Spruch:
Das angefochtene Erkenntnis wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.
Der Bund hat der Revisionswerberin Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.346,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
1 Die Revisionswerberin war Gesellschafter-Geschäftsführerin der X GmbH & Co KG, bei der eine die Jahre 2001 bis 2003 umfassende Außenprüfung durchgeführt worden ist. Im Rahmen der Außenprüfung wurde ein auf die Revisionswerberin entfallender Veräußerungs- und Aufgabegewinn für das Jahr 2002 festgestellt, der aus der Entnahme von im Betriebsvermögen der KG befindlichem Grund und Boden resultierte.
2 Die Revisionswerberin berief gegen den Feststellungsbescheid gemäß § 188 BAO für das Jahr 2002 und brachte in weiterer Folge auch gegen den Einkommensteuerbescheid 2002 Berufung ein. In der Berufung gegen den Einkommensteuerbescheid 2002 stellte sie den Antrag "den Gewinnanteil entsprechend der Berufung gegen den Feststellungsbescheid herabzusetzen". Vorbehaltlich der Änderungen beim Feststellungsbescheid beantragte sie weiters "auf jeden Fall die Hauptwohnsitzbefreiung gemäß § 24 Abs. 6 EStG und den Freibetrag gemäß § 24 Abs. 4 EStG zu berücksichtigen sowie gegebenenfalls den Hälftesteuersatz gemäß § 37 Abs. 1 EStG anzuwenden".
3 Der Prüfer nahm zur Berufung der Revisionswerberin gegen den Einkommensteuerbescheid 2002 Stellung und führte darin u. a. aus, der Antrag auf den Hälftesteuersatz gemäß § 37 EStG 1988 sei erstmals in der Berufung gestellt worden. Die Revisionswerberin habe im Jänner 2002 das 60. Lebensjahr vollendet und die Auflösung der X GmbH & Co KG sei zum 31. Dezember 2002 erfolgt. Seit Februar 2002 beziehe die Revisionswerberin eine Pension. Andere Einkünfte seien nicht bekannt. Der Betrieb sei vor mehr als sieben Jahren eröffnet worden, wobei es während der letzten sieben Jahre vor der Auflösung keine entgeltlichen Erwerbsvorgänge gegeben habe.
4 Das Finanzamt legte die Berufung dem Bundesfinanzgericht zur Entscheidung vor und führte im Vorlagebericht u.a. aus, "dem nunmehr erstmals eingebrachten Antrag auf § 37 Hälftesteuersatz wäre stattzugeben".
5 Mit dem angefochtenen Erkenntnis gab das Bundesfinanzgericht der Berufung (nunmehr Beschwerde) insoweit Folge, als es vom gemäß § 188 BAO festgestellten Veräußerungs- und Aufgabegewinn für das Jahr 2002 50% des in § 24 Abs. 4 EStG 1988 normierten Freibetrages in Abzug brachte. Dies mit der Begründung, dass die Revisionswerberin unstrittig zu 50% an der X GmbH & Co KG beteiligt gewesen sei. Eine Hauptwohnsitzbefreiung gemäß § 24 Abs. 6 EStG komme - so das Bundesfinanzgericht weiter - nicht in Betracht, weil das Wohnhaus der Revisionswerberin einschließlich Grund und Boden im Ausmaß von 1.300 m2 im Rahmen der bei der X GmbH & Co KG durchgeführten Außenprüfung als notwendiges Privatvermögen angesehen worden sei und nur die auf Werkstättengebäude samt zugehörigem Grund und Boden entfallenden stillen Reserven aufgedeckt worden seien.
6 Wie sich aus der Formulierung der Beschwerde ergebe, habe die Revisionswerberin jedenfalls die Hauptwohnsitzbefreiung gemäß § 24 Abs. 6 EStG 1988 und den Freibetrag gemäß § 24 Abs. 4 EStG 1988 beantragt. Im Anschluss auf den "auf jeden Fall" gestellten Antrag gemäß § 24 Abs. 4 und 6 EStG 1988 werde ausgeführt, gegebenenfalls den Hälftesteuersatz gemäß § 37 Abs. 1 EStG 1988 anzuwenden. Laut Ritz, BAO5, § 85 Tz 1 und 3 seien Parteierklärungen im Verwaltungsverfahren nach ihrem objektiven Erklärungswert auszulegen. Es komme darauf an, wie die Erklärung unter Berücksichtigung der konkreten gesetzlichen Regelung, des Verfahrenszweckes und der der Behörde vorliegenden Aktenlage objektiv verstanden werden müsse. Eventualanträge seien zulässig und würden gegenstandslos, wenn dem Primärantrag stattgegeben worden sei.
7 Da die "auf jeden Fall" gestellten Anträge betreffend § 24 Abs. 4 und 6 EStG 1988 "hinsichtlich des halben Freibetrags und des notwendigen Privatvermögens stattgebend behandelt wurden, sei der Eventualantrag, ‚gegebenenfalls' den Hälftesteuersatz gem. § 37 Abs. 1 leg. cit. anzuwenden, hinfällig", zumal die Inanspruchnahme beider Begünstigungen nach § 24 Abs. 4 zweiter Teilsatz EStG 1988 ausdrücklich ausgeschlossen sei.
8 Eine Revision erklärte das Bundesfinanzgericht für unzulässig, "weil die Entscheidung der Rechtsprechung des VwGH zu Eventualanträgen und objektivem Erklärungswert von Parteianträgen folgt und im Übrigen die Rechtsfrage im Gesetz eindeutig geklärt ist".
9 In der gegen dieses Erkenntnis gerichteten Revision wird zur Zulässigkeit im Wesentlichen ausgeführt, das Bundesfinanzgericht habe den Antrag der Revisionswerberin in der Berufung gegen den Einkommensteuerbescheid 2002 falsch bzw. rechtswidrig ausgelegt.
10 Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:
11 Die Revision ist zulässig und begründet.
12 § 24 EStG 1988 in der für den Streitzeitraum maßgeblichen
Fassung lautet auszugsweise wie folgt:
"§ 24. (1) Veräußerungsgewinne sind Gewinne, die erzielt
werden bei
1. der Veräußerung
(...)
2. der Aufgabe des Betriebes (Teilbetriebes)
(...)
(4) Der Veräußerungsgewinn ist nur insoweit steuerpflichtig, als er bei der Veräußerung (Aufgabe) des ganzen Betriebes den Betrag von 7.300 Euro und bei der Veräußerung (Aufgabe) eines Teilbetriebes oder eines Anteiles am Betriebsvermögen den entsprechenden Teil von 7.300 Euro übersteigt. Der Freibetrag steht nicht zu, (...)
- wenn die Veräußerung unter § 37 Abs. 5 fällt (...)" 13 Gemäß § 37 Abs. 1 Teilstrich 2 EStG 1988 ermäßigt sich der Steuersatz für außerordentliche Einkünfte auf die Hälfte des auf das gesamte Einkommen entfallenden Durchschnittssteuersatzes.
14 Außerordentliche Einkünfte sind gemäß § 37 Abs. 5 EStG 1988 Veräußerungs- und Übergangsgewinne, wenn der Betrieb deswegen veräußert oder aufgegeben wird, weil der Steuerpflichtige gestorben ist, erwerbsunfähig ist oder das 60. Lebensjahr vollendet hat und seine Erwerbstätigkeit einstellt. Für Veräußerungsgewinne steht der ermäßigte Steuersatz nur über Antrag und nur dann zu, wenn seit der Eröffnung oder dem letzten entgeltlichen Erwerbsvorgang sieben Jahre verstrichen sind.
15 Nach ständiger Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes sind Parteierklärungen nach ihrem objektiven Erklärungswert auszulegen, d.h. es kommt darauf an, wie die Erklärung unter Berücksichtigung der konkreten gesetzlichen Regelung, des Verfahrenszweckes und der der Behörde vorliegenden Aktenlage objektiv verstanden werden muss. Bei undeutlichem Inhalt eines Anbringens ist die Absicht der Partei zu erforschen. Im Zweifel ist dem Anbringen einer Partei, das sie zur Wahrung ihrer Rechte stellt, nicht ein solcher Inhalt beizumessen, der ihr die Rechtsverteidigungsmöglichkeit nimmt (vgl. VwGH 20.3.2014, 2010/15/0195, mwN).
16 Die Revisionswerberin hat in der Berufung den Antrag gestellt "auf jeden Fall die Hauptwohnsitzbefreiung gemäß § 24 Abs. 6 EStG und den Freibetrag gemäß § 24 Abs. 4 EStG zu berücksichtigen sowie gegebenenfalls den Hälftesteuersatz gemäß § 37 Abs. 1 EStG anzuwenden". Dieser Antrag ist widersprüchlich, weil der Freibetrag gemäß § 24 Abs. 4 EStG 1988 nicht geltend gemacht werden kann, wenn die Veräußerung bzw. Aufgabe eines Betriebes unter § 37 Abs. 5 fällt. Dass die Formulierung "gegebenenfalls den Hälftesteuersatz gemäß § 37 Abs. 1 EStG 1988 anzuwenden" nur als Eventualantrag verstanden werden kann, trifft indessen nicht zu. Naheliegender wäre ein Verständnis dahingehend, dass der Hälftesteuersatz für den Fall beantragt wird, dass die Voraussetzungen für die Ermäßigung des Steuersatzes nach § 37 Abs. 5 EStG 1988 gegeben sind (Veräußerung des Betriebes, Vollendung des 60. Lebensjahres, Einstellung der Erwerbstätigkeit, Verstreichen von sieben Jahren seit dem letzten entgeltlichen Erwerbsvorgang). In dieser Weise wurde der Antrag der Revisionswerberin auch vom Prüfer (in dessen Stellungnahme zur Berufung) sowie vom Finanzamt (im Vorlagebericht) verstanden. In diesem Fall steht freilich der Antrag auf Hälftesteuersatz der Zuerkennung des Freibetrags nach § 24 Abs. 4 EStG 1988 entgegen.
17 Bei undeutlichem Inhalt eines Anbringens ist - im Hinblick auf § 115 BAO iVm § 269 Abs. 1 BAO - die Absicht der Partei zu erforschen (vgl. Ritz, BAO6, § 269 Tz 2).
18 Indem das Bundesfinanzgericht das angefochtene Erkenntnis erlassen hat, ohne die Absicht der Revisionswerberin zu erforschen, hat es das Erkenntnis mit Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften belastet.
19 Der angefochtene Bescheid war sohin gemäß § 42 Abs. 2 Z 3 VwGG aufzuheben.
20 Der Ausspruch über den Aufwandersatz stützt sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2014.
Wien, am 27. November 2017
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