VwGH Ra 2016/15/0008

VwGHRa 2016/15/000817.10.2017

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Zorn und die Hofrätin Dr. Büsser sowie die Hofräte MMag. Maislinger, Mag. Novak und Dr. Sutter als Richter, unter Mitwirkung der Schriftführerin Mag. Engenhart, über die Revision des Finanzamtes Salzburg-Land in 5026 Salzburg-Aigen, Aignerstraße 10, gegen das Erkenntnis des Bundesfinanzgerichtes vom 10. November 2015, GZ. RV/6100644/2013, betreffend Einkommensteuer 2011 und 2012 (mitbeteiligte Partei: Mag. C E in W, vertreten durch die QUINTAX gerlich-fischer-kopp Steuerberatungsgmbh in 5020 Salzburg, Rainbergstraße 3a), zu Recht erkannt:

Normen

DBAbk USA 1998 Art4;
EStG 1988 §1;

 

Spruch:

Das angefochtene Erkenntnis wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Begründung

1 Der Mitbeteiligte erklärte im Rahmen der Arbeitnehmerveranlagungen für die Jahre 2011 und 2012 u. a. ausländische Einkünfte aus nichtselbständiger Arbeit. Er gab über Vorhalt des Finanzamtes bekannt, dass er per 28. Februar 2011 sein Dienstverhältnis mit der in Österreich ansässigen P GmbH einvernehmlich aufgelöst habe und seit 1. März 2011 bei der in den Vereinigten Staaten von Amerika ansässigen P Inc. (im Folgenden nur: P Inc., USA) beschäftigt sei. Mit 1. September 2012 werde er nach Österreich zurückkehren und wieder für die P GmbH tätig sein. Seine österreichische Eigentumswohnung habe er während seiner Abwesenheit nicht dauerhaft vermietet, weil die "Dauer meiner Abwesenheit (18 Monate) mit den Bestimmungen des MRG (beschränkter Mietvertrag auf mindestens 3 Jahre)" unvereinbar wäre.

2 Mit Bescheiden vom 17. Mai 2013 setzte das Finanzamt die Einkommensteuer für das Jahr 2011 und - nach Aufhebung des ursprünglichen Bescheides vom 8. April 2013 gemäß § 299 BAO - für das Jahr 2012 abweichend von der Erklärung fest, indem es die in den Vereinigten Staaten von Amerika erzielten Einkünfte in Österreich der Besteuerung unterwarf und die dort entrichtete Steuer auf die österreichische Steuer anrechnete. Dies mit der Begründung, dass natürliche Personen mit Wohnsitz oder gewöhnlichem Aufenthalt in Österreich gemäß § 1 EStG 1988 in Österreich unbeschränkt steuerpflichtig seien.

3 Das Finanzamt gehe in freier Beweiswürdigung davon aus, dass der Mitbeteiligte von März 2011 bis September 2012 die tatsächliche Verfügungsmacht über seine Eigentumswohnung in Österreich und damit einen Wohnsitz im Inland gehabt habe. Dass Frau L die Wohnung - ohne Mietvertrag und unentgeltlich - zeitweise genutzt habe, ändere daran nichts.

4 Der Mitbeteiligte habe gleichzeitig über einen Wohnsitz in den Vereinigten Staaten von Amerika verfügt, weshalb er nach Art. 4 des zwischen der Republik Österreich und den Vereinigten Staaten von Amerika abgeschlossenen Doppelbesteuerungsabkommens, BGBl. III Nr. 6/1998 (im Folgenden nur: DBA USA), in dem Staat als ansässig gelte, zu dem er die engeren persönlichen und wirtschaftlichen Beziehungen habe (Mittelpunkt der Lebensinteressen). Im Verständigungsprotokoll zu Art. 4 sei festgelegt, dass der Mittelpunkt der Lebensinteressen nicht allein anhand der Umstände, die in einem einzigen Jahr vorherrschten, feststellbar sei und die Berücksichtigung eines längeren Zeitraumes erforderlich sein könne. Bei kurzfristigen Auslandsaufenthalten (im Ausmaß von weniger als zwei Jahren) sei daher in der Regel von keiner Verlagerung des Mittelpunktes der Lebensinteressen auszugehen. Gegenständlich liege ein kurzfristiger Auslandsaufenthalt vor. Daher sei, ungeachtet dessen, dass das Dienstverhältnis mit der österreichischen P GmbH einvernehmlich aufgelöst und eine neues Dienstverhältnis mit der P Inc., USA, eingegangen worden sei, von einem Mittelpunkt der Lebensinteressen in Österreich auszugehen.

5 Der Mitbeteiligte berief gegen die am 17. Mai 2013 ergangenen Einkommensteuerbescheide 2011 und 2012 und führte in den Berufungen aus, es liege kein Grund zur Pflichtveranlagung vor, weshalb er den Antrag auf Arbeitnehmerveranlagung für das jeweilige Jahr zurückziehe.

6 Mit dem angefochtenen Erkenntnis gab das Bundesfinanzgericht den Berufungen (nunmehr Beschwerden) Folge und führte begründend hierzu aus, der Mitbeteiligte habe im Streitzeitraum über eine nicht dauerhaft vermietete Eigentumswohnung und damit über einen Wohnsitz in Österreich verfügt. Da er während seines Aufenthaltes in den Vereinigten Staaten von Amerika auch dort über eine ständige Wohnstätte verfügt habe, sei zu klären, ob gewichtige Gründe für einen längerfristig geplanten Auslandsaufenthalt und für die Verlagerung des Mittelpunktes der Lebensinteressen nach Amerika sprächen.

7 Die persönlichen Beziehungen des Mitbeteiligten - der im Streitzeitraum nicht verheiratet gewesen sei und keine Kinder gehabt habe - zu Österreich hätten nur darin bestanden, seine in Österreich lebenden Eltern bzw. seine Schwester fallweise zu besuchen. Während seines Aufenthaltes in den Vereinigten Staaten von Amerika sei der Mitbeteiligte in Österreich nicht polizeilich gemeldet gewesen. Dagegen seien die beruflichen Bindungen des Mitbeteiligten zu den Vereinigten Staaten von Amerika stärker gewesen als zu Österreich, zumal er seiner Erwerbstätigkeit von dort aus nachgegangen sei und in Österreich keine Einkünfte erzielt habe. Der Dienstvertrag mit dem österreichischen Arbeitgeber sei einvernehmlich aufgelöst worden. Eine Zusicherung des österreichischen Arbeitgebers, den Mitbeteiligte nach der Rückkehr in gleicher oder zumindest adäquater Funktion zu beschäftigen, habe nicht bestanden. Es sei kein Entsendungsvertrag aufgesetzt, sondern das Dienstverhältnis aufgelöst und ein neues unbefristetes Dienstverhältnis mit dem amerikanischen Dienstgeber auf unbestimmte Zeit abgeschlossen worden. Der amerikanische Dienstgeber habe sich verpflichtet, die Kosten der Übersiedlung der persönlichen Gegenstände zu übernehmen, nicht aber jene einer Rückübersiedlung. Während seines Aufenthaltes in den Vereinigten Staaten von Amerika sei der Mitbeteiligte in Österreich auch nicht kranken-, unfall- und pensionsversichert gewesen. Dass der Mitbeteiligte im Februar 2012 den amerikanischen Führerschein erworben habe, lasse ebenfalls auf eine längerfristige Lebensplanung in den Vereinigten Staaten von Amerika schließen.

8 Das Bundesfinanzgericht komme daher zur Überzeugung, dass der Mitbeteiligte eine längerfristige Umsiedlung geplant habe. "Die persönlichen Beziehungen nach Österreich waren im Streitzeitraum vernachlässigbar bzw waren die wirtschaftlichen Beziehungen des Mitbeteiligten zu Amerika von größerer Bedeutung, sodass im zu beurteilenden Zeitraum aufgrund des hier aufgezeigten Gesamtbildes der Mittelpunkt der Lebensinteressen und damit die Ansässigkeit des (Mitbeteiligten) in den USA gelegen waren."

9 Eine Revision erklärte des Bundesfinanzgericht für unzulässig, weil sich die Beantwortung der Frage, wo eine Person ansässig sei bzw. wo der Mittelpunkt ihrer Lebensinteressen gelegen sei, aus den Bestimmungen des DBA-USA bzw. aus der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ergebe.

10 Dagegen wendet sich die außerordentliche Revision des Finanzamtes, welches das angefochtene Erkenntnis für rechtswidrig erachtet, weil nur die in Österreich erzielten Einkünfte der Jahre 2011 und 2012 der Besteuerung unterworfen worden seien. Zur Zulässigkeit wird in der Revision ausgeführt, das angefochtene Erkenntnis widerspreche Art. 4 DBA-USA und der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes (Hinweis auf VwGH vom 25. Juli 2013, 2011/15/0193), insbesondere im Hinblick auf die mit 18 Monaten begrenzte Auslandstätigkeit, während der die inländische Eigentumswohnung beibehalten worden sei.

11 Der Mitbeteiligte hat eine Revisionsbeantwortung erstattet.

 

12 Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

13 Die Revision ist zulässig und begründet.

14 Für die Beurteilung der Frage, an welchem Ort (in welchem Staat) der Steuerpflichtige die engeren persönlichen und wirtschaftlichen Beziehungen hat, ist auf das Gesamtbild der persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse abzustellen, wobei das Überwiegen der Beziehungen zum einen oder anderen Staat den Ausschlag gibt. Wirtschaftlichen Beziehungen kommt dabei in der Regel eine geringere Bedeutung zu als persönlichen Beziehungen. Unter letzteren sind all jene zu verstehen, die einen Menschen aus in seiner Person liegenden Gründen mit jenem Ort verbinden, an dem er einen Wohnsitz hat. Von Bedeutung sind dabei familiäre Bindungen sowie Betätigungen gesellschaftlicher, religiöser und kultureller Art und andere Betätigungen zur Entfaltung persönlicher Interessen und Neigungen, aber auch die Mitgliedschaft in Vereinen und andere soziale Engagements. Wirtschaftliche Bindungen gehen vor allem von örtlich gebundenen Tätigkeiten und von Vermögensgegenständen in Form von Einnahmequellen aus. Der Mittelpunkt der Lebensinteressen ist durch eine zusammenfassende Wertung aller Umstände zu ermitteln. Entscheidend ist letztlich, welcher Vertragsstaat für die Person der bedeutungsvollere ist (vgl. VwGH 25.7.2013, 2011/15/0193; 15.9.2016, Ra 2016/15/0057, mwN).

15 Bei der Ermittlung des Mittelpunktes der Lebensinteressen ist regelmäßig nicht nur auf die Verhältnisse eines Jahres, sondern auf einen längeren Beobachtungszeitraum abzustellen (vgl. wiederum VwGH 25.9.2013, 2011/15/0193; 15.9.2016, Ra 2016/15/0057, mwN).

16 Eine zeitlich begrenzte Auslandstätigkeit lässt den Mittelpunkt der Lebensinteressen auch dann im Inland bestehen, wenn die Familie an den Arbeitsort im Ausland mitzieht, die Wohnung im Inland aber beibehalten wird (vgl. VwGH 25.7.2013, 2011/15/0193; 16.12.2015, 2013/15/0117; sowie Beiser, Doppelwohnsitz und Mittelpunkt der Lebensinteressen im zwischenstaatlichen Steuerrecht, ÖStZ 1989, 241, 243).

17 Das Bundesfinanzgericht stellte im angefochtenen Erkenntnis zunächst fest, dass der Mitbeteiligte "in der fraglichen Zeit (auch) über einen inländischen Wohnsitz verfügte und als Folge dessen gem. § 1 Abs. 2 EStG 1988 unbeschränkt einkommensteuerpflichtig war". Sodann ging es davon aus, dass sich der Mittelpunkt der Lebensinteressen des Mitbeteiligten im Streitzeitraum in die Vereinigten Staaten von Amerika verlagert hat und begründete dies mit dessen wirtschaftlicher Bindung an dieses Land. Den Umständen, dass der Aufenthalt des Mitbeteiligten in den Vereinigten Staaten von Amerika nur 18 Monate gedauert hat und die Eltern sowie die Schwester des Mitbeteiligten in Österreich lebten, maß das Bundesfinanzgericht keine entscheidungswesentliche Bedeutung bei.

18 Damit weicht das angefochtene Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab, wonach eine zeitlich begrenzte Auslandstätigkeit den Mittelpunkt der Lebensinteressen selbst dann im Inland bestehen lässt, wenn die Familie an den Arbeitsort im Ausland mitzieht, die Wohnung im Inland aber beibehalten wird. Dass den wirtschaftlichen Beziehungen eines Abgabepflichtigen in der Regel eine geringere Bedeutung zukommt als den persönlichen Beziehungen wird im angefochtenen Erkenntnis ebenfalls nicht Rechnung getragen, zumal im Revisionsfall keine Anhaltspunkte für allfällige persönliche Bindungen des Mitbeteiligten in den Vereinigten Staaten von Amerika erkennbar sind, und dieser nicht einmal behauptet hat, dass er dort Betätigungen gesellschaftlicher, religiöser und kultureller Art oder anderen Betätigungen zur Entfaltung persönlicher Interessen und Neigungen nachgegangen sei. Auch die Mitgliedschaft in Vereinen und andere soziale Engagements in den Vereinigten Staaten von Amerika wurden vom Mitbeteiligten nicht behauptet.

19 Der Mitbeteiligte hat in den Berufungen (nunmehr Beschwerden) gegen die Einkommensteuerbescheide 2011 und 2012 vom 17. Mai 2013 den "Antrag auf Arbeitnehmerveranlagung für das betreffende Jahr" zurückgezogen und die "Aufhebung des angefochtenen Bescheides" beantragt. Im Spruch des angefochtenen Erkenntnis wird lediglich ausgeführt, dass den Beschwerden des Mitbeteiligten stattgegeben wird. Damit bleibt offen, ob die bekämpften Bescheide ersatzlos aufgehoben wurden oder ob das Bundesfinanzgericht eine neue Abgabenfestsetzung intendiert hat, mit der nur die in Österreich erzielten Einkünfte der Jahre 2011 und 2012 erfasst werden sollten, was gemäß § 279 Abs. 1 BAO vom Bundesfinanzgericht selbst vorzunehmen gewesen wäre.

20 Das angefochtene Erkenntnis war - aus den in den vorangehenden Randziffern genannten Gründen - gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufzuheben.

Wien, am 17. Oktober 2017

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