VwGH Ra 2016/22/0107

VwGHRa 2016/22/010731.5.2017

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Robl, Hofrätin Mag.a Merl sowie die Hofräte Dr. Mayr, Dr. Schwarz und Mag. Berger als Richter, unter Mitwirkung der Schriftführerin Mag.a Lorenz, über die Revision des Bundesministers für Inneres gegen das Erkenntnis des Verwaltungsgerichtes Wien vom 28. Juli 2016,VGW-151/016/7881/2016- 7, betreffend Aufenthaltstitel (mitbeteiligte Partei: S G, vertreten durch Dr. Lennart Binder, Rechtsanwalt in 1030 Wien, Rochusgasse 2; vor dem Verwaltungsgericht belangte Behörde:

Landeshauptmann von Wien), zu Recht erkannt:

Normen

AVG §13 Abs3;
AVG §66 Abs4;
VwGVG 2014 §17;
VwGVG 2014 §27;
VwGVG 2014 §28 Abs2;
VwGVG 2014 §28 Abs3;
VwGVG 2014 §28;
VwGVG 2014 §9;

European Case Law Identifier: ECLI:AT:VWGH:2017:RA2016220107.L00

 

Spruch:

Das angefochtene Erkenntnis wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Begründung

1 Mit Bescheid des Landeshauptmannes von Wien vom 18. Mai 2016 wurde der Antrag des Mitbeteiligten, eines Staatsangehörigen der Mongolei, vom 18. Jänner 2016 auf Erteilung eines Aufenthaltstitels "Familienangehöriger" gemäß § 13 Abs. 3 AVG in Verbindung mit § 19 Abs. 3 Niederlassungs- und Aufenthaltsgesetz (NAG) zurückgewiesen.

2 Begründend wurde im Wesentlichen ausgeführt, der minderjährige Mitbeteiligte sei von Frau G.U., einer mongolischen Staatsangehörigen, die mit einem österreichischen Staatsbürger verheiratet sei und über einen Aufenthaltstitel "Familienangehöriger" verfüge, adoptiert worden. Dem gegenständlichen Antrag seien jedoch weder eine Geburtsurkunde oder ein dieser gleichzuhaltendes Dokument mit diplomatischer Beglaubigung noch ein Adoptionsbeschluss mit diplomatischer Beglaubigung beigelegt gewesen. Der Mitbeteiligte sei daher mit Schreiben vom 8. März 2016 aufgefordert worden, die fehlenden Unterlagen bis 22. März 2016 nachzureichen. Dieser Aufforderung sei der Mitbeteiligte nicht nachgekommen, obwohl auf die Rechtsfolgen des fruchtlosen Ablaufes der Frist hingewiesen worden sei. Sämtlichen Fristerstreckungsanträgen sei stattgegeben worden, "wobei der letzte Antrag kein genaues Enddatum enthalten" habe.

3 In der dagegen erhobenen Beschwerde wurde vorgebracht, dass sich weder aus § 19 Abs. 3 NAG noch aus der Bestimmung des § 6 Niederlassungs- und Aufenthaltsgesetz-Durchführungsverordnung (NAG-DV) die Notwendigkeit einer "diplomatischen Überbeglaubigung" ergebe. Darüber hinaus stelle die NAG-DV keine ausreichende Grundlage für einen Mängelbehebungsauftrag gemäß § 13 Abs. 3 AVG dar. Die Nichtbefolgung sei daher irrelevant gewesen.

4 Mit dem angefochtenen Erkenntnis gab das Verwaltungsgericht der Beschwerde des Mitbeteiligten statt und behob den angefochtenen Bescheid. Weiters sprach das Verwaltungsgericht aus, dass eine ordentliche Revision nicht zulässig sei.

5 Begründend führte das Verwaltungsgericht aus, der Prüfungsumfang des Verwaltungsgerichtes richte sich nach § 27 VwGVG. In diesem Rahmen sei das Verwaltungsgericht auch befugt, Rechtswidrigkeitsgründe aufzugreifen, die in der Beschwerde nicht vorgebracht worden seien. Das Fehlen vorgeschriebener Unterlagen sei ein Formgebrechen, das einer Verbesserung nach § 13 Abs. 3 AVG zugänglich sei. Ein Auftrag zur Mängelbehebung habe mittels Verfahrensanordnung zu ergehen. Gleichzeitig mit einem solchen Auftrag habe die Behörde ausdrücklich eine angemessene Frist für die Mängelbehebung zu setzen. Die Behörde könne solche Fristen auf Antrag ausdrücklich verlängern. Dem Inhalt des Verwaltungsaktes sei jedoch nicht zu entnehmen, dass die Behörde über die Fristerstreckungsanträge des Mitbeteiligten (vom 14. März 2016 und vom 20. April 2016) ausdrücklich abgesprochen habe, ihnen insbesondere stattgegeben hätte. Wenn auch das Gesetz keine Verpflichtung kenne, über einen Antrag auf Verlängerung in förmlicher Weise abzusprechen, so wäre die Behörde dennoch verpflichtet gewesen, in der Begründung des Bescheides auf die Frage der Angemessenheit der Frist einzugehen, insbesondere weil die gesetzte Zweiwochenfrist zur Beibringung mongolischer Urkunden samt diplomatischer Beglaubigung äußerst knapp bemessen erscheine. Da die Behörde jedoch in der Begründung des Bescheides in keiner Weise auf die Angemessenheit der von ihr gesetzten Verbesserungsfrist eingegangen sei, habe sie ihren Bescheid schon aus diesem Grund mit Rechtswidrigkeit belastet, ohne dass auf das Beschwerdevorbringen einzugehen gewesen sei. Wenn die Behörde einen Antrag zurückgewiesen habe, sei Sache des Beschwerdeverfahrens lediglich die Frage der Rechtmäßigkeit der Zurückweisung. Eine inhaltliche Entscheidung über den der Beschwerde zu Grunde liegenden Antrag würde den Gegenstand des Beschwerdeverfahrens überschreiten.

6 Die ordentliche Revision sei unzulässig, weil keine Rechtsfrage im Sinn des Art. 133 Abs. 4 B-VG zu beurteilen gewesen sei.

7 Gegen dieses Erkenntnis richtet sich die vorliegende außerordentliche Revision des Bundesministers für Inneres. Der Mitbeteiligte erstattete eine Revisionsbeantwortung, in der er die Abweisung der Revision und den Zuspruch von Kosten beantragte.

8 In seiner Zulässigkeitsbegründung gemäß § 28 Abs. 3 VwGG bringt der Revisionswerber (ua.) vor, die Beurteilung des Verwaltungsgerichts, wonach die Behörde auf die Angemessenheit der Frist gemäß § 13 Abs. 3 AVG nicht eingegangen sei und ihre Entscheidung daher mit Rechtswidrigkeit belaste, widerspreche der (näher angeführten) Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes.

 

9 Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

10 Die Revision ist zulässig und berechtigt, weil das Verwaltungsgericht von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zur Verpflichtung, in der Sache (vorliegend somit: über die Rechtmäßigkeit der Zurückweisung) selbst zu entscheiden, abgewichen ist.

11 Gemäß § 19 Abs. 3 NAG ist der Bundesminister für Inneres ermächtigt, durch Verordnung festzulegen, welche Urkunden und Nachweise für den jeweiligen Aufenthaltszweck (Abs. 2) dem Antrag jedenfalls anzuschließen sind. Diese Verordnung kann auch Form und Art einer Antragstellung, einschließlich bestimmter, ausschließlich zu verwendender Antragsformulare, enthalten.

12 § 6 der zu § 19 Abs. 3 NAG ergangenen Niederlassungs- und Aufenthaltsgesetz-Durchführungsverordnung (NAG-DV) samt Überschrift lautet:

"Form der Urkunden und Nachweise für Aufenthaltstitel

§ 6. (1) Die nach den §§ 7 bis 9 sowie nach § 56 NAG bei der Antragstellung erforderlichen Urkunden und Nachweise sind der Behörde oder Berufsvertretungsbehörde jeweils im Original und in Kopie vorzulegen.

(2) Die Behörde oder Berufsvertretungsbehörde prüft die vorgelegten, dem Antrag anzuschließenden Kopien auf ihre vollständige Übereinstimmung mit dem Original und bestätigt dies mit einem Vermerk auf der Kopie.

(3) Urkunden und Nachweise, die nicht in deutscher Sprache verfasst sind, sind auf Verlangen der Behörde oder Berufsvertretungsbehörde zusätzlich in einer Übersetzung ins Deutsche vorzulegen.

(4) Urkunden und Nachweise sind auf Verlangen der Behörde nach den jeweils geltenden Vorschriften in beglaubigter Form vorzulegen."

13 Die Behörde hat den gegenständlichen Antrag mit der Begründung zurückgewiesen, dass der Mitbeteiligte innerhalb der gewährten Frist einem Mängelbehebungsauftrag gemäß § 13 Abs. 3 AVG in Verbindung mit § 19 Abs. 3 NAG nicht nachgekommen sei.

14 Wenn die vor dem Verwaltungsgericht belangte Behörde einen Antrag zurückgewiesen hat, ist Sache des Beschwerdeverfahrens die Frage der Rechtmäßigkeit der Zurückweisung (vgl. das hg. Erkenntnis vom 23. Juni 2015, Ra 2015/22/0040, mwN). Das Verwaltungsgericht hat jedoch auch eine Zurückweisungsentscheidung gemäß § 27 VwGVG auf Grund der Beschwerde zu überprüfen, wobei der äußerste Rahmen für die Prüfbefugnis die "Sache" des bekämpften Bescheides ist (vgl. dazu das hg. Erkenntnis vom 26. März 2015, Ra 2014/07/0077). Dazu gehört jedenfalls die Frage der Zulässigkeit eines Verbesserungsauftrages gemäß § 13 Abs. 3 AVG und die Angemessenheit der von der Behörde gesetzten Frist zur Vornahme einer Mängelbehebung. Das Verwaltungsgericht hat allerdings weder die Zulässigkeit des Verbesserungsauftrages noch die Angemessenheit der Mängelbehebungsfrist beurteilt, sondern den Zurückweisungsbescheid wegen eines von ihm angenommenen Begründungsmangels behoben. Dazu ist es jedoch nicht berechtigt. Vielmehr hat das Verwaltungsgericht nach § 28 Abs. 2 VwGVG grundsätzlich in der Sache (vorliegend somit: über die Rechtmäßigkeit der Zurückweisung) selbst zu entscheiden (vgl. den hg. Beschluss vom 29. Juni 2016, Ra 2016/05/0052, 0053, mwN). Dass die Voraussetzungen für eine Zurückverweisung gemäß § 28 Abs. 3 VwGVG vorlagen, ergibt sich aus dem in Revision gezogenen Erkenntnis nicht.

15 Das angefochtene Erkenntnis war daher wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG aufzuheben.

16 Bei diesem Ergebnis kommt ein Kostenzuspruch an den Mitbeteiligten nicht in Betracht.

Wien, am 31. Mai 2017

Lizenziert vom RIS (ris.bka.gv.at - CC BY 4.0 DEED)

Stichworte