Normen
32004R0883 Koordinierung Soziale Sicherheit Art64;
32004R0883 Koordinierung Soziale Sicherheit Art65 Abs2;
32004R0883 Koordinierung Soziale Sicherheit Art65 Abs5;
Spruch:
Die Revision wird zurückgewiesen.
Begründung
1. Nach Art. 133 Abs. 4 B-VG ist gegen ein Erkenntnis des Verwaltungsgerichts die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofs abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung nicht einheitlich beantwortet wird.
Gemäß § 34 Abs. 1 VwGG sind Revisionen, die sich wegen Nichtvorliegens der Voraussetzungen des Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zur Behandlung eignen, ohne weiteres Verfahren in nichtöffentlicher Sitzung mit Beschluss zurückzuweisen.
Gemäß § 34 Abs. 1a VwGG ist die Zulässigkeit einer außerordentlichen Revision nach Art. 133 Abs. 4 B-VG im Rahmen der dafür in der Revision vorgebrachten Gründe (§ 28 Abs. 3 VwGG) zu überprüfen.
2.1. Mit Bescheid vom 6. Juli 2015 wies die Revisionswerberin den Antrag des Mitbeteiligten vom 25. Juni 2015 auf Zuerkennung von Arbeitslosengeld nach § 46 Abs. 1 AlVG wegen Unzuständigkeit gemäß § 44 AlVG zurück. Der Mitbeteiligte habe keinen Wohnsitz bzw. gewöhnlichen Aufenthalt im Inland, sein Lebensmittelpunkt liege in Rumänien.
Mit Beschwerdevorentscheidung vom 30. Juli 2015 wies die Revisionswerberin die dagegen erhobene Beschwerde des Mitbeteiligten ab. Dieser sei zwar mangels wöchentlicher Heimreise kein (echter) Grenzgänger im Sinn des Art. 1 lit. f Verordnung (EG) Nr. 883/2004 (im Folgenden kurz: VO 883/2004 ). Gleichwohl sei im Hinblick auf die Bestimmungen des Art. 65 Abs. 2 und Abs. 5 VO 883/2004 für die Zuerkennung einer Arbeitslosenunterstützung der Wohnmitgliedstaat (Rumänien) zuständig, wo sich der Mittelpunkt der Lebensinteressen des Mitbeteiligten befinde.
Der Mitbeteiligte stellte einen Vorlageantrag.
2.2. Mit dem angefochtenen Erkenntnis gab das Verwaltungsgericht der Beschwerde statt und hob die Beschwerdevorentscheidung sowie den Ausgangsbescheid - obwohl diesem richtiger Weise bereits durch die Beschwerdevorentscheidung endgültig derogiert worden ist, diese daher an seine Stelle getreten ist und nur mehr diese aufgehoben, abgeändert oder bestätigt werden konnte (vgl. VwGH 17.12.2015, Ro 2015/08/0026) - gemäß § 28 Abs. 1 und Abs. 5 VwGVG auf.
Der Mitbeteiligte sei - so die wesentliche Begründung - kein Grenzgänger im Sinn des Art. 1 lit. f VO 883/2004 , zumal er nur zweimal im Jahr nach Rumänien gefahren sei. Gleichwohl sei sein Wohnort im Sinn des Art. 1 lit. j VO 883/2004 auf Grund seiner intensiven familiären Bindungen (Ehefrau und Kinder) in Rumänien gelegen. Es handle sich bei ihm daher um einen sogenannten "unechten Grenzgänger". Aus einer Zusammenschau der (näher erörterten) Bestimmungen des Art. 65 Abs. 2 Satz 3 und Abs. 5 lit. b VO 883/2004 ergebe sich, dass der "unechte Grenzgänger" nach eigener Entscheidung entweder im Beschäftigungsmitgliedstaat verbleiben oder in den Wohnmitgliedstaat zurückkehren könne. Bei einem Verbleib im Beschäftigungsmitgliedstaat müsse er sich dessen Arbeitsverwaltung zur Verfügung stellen und erhalte folglich auch Arbeitslosengeld zu Lasten des Beschäftigungsmitgliedstaats. Vorliegend habe sich der Mitbeteiligte für einen Verbleib in Österreich entschieden, sodass er sich der hiesigen Arbeitsverwaltung zur Verfügung stellen müsse und bei Erfüllung der Voraussetzungen Anspruch auf Leistungen bei Arbeitslosigkeit habe. Der Antrag des Mitbeteiligten hätte daher nicht zurückgewiesen werden dürfen, sondern sei inhaltlich zu behandeln (gewesen). Soweit sich die Revisionswerberin auf Art. 65 Abs. 5 lit. a VO 883/2004 berufe, übersehe sie, dass die Regelung "echte Grenzgänger" betreffe; aus dem Grund seien auch die hg. Entscheidung vom 28. Jänner 2015, 2013/08/0074, und das Urteil des EuGH vom 11. April 2013, C-443/11 (Jeltes), nicht einschlägig.
Das Verwaltungsgericht sprach ferner aus, dass die Revision gemäß § 25a Abs. 1 VwGG nicht zulässig sei.
2.3. Dagegen wendet sich die Revision, in der - unter dem Gesichtspunkt eines Abweichens von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofs - geltend gemacht wird, das Verwaltungsgericht habe die Bestimmung des Art. 65 Abs. 2 Satz 3 VO 883/2004 - auch im Hinblick auf die hg. Entscheidung 2013/08/0074 und das Urteil des EuGH C-443/11 (Jeltes) - unrichtig ausgelegt. Es komme nämlich nicht darauf an, ob der Mitbeteiligte echter oder unechter Grenzgänger sei, für die Leistungsgewährung sei vielmehr stets der Wohnmitgliedstaat zuständig. Der Tatbestand des Art. 65 Abs. 2 Satz 3 VO 883/2004 sei nicht erfüllt, weil dieser voraussetze, dass der Mitbeteiligte zum Zweck der Beschäftigung in Österreich seinen Wohnort in Rumänien aufgegeben habe, was nicht der Fall sei.
3.1. Die gegenständliche Revisionssache ist - was den Sachverhalt (im dortigen Fall ging es um einen Nicht-Grenzgänger mit Wohnsitz in Ungarn) als auch das Vorbringen und die ergangenen Entscheidungen betrifft - ähnlich gelagert wie der vom Verwaltungsgerichtshof bereits mit Erkenntnis vom 2. Juni 2016, Ra 2016/08/0047, entschiedene Fall. In jener Rechtssache setzte sich der Verwaltungsgerichtshof eingehend mit allen wesentlichen Rechtsfragen auseinander und bestätigte - ausgehend von der dargestellten Rechtslage sowie der bisherigen Rechtsprechung (wobei unter anderem die hg. Entscheidung 2013/08/0074 und das Urteil des EuGH C-443/11 (Jeltes) Berücksichtigung fanden) - die auch vorliegend vom Verwaltungsgericht vertretene Rechtsansicht. Demnach unterliegt ein vollarbeitsloser Nicht-Grenzgänger, dessen Wohnort sich durchgehend nicht im (letzten) Beschäftigungsmitgliedstaat befindet und der vorerst auch nicht in den Wohnmitgliedstaat zurückkehrt, ausschließlich der Arbeitsverwaltung des Beschäftigungsmitgliedstaats und ist dieser folglich für die Erbringung der Leistungen bei Arbeitslosigkeit zuständig. Anders verhält es sich beim weiterhin im Wohnmitgliedstaat wohnenden vollarbeitslosen (echten) Grenzgänger sowie beim in den Wohnmitgliedstaat zurückkehrenden vollarbeitslosen Nicht-Grenzgänger, der sich zwar zusätzlich zur Arbeitsverwaltung des Wohnmitgliedstaats auch jener des (letzten) Beschäftigungsmitgliedstaats zur Verfügung stellen kann, bei dem aber für die Leistungserbringung ausschließlich - beim später in den Wohnmitgliedstaat zurückkehrenden Nicht-Grenzgänger nach Maßgabe der näheren Regelungen des Art. 64 VO 883/2004 - der Wohnmitgliedstaat zuständig ist. Auf die Ausführungen im hg. Erkenntnis Ra 2016/08/0047 kann im Einzelnen verwiesen werden (§ 43 Abs. 2 VwGG).
4.2. Davon ausgehend sind aber die in der Revision aufgeworfenen Rechtsfragen bereits geklärt (siehe zur Maßgeblichkeit des Zeitpunkts der Entscheidung des Verwaltungsgerichtshofs für das Vorliegen einer Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung VwGH 26.6.2014, Ra 2014/03/0005) und vom Verwaltungsgericht zutreffend gelöst worden.
5. Die Revision war deshalb gemäß § 34 Abs. 1 VwGG zurückzuweisen.
Wien, am 27. November 2017
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