Normen
MRK Art8;
NAG 2005 §41a Abs9;
NAG 2005 §44b Abs1;
VwGG §42 Abs2 Z1;
MRK Art8;
NAG 2005 §41a Abs9;
NAG 2005 §44b Abs1;
VwGG §42 Abs2 Z1;
Spruch:
Das angefochtene Erkenntnis wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.
Der Bund hat dem Revisionswerber Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.106,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
1 Der Revisionswerber, ein nigerianischer Staatsangehöriger, reiste am 10. Oktober 2003 illegal ein und stellte am 13. Oktober 2003 einen Antrag auf internationalen Schutz. Dieser wurde letztlich mit Erkenntnis des Asylgerichtshofes vom 14. September 2010 - verbunden mit einer Ausweisung des Revisionswerbers - rechtskräftig abgewiesen.
2 Ein mit Bescheid der Bundespolizeidirektion Wien vom 3. Mai 2006 über den Revisionswerber verhängtes zehnjähriges Aufenthaltsverbot wurde mit Bescheid vom 26. Februar 2013 aufgehoben.
3 Mit Bescheid des Landeshauptmannes von Wien vom 26. Jänner 2015 wurde der Antrag des Revisionswerbers vom 23. Dezember 2010 auf Erteilung eines Aufenthaltstitels "Rot-Weiß-Rot - Karte plus" abgewiesen. Als Rechtsgrundlage wurde "§ 41a Abs. 9 iVm § 44 b Abs. 1 Z 1 Niederlassungs- und Aufenthaltsgesetz (NAG)" in der Fassung vor BGBl. I Nr. 87/2012 genannt.
4 Mit dem nunmehr angefochtenen Erkenntnis wies das Verwaltungsgericht Wien die gegen den genannten Bescheid erhobene Beschwerde ab und bestätigte den Bescheid mit der Maßgabe, dass der Antrag vom 23. Dezember 2010 gemäß § 44b Abs. 1 Z 3 (gemeint: Z 1) NAG zurückgewiesen werde. Weiters sprach es aus, dass eine ordentliche Revision gegen dieses Erkenntnis unzulässig sei.
5 Begründend führte das Verwaltungsgericht im Wesentlichen aus, in Ansehung der Begründung und der im Spruch des Bescheides zitierten Norm des § 44b Abs. 1 NAG, die explizit die Zurückweisung von Anträgen regle, sei davon auszugehen, dass sich die Behörde beim Abfassen des Spruches bloß in der Wortwahl vergriffen habe und es sich gegenständlich um eine (formalrechtliche) Zurückweisung des Antrages und nicht um eine Abweisung in der Sache handle. Das Verwaltungsgericht habe somit bloß die Richtigkeit der fälschlich als "Abweisung" bezeichneten behördlichen Zurückweisungsentscheidung zu prüfen. Gegenständlich sei zu beurteilen gewesen, ob gemäß § 44b Abs. 2 (gemeint wohl: Abs. 1) NAG seit Rechtskraft der Ausweisung des Revisionswerbers am 21. Dezember 2010 im Hinblick auf das Privat- und Familienleben des Revisionswerbers ein maßgeblich geänderter Sachverhalt hervorgekommen sei. Der Revisionswerber habe seine nachhaltige Integration in Österreich in sozialer Hinsicht seit Rechtskraft der Ausweisung nicht substantiieren können. Eine zweimonatige ehrenamtliche Tätigkeit sowie das freiwillige Aushelfen bei der Caritas begründeten per se keinen Integrationswillen. Die Tatsache, dass der Revisionswerber nunmehr über Deutschkenntnisse verfüge und ein arbeitsrechtlicher Vorvertrag vorgelegt worden sei, sei kein Gewinn für den Revisionswerber. Auch eine etwaige Beziehung des Revisionswerbers zu einer österreichischen Staatsangehörigen wäre bei der Prüfung, ob sich der Sachverhalt maßgeblich geändert habe, irrelevant, weil diese Beziehung seit mindestens 2007 bestehe und somit auch einen Zeitraum vor Rechtskraft der Ausweisung erfassen würde. Damit habe sich der Sachverhalt seit der Rechtskraft der Ausweisung nicht geändert.
6 Gegen dieses Erkenntnis richtet sich die vorliegende außerordentliche Revision; eine Revisionsbeantwortung wurde nicht erstattet.
7 Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:
8 Die Revision ist zulässig und berechtigt, weil das Verwaltungsgericht - wie die Revision zutreffend aufzeigt - von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abgewichen ist.
9 Der Verwaltungsgerichtshof brachte bereits wiederholt zum Ausdruck, dass für die Frage des Vorliegens eines maßgeblich geänderten Sachverhaltes im Sinn des § 44b Abs. 1 letzter Halbsatz NAG eine zwischen der rechtskräftigen Ausweisung und der Erlassung der Zurückweisung verstrichene Zeitspanne von mehreren Jahren - in Verbindung mit jeweils unterschiedlichen Aspekten einer vertieften Integration - entsprechend zu berücksichtigen sei (vgl. etwa die hg. Erkenntnisse vom 20. Juli 2016, Ra 2015/22/0055, und zuletzt vom 17. Oktober 2016, Ra 2016/22/0029, jeweils betreffend einen Zeitablauf von sechs Jahren seit der Ausweisung und eine Gesamtaufenthaltsdauer von mehr als zehn Jahren, sowie vom 19. April 2016, Ra 2015/22/0072, betreffend einen Zeitablauf von vier Jahren seit der Ausweisung und eine Gesamtaufenthaltsdauer von etwa zehneinhalb Jahren).
10 Im vorliegenden Fall sind seit der Rechtskraft der Ausweisung bis zu der (vom Verwaltungsgericht der Sache nach als Zurückweisung gedeuteten) Entscheidung der Behörde mehr als vier Jahre vergangen. Der Revisionswerber verwies unter anderem auf die Absolvierung der Sprachprüfung auf dem Niveau B1, einen arbeitsrechtlichen Vorvertrag, seine ehrenamtliche Tätigkeit bei einer Hilfseinrichtung sowie eine (weiterhin bestehende) Beziehung zu einer österreichischen Staatsangehörigen und einen großen Freundeskreis in Österreich. Damit zeigte er auf, dass er Schritte setzte, um seine Integration zu verbessern. Das Vorliegen dieser Umstände wurde vom Verwaltungsgericht großteils nicht in Zweifel gezogen. Dass der Verwaltungsgerichtshof - wie vom Verwaltungsgericht ins Treffen geführt - in verschiedenen Konstellationen einzelne der hier maßgeblichen Aspekte für sich genommen als nicht hinreichend erachtete, um eine maßgebliche Sachverhaltsänderung zu bewirken, führt nicht dazu, dass bei einer Gesamtbetrachtung der dargestellten Umstände insbesondere in Verbindung mit der im Vergleich zur Ausweisung deutlich längeren Aufenthaltsdauer eine abweichende Beurteilung gemäß Art. 8 EMRK jedenfalls ausgeschlossen werden kann.
11 Vor diesem Hintergrund kann im Rahmen einer Gesamtbetrachtung (auch unter Einbeziehung seines Inlandsaufenthaltes seit 2003 und der inzwischen erfolgten Aufhebung des Aufenthaltsverbotes) eine zu Gunsten des Revisionswerbers vorzunehmende Interessenabwägung gemäß Art. 8 EMRK jedenfalls nicht von vornherein als ausgeschlossen gelten, weshalb sich die Zurückweisung des Antrags nach § 44b Abs. 1 Z 1 NAG als unzulässig erweist.
12 Das angefochtene Erkenntnis war daher gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufzuheben.
13 Von der beantragten mündlichen Verhandlung konnte gemäß § 39 Abs. 2 Z 4 VwGG abgesehen werden.
14 Die Entscheidung über den Aufwandersatz stützt sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2014, BGBl. II Nr. 518/2013. Wien, am 7. Dezember 2016
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