VwGH 2011/23/0647

VwGH2011/23/064721.2.2013

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Stöberl sowie die Hofräte Dr. Sulzbacher, Mag. Haunold, Mag. Feiel und Dr. Mayr als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Dobner, über die Beschwerde des AM in A, vertreten durch Dr. Walter Eisl, Rechtsanwalt in 3300 Amstetten, Ardaggerstraße 14, gegen den Bescheid des Unabhängigen Verwaltungssenates im Land Niederösterreich vom 3. Dezember 2010, Zl. Senat-AB-09-1084, betreffend Erlassung eines befristeten Aufenthaltsverbotes (weitere Partei: Bundesministerin für Inneres), zu Recht erkannt:

Normen

AVG §67d Abs1;
B-VG Art130 Abs2;
FrPolG 2005 §60 Abs2 Z9;
FrPolG 2005 §86 Abs1;
FrPolG 2005 §87;
VwGG §42 Abs2 Z3 litb;
VwGG §42 Abs2 Z3 litc;
VwRallg;
AVG §67d Abs1;
B-VG Art130 Abs2;
FrPolG 2005 §60 Abs2 Z9;
FrPolG 2005 §86 Abs1;
FrPolG 2005 §87;
VwGG §42 Abs2 Z3 litb;
VwGG §42 Abs2 Z3 litc;
VwRallg;

 

Spruch:

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.

Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.106,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Der Beschwerdeführer, ein Staatsangehöriger der Republik Kosovo, heiratete am 19. Februar 2009 die in Österreich lebende rumänische Staatsangehörige C. Am 16. März 2009 meldete er sich in 3300 Amstetten, P-Straße, behördlich an und stellte im Hinblick auf seine Ehe einen Antrag auf Ausstellung einer Daueraufenthaltskarte.

Mit Bescheid vom 28. Oktober 2009 erließ die Bezirkshauptmannschaft Amstetten gegen den Beschwerdeführer gemäß § 86 Abs. 1 iVm § 60 Abs. 1 Z 1 des Fremdenpolizeigesetzes 2005 (FPG) wegen Eingehens einer so genannten Aufenthaltsehe ein auf die Dauer von fünf Jahren befristetes Aufenthaltsverbot. Im Rahmen ihrer Beweiswürdigung stützte sich die erstinstanzliche Behörde auf die bei den getrennten Befragungen der Ehegatten am 30. April 2009 und am 18. August 2009 aufgetretenen Widersprüche, welche die familiären und beruflichen Verhältnisse des jeweils anderen sowie die zeitlichen Umstände des Kennenlernens und der vergangenen Besuche des (damals primär in Slowenien aufhältigen und dort berufstätigen) Beschwerdeführers bei seiner Ehefrau betrafen. Weiters hielt sie fest, dass eine - bei einer Erhebung am 10. Juni 2009 an der Wohnanschrift der Ehegatten in der P-Straße - befragte Nachbarin angegeben habe, dass sie den Beschwerdeführer noch nie in der Wohnung gesehen habe, aber regelmäßig ein anderer Mann in die Wohnung komme. Der Beschwerdeführer sei in der Wohnung - wie auch bei einer weiteren Erhebung am 16. Juli 2009 - nicht angetroffen worden, es seien nur einige "männliche Kleidungsstücke" und keine speziellen Toilettenartikel für Männer vorgefunden worden. Im Ergebnis gelangte die erstinstanzliche Behörde zur Auffassung, dass der Beschwerdeführer die Ehe mit C. nur eingegangen sei, um ein gemeinschaftsrechtliches Aufenthaltsrecht und den Zugang zum österreichischen Arbeitsmarkt zu erwirken.

In Ansehung des § 66 FPG verwies die erstinstanzliche Behörde darauf, dass in Österreich zwei Brüder und drei Kinder des - beruflich nicht integrierten - Beschwerdeführers leben würden, wobei diese (die Kinder) nur zum vorläufigen Aufenthalt nach dem Asylgesetz berechtigt seien. Angesichts des hohen Stellenwertes der Einhaltung der die Einreise und den Aufenthalt von Fremden regelnden Vorschriften sei die Erlassung des Aufenthaltsverbotes auch als iSd § 66 FPG zulässig anzusehen.

Gegen diesen Bescheid erhob der Beschwerdeführer Berufung, in der er das Vorliegen einer Aufenthaltsehe bestritt und sich gegen die Beweiswürdigung der erstinstanzlichen Behörde wendete. Zum einen vertrat er - zum Teil mit näherer Begründung - die Auffassung, dass die herangezogenen widersprüchlichen Angaben bei den getrennten Einvernahmen nicht aussagekräftig seien. Zum anderen führte er zum Ergebnis der Hauserhebungen an, dass er - weil ihm in Österreich noch keine Daueraufenthaltskarte ausgestellt worden sei - gezwungen gewesen sei, in Slowenien (wo er bis September 2009 über eine Niederlassungsbewilligung verfügt habe) zu arbeiten. Er sei daher nur selten in Österreich und nehme (angesichts seiner begrenzten Mittel: gezwungenermaßen) seine Toilettenartikel und im Wesentlichen auch seine Kleidungsstücke immer mit zurück nach Slowenien. Zur Angabe der befragten Nachbarin betreffend die regelmäßige Anwesenheit eines anderen Mannes in der gegenständlichen Wohnung legte er eine "Erklärung an Eides statt" des L. (dies sei der Vater des 2006 geborenen Sohnes der C.) vor, in der dieser angegeben habe, seinen Sohn regelmäßig in der Wohnung in der P-Straße zu beaufsichtigen, wenn C. arbeiten müsse.

Mit dem nunmehr angefochtenen Bescheid vom 3. Dezember 2010 gab die belangte Behörde der Berufung (lediglich) teilweise Folge und änderte den erstinstanzlichen Bescheid insoweit ab, als die Dauer des Aufenthaltsverbotes mit drei Jahren festgesetzt wurde.

Die belangte Behörde traf - nach der Wiedergabe des erstinstanzlichen Bescheides und der dagegen erhobenen Berufung - Tatsachenfeststellungen für den Zeitraum bis zum 16. März 2009. Sodann verwies sie im Rahmen der Beweiswürdigung pauschal auf die Ergebnisse der (von der erstinstanzlichen Behörde) durchgeführten Ermittlungen, die schlüssig dokumentieren würden, dass von "einer aufrechten, auf wechselseitiger Partnerschaft gegründeten Ehe" keine Rede sein könne. Nach der Zitierung einzelner einschlägiger Rechtsvorschriften hielt die belangte Behörde abschließend Folgendes fest:

"Im vorliegenden Fall ist der dem Verfahren zur Erlassung eines Aufenthaltsverbotes zugrundeliegende Sachverhalt durch die Ergebnisse des erstinstanzlichen Ermittlungsverfahrens sowie durch die nach der Aktenlage getroffenen Tatsachenfeststellungen zweifelsfrei erwiesen.

Der Berufung des (Beschwerdeführers) war aus den genannten Gründen dem Grunde nach der Erfolg zu versagen und mit Abweisung vorzugehen. Allerdings konnte mit einer Befristung des Aufenthaltsverbotes auf drei Jahre das Auslangen gefunden werden."

Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde, über die der Verwaltungsgerichtshof nach Vorlage der Verwaltungsakten erwogen hat:

Vorauszuschicken ist, dass der Verwaltungsgerichtshof den angefochtenen Bescheid auf Basis der Sach- und Rechtslage zum Zeitpunkt seiner Erlassung zu überprüfen hat. Wird daher im Folgenden auf Bestimmungen des FPG Bezug genommen, so handelt es sich dabei um die im Dezember 2010 geltende Fassung.

Der Beschwerdeführer ist im Hinblick auf die aufrechte Ehe mit einer EWR-Bürgerin, die in Österreich lebt und arbeitet, begünstigter Drittstaatsangehöriger (§ 2 Abs. 4 Z 11 FPG). Die Erlassung eines Aufenthaltsverbotes ist demnach gemäß § 86 Abs. 1 FPG nur zulässig, wenn auf Grund des persönlichen Verhaltens des Fremden die öffentliche Ordnung oder Sicherheit gefährdet ist. Das persönliche Verhalten muss eine tatsächliche, gegenwärtige und erhebliche Gefahr darstellen, die ein Grundinteresse der Gesellschaft berührt. Es entspricht der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes, dass diese Voraussetzungen gegeben sind, wenn der Fremde - im Sinn des Tatbestands des § 60 Abs. 2 Z 9 FPG - eine so genannte Aufenthaltsehe geschlossen, also mit dem Ehegatten ein gemeinsames Familienleben iSd Art. 8 EMRK nicht geführt und sich trotzdem für die Erteilung einer Aufenthaltsberechtigung auf diese Ehe berufen hat (vgl. etwa das Erkenntnis vom 29. März 2012, Zl. 2012/23/0023, mwN).

Der Beschwerdeführer bringt insbesondere vor, dass die belangte Behörde sein Berufungsvorbringen im Zusammenhang mit der Beweiswürdigung der erstinstanzlichen Behörde vollends übergangen habe. Damit zeigt er im Ergebnis einen relevanten Verfahrensmangel auf:

Die belangte Behörde hat die Berufung des Beschwerdeführers gegen den erstinstanzlichen Bescheid zwar wiedergegeben, sich aber mit dem darin erstatteten Vorbringen zu den von der erstinstanzlichen Behörde (und in weiterer Folge auch von ihr selbst) herangezogenen Ermittlungsergebnissen in keiner Weise beschäftigt. Die beweiswürdigenden Überlegungen der belangten Behörde beschränken sich auf einen Hinweis auf die - nicht näher konkretisierten - widersprüchlichen Angaben der Ehegatten und auf die Erhebungsberichte, wonach der Beschwerdeführer "an der angeblichen gemeinsamen Wohnung nie gesehen worden" sei, hingegen "ein anderer Mann regelmäßig dort verkehre". In diesem Zusammenhang hätte die belangte Behörde aber auf die vom Beschwerdeführer vorgelegte Erklärung des L. einzugehen gehabt, wonach dieser dort seinen dreijährigen Sohn beaufsichtige, wenn dessen Mutter arbeite. Die belangte Behörde erachtete schließlich noch das Vorbringen des Beschwerdeführers, er sei gezwungen, in Slowenien seiner Arbeit nachzugehen, weil ihm der Zugang zum österreichischen Arbeitsmarkt verwehrt werde, als ein "beweiskräftiges Argument für das Vorliegen einer Aufenthaltsehe", zumal für den Beschwerdeführer (offenbar) primär der Zugang zum österreichischen Arbeitsmarkt von Interesse sei. Zutreffend weist auch der Beschwerdeführer darauf hin, dass ein derartiger Schluss nicht nachvollziehbar ist. Vielmehr hätte sich die belangte Behörde mit dem damit in Zusammenhang stehenden Argument des Beschwerdeführers auseinandersetzen müssen, dass nur deshalb kaum Kleidungsstücke und keine Toilettenartikel von ihm in der Wohnung vorzufinden gewesen seien, weil er (mangels Zugangs zum heimischen Arbeitsmarkt) weiterhin seiner Arbeit in Slowenien nachgehen musste, somit nur selten in Österreich gewesen sei und nicht über genügend Kleider und Toilettenartikel verfüge, um diese in Amstetten zurücklassen zu können. Schließlich hat es die belangte Behörde auch verabsäumt, die Angaben beider Ehegatten, wonach es sich nicht um eine Aufenthaltsehe handle, erkennbar einer Beweiswürdigung zu unterziehen.

Auch wenn - wie der belangten Behörde einzuräumen ist - die von der erstinstanzlichen Behörde durchgeführten Erhebungen eine Reihe von Indizien für das Vorliegen einer Aufenthaltsehe hervorgebracht haben, entbindet sie das nicht von der Verpflichtung, sich mit dem - gegen die Richtigkeit der beweiswürdigenden Überlegungen sprechenden - Berufungsvorbringen des Beschwerdeführers entsprechend auseinanderzusetzen und nachvollziehbar zu begründen, warum dieses Vorbringen keine Bedenken an der Beweiswürdigung zu erwecken vermag.

Angesichts des Berufungsvorbringens des Beschwerdeführers war der zugrunde liegende Sachverhalt - entgegen der Auffassung der belangten Behörde - somit auch nicht "zweifelsfrei erwiesen". Vielmehr wäre in der vorliegenden Konstellation eine mündliche Verhandlung abzuhalten gewesen, deren Durchführung gemäß § 67d Abs. 1 AVG nicht im Belieben, sondern im pflichtgemäßen Ermessen des unabhängigen Verwaltungssenates steht (siehe dazu das hg. Erkenntnis vom 16. Mai 2012, Zl. 2011/21/0277, mwN).

Im Hinblick darauf hat die belangte Behörde den angefochtenen Bescheid mit einem relevanten Verfahrensmangel belastet, weshalb der Bescheid gemäß § 42 Abs. 2 Z 3 lit. b und c VwGG wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufzuheben war.

Die Entscheidung über den Aufwandersatz stützt sich auf die §§ 47 ff VwGG iVm der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2008.

Wien, am 21. Februar 2013

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