VwGH Ra 2016/12/0104

VwGHRa 2016/12/010413.9.2017

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Köhler, Hofrat Dr. Zens, Hofrätin Mag.a Nussbaumer-Hinterauer, Hofrat Mag. Feiel und Hofrätin MMag. Ginthör als Richter, unter Mitwirkung der Schriftführerin Mag. Artmann, über die außerordentliche Revision der Mag. I H in W, vertreten durch Dr. Martin Riedl, Rechtsanwalt in 1010 Wien, Franz Josefs Kai 5, gegen das Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichtes vom 19. September 2016, Zl. W129 2123049-1/6E, betreffend Antrag gemäß § 75 Abs. 3 BDG 1979 (vor dem Bundesverwaltungsgericht belangte Behörde: Bundesminister für Wissenschaft, Forschung und Wirtschaft), zu Recht erkannt:

Normen

12010P/TXT Grundrechte Charta Art47 Abs2;
BDG 1979 §241a Abs1 idF 2012/I/120;
BDG 1979 §241a idF 1997/I/61;
BDG 1979 §75 Abs3 idF 1990/447;
BDG 1979 §75 Abs3 idF 1991/024;
BDG 1979 §75 Abs3 idF 1994/665;
BDG 1979 §75 Abs3;
BDG 1979 §75 idF 1990/447;
MRK Art6 Abs1;
MRK Art6;
VwGG §42 Abs2 Z1;
VwGVG 2014 §24 Abs4;
VwRallg;

 

Spruch:

Das angefochtene Erkenntnis wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.

Der Bund hat der Revisionswerberin Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.346,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

1 Zur Vorgeschichte wird auch auf das hg. Erkenntnis vom 18. Februar 2015, Ro 2014/12/0013, verwiesen.

2 Die Revisionswerberin steht als Ministerialrätin in einem öffentlich-rechtlichen Dienstverhältnis zum Bund.

3 Mit Eingabe vom 30. Juli 2013 stellte sie - gestützt auf § 75 Abs. 3 des Beamten-Dienstrechtsgesetzes 1979, BGBl. Nr. 333 (im Folgenden: BDG 1979) - den Antrag, ihr die Zeit eines zwischen dem 21. Jänner 1992 und dem 20. Jänner 1997 in Anspruch genommenen Karenzurlaubes für den Ruhegenuss anzurechnen.

4 Mit Bescheid der Dienstbehörde vom 18. Dezember 2013 wurde dieser Antrag wegen entschiedener Sache zurückgewiesen.

5 Auf Grund einer dagegen erhobenen Beschwerde der Revisionswerberin wurde dieser Bescheid mit dem vorzitierten hg. Erkenntnis vom 18. Februar 2015 wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

6 Mit Ersatzbescheid vom 20. Jänner 2016 wies die Dienstbehörde den genannten Antrag der Revisionswerberin nunmehr ab. Sie vertrat in diesem Zusammenhang die Auffassung, aus dem Antrag der Revisionswerberin auf Gewährung von Karenzurlaub bzw. aus den diesem zugrunde gelegenen Unterlagen gehe hervor, dass für seine Bewilligung private Gründe im Verständnis des § 75 Abs. 3 BDG 1979 maßgebend gewesen seien, nämlich der Wunsch der Revisionswerberin auf bloße Halbzeitbelastung infolge Kindererziehung. Da das Höchstmaß der Dauer der Zulässigkeit einer Herabsetzung der regelmäßigen Wochendienstzeit im öffentlichrechtlichen Dienstverhältnis erschöpft gewesen sei, habe diesem Wunsch nur durch eine Karenzierung unter gleichzeitiger Einstellung der Revisionswerberin als Vertragsbedienstete in Teilzeitarbeit entsprochen werden können.

7 Gegen diesen Bescheid erhob die Revisionswerberin anwaltlich vertreten Beschwerde vor dem Bundesverwaltungsgericht, in welcher sie ausdrücklich die Durchführung einer mündlichen Verhandlung beantragte.

8 Der Auffassung der Dienstbehörde, für die Gewährung des Karenzurlaubes seien private Interessen der Beamtin maßgebend gewesen, hielt die Revisionswerberin in der Beschwerde Folgendes entgegen (Interpunktion im Original):

"Keinesfalls kann die vom Bundeskanzleramt in deren Stellungnahme und von der belangten Behörde übernommene Ansicht richtig sein, dass im vorliegenden Fall nur ein privates Interesse an der Gewährung des Karenzurlaubes vorgelegen hat. Der belangten Behörde war bewusst welchen Stellenwert die Kindererziehung für mich hat und wurde mir deshalb der Abschluss eines Vertragsbedienstetenverhältnisses mit halber Arbeitszeit angeboten, um nicht zu riskieren, dass ich mich im Falle einer Nichtgewährung nach sonstigen (auch externen) Alternativen umsehe. Dies ergibt sich schon aus dem Schreiben der belangten Behörde vom 22.8.1991, GZ: 1993/2-1/91. Allein die Schaffung dieser Voraussetzung durch die belangte Behörde verdeutlicht ihr Interesse an meinem Verbleib im Dienst. Es widerspricht auch dem Sinn des Gesetzes, dass die belangte Behörde nunmehr versucht, sich anhand der von mir gewählten Formulierung in der Antragsstellung von der Verpflichtung diese Zeit für die Ruhegenussbemessung zu berücksichtigen, einer Berücksichtigung des maßgeblichen Gesamtsachverhaltes zu entziehen. Es ist somit unstrittig, dass ein beiderseitiges Interesse an der Gewährung des Karenzurlaubes bestand.

Für die weitere Beurteilung ist abzuklären in welchem überwiegenden Interesse die Karenzierung gelegen hat. Hierbei führt die Gewichtung aller relevanten Aspekte dazu, dass das öffentliche Interesse an meiner Weiterverwendung überwogen hat. Die belangte Behörde befand sich zum damaligen Zeitpunkt - nicht zuletzt wegen des bevorstehenden EU Beitritts Österreichs - in einem aufwendigen Umstrukturierungsprozess. Es wurde eine neue Internationale Sektion geschaffen. Neben meiner bisherigen Verwendung in der Abteilung I/15 (der Hochschulsektion) wurde ich mit 1.2.1991 auch stellvertretende Abteilungsleiterin der Abteilung IV/4 der neuen Internationalen Sektion. Die belangte Behörde wusste von meiner langjährigen Erfahrung und wollte zu dieser Zeit offensichtlich nicht auf mein Engagement beim Aufbau der neuen Sektion verzichten. Nur über die Teilzeitbeschäftigung stand ich der belangten Behörde auch weiterhin für die Bewältigung dieser Herausforderung zur Verfügung und hatte sie ein großes Interesse an meinem Verbleib im Ministerium. Das von mir mitgebrachte Wissen und Know-how hätte sonst von keiner verfügbaren Person abgedeckt werden können und wäre auch eine geeignete Nachbesetzung nicht in absehbarer Zeit durchführbar gewesen. Dies wird mir auch vom Leiter der Abteilung VI/7 Dr. X in seiner Stellungnahme vom 13.2.2016 bestätigt (Beilage ./A). Schon allein aus diesem Umstand ergibt sich ein überwiegend öffentliches (dienstliches) Interesse an der Gewährung des Karenzurlaubes.

Wenn die belangte Behörde ins Treffen führt, dass meine Weiterverwendung auch durch die Nichtgewährung des Karenzurlaubes wegen zwingend dienstlicher Interessen erreicht werden hätte können, ist ihr entgegenzuhalten, dass einerseits die Nichtgewährung an strengere Voraussetzungen geknüpft ist und andererseits die Möglichkeit bestand, dass ich mich in diesem Fall nach Alternativen umgeschaut hätte. Die Behörde wollte genau diese Situation nicht provozieren und hat der von mir beantragten Karenzierung zugestimmt mit dem zeitgleichen Angebot einer Teilzeitbeschäftigung."

9 Zum Beweis dieses Vorbringens berief sich die Revisionswerberin auf ihre Einvernahme als Partei.

10 Mit dem angefochtenen Erkenntnis wurde diese Beschwerde ohne Durchführung einer mündlichen Verhandlung gemäß § 28 Abs. 2 VwGVG als unbegründet abgewiesen. Das Bundesverwaltungsgericht sprach aus, dass die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig sei.

11 Im angefochtenen Erkenntnis ging das Bundesverwaltungsgericht im Wesentlichen von folgendem Sachverhalt aus:

"1.1. Entsprechend ihrem Wunsch nach Halbtagsbeschäftigung wurde der nunmehrigen Beschwerdeführerin mit Schreiben vom 28.08.1991 vorgeschlagen, gemäß § 75 Abs. 1 und 2 des BDG 1979 idgF könne dem Beamten auf sein Ansuchen ein Urlaub unter Entfall der Bezüge gewährt werden, sofern nicht zwingende dienstliche Gründe entgegenstünden. Die Zeit des Karenzurlaubes sei jedoch für Rechte, die von der Dauer des Dienstverhältnisses abhängen würden, nicht zu berücksichtigen, soweit in den Besoldungsvorschriften nichts anderes bestimmt sei. Das Bundesministerium für Wissenschaft und Forschung sei bereit, der Beschwerdeführerin einen Karenzurlaub zu gewähren, jedoch werde die Zeit des Karenzurlaubes für den Ruhegenuss nicht angerechnet werden können. Entsprechende Pensionsbeiträge würden in dieser Zeit aus dem öffentlich-rechtlichen Dienstverhältnis nicht anfallen. Die Zeit des Karenzurlaubes werde gemäß § 10 Abs. 3 GehG 1956 idgF mit dem Tag des Wiedereintrittes zur Hälfte für die Vorrückung wirksam. Was eine während des Karenzurlaubes mögliche Teilzeitbeschäftigung anlange, so könne der Beschwerdeführerin ein Dienstvertrag nach VBG 1948 idgF im Ausmaß der halben täglichen Arbeitszeit angeboten werden. Mit diesem Dienstvertrag werde jedoch die entsprechende Pflichtversicherung (Krankheit, Unfall und Pension) nach dem ASVG mit den entsprechenden Beiträgen verbunden sein.

1.2. Mit Schreiben vom 11.09.1991 ersuchte die Beschwerdeführerin um fünfjährige Karenzierung ab 20.01.1992 und um Teilzeitbeschäftigung im Ausmaß der halben täglichen Arbeitszeit für denselben Zeitraum. Der letzte Satz dieses von der Beschwerdeführerin unterschriebenen Schreibens lautete: ‚Mit den aus diesem Dienstvertrag resultierenden dienstrechtlichen und sozialversicherungsrechtlichen Folgen erkläre ich mich einverstanden.'

1.3. In weiterer Folge wurde der beantragte Karenzurlaub am 14.11.1991 bewilligt und festgehalten, die Zeit dieses Karenzurlaubes sei für Rechte, die von der Dauer des Dienstverhältnisses abhängen, nicht zu berücksichtigen, werde jedoch nach Dienstantritt gemäß den Bestimmungen des § 10 Abs. 4 GehG 1956 zur Hälfte für die Vorrückung wirksam."

12 Nach Anführung der angewendeten Gesetzesbestimmung sowie dazu ergangener Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes heißt es in der rechtlichen Beurteilung:

"Die gegenständliche Gewährung des Karenzurlaubes vom 14.11.1991 gibt keinerlei Aufschlüsse über die maßgeblichen Gründe. Aus den vorliegenden Unterlagen und dem daraus resultierenden Sachverhalt ergibt sich eindeutig ein Überwiegen der privaten Interessen der Beschwerdeführerin:

Dass die privaten Interessen der Beschwerdeführerin überwogen haben, ergibt sich daraus, dass zuerst die Beschwerdeführerin - wie sie auch selbst in der Beschwerde ausführt - an den Dienstgeber herangetreten ist, weil ihre Herabsetzung der regelmäßigen Wochendienstzeit auf die Hälfte gemäß § 50a BDG 1979 auslaufen würde und das Höchstmaß ausgeschöpft war (‚Da ich aus familiären Gründen auch auf längere Sicht an einer Halbtagsbeschäftigung interessiert bin, ersuche ich um ehestmögliche Klärung der diesbezüglichen Lösungsmöglichkeiten.').

Erst auf diesen ausdrücklichen Wunsch der Beschwerdeführerin hin machte der Dienstgeber den Vorschlag mit der halbtägigen Anstellung als Vertragsbedienstete, jedoch hat er sie gleichzeitig auf die Folgen dieser besonderen Konstellation hingewiesen, nämlich dass die Zeit des Karenzurlaubes für Rechte, die von der Dauer des Dienstverhältnisses abhängen, nicht zu berücksichtigen ist. Der Dienstgeber hat bei seinem Angebot weiters verdeutlicht, bereit zu sein, den Karenzurlaub zu gewähren, dessen Zeit werde für den Ruhegenuss jedoch nicht angerechnet werden können und entsprechende Pensionsbeiträge würden in dieser Zeit aus dem öffentlich-rechtlichen Dienstverhältnis nicht anfallen. Umgekehrt bestehe eine ASVG-Pflichtversicherung mit einer entsprechenden Beitragspflicht.

Damit hat der Dienstgeber deutlich gemacht unter welchen Umständen er diese Konstellation des Karenzurlaubes in Verbindung mit dem Vertragsbedienstetenverhältnis angeboten hat. Ob dem Dienstgeber die Arbeitsleistung der Beschwerdeführerin über deren private Interessen hinaus wichtiger war und somit die öffentlichen Interessen überwiegen würden, lässt sich daraus nicht ableiten. Wäre dies der Fall, hätte der Dienstgeber wohl von sich aus sogleich angeboten, die Zeit der Karenzierung im Lichte des damals geltenden § 75 Abs. 3 BDG 1979 alt für den Ruhegenuss anzurechnen. Da er aber genau das Gegenteil - nämlich sie ausdrücklich auf die Folgen dieser Konstellation hingewiesen hat - getan hat, zeugt nicht von einem überwiegenden dienstlichen und somit öffentlichen Interesse für die Gewährung des Karenzurlaubes.

Weiters führt der Verwaltungsgerichtshof in seinem Erkenntnis vom 24.03.1999, Zl. 97/12/0291, aus, der Begriff ‚Öffentliches Interesse' umfasse jedenfalls mehr als das rein arbeitsplatzbezogen gesehene dienstliche Interesse an der Besorgung des vom Beamten innegehabten Arbeitsplatzes (Hinweis E 7.10.1998, 98/12/0172). Im gegenständlichen Fall ist es unstrittig, dass der Dienstgeber die Arbeitskraft der Beschwerdeführerin nicht verlieren wollte, ein weiteres Interesse darüber hinaus wurde vom Dienstgeber aber nicht kundgetan und ergibt sich auch nicht aus den vorliegenden Unterlagen."

13 Darüber hinaus vertrat das Bundesverwaltungsgericht mit näherer Begründung die Auffassung, dass an diesem Ergebnis auch ein allenfalls bestehendes öffentliches Interesse an der Kindererziehung durch die Eltern nichts ändere.

14 Die der Dienstbehörde zuzurechnende Versagung der Zustimmung zur Anrechnung durch das Bundeskanzleramt sei daher zu Recht erfolgt.

15 Die Abstandnahme von der Durchführung einer mündlichen Verhandlung begründete das Bundesverwaltungsgericht wie folgt:

"Die Durchführung einer mündlichen Verhandlung gem. § 24 VwGVG und der dazu ergangenen Rechtsprechung des VwGH (Erkenntnis vom 26.01.2012, Zl. 2009/09/0187 und in diesem Sinne wohl auch 28.05.2014, Ra 2014/20/0017) ist nicht erforderlich. Die vorgelegten Verfahrensakten lassen nicht erkennen, dass eine mündliche Erörterung eine weitere Klärung der Rechtssache erwarten lässt.

Ein Entfall der Verhandlung widerspricht weder Art. 6 Abs. 1 der Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten (EMRK), BGBl. Nr. 210/1958, noch Art. 47 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union (GRC), ABl. Nr. C 83 vom 30.03.2010 S. 389."

16 Die Revision sei gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG unzulässig, weil die gegenständliche Entscheidung weder von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweiche, noch es an einer solchen fehle. Schließlich sei die vorliegende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auch nicht als uneinheitlich zu qualifizieren.

17 Gegen dieses Erkenntnis richtet sich die außerordentliche Revision vor dem Verwaltungsgerichtshof. Die Revisionswerberin macht Rechtswidrigkeit des Inhaltes des angefochtenen Erkenntnisses sowie Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften mit dem Antrag geltend, der Verwaltungsgerichtshof möge in der Sache selbst im Sinne einer Antragstattgebung entscheiden; hilfsweise wird die Aufhebung des Erkenntnisses beantragt.

18 Der Bundesminister für Wissenschaft, Forschung und Wirtschaft erstattete eine Revisionsbeantwortung, in welcher die Zurückweisung der Revision, hilfsweise deren Abweisung als unbegründet beantragt wird.

 

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

19 Im Zeitpunkt der Bewilligung der hier gegenständlichen Karenzurlaube stand § 75 BDG 1979 in der Fassung dieses Paragrafen nach dem Bundesgesetz BGBl. Nr. 24/1991 bzw. ab 1. Jänner 1995 nach dem Bundesgesetz BGBl. Nr. 665/1994 in Kraft. Die Abs. 1 bis 3 dieser Gesetzesbestimmung lauteten jeweils:

"Karenzurlaub

§ 75. (1) Dem Beamten kann auf sein Ansuchen ein Urlaub unter Entfall der Bezüge (Karenzurlaub) gewährt werden, sofern nicht zwingende dienstliche Gründe entgegenstehen.

(2) Die Zeit des Karenzurlaubes ist für Rechte, die von der Dauer des Dienstverhältnisses abhängen, nicht zu berücksichtigen, soweit in den Besoldungsvorschriften nicht anderes bestimmt ist.

(3) Sind für die Gewährung eines Karenzurlaubes andere als private Interessen des Beamten maßgebend und liegen berücksichtigungswürdige Gründe vor, so kann die zuständige Zentralstelle mit Zustimmung des Bundeskanzlers und des Bundesministers für Finanzen verfügen, daß die gemäß Abs. 2 mit der Gewährung des Karenzurlaubes verbundenen Folgen nicht oder nicht im vollen Umfang eintreten."

20 In ihrer Zulässigkeitsbegründung wirft die Revisionswerberin u.a. die Frage auf, ob das Bundesverwaltungsgericht vorliegendenfalls zu Recht von der Durchführung einer mündlichen Verhandlung Abstand genommen habe.

21 In der Ausführung der Revision wird auch u.a. die Nichtdurchführung der mündlichen Verhandlung gerügt.

22 Schon mit dem eben erwähnten Zulassungsgrund zeigt die Revision eine grundsätzliche Rechtsfrage auf, weil das Bundesverwaltungsgericht in unvertretbarer Weise davon ausgegangen ist, dass die Durchführung einer mündlichen Verhandlung nach Art. 6 Abs. 1 MRK nicht geboten sei:

23 Vorliegendenfalls hat die Revisionswerberin ausdrücklich die Durchführung einer mündlichen Verhandlung beantragt, was einen wirksamen Verzicht auf eine solche ausschließt.

24 Bei der hier von der Revisionswerberin beantragten Anrechnung handelt es sich um ein "civil right" im Verständnis des Art. 6 MRK. Der Charakter von Ruhebezügen als Teil des Arbeitsentgelts und somit als "civil rights" im Verständnis der zitierten Konventionsbestimmung wurde etwa im hg. Erkenntnis vom 27. Mai 2015, Ra 2014/12/0021, ausdrücklich bejaht. Verfahren betreffend die Gebührlichkeit solcher Bezüge unterliegen daher den Garantien der zitierten Konventionsbestimmung. Entsprechendes gilt für das Verfahren über den hier gegenständlichen Antrag, dessen Ergebnis für die aus dem Pensionsrecht resultierenden - im Verständnis des Art. 6 MRK zivilrechtlichen - Ansprüche und Verpflichtungen unmittelbar entscheidend ist (vgl. hiezu Meyer-Ladewig, EMRK3 Rz 14 zu Art. 6 sowie die entsprechende Aussage für Gehaltsansprüche beeinflussende Feststellungsentscheidungen in Arbeitsplatzbewertungsverfahren das hg. Erkenntnis vom 18. September 2015, Ra 2015/12/0012). Die Anwendbarkeit des Art. 6 MRK ist hier auch nicht schon deshalb ausgeschlossen, weil bei der Entscheidung Ermessenselemente einfließen können (vgl. Meyer-Ladewig, a.a.O. Rz 11).

25 Demnach könnte eine Verhandlungspflicht gemäß Art. 6 Abs. 1 MRK vorliegendenfalls nur dann entfallen, wenn die Ausnahmen für nicht übermäßig komplexe Rechtsfragen oder hochtechnische Fragen Platz greifen würden (vgl. hiezu insbesondere das hg. Erkenntnis vom 21. Dezember 2016, Ra 2016/12/0067).

26 Nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ist - wie das Bundesverwaltungsgericht insofern zutreffend erkannte - die Übergangsbestimmung des § 241a BDG 1979 idF BGBl. I Nr. 61/1997 (nunmehr § 241a Abs. 1 BDG 1979), wonach auf Karenzurlaube, die gemäß § 75 BDG 1979 in der bis zum Ablauf des 30. Juni 1997 geltenden Fassung gewährt worden sind, § 75 BDG 1979 in dieser Fassung weiterhin anzuwenden ist, dahingehend auszulegen, dass damit generell die Maßgeblichkeit der im Zeitpunkt der Karenzurlaubsgewährung in Kraft gestandenen Rechtslage angeordnet werden sollte (siehe zur näheren Begründung das hg. Erkenntnis vom 17. Dezember 2007, 2007/12/0061).

27 Vorliegendenfalls verneinte das Bundesverwaltungsgericht die Maßgeblichkeit anderer als privater Interessen der Beamtin gemäß § 75 Abs. 3 BDG 1979 in der hier anzuwendenden Fassung mit der Begründung, ein Überwiegen anderer als privater Interessen sei nicht feststellbar. Das Vorliegen anderer als privater Interessen als Gründe für die Gewährung des Karenzurlaubes wurde nicht in Abrede gestellt. Die Frage des "Überwiegens" anderer als privater Interessen ist diesfalls objektiv zu beurteilen. Sie durfte daher nicht mit dem Argument verneint werden, die Behörde habe bei Bewilligung des Karenzurlaubes offenkundig die privaten Interessen als überwiegend qualifiziert und deshalb eine (amtswegige) Anrechnung gemäß § 75 Abs. 3 BDG 1979 nicht in Betracht gezogen.

28 Zum Gewicht dieser anderen Interessen hat die Revisionswerberin aber in ihrer Beschwerde konkrete Tatsachen behauptet und hiefür auch Beweisanbote gestellt.

29 Enthält - wie hier - der den Karenzurlaub bewilligende Bescheid keinerlei Feststellungen darüber, welche Gründe hiefür maßgeblich waren, ist der Rückgriff auf den Antrag des Beamten auf Gewährung des Karenzurlaubes sowie auf sonstige Unterlagen, die diesem Verfahren zugrunde lagen, wie z.B. Äußerungen von Vorgesetzten, ein geeignetes Mittel, zu klären, ob die Voraussetzungen nach § 75 Abs. 3 BDG 1979 in der hier anzuwendenden Fassung gegeben sind oder nicht (vgl. hiezu etwa das hg. Erkenntnis vom 20. Dezember 1995, 94/12/0104). Dies schließt jedoch das Erfordernis einer über die Aktenlage hinausgehenden Beweisaufnahme nicht aus (vgl. hiezu das hg. Erkenntnis vom 27. Juni 2017, Ra 2016/12/0084, Rz 31).

30 Im Hinblick auf das oben dargestellte Tatsachenvorbringen der Revisionswerberin zu dem von ihr behaupteten Überwiegen anderer als privater Interessen, mit dem sich das Bundesverwaltungsgericht nicht näher auseinandergesetzt und zu dem es auch keine Feststellungen getroffen hat, kamen die oben dargestellten Ausnahmen von der Verhandlungspflicht gemäß Art. 6 Abs. 1 MRK hier nicht in Betracht.

31 Wie der Verwaltungsgerichtshof in seinem Erkenntnis vom 27. Mai 2015, Ra 2014/12/0021, darlegte, führt ein Verstoß des Verwaltungsgerichtes gegen die aus Art. 6 Abs. 1 MRK abgeleitete Verhandlungspflicht auch ohne nähere Prüfung einer Relevanz dieses Verfahrensmangels zur Aufhebung des Erkenntnisses gemäß § 42 Abs. 2 Z 3 VwGG, sofern sich der Verwaltungsgerichtshof - wie im vorliegenden Fall - nicht veranlasst sieht, in der Sache selbst zu entscheiden.

32 Vor diesem Hintergrund versagt auch der Einwand der Revisionsbeantwortung, die Revision sei unzulässig, weil die Revisionswerberin die Relevanz des behaupteten Verfahrensmangels nicht (hinreichend) dargestellt habe.

33 Die Kostenentscheidung gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2014, BGBl. II Nr. 518/2013.

Wien, am 13. September 2017

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