VwGH Ra 2017/02/0201

VwGHRa 2017/02/020121.9.2018

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Beck sowie die Hofräte Mag. Dr. Köller und Dr. N. Bachler, die Hofrätin Mag. Dr. Maurer-Kober und den Hofrat Mag. Straßegger als Richter, unter Mitwirkung der Schriftführerin Mag. Schachner, über die Revision des F in L, vertreten durch die Rohregger Scheibner Bachmann Rechtsanwälte GmbH in 1010 Wien, Rotenturmstraße 17, gegen das Erkenntnis des Verwaltungsgerichtes Wien vom 6. Juli 2017, Zl. VGW-031/062/6612/2016, betreffend Übertretungen des KFG (Partei gemäß § 21 Abs. 1 Z 2 VwGG: Landespolizeidirektion Wien), den Beschluss gefasst:

Normen

B-VG Art133 Abs4;
KFG 1967 §102 Abs3;
KFG 1967 §14 Abs1;
KFG 1967 §2 Abs1 Z15;
KFG 1967 §2 Abs1 Z4;
KFG 1967 §4 Abs2;
KFG 1967 §6 Abs1;
KFG 1967 §6 Abs5;
KFG 1967 §8 Abs1;
VwGG §34 Abs1;
VwRallg;

European Case Law Identifier: ECLI:AT:VWGH:2018:RA2017020201.L00

 

Spruch:

Die Revision wird zurückgewiesen.

Begründung

1 Mit dem angefochtenen Erkenntnis wies das Verwaltungsgericht Wien die Beschwerde des Revisionswerbers gegen das Straferkenntnis der Landespolizeidirektion Wien vom 24. März 2016, mit dem der Revisionswerber wegen Übertretungen des § 102 Abs. 3 vierter Satz KFG für schuldig erkannt und gemäß § 134 Abs. 1 KFG mit Geldstrafen von jeweils EUR 120,-- (Ersatzfreiheitsstrafen: jeweils 1 Tag und 20 Stunden) bestraft wurde, als unbegründet ab und erklärte die Revision dagegen gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG für nicht zulässig.

2 In der Begründung stellte das Verwaltungsgericht fest, der Revisionswerber habe als Lenker eines näher bezeichneten Motorrades an einer bestimmten Örtlichkeit den gesamten Kreuzungsbereich absichtlich nur auf dem Hinterrad fahrend (sog. "Wheelie") übersetzt, sowie nach Anhaltung und Kontrolle durch Sicherheitswachebeamte wegen dieses Fahrmanövers beim Wegfahren erneut sein Vorderrad absichtlich vom Boden angehoben.

3 In rechtlicher Hinsicht führte das Gericht aus, beim absichtlichen Fahren auf dem Hinterrad werde die Lenk- und Bremsbarkeit des Motorrades erheblich eingeschränkt und somit die Gefährdung für den Motorradfahrer selbst als auch für die anderen Verkehrsteilnehmer überproportional erhöht. Nur wenn sämtliche Räder Kontakt zur Fahrbahn aufwiesen, sei die volle Beherrschbarkeit des Fahrzeuges gewährleistet. Der Revisionswerber habe sich somit im Verkehr nicht der Eigenart des Kraftfahrzeuges entsprechend verhalten und gegen das Gebot des § 102 Abs. 3 vierter Satz KFG verstoßen.

4 Die Unzulässigkeit der Revision an den Verwaltungsgerichtshof wurde im Wesentlichen mit dem klaren Wortlaut der in Rede stehenden Bestimmung begründet, woran auch eine abweichende Literaturmeinung nichts ändere.

5 In der dagegen erhobenen Revision wird zur Zulässigkeit vorgebracht, es fehle Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zur Auslegung des § 102 Abs. 3 vierter Satz KFG, insbesondere dahin, ob das Fahren auf dem Hinterrad eines Motorrades der Eigenart des Kraftfahrzeuges entspreche. Die Eigenart eines Motorrades mache es vielmehr möglich, das Vorderrad während der Fahrt von der Fahrbahn abzuheben, weshalb keine eindeutige und klare Regelung vorliege und es dem Rechtsunterworfenen nicht vorhersehbar sei, welches Verhalten nicht mehr der Eigenart des Kraftfahrzeuges entspreche. Das zeige sich auch darin, dass in der Literatur eine andere Meinung vertreten werde als im angefochtenen Erkenntnis (Hinweis auf Grundtner/Pürstl, KFG9, § 102 Anm. 38).

6 Nach Art. 133 Abs. 4 B-VG ist gegen ein Erkenntnis des Verwaltungsgerichtes die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.

7 Nach § 34 Abs. 1 VwGG sind Revisionen, die sich wegen Nichtvorliegens der Voraussetzungen des Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zur Behandlung eignen, ohne weiteres Verfahren in nichtöffentlicher Sitzung mit Beschluss zurückzuweisen.

8 Nach § 34 Abs. 1a VwGG ist der Verwaltungsgerichtshof bei der Beurteilung der Zulässigkeit der Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG an den Ausspruch des Verwaltungsgerichtes gemäß § 25a Abs. 1 VwGG nicht gebunden. Die Zulässigkeit einer außerordentlichen Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG hat der Verwaltungsgerichtshof im Rahmen der dafür in der Revision vorgebrachten Gründe (§ 28 Abs. 3 VwGG) zu überprüfen.

9 Nach dem hier in Rede stehenden Gebot des § 102 Abs. 3 vierter Satz KFG hat sich der Lenker im Verkehr der Eigenart des Kraftfahrzeuges entsprechend zu verhalten. Diese Bestimmung geht im Grunde auf das Kraftfahrgesetz vom 20. Dezember 1929, BGBl. Nr. 437, zurück, nach dessen § 13 Abs. 1 sich der Lenker eines Kraftfahrzeuges im Verkehr jederzeit der besonderen Eigenart des Kraftfahrzeuges entsprechend zu verhalten hat. Nach den Gesetzesmaterialien (ErläutRV 121 BlgNR. 3. GP  12) steht diese besondere Verkehrsvorschrift im Zusammenhang mit der Eigenart des Kraftfahrzeuges, weil kein anderes Verkehrsmittel auf der Straße eine solche Geschwindigkeit entfalten kann, wie das Kraftfahrzeug. Demnach bedingt die Eigenart des Kraftfahrzeuges und seines Betriebes ein besonderes Verhalten des Lenkers und Besitzers.

10 Zur Auslegung des § 102 Abs. 3 vierter Satz KFG sind folgende, aktuell geltende Bestimmungen in den Blick zu nehmen:

11 Gemäß § 2 Abs. 1 Z 4 gilt als Kraftrad ein Fahrzeug mit zwei Rädern oder ein Kraftfahrzeug mit drei Rädern, mit oder ohne Doppelrad. Nach Z 15 leg. cit. ist ein Motorrad ein einspuriges Kraftrad mit einer Bauartgeschwindigkeit von mehr als 45 km/h, dessen Antriebsmotor, wenn er ein Hubkolbenmotor ist, einen Hubraum von mehr als 50 cm3 hat.

Gemäß § 4 Abs. 2 KFG müssen Kraftfahrzeuge und Anhänger so gebaut und ausgerüstet sein, dass durch ihren sachgemäßen Betrieb weder Gefahren für den Lenker oder beförderte Personen oder für andere Straßenbenützer entstehen.

Kraftfahrzeuge müssen - abgesehen von hier nicht relevanten Ausnahmen - gemäß § 6 Abs. 1 KFG mindestens zwei Bremsanlagen aufweisen, von denen jede aus einer Betätigungseinrichtung, einer Übertragungseinrichtung und den auf Räder wirkenden Bremsen besteht. Bei Krafträdern muss es dem Lenker mit jeder der angeführten Bremsanlangen möglich sein, auch bei höchster zulässiger Belastung des Fahrzeuges, auf allen in Betracht kommenden Steigungen und Gefällen und auch beim Ziehen von Anhängern bei jeder Fahrgeschwindigkeit diese, der jeweiligen Verkehrslage entsprechend, sicher, schnell und auf eine möglichst geringe Entfernung bis zum Stillstand des Fahrzeuges zu verringern und das unbeabsichtigte Abrollen des Fahrzeuges auszuschließen; bei gleichzeitiger Betätigung beider Bremsanlangen müssen alle Räder des Fahrzeuges gebremst werden können (Abs. 5 leg. cit.).

Gemäß § 8 Abs. 1 KFG müssen Kraftfahrzeuge eine verlässlich wirkende Lenkvorrichtung aufweisen, mit der das Fahrzeug leicht, schnell und sicher gelenkt werden kann.

§ 14 Abs. 1 KFG verlangt, dass das Fernlicht eine gerade, in der Richtung parallel zur Längsmittelebene des Fahrzeuges verlaufende Straße bei Dunkelheit auf eine große Entfernung ausleuchten und das Abblendlicht, ohne andere Straßenbenützer zu blenden, oder mehr als unvermeidbar zu stören, die Fahrbahn vor dem Fahrzeug ausreichend beleuchten können muss. § 15 Abs. 3 leg. cit. erfordert eine Ausrüstung von Motorrädern mit Fern- und Abblendlicht.

12 Bereits diese aus dem KFG geforderten Eigenschaften eines Motorrades verlangen, dass es aus zwei Rädern besteht, aus dem sachgemäßen Betrieb keine Gefahren für den Lenker und andere Straßenbenützer ausgehen, das Fahrzeug jederzeit gebremst und gelenkt werden kann sowie andere Straßenbenützer nicht geblendet werden. Dem Verwaltungsgericht Wien ist zuzustimmen, dass die volle Beherrschbarkeit des Fahrzeuges nur dann gewährleistet ist, wenn sämtliche Räder Kontakt zur Fahrbahn aufweisen. Der solcherart vom Gesetzgeber definierten Eigenart des Motorrades widerspricht jedoch klar das hier festgestellte absichtliche Fahren nur auf dem Hinterrad. Diese Einsicht ist einem Lenker eines Motorrades, der eine Führerscheinprüfung abzulegen und sich mit den einschlägigen Vorschriften vertraut zu machen hat, zuzumuten. Entgegen der Auffassung des Revisionswerbers reicht die bloße Möglichkeit, das Vorderrad eines Motorrades während der Fahrt von der Fahrbahn abzuheben, nicht aus, um diese Fahrweise gemäß dem KFG als der Eigenart des Kraftfahrzeuges entsprechend anzusehen. Der vom Revisionswerber zitierten, jedoch begründungslos gebliebenen Literaturmeinung steht übrigens eine - mit ähnlicher Begründung wie hier - untermauerte Auffassung entgegen (Grubmann, KFG4, § 102 Rz 33).

13 Schließlich bewertete auch der Oberste Gerichtshof die hier in Rede stehende Fahrweise (Wheelie) als besonders krasses Fehlverhalten (OGH 30.7.2013, 2 Ob 128/13g).

14 Der aus der Sicht des Verwaltungsgerichtshofes klare und eindeutige Gesetzeswortlaut des § 102 Abs. 3 vierter Satz KFG, an dem sich das Verwaltungsgericht Wien orientierte, steht somit der Zulässigkeit der Revision entgegen (vgl. VwGH 20.2.2018, Ra 2017/02/0264).

15 In der Revision werden damit keine Rechtsfragen aufgeworfen, denen im Sinne des Art. 133 Abs. 4 B-VG grundsätzliche Bedeutung zukäme. Die Revision war daher in einem gemäß § 12 Abs. 2 VwGG gebildeten Senat zurückzuweisen.

Wien, am 21. September 2018

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