VwGH 2013/10/0118

VwGH2013/10/011830.9.2015

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Stöberl und die Hofräte Dr. Rigler, Dr. Lukasser, Dr. Hofbauer und Dr. Fasching als Richter, im Beisein des Schriftführers Mag. Uhlir, über die Beschwerde der Stadtapotheke F. in Innsbruck, vertreten durch Mag. Martin Steinlechner, Rechtsanwalt in 6020 Innsbruck, Bürgerstraße 17, gegen den Bescheid des Bundesministers für Gesundheit vom 22. März 2013, Zl. BMG-262371/0009-II/A/4/2012, betreffend Apothekenkonzession (mitbeteiligte Partei: E W in Innsbruck, vertreten durch Dr. Paul Delazer, Rechtsanwalt in 6020 Innsbruck, Maximilianstraße 2) zu Recht erkannt:

Normen

ApG 1907 §10 Abs2 Z3;
ApG 1907 §10 Abs5;
ApG 1907 §10;
VwGG §42 Abs2 Z1;
ApG 1907 §10 Abs2 Z3;
ApG 1907 §10 Abs5;
ApG 1907 §10;
VwGG §42 Abs2 Z1;

 

Spruch:

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Der Bund hat der Beschwerdeführerin Aufwendungen in der Höhe von insgesamt EUR 1.346,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Mit dem im Instanzenzug ergangenen Bescheid der belangten Behörde vom 8. November 1999 wurde der mitbeteiligten Partei die Konzession zur Errichtung und zum Betrieb einer neuen öffentlichen Apotheke in Innsbruck mit der Betriebsstätte Kaiserjägerstraße 1 erteilt.

Dieser Bescheid wurde mit hg. Erkenntnis vom 27. März 2000, Zl. 99/10/0254, aufgehoben.

Begründend führte der Verwaltungsgerichtshof zusammengefasst aus, es seien keine dem § 10 ApG entsprechenden Ermittlungen durchgeführt worden. Es seien weder das 4-km-Polygon und die darin wohnhaften Einwohner und deren Zuordnung, noch die Frage geprüft worden, welche "Einflutungserreger" im Sinne des § 10 Abs. 5 ApG vorhanden seien und für welche (bestehenden) Apotheke(n) diese Einflutungserreger Bedarf erzeugten. Es fehle insbesondere jede nachvollziehbare Begründung dafür, warum durch die Errichtung der neuen öffentlichen Apotheke der Apotheke des damaligen Beschwerdeführers (der nunmehrigen Beschwerdeführerin) kein Kundenpotenzial verloren gehen sollte.

Im fortgesetzten Verfahren erstattete die Apothekerkammer das

5.500 Personen liege - jede Verringerung der Personenzahl in Folge der Neuerrichtung einer Apotheke zur Versagung der Neukonzession führen müsste (Hinweis auf die hg. Erkenntnisse vom 18. Februar 2010, Zl. 2008/10/0310, und vom 29. November 2011, Zl. 2005/10/0218).

Aus § 10 ApG ergebe sich jedoch, dass sich die Verringerung "in Folge" der Neuerrichtung einer beantragten Apotheke ergeben müsse.

Durch die umfangreichen Rezeptvorlagen sei jedoch im vorliegenden Fall bewiesen, dass ein derartiger Kausalzusammenhang durch die Neuerrichtung der "SOWI-Apotheke" nicht gegeben sei. Der rein rechnerische Befund im Gutachten der Apothekerkammer, der dem Verlustpolygon der "Stadtapotheke" 78 dort wohnhafte Personen zuweise, sei wohl richtig, aber rein theoretischer Natur. In der Praxis sei durch die Rezeptvorlagen nachgewiesen, dass der "Stadtapotheke" aus diesem Bereich keine einzige Person abhanden komme.

Da die "SOWI-Apotheke" nunmehr 12 Jahre lang ununterbrochen in Betrieb sei, sei die Beobachtung des tatsächlichen Verhaltens der in Betracht kommenden Kundenkreise in Form von Rezeptzählungen im gegenständlichen Fall zulässig (Hinweis auf das hg. Erkenntnis vom 28. Juni 2004, Zl. 2001/10/0256) und sei die Anerkennung der tatsächlichen Verhältnisse jedenfalls sachlich gerechtfertigt.

Die "Stadtapotheke" sei nachweislich tatsächlich nicht vom Betrieb der neuen Apotheke betroffen, weshalb sämtliche Bedarfsvoraussetzungen für die Konzessionserteilung vorlägen.

Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde.

Die belangte Behörde legte die Akten des Verwaltungsverfahrens vor und erstattete - ebenso wie die mitbeteiligte Partei - eine Gegenschrift, in der die kostenpflichtige Abweisung der Beschwerde beantragt wurde. Die Beschwerdeführerin replizierte.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

1. Vorauszuschicken ist, dass im vorliegenden Fall gemäß § 79 Abs. 11 letzter Satz VwGG die bis zum Ablauf des 31. Dezembers 2013 geltenden Bestimmungen anzuwenden sind.

2. § 10 Apothekengesetz, RGBl. Nr. 5/1907 idF BGBl. I Nr. 41/2006 (ApG), lautet (auszugsweise):

"Sachliche Voraussetzungen der Konzessionserteilung

§ 10.

(1) Die Konzession für eine neu zu errichtende öffentliche Apotheke ist zu erteilen, wenn

1. in der Gemeinde des Standortes der öffentlichen Apotheke ein Arzt seinen ständigen Berufssitz hat und

2. ein Bedarf an einer neu zu errichtenden öffentlichen Apotheke besteht.

(2) Ein Bedarf besteht nicht, wenn

(...)

3. die Zahl der von der Betriebsstätte einer der umliegenden bestehenden öffentlichen Apotheken aus weiterhin zu versorgenden Personen sich in Folge der Neuerrichtung verringert und weniger als 5 500 betragen wird.

(...)

(4) Zu versorgende Personen gemäß Abs. 2 Z 3 sind die ständigen Einwohner aus einem Umkreis von vier Straßenkilometern von der Betriebsstätte der bestehenden öffentlichen Apotheke, die auf Grund der örtlichen Verhältnisse aus dieser bestehenden öffentlichen Apotheke weiterhin zu versorgen sein werden.

(5) Beträgt die Zahl der ständigen Einwohner im Sinne des Abs. 4 weniger als 5 500, so sind die auf Grund der Beschäftigung, der Inanspruchnahme von Einrichtungen und des Verkehrs in diesem Gebiet zu versorgenden Personen bei der Bedarfsfeststellung zu berücksichtigten.

(...)

(7) Zur Frage des Bedarfes an einer neu zu errichtenden öffentlichen Apotheke ist ein Gutachten der österreichischen Apothekerkammer einzuholen. Soweit gemäß § 29 Abs. 3 und 4 Ärzte betroffen sind, ist auch ein Gutachten der Österreichischen Ärztekammer einzuholen.

(...)."

3. Dem angefochtenen Bescheid liegt die Auffassung zu Grunde, der Bedarf an der Errichtung der "SOWI-Apotheke" der mitbeteiligten Partei sei gegeben, weil durch deren Errichtung und Betrieb das (weniger als 5.500 zu versorgende Personen umfassende) Kundenpotenzial der bestehenden "Stadtapotheke" - den Ergebnissen der durchgeführten Rezeptzählung zufolge - nicht verringert werde.

Die Beschwerde bringt dagegen unter anderem vor, die Auffassung der belangten Behörde stehe im Widerspruch zur Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes, wonach jegliche durch die Neuerrichtung einer Apotheke bewirkte Verringerung des Versorgungspotenzials (ohne Rücksicht auf das Ausmaß der Verringerung) die Unzulässigkeit der Konzessionserteilung zur Folge habe.

Bereits dieses Vorbringen führt die Beschwerde im Ergebnis zum Erfolg:

4. Die bestehende "Stadtapotheke" hat den - auf das Bedarfsgutachten der Apothekerkammer gestützten - Feststellungen der belangten Behörde zufolge ein Versorgungspotenzial von weniger als 5.500 Personen.

Nach der Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes führt der Umstand, dass eine bestehende Apotheke bereits vor Errichtung der geplanten neuen Apotheke über ein Versorgungspotential von weniger als 5.500 Personen verfügt, nicht dazu, dass ein durch die Errichtung der geplanten neuen Apotheke herbeigeführtes weiteres Absinken des Versorgungspotentials unerheblich wäre. Aus § 10 Abs. 2 Z. 3 ApG ist (arg. a minori ad maius) zu folgern, dass nicht nur eine Verringerung des Versorgungspotentials einer bestehenden Apotheke von über 5.500 auf unter 5.500, sondern umso mehr eine weitere Beeinträchtigung eines bereits vor Errichtung der neuen Apotheke unter 5.500 Personen liegenden Versorgungspotentials durch die geplante neue Apotheke zur Versagung der beantragten Konzession zu führen hat (vgl. etwa die auch von der belangten Behörde zitierten hg. Erkenntnisse vom 18. Februar 2010, Zl. 2008/10/0310, und vom 29. November 2011, Zl. 2005/10/0218, jeweils mwN).

Der Verwaltungsgerichtshof hat in diesem Zusammenhang weiters ausgeführt, dass bei Bestehen einer Apotheke mit einem Versorgungspotenzial von weniger als 5.500 Personen jegliche durch die Errichtung der neuen Apotheke bewirkte Verringerung dieses Versorgungspotenzials ohne Rücksicht auf das Ausmaß der Verringerung die Unzulässigkeit der Konzessionserteilung zur Folge hat (vgl. etwa das erwähnte hg. Erkenntnis vom 18. Februar 2010, mit Hinweis auf das hg. Erkenntnis vom 29. Jänner 1996, Zl. 95/10/0099).

Ein Einfluss der geplanten Apotheke auf das Versorgungspotenzial der bestehenden Apotheke kann nur dann (von vornherein) verneint werden, wenn auszuschließen ist, dass bisher auf Grund der örtlichen Verhältnisse von der bestehenden Apotheke zu versorgende Personen zum Versorgungspotenzial der beantragten Apotheke zu zählen wären (vgl. abermals das erwähnte hg. Erkenntnis vom 18. Februar 2010, mit Hinweis auf das hg. Erkenntnis vom 19. März 2002, Zl. 2001/10/0015).

Im Bedarfsgutachten der Apothekerkammer ist jener Teil des bisher von der "Stadtapotheke" versorgten Einzugsgebiets dargestellt, der im Falle einer Konzessionserteilung von der "SOWI-Apotheke" der mitbeteiligten Partei versorgt wird ("Verlustpolygon"); demnach verliert die Stadtapotheke durch die Errichtung der "SOWI-Apotheke" ein Kundenpotenzial von 78 Personen.

Soweit die belangte Behörde - gestützt auf die erwähnte Rezeptauswertung für den Zeitraum September bis November 2012 - demgegenüber davon ausgeht, dass die Errichtung und der Betrieb der "SOWI-Apotheke" zufolge der Beobachtung des tatsächlichen Kundenverhaltens keine Verringerung des Versorgungspotenzials der "Stadtapotheke" bewirke, ist dem die ständige hg. Judikatur entgegen zu halten, wonach es bei der Bedarfsbeurteilung ausschließlich auf das nach objektiven Umständen zu erwartende Kundenverhalten ankommt (vgl. etwa die hg. Erkenntnisse vom 21. Mai 2008, Zl. 2006/10/0017, und vom 20. November 2013, Zl. 2012/10/0125, jeweils mwN).

Die Auffassung der belangten Behörde, dass eine Verringerung des Kundenpotenzials der "Stadtapotheke" ausgeschlossen werden könne, erweist sich - abgesehen davon, dass die bloß stichenprobenartig erfolgte Auswertung der von der mitbeteiligten Partei vorgelegten Rezepte die Feststellung, dass keine Person aus dem Verlustpolygon der "Stadtapotheke" ein Rezept in der "SOWI-Apotheke" eingelöst habe, nicht zu tragen vermag - im Lichte dieser Judikatur als unzutreffend.

Ausschlaggebend ist nämlich nicht, wo die in Frage kommenden Einwohner bisher ihre Rezepte eingelöst haben, weil es auf das nach objektiven Umständen zu erwartende, und nicht auf das - von subjektiven Gesichtspunkten mitbestimmte - gegenwärtige Kundenverhalten ankommt (vgl. etwa die hg. Erkenntnisse vom 19. März 2002, Zl. 2001/10/0069, und vom 28. Jänner 2008, Zl. 2006/10/0160; vgl. auch das erwähnte hg. Erkenntnis vom 20. November 2013).

Für ihren Standpunkt vermag die belangte Behörde auch aus dem von ihr zitierten hg. Erkenntnis vom 28. Juni 2004, Zl. 2001/10/0256, schon deshalb nichts zu gewinnen, weil es in dieser Entscheidung nicht um die Zurechnung von ständigen Einwohnern des Versorgungsgebietes einer Apotheke ging, die unabhängig vom tatsächlichen Kundenverhalten als Potenzial zu berücksichtigen sind (vgl. das hg. Erkenntnis vom 21. Mai 2008, Zl. 2007/10/0029); vielmehr hat der Verwaltungsgerichtshof im genannten Erkenntnis die Zulässigkeit einer von der Apothekerkammer ihrem Gutachten zu Grunde gelegten Rezeptzählung als Methode zur Ermittlung eines nach § 10 Abs. 5 ApG zu berücksichtigenden Personenkreises einer bestehenden Apotheke in einer speziellen Sachverhaltskonstellation bejaht.

5. Aus den dargestellten Erwägungen erweist sich der angefochtene Bescheid als inhaltlich rechtswidrig, weshalb er gemäß § 42 Abs. 2 Z. 1 VwGG aufzuheben war.

6. Die Entscheidung über den Aufwandersatz stützt sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2014.

Wien, am 30. September 2015

Lizenziert vom RIS (ris.bka.gv.at - CC BY 4.0 DEED)

Stichworte