Normen
AsylG 2005 §54 Abs5;
AsylG 2005 §55;
AsylG 2005 §57;
AVG §45 Abs2;
FrPolG 2005 §117 Abs1;
FrPolG 2005 §117 Abs2;
FrPolG 2005 §117 Abs4 idF 2009/I/122;
FrPolG 2005 §117;
FrPolG 2005 §2 Abs4 Z11;
FrPolG 2005 §52 impl;
FrPolG 2005 §53 Abs2 Z8;
FrPolG 2005 §53 impl;
FrPolG 2005 §66;
FrPolG 2005 §67 Abs1;
FrPolG 2005 §67 Abs2;
FrPolG 2005 §67;
MRK Art6 Abs1;
MRK Art6 Abs2;
MRK Art6;
MRK Art8;
NAG 2005 §54 Abs7;
VwGVG 2014 §17;
VwRallg;
European Case Law Identifier: ECLI:AT:VWGH:2017:RA2016210349.L00
Spruch:
Das angefochtene Erkenntnis wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.
Der Bund hat dem Revisionswerber Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.346,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
1 Der Revisionswerber, ein indischer Staatsangehöriger, reiste am 11. Jänner 2012 illegal nach Österreich ein und stellte noch am selben Tag einen Antrag auf internationalen Schutz. Dieser Antrag wurde letztlich mit Erkenntnis des Asylgerichtshofes vom 11. April 2013 zur Gänze rechtskräftig abgewiesen; unter einem wurde die Ausweisung des Revisionswerbers aus dem österreichischen Bundesgebiet nach Indien verfügt.
2 Der Revisionswerber verblieb in Österreich und heiratete am 9. Oktober 2015 die rumänische Staatsangehörige R.-M. P., der am 9. November 2015 eine Anmeldebescheinigung ausgestellt wurde. Unter Berufung auf diese Ehe stellte der Revisionswerber am 12. November 2015 beim Landeshauptmann von Wien (Magistratsabteilung 35) den Antrag, ihm als Angehörigen einer unionsrechtlich aufenthaltsberechtigten EWR-Bürgerin eine Aufenthaltskarte gemäß § 9 Abs. 1 Z 2 iVm § 54 Abs. 1 NAG auszustellen.
3 Nachdem der Revisionswerber auftragsgemäß einer Ladung zur Konsularabteilung der Botschaft der Republik Indien zwecks Erlangung eines sogenannten "Heimreisezertifikates" am 24. November 2015 Folge geleistet und bei dieser Gelegenheit auf die erwähnte Ehe hingewiesen hatte, kam er (in Begleitung von R.- M. P.) einer Ladung zum Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (BFA) für den 24. Februar 2016 nach. Hierauf erfolgte durch eine Organwalterin des BFA eine eingehende Befragung der R.-M. P. und dann des Revisionswerbers zur Klärung der Frage, ob es sich bei der von ihnen geschlossenen Ehe um eine sogenannte "Aufenthaltsehe" handelt.
4 In der Folge erließ das BFA den Bescheid vom 19. Juli 2016, mit dem dem Revisionswerber (von Amts wegen) Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen gemäß § 55 und § 57 AsylG 2005 nicht erteilt wurden. Unter einem erließ das BFA gegen den Revisionswerber gemäß § 10 Abs. 2 AsylG 2005 iVm § 9 BFA-VG eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 1 Z 1 FPG, wobei einer Beschwerde dagegen gemäß § 18 Abs. 2 Z 1 BFA-VG die aufschiebende Wirkung aberkannt wurde. Weiters stellte das BFA gemäß § 52 Abs. 9 FPG fest, dass die Abschiebung des Revisionswerbers nach Indien zulässig sei. Schließlich verhängte das BFA gegen den Revisionswerber dann noch gemäß § 53 Abs. 1 iVm Abs. 2 Z 8 FPG ein mit fünf Jahren befristetes Einreiseverbot. Letzteres begründete das BFA damit, dass aufgrund näher dargestellter Widersprüche bei den Vernehmungen am 24. Februar 2016 vom Bestehen einer "Scheinehe" auszugehen sei. Der Revisionswerber - so stellte das BFA zusammenfassend fest - habe "zur Erteilung eines unionsrechtlichen Aufenthaltsrechts eine Ehe geschlossen" und berufe sich "zur Hintanhaltung aufenthaltsbeendender Maßnahmen auf diese Ehe", wobei "jedoch ein gemeinsames Familienleben im Sinne des Art. 8 EMRK nicht geführt" worden sei.
5 Aus dem vom Verwaltungsgerichtshof beigeschafften Akt der Magistratsabteilung 35 betreffend das (in Rz 2 erwähnte) Verfahren des Revisionswerbers auf Erteilung einer Aufenthaltskarte ergibt sich, dass die Landespolizeidirektion Wien über Auftrag der Niederlassungsbehörde am 29. Juli 2016 einen Bericht über Erhebungen an den gemeinsamen Meldeadressen des Revisionswerbers und der R.-M. P. erstattete. Danach hätten am 22. Juli 2016 Mieter von zwei benachbarten Wohnungen angegeben, dass an der ehemaligen Wohnadresse "mehrere Inder leben würden", sie hätten aber auch den Revisionswerber zusammen mit R.-M. P. "in der Vergangenheit gesehen". An der aktuellen Adresse habe bei einer Nachschau am 29. Juli 2016 um 8.00 Uhr R.-M. P. die Tür geöffnet und der Revisionswerber sei "im vermeintlichen Ehebett zunächst schlafend wahrgenommen" worden. Es folgte in diesem Bericht dann noch eine nähere Beschreibung der Wohnung, in der sich noch zwei indische Freunde des Revisionswerbers aufgehalten hätten. Zusammenfassend wurde sodann festgehalten, dass aufgrund der durchgeführten Erhebungen der Verdacht des Bestehens einer Aufenthaltsehe "zu dem jetzigen Zeitpunkt" nicht habe erhärtet werden können.
6 Die gegen den Bescheid des BFA vom 19. Juli 2016 erhobene Beschwerde, der mit Beschluss des Bundesverwaltungsgerichtes (BVwG) vom 18. August 2016 die aufschiebende Wirkung zuerkannt worden war, wies das BVwG mit dem nunmehr angefochtenen Erkenntnis vom 25. Oktober 2016 mit der Maßgabe ab, dass der Revisionswerber gemäß § 66 Abs. 1 FPG iVm § 55 Abs. 3 NAG aus dem österreichischen Bundesgebiet ausgewiesen und gegen ihn - wegen Eingehens einer Aufenthaltsehe - gemäß § 67 Abs. 1 und 2 FPG ein mit fünf Jahren befristetes Aufenthaltsverbot erlassen werde (Spruchpunkt A.I. und A.II.). Gemäß § 70 Abs. 3 FPG wurde dem Revisionswerber ein Durchsetzungsaufschub von einem Monat erteilt (Spruchpunkt A.III.). Schließlich sprach das BVwG noch aus, dass die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig sei (Spruchpunkt B.).
7 Gegen dieses Erkenntnis richtet sich die vorliegende (außerordentliche) Revision, über die der Verwaltungsgerichtshof nach Aktenvorlage und Durchführung eines Vorverfahrens - Revisionsbeantwortungen wurden nicht erstattet - erwogen hat:
8 Das BVwG hat den erstinstanzlichen Bescheid mit der Maßgabe bestätigt, dass gegen den Revisionswerber sowohl eine Ausweisung gemäß § 66 FPG als auch ein Aufenthaltsverbot gemäß § 67 FPG erlassen wurden. Der Verwaltungsgerichtshof hat aber bereits im Erkenntnis vom 20. Dezember 2007, Zl. 2004/21/0328, mit näherer Begründung festgehalten, dass eine Ausweisung als Teil eines Aufenthaltsverbotes gegenüber diesem nicht ein Aliud, sondern ein Minus ist. An diesem Verhältnis hat sich in Bezug auf die vom BVwG erlassenen Maßnahmen nichts geändert. Der Revisionswerber releviert daher - mag er insoweit (für sich genommen) nicht in Rechten verletzt sein - im Ergebnis zutreffend, das gegen ihn erlassene Aufenthaltsverbot stehe "qualitativ über der Ausweisung", weshalb "es jene zur Gänze ersetzt" und weshalb die Ausweisung "vollkommen überflüssig" sei.
9 Das BVwG ist - dem diesbezüglichen Einwand in der Beschwerde folgend - im angefochtenen Erkenntnis davon ausgegangen, dass dem Revisionswerber als Ehegatte einer EWR-Bürgerin, die ihr unionsrechtliches Aufenthaltsrecht in Anspruch genommen habe, die Stellung als "begünstigter Drittstaatsangehöriger" iSd § 2 Abs. 4 Z 11 FPG zukommt; das gilt auch dann, wenn die Ehe als Aufenthaltsehe zu qualifizieren ist (vgl. etwa das auch vom BVwG zitierte Erkenntnis vom 7. April 2011, Zl. 2011/22/0005, und zur Geltung dieser Ansicht auch für die aktuelle Rechtslage den Beschluss vom 14. April 2016, Ro 2016/21/0005, Rz 7), und zwar jedenfalls solange keine rechtskräftige Feststellung iSd § 54 Abs. 7 NAG vorliegt. Demnach wäre die vom BFA vorgenommene amtswegige Prüfung der Erteilung von Aufenthaltstiteln nach § 55 und § 57 AsylG 2005 schon von vornherein nicht in Betracht gekommen, weil die genannten Bestimmungen des 7. Hauptstücks gemäß § 54 Abs. 5 AsylG 2005 nicht für begünstigte Drittstaatsangehörige gelten. Richtig erkannt hat das BVwG auch, dass das BFA gegen den Revisionswerber keine Rückkehrentscheidung samt Einreiseverbot nach dem 1. Abschnitt des 8. Hauptstücks des FPG hätte erlassen dürfen, sondern dass auf ihn die aufenthaltsbeendende Maßnahmen (unter anderem) gegen begünstigte Drittstaatsangehörige regelnden Bestimmungen des 4. Abschnitts des genannten Hauptstücks anzuwenden sind.
10 Demzufolge hat das BVwG zu Recht geprüft, ob die Voraussetzungen für die Erlassung eines Aufenthaltsverbotes nach § 67 Abs. 1 erster und zweiter Satz FPG vorlägen. Das ist nach ständiger Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes (unter anderem) dann der Fall, wenn der Fremde - im Sinn des Tatbestands des § 53 Abs. 2 Z 8 FPG - eine Aufenthaltsehe geschlossen, also mit dem Ehegatten ein gemeinsames Familienleben iSd Art. 8 EMRK nicht geführt und sich trotzdem (u.a.) für den Erwerb eines unionsrechtlichen Aufenthaltsrechts oder zur Hintanhaltung aufenthaltsbeendender Maßnahmen auf diese Ehe berufen hat (vgl. das noch zur Rechtslage vor dem FrÄG 2011 ergangene Erkenntnis vom 21. Februar 2013, Zl. 2011/23/0647, dessen Aussagen sich laut dem schon genannten Beschluss vom 14. April 2016, Ro 2016/21/0005, Rz 7, zwanglos auf die aktuelle Rechtslage übertragen lassen; siehe im Übrigen beispielsweise noch das zur Rechtslage nach dem FrÄG 2011 ergangene, auch vom BVwG zitierte Erkenntnis vom 12. März 2013, Zl. 2012/18/0228, mwN). In diesem Fall beträgt die Höchstdauer eines Aufenthaltsverbotes - abweichend von § 67 Abs. 2 FPG - allerdings nicht zehn, sondern nur fünf Jahre (vgl. etwa das hg. Erkenntnis vom 30. September 2014, Zl. 2013/22/0280, mwN).
11 In diesem Zusammenhang wird in der Revision der Einwand vorgetragen, im Hinblick auf den gerichtlichen Straftatbestand des § 117 FPG ("Eingehen und Vermittlung von Aufenthaltsehen und Aufenthaltspartnerschaften") sei es sowohl dem BFA als auch dem BVwG "absolut untersagt, den Antragsteller der vollendeten Begehung" dieses Deliktes "zu zeihen", wenn es kein diesbezügliches Strafverfahren gegeben habe. Das widerspreche der Unschuldsvermutung.
12 Dabei wird vom Revisionswerber zunächst außer Acht gelassen, dass der erwähnte Straftatbestand des § 117 FPG in Bezug auf den unmittelbaren Täter (Österreicher oder zur Niederlassung im Bundesgebiet berechtigter Fremder) - der Fremde, der sich im Sinne dieser Bestimmung auf die Ehe oder eingetragene Partnerschaft berufen will, ist seit 1. Jänner 2010 gemäß § 117 Abs. 4 FPG (idF des FrÄG 2009) als Beteiligter zu bestrafen - auch darauf abstellt, dass er weiß oder wissen musste, dass sich der Fremde (u.a.) für den Erwerb eines unionsrechtlichen Aufenthaltsrechts oder zur Hintanhaltung aufenthaltsbeendender Maßnahmen auf diese Ehe (oder eingetragene Partnerschaft) berufen will. Auf dieses Wissen oder Wissenmüssen des Ehepartners des betroffenen Fremden kommt es aber bei der Verwirklichung des Tatbestandes nach § 53 Abs. 2 Z 8 FPG, der nach der genannten Bestimmung die Erlassung eines Einreiseverbotes, nach der oben unter Rz 10 zitierten Judikatur aber auch die Erlassung eines Aufenthaltsverbotes nach § 67 FPG rechtfertigen kann, demgegenüber nicht an. Anders als der Revisionswerber meint, wird daher mit der Erlassung dieser aufenthaltsbeendenden Maßnahmen noch keine Aussage darüber getroffen, ob auch der Straftatbestand des § 117 FPG verwirklicht wurde. Schon deshalb liegt der vom Revisionswerber geltend gemachte Verstoß gegen die Unschuldsvermutung nicht vor. In diesem Sinne hat der Verwaltungsgerichtshof etwa auch im Erkenntnis vom 22. Februar 2011, Zl. 2010/18/0446, wenn auch nur unter dem Gesichtspunkt der Beweiswürdigung, in einem mit dem vorliegenden vergleichbaren Fall zum Ausdruck gebracht, der Erlassung des Aufenthaltsverbotes wegen Eingehens einer "Scheinehe" stehe nicht entgegen, dass ein gegenüber der (dortigen) Beschwerdeführerin wegen § 117 (Abs. 4) FPG idF des FrÄG 2009 geführtes Strafverfahren als Beteiligte eingestellt worden sei. Umso weniger setzt die fremdenpolizeiliche Feststellung, eine Ehe sei nur zum Schein geschlossen worden, voraus, dass der Scheinehepartner (vom Gericht) gemäß § 117 (Abs. 1 oder 2) FPG bestraft (siehe das Erkenntnis vom 23. März 2010, Zl. 2010/18/0034) oder eine Anzeige gemäß § 117 FPG erstattet worden sei (vgl. das Erkenntnis vom 21. Juni 2012, Zl. 2012/23/0022).
13 Im Übrigen ist dem Einwand des Revisionswerbers, die mit dem bekämpften Erkenntnis vorgenommene Erlassung des Aufenthaltsverbotes unter Zugrundelegung der Annahme, der Revisionswerber sei eine Aufenthaltsehe eingegangen, verstoße gegen die Unschuldsvermutung, weiters zu erwidern, dass mit der angefochtenen Entscheidung nicht über eine strafrechtliche Anklage iSd Art. 6 EMRK entschieden wurde (vgl. dazu etwa das hg. Erkenntnis vom 13. März 2002, Zl. 2001/12/0093, mit dem Hinweis auf das Erkenntnis des Verfassungsgerichtshofes vom 4. Oktober 1999, B 2598/97, B 997/98, VfSlg. 15.587). Nach ständiger Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes handelt es sich nämlich bei der Erlassung eines Aufenthaltsverbotes um keine Strafe, sondern um eine administrativrechtliche Maßnahme und Verfahren betreffend die Erlassung eines Aufenthaltsverbotes unterliegen nicht dem Anwendungsbereich des Art. 6 EMRK (siehe dazu etwa das Erkenntnis vom 22. November 2012, Zl. 2012/23/0001, mit dem Hinweis u.a. auf das Erkenntnis vom 22. März 2011, Zl. 2007/21/0447, mwN). Entgegen der Meinung des Revisionswerbers ist an dieser Auffassung festzuhalten, zumal auch der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte wiederholt klargestellt hat, dass Entscheidungen betreffend den Eintritt, den Aufenthalt und die Ausweisung von Fremden nicht die Entscheidung über eine strafrechtliche Anschuldigung gegen sie iSd Art. 6 Abs. 1 EMRK betreffen (vgl. dazu des Näheren das auch ein Aufenthaltsverbot wegen "Scheinehe" betreffende hg. Erkenntnis vom 3. November 2010, Zl. 2007/18/0748, Punkt II.1.2. der Entscheidungsgründe, mit dem Hinweis auf das Urteil der des EGMR (Große Kammer) vom 5. Oktober 2000, Beschwerde Nr. 39652/98, Maaouia gegen Frankreich, (Rz 38 f), und auf das Urteil des EGMR vom 10. Juni 2010, Beschwerde Nr. 53688/08, Garayev gegen Aserbaidschan, Rz 109, mwN).
14 Damit im Einklang stehen auch die Überlegungen des Gesetzgebers bei Schaffung der Möglichkeit der Bestrafung des Fremden, der sich im Sinne des § 117 FPG auf die Ehe berufen will, durch die mit 1. Jänner 2010 vorgenommene Änderung des Abs. 4 der genannten Bestimmung. In den diesbezüglichen ErläutRV zum FrÄG 2009 (330 BlgNR 24. GP 36) wird nämlich ebenfalls davon ausgegangen, dass es sich bei einem Aufenthaltsverbot um keine Strafe, sondern um eine administrativrechtliche Maßnahme handelt. So wird dort festgehalten, die explizite Normierung dieser strafrechtlichen Verantwortlichkeit erweise sich als notwendig, um das bestehende Wertungsgefälle zu beseitigen, zumal nach der bisher geltenden Rechtslage gegen den Fremden, dem eine solche Ehe zu Gute komme, zwar gemäß § 60 Abs. 2 Z 9 FPG ein Aufenthaltsverbot erlassen werden könne, doch stelle dies eine administrative Rechtsfolge und keine gerichtliche Strafsanktion dar.
15 Nach dem Gesagten bestehen insgesamt keine (verfassungsrechtlichen) Bedenken dagegen, dass das Gesetz bei den Voraussetzungen für die Erlassung eines Einreiseverbotes im § 53 Abs. 2 Z 8 FPG nicht auf das Vorliegen einer rechtskräftigen gerichtlichen Bestrafung des Fremden wegen Beteiligung am Eingehen einer Aufenthaltsehe nach § 117 Abs. 1 oder 2 iVm Abs. 4 FPG abstellt, sondern nur auf das in der erstgenannten Bestimmung umschriebene Verhalten. Die Behörde ist daher befugt, das Vorliegen eines solchen Verhaltens selbständig zu prüfen und auf Basis entsprechender Feststellungen ein Einreiseverbot zu erlassen. Das gilt sinngemäß auch für ein Aufenthaltsverbot gemäß § 67 FPG. Das korrespondiert im Übrigen auch mit der generellen Auffassung, ein Fehlverhalten könne auch dann zur Beurteilung der für ein Aufenthaltsverbot erforderlichen Gefährdungsprognose herangezogen werden, wenn dieses Verhalten (noch) nicht zu einer gerichtlichen oder verwaltungsbehördlichen Bestrafung geführt habe. Eine solche Vorgangsweise verstoße auch nicht gegen die Unschuldsvermutung, wobei es in einem solchen Fall - sofern das Fehlverhalten bestritten werde - "selbstverständlich" in einem ordnungsgemäßen Ermittlungsverfahren getroffener Feststellungen bedürfe (vgl. das Erkenntnis vom 22. Jänner 2014, Zl. 2012/22/0246, mwN; siehe dazu auch noch das ebenfalls die Frage der Berücksichtigung von bloßen Anzeigen ohne nachfolgende Verurteilung betreffende Erkenntnis vom 24. Jänner 2012, Zl. 2010/18/0264, mwN, und daran anschließend das Erkenntnis vom 21. Februar 2013, Zl. 2012/23/0042).
16 Zusammenfassend folgt daraus, dass der in der Revision behauptete Vorwurf eines Verstoßes gegen die Unschuldsvermutung nicht zutrifft.
17 Die Revision erweist sich aber - ungeachtet dessen, dass sie in weiten Teilen (sprachlich) unangemessene Ausführungen enthält, die sich einer sachbezogenen Antwort entziehen - deshalb iSd Art. 133 Abs. 4 B-VG als zulässig und auch als berechtigt, weil das BVwG in Bezug auf seine Verhandlungs- und Begründungspflicht von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abgewichen ist.
18 Der Revisionswerber ist den beweiswürdigenden Überlegungen des BFA im Bescheid vom 19. Juli 2016 betreffend das Vorliegen einer Aufenthaltsehe sowohl in der Beschwerde vom 5. August 2016 als auch in der Beschwerdeergänzung vom 10. August 2016 vor allem mit dem Ergebnis der (mittlerweile vorgenommenen) Erhebungen der Landespolizeidirektion Wien, wie es in dem (in Rz 5 erwähnten) Bericht an die Magistratsabteilung 35 vom 29. Juli 2016 festgehalten worden sei, entgegengetreten. Schon deshalb hätte das BVwG aber am Maßstab der Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes nicht von einem geklärten Sachverhalt iSd § 21 Abs. 7 BFA-VG (vgl. zu dieser Voraussetzung des Näheren das Erkenntnis vom 22. Jänner 2015, Ra 2014/21/0052, Punkt 4. der Entscheidungsgründe, in dem auf das grundlegende Erkenntnis vom 28. Mai 2014, Ra 2014/20/0017, 0018, und auf das Erkenntnis vom 16. Oktober 2014, Ra 2014/21/0039, Bezug genommen wird) ausgehen und nicht von der in der Beschwerde ausdrücklich beantragten Durchführung einer mündlichen Verhandlung absehen dürfen. Vielmehr hätte es zur umfassenden Würdigung der Aussagen des Revisionswerbers und der R.-M. P. beim BFA vor dem Hintergrund der Erhebungsergebnisse der Landespolizeidirektion Wien deren ergänzender Befragung unter Gewinnung eines persönlichen Eindrucks durch das BVwG bedurft. Im Übrigen ist in diesem Zusammenhang noch einmal auf die - schon generell bestehende - besondere Bedeutung der Verschaffung eines persönlichen Eindrucks bei der Erlassung von aufenthaltsbeendenden Maßnahmen hinzuweisen (siehe dazu etwa das Erkenntnis vom 20. Oktober 2016, Ra 2016/21/0289, Rz 12, mwN).
19 Darüber hinaus ist dem BVwG aber in diesem Zusammenhang auch ein Begründungsmangel anzulasten. Der Verwaltungsgerichtshof verkennt zwar nicht, dass die vom BFA und vom BVwG in der Beweiswürdigung ins Treffen geführten Widersprüche in den Aussagen des Revisionswerbers und der R.-M. P. bei der Vernehmung am 24. Februar 2016 (insbesondere zum ersten Kennenlernen, zum Ablauf des Hochzeitstages und zur mangelnden Kenntnis des Revisionswerbers, dass R.-M. P. Mutter von zwei Kindern ist) gravierend sind und das Vorliegen einer Aufenthaltsehe indizieren können, wobei weder in der Beschwerde noch in der Revision versucht wurde, die unterschiedlichen Darstellungen plausibel zu erklären. An dieser Stelle ist im Übrigen auch festzuhalten, dass es dem BVwG - entgegen der Meinung in der Revision - grundsätzlich nicht verwehrt war, den Inhalt der Aussagen zu verwerten, auch wenn das Thema der (auch an den damaligen Rechtsvertreter des Revisionswerbers zugestellten) Ladung, die (u.a.) mit der Aufforderung zur Vorlage der Heiratsurkunde und von Fotos der Hochzeit verbunden war, "Aufenthaltsermittlung" und nicht ausdrücklich "Verdacht auf Aufenthaltsehe" gelautet hatte. Dem steht auch nicht entgegen, dass R.-M. P. "freiwillig" (ohne Ladung) zum BFA gekommen war, zumal sie sich dann zu Beginn der Vernehmung mit deren Vornahme ausdrücklich einverstanden erklärte. Trotzdem ist dem BVwG aber vorzuwerfen, sich mit dem schon genannten Bericht der Landespolizeidirektion Wien vom 29. Juli 2016 - ungeachtet des ausdrücklichen Antrags in der Beschwerde auf Beischaffung und Einsichtnahme in den Akt der Magistratsabteilung 35 - überhaupt nicht befasst zu haben. Es ist nicht auszuschließen, dass das BVwG bei dessen Einbeziehung zu einem anderen Ergebnis gekommen wäre. Diese unvollständige Berücksichtigung aller maßgeblichen Umstände führt daher im vorliegenden Fall zur Unschlüssigkeit der Beweiswürdigung, die vom Verwaltungsgerichtshof - trotz der ihm insoweit nur eingeschränkt zukommenden Prüfungsbefugnis - wahrzunehmen ist (vgl. dazu etwa den Beschluss vom 24. September 2014, Ra 2014/03/0012, Punkt 5.2. der Begründung).
20 Das angefochtene Erkenntnis war daher, soweit damit gegen den Revisionswerber ein Aufenthaltsverbot erlassen wurde, gemäß § 42 Abs. 2 Z 3 lit. b und c VwGG wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufzuheben. Das gilt auch für die mit dem angefochtenen Erkenntnis weiters erlassene - infolge der gemäß § 42 Abs. 3 VwGG rückwirkenden Aufhebung des Aufenthaltsverbotes schlagend werdende - Ausweisung, weil auch deren Berechtigung von der Frage des Vorliegens einer Aufenthaltsehe abhängt.
21 Von der in der Revision beantragten Durchführung einer Verhandlung vor dem Verwaltungsgerichtshof konnte gemäß § 39 Abs. 2 Z 3, 5 und 6 VwGG abgesehen werden.
22 Der antragsgemäße Kostenzuspruch gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2014.
Wien, am 23. März 2017
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