführenden Gesamtwürdigung als mit dem Unionsrecht in Einklang stehend erweisen kann, wenn beispielweise eine Umlenkung von Spielern vom illegalen zum legalen Glücksspiel sichergestellt werden soll (vgl. wiederum VwGH vom heutigen Tag, Ra 2018/17/0048 und 0049, und 16.3.2016, Ro 2015/17/0022).

17 Im fortzusetzenden Verfahren wird das Verwaltungsgericht daher zu beachten haben, dass es nur dann vom Vorliegen von verharmlosender Werbung oder einer expansionistischen Werbepolitik durch die Konzessionäre ausgehen darf, wenn es vorher Ermittlungsschritte gesetzt und ein Beweisverfahren durchgeführt hat, dessen Ergebnisse derartige Feststellungen zulassen. Als ein derartiger Ermittlungsschritt käme insbesondere auch die Einvernahme eines informierten Vertreters des Bundesministeriums für Finanzen in der mündlichen Verhandlung in Betracht.

18 Das angefochtene Erkenntnis war daher gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG wegen prävalierender inhaltlicher Rechtswidrigkeit aufzuheben.

19 Die Entscheidung über den Aufwandersatz gründet auf den §§ 47 ff VwGG iVm der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2014.

Wien, am 11. Juli 2018

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