VwGH Ra 2016/04/0052

VwGHRa 2016/04/005212.9.2016

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Blaschek und die Hofräte Dr. Kleiser und Dr. Mayr, die Hofrätin Mag. Hainz-Sator sowie den Hofrat Dr. Pürgy als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Schweda, über die Revision der Bietergemeinschaft bestehend aus 1. B Gesellschaft m.b.H. in B und 2. A GmbH in N, vertreten durch die Hochleitner Rechtsanwälte GmbH in 4320 Perg, Linzer Straße 14, gegen den Beschluss des Landesverwaltungsgerichts Niederösterreich vom 2. Februar 2016, Zl. LVwG-AV-745/003-2015, betreffend vergaberechtliche Nachprüfung (mitbeteiligte Partei: Marktgemeinde W, vertreten durch die Estermann Pock Rechtsanwälte GmbH in 1010 Wien, Heinrichsgasse 4/1), zu Recht erkannt:

Normen

AVG §13 Abs1;
AVG §59 Abs1;
VwGG §42 Abs2 Z1;

European Case Law Identifier: ECLI:AT:VWGH:2016:RA2016040052.L00

 

Spruch:

Der angefochtene Beschluss wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Das Land Niederösterreich hat der Revisionswerberin Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.346,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Vorgeschichte

1 Die Vorgeschichte des angefochtenen Beschlusses wurde in der verfahrensleitenden Anordnung vom 2. November 2015, Fr 2015/04/0001-4, wie folgt zusammengefasst:

"Zur Vorgeschichte wird auf das hg. Erkenntnis vom 21. März 2011, 2008/04/0083, sowie die hg. Beschlüsse vom 22. Juli 2014, Ro 2014/04/0055-5, sowie vom 17. September 2014, Ro 2014/04/0055-8, verwiesen.

Mit Bescheid des unabhängigen Verwaltungssenates im Land Niederösterreich (UVS) vom 29. April 2008 wurde der Antrag der (nunmehr antragstellenden) Bietergemeinschaft auf Nichtigerklärung der Ausscheidensentscheidung der mitbeteiligten Auftraggeberin vom 8. Februar 2008 abgewiesen. Mit dem zitierten hg. Erkenntnis wurde dieser Bescheid wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

In der Folge stellte die Bietergemeinschaft mit Schriftsatz vom 21. April 2011 beim UVS für den Fall, dass der Zuschlag bereits erteilt wurde, die Anträge festzustellen, ob

‚a) die Ausscheidensentscheidung vom 08.02.2008, mit der die Antragstellerin von dem Vergabeverfahren ausgeschieden wurde, und bzw. in eventu

  1. b) die Zuschlagsentscheidung vom 08.02.2008, und bzw. in eventu
  2. c) die Festlegung des Auftraggebers, das Angebot der Antragsteller nicht zu bewerten und nicht der Zuschlagsentscheidung zugrundezulegen, und bzw. in eventu

    d) die Festlegung des Auftraggebers, das Angebot der präsumtiven Bestbieterin nicht auszuscheiden, und bzw. in eventu,

    e) die Festlegung des Auftraggebers, das Vergabeverfahren trotz Vorliegen von Ausscheidensgründen hinsichtlich aller Bieter nicht zu widerrufen

    rechtswidrig war.'

    Mit Bescheid des UVS vom 19. Dezember 2013 wurde dem ‚Feststellungsantrag, die Ausscheidungsentscheidung der öffentlichen Auftraggeberin vom 08.02.2008, mit welchem die antragstellende Partei aus dem Vergabeverfahren ausgeschieden wurde, rechtswidrig zu erklären' gemäß § 6 und § 16 NÖ Vergabe-Nachprüfungsgesetz stattgegeben.

    Mit dem zitierten hg. Beschluss vom 22. Juli 2014 wurde die Revision der mitbeteiligten Auftraggeberin gegen diesen Bescheid vom Verwaltungsgerichtshof zurückgewiesen. Mit dem zitierten hg. Beschluss vom 17. September 2014 wurde dem Antrag der mitbeteiligten Auftraggeberin auf Wiederaufnahme dieses Verfahrens nicht stattgegeben.

    In der Folge beantragte die Bietergemeinschaft am 6. Oktober 2014 beim Landesverwaltungsgericht Niederösterreich (Verwaltungsgericht), im Sinne der lit. b ihres seinerzeitigen Fortsetzungsantrages festzustellen, dass die Erteilung des Zuschlages an die näher bezeichnete Zuschlagsempfängerin rechtswidrig erfolgt sei. Diesen Antrag begründete sie im Wesentlichen damit, mit dem angeführten Bescheid des UVS vom 19. Dezember 2013 sei lediglich der Antragspunkt lit. a ihres Fortsetzungsantrages vom 21. April 2011 erledigt worden, jedoch über die weiteren Antragspunkte lit. b bis e bislang nicht abgesprochen worden.

    Mit Beschluss des Verwaltungsgerichtes vom l. Juni 2015 wurde dieser Antrag als unzulässig zurückgewiesen (Spruchpunkt l.) sowie ausgesprochen, dass eine ordentliche Revision an den Verwaltungsgerichtshof gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig sei (Spruchpunkt 2.). Begründend führte das Verwaltungsgericht unter anderem aus, im fortgesetzten Verfahren nach dem zitierten hg. Erkenntnis vom 21. März 2011 sei vom UVS in Bindung an die Rechtsanschauung des Verwaltungsgerichtshofes bloß festzustellen gewesen, ob die angefochtene Entscheidung der mitbeteiligten Auftraggeberin rechtswidrig gewesen sei. Dies sei jedenfalls durch den Bescheid des UVS vom 29. Dezember 2013 erfolgt. Mit dieser Entscheidung sei jedenfalls im Sinne einer zwingenden Voraussetzung für geltend zu machende Schadenersatzansprüche die Rechtswidrigkeit des Ausscheidens des Angebotes der Bietergemeinschaft festgestellt worden. Insofern die Bietergemeinschaft davon ausgehe, dass mit dem genannten Bescheid vom 19. Dezember 2013 über ihren Fortsetzungsantrag nicht zur Gänze abgesprochen worden sei, wäre ihr die Möglichkeit der Bekämpfung dieser Entscheidung bei den Gerichtshöfen des öffentlichen Rechtes offen gestanden, was die Revisionswerberin jedoch nicht getan habe.

    Mit hg. Beschluss vom 14. Oktober 2015, Ra 2015/04/0074, wurde die Revision gegen diesen Beschluss auf Grund der mangelnden Darlegung einer grundsätzlichen Rechtsfrage zurückgewiesen."

    2 In der verfahrensleitenden Anordnung Fr 2015/04/0001-4 wurde in rechtlicher Hinsicht näher begründet, warum die genannten Anträge (lit. b bis e) noch unerledigt seien:

    "Im Bescheid des UVS vom 19. Dezember 2013 wurde spruchgemäß alleine über den ‚Feststellungsantrag, die Ausscheidungsentscheidung der öffentlichen Auftraggeberin vom 08.02.2008, mit welchem die antragstellende Partei aus dem Vergabeverfahren ausgeschieden wurde, rechtswidrig zu erklären' und somit über den mit Schriftsatz vom 21. April 2011 gestellten Antrag lit. a) abgesprochen. In der Begründung dieses Beschlusses findet sich kein Hinweis darauf, dass der UVS auch die übrigen Anträge der Bietergemeinschaft nach lit. b) bis lit. e) erledigt hätte. Anhaltspunkte dafür, dass der UVS die unklare Formulierung ‚und bzw. in eventu' in diesen Anträge aufgeklärt hätte (vgl. dazu etwa das hg. Erkenntnis vom 23. Mai 2014, 2012/02/0188, mwN), finden sich weder im Bescheid vom 19. Dezember 2013 noch in der dem Verwaltungsgerichtshof vorliegenden Aktenlage, sodass davon auszugeben ist, dass diese Anträge zusätzlich zu Antrag lit. a) gestellt wurden.

    Der Beschluss des Verwaltungsgerichtes vom l. Juni 2015 spricht seinem Spruch zufolge alleine über den Antrag der Bietergemeinschaft vom 6. Oktober 2014 ab und erledigt daher ebenso nicht die von der Bietergemeinschaft gestellten Anträge lit. b) bis e).

    Daher ist davon auszugehen, dass diese Anträge noch unerledigt sind."

    3 Aus diesen Gründen wurde dem Verwaltungsgericht der Fristsetzungsantrag der (nunmehrigen) Revisionswerberin gemäß § 38 Abs. 4 VwGG mit der Aufforderung zugestellt, innerhalb einer Frist von drei Monaten das Erkenntnis oder den Beschluss zu erlassen und eine Ausfertigung, Abschrift oder Kopie desselben dem Verwaltungsgerichtshof vorzulegen oder anzugeben, warum eine Verletzung der Entscheidungspflicht nicht vorliegt.

    4 Das Verwaltungsgericht gab in der Folge nicht an, dass eine Verletzung der Entscheidungsfrist nicht vorliege (vgl. § 38 Abs. 4 zweiter Satz VwGG), sondern erließ den nunmehr angefochtenen Beschluss.

    5 Das Fristsetzungsverfahren wurde mit hg. Beschluss vom 17. Februar 2016, Fr 2015/04/0001-7, gemäß § 38 Abs. 4 letzter Satz VwGG eingestellt.

    Angefochtener Beschluss

    6 Mit dem angefochtenen Beschluss wurden die "am 6. Oktober 2014 im Vergabeverfahren ‚Donau-Hochwasserschutz in der Marktgemeinde Weißenkirchen an der Donau, Ausschreibung-Mobilschutz' gestellten" Anträge der (nunmehrigen) Revisionswerberin (inhaltlich handelt es sich um die oben wiedergegebenen Anträge lit. b bis lit. e vom 21. April 2011) gemäß § 28 Abs. 1 und § 31 Abs. 1 VwGVG als unzulässig zurückgewiesen (1.) und die ordentliche Revision für nicht zulässig erklärt (2.).

    7 Begründend führte das Verwaltungsgericht zusammengefasst aus, nach Aufhebung des Bescheides des UVS vom 29. April 2008 durch das hg. Erkenntnis 2008/04/0083 sei das Verfahren nach Stellung des entsprechenden Antrages durch die Revisionswerberin als Feststellungsverfahren weitergeführt und in diesem Verfahren die Ausscheidungsentscheidung der Revisionswerberin durch die mitbeteiligte Auftraggeberin gemäß § 6 und § 16 NÖ Vergabe-Nachprüfungsgesetz für rechtswidrig erklärt worden (gemeint mit Bescheid des UVS vom 19. Dezember 2013). Sohin sei mit dieser Entscheidung ausgesprochen worden, dass ein Verstoß gegen die Bestimmungen des Vergaberechtes vorliege. Sache des ursprünglich geführten Nachprüfungsverfahrens sei die gesondert anfechtbare Entscheidung der Ausscheidung des Angebotes der Revisionswerberin aus dem Vergabeverfahren gewesen, aus welchem Grund keine inhaltliche Überprüfung ihres Angebotes durch die mitbeteiligte Auftraggeberin mehr erfolgt sei.

    Die Feststellungsentscheidung des UVS sei nur von der mitbeteiligten Auftraggeberin vor den Gerichtshöfen des öffentlichen Rechtes angefochten worden, wobei diesen Anfechtungen allerdings der Erfolg versagt geblieben sei. Seitens der Revisionswerberin sei die Feststellungsentscheidung unbekämpft geblieben.

    Diese Feststellungsentscheidung (Bescheid des UVS vom 19. Dezember 2013) stelle deshalb eine abschließende dar, "dies selbst unter Beachtung der Entscheidung des Verwaltungsgerichtshofes vom 23.05.2014, Zl. 2012/02/0188, also dass der ‚und bzw. in eventu' gestellten Parteienanträge ausgehend von ihrem objektiven Erklärungswert zusätzlich gestellt wurden und sohin durch den Abspruch über den Primärantrag a) nicht mit erledigt wurden".

    Deshalb seien die im Feststellungsantrag unter lit. b bis e angeführten Anträge als unzulässig zurückzuweisen gewesen.

    8 Gegen diesen Beschluss richtet sich die vorliegende außerordentliche Revision, die vom Verwaltungsgericht gemäß § 30a Abs. 7 VwGG unter Anschluss der Akten des Verfahrens vorgelegt wurde. Die mitbeteiligte Auftraggeberin erstattete eine Revisionsbeantwortung.

 

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

Zulässigkeit

9 Die Revision bringt zur Zulässigkeit unter anderem vor, der angefochtene Beschluss weiche von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes im hg. Erkenntnis vom 26. September 2013, 2011/11/0050, ab, wonach die Nichterledigung eines Antrages den Bescheid nicht mit Rechtswidrigkeit belaste, wenn der unerledigte Antrag vom erledigten Verfahrensgegenstand in rechtlicher Hinsicht trennbar sei.

10 Die Revision ist zulässig. Sie ist auch berechtigt.

Keine Erledigung der Anträge (lit. b bis e) mit Bescheid des UVS

11 Entgegen der Auffassung des Verwaltungsgerichtes sind die Anträge der Revisionswerberin (lit. b bis e) vom 21. April 2011 nicht durch den Bescheid des UVS vom 19. Dezember 2013 erledigt worden.

12 Wie bereits in der verfahrensleitenden Anordnung Fr 2015/04/0001-4 ausgeführt, wurde in diesem Bescheid spruchgemäß alleine über den mit Schriftsatz vom 21. April 2011 gestellten Antrag lit. a) abgesprochen. In der Begründung dieses Beschlusses findet sich kein Hinweis darauf, dass der UVS auch die übrigen Anträge der Bietergemeinschaft nach lit. b) bis lit. e) erledigt hätte. Anhaltspunkte dafür, dass der UVS die unklare Formulierung "und bzw. in eventu" in diesen Anträge aufgeklärt hätte (vgl. dazu etwa das hg. Erkenntnis vom 23. Mai 2014, 2012/02/0188, mwN), finden sich weder im Bescheid vom 19. Dezember 2013 noch in der dem Verwaltungsgerichtshof vorliegenden Aktenlage, sodass davon auszugeben ist, dass diese Anträge zusätzlich zu Antrag lit. a) gestellt wurden.

13 Die Behauptung im angefochtenen Beschluss, der Bescheid vom 19. Dezember 2013 stelle selbst unter Beachtung des hg. Erkenntnisses 2012/02/0188 eine abschließende Entscheidung dar, führt zu keinem gegenteiligen Ergebnis.

14 Vielmehr ist darauf hinzuweisen, dass für den Fall, dass die im angefochtenen Beschluss vom Verwaltungsgericht vertretene Auffassung zutreffend wäre, bereits die Einleitung eines Fristsetzungsverfahrens durch den Verwaltungsgerichtshof mit der verfahrensleitenden Anordnung Fr 2015/04/0001-4 nicht erforderlich gewesen wäre.

15 Dem Hinweis des Verwaltungsgerichtes, die Revisionswerberin habe den Bescheid des UVS vom 19. Dezember 2013 unbekämpft gelassen, ist die von der Revisionswerberin angeführte Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes im Erkenntnis 2011/11/0050, mwN, entgegenzuhalten, wonach die Nichterledigung eines Antrages den Bescheid nicht mit Rechtswidrigkeit belastet, wenn der unerledigte Antrag vom erledigten Verfahrensgegenstand in rechtlicher Hinsicht trennbar ist.

16 Somit erweist sich die Zurückweisung dieser Anträge mit der dargestellten Begründung mit Rechtswidrigkeit des Inhaltes belastet.

Ergebnis

17 Der angefochtene Beschluss war daher gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG aufzuheben.

Aufwandersatz

18 Die Entscheidung über den Aufwandersatz beruht auf den §§ 47 ff VwGG iVm der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2014.

Wien, am 12. September 2016

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