VwGH 2012/02/0237

VwGH2012/02/023717.11.2014

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch die Vorsitzende Senatspräsidentin Dr. Riedinger, den Hofrat Mag. Dr. Köller und die Hofrätin Mag. Dr. Maurer-Kober als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Farcas-Hutchinson, über die Beschwerden des P in D, vertreten durch Dr. Manfred Rath, Dr. Gunther Ledolter, Mag. Martin Sudi, Ing. Mag. Georg Siarlidis und Mag. Andreas Huber, Rechtsanwälte in 8020 Graz, Friedhofgasse 20, gegen die Bescheide des Unabhängigen Verwaltungssenates für die Steiermark 1.) vom 22. August 2012, Zl. UVS 30.20 55/2011-36 (prot. zur hg. Zl. 2012/02/0237), betreffend Übertretung der StVO (weitere Partei: Steiermärkische Landesregierung), und 2.) vom 4. Oktober 2012, Zl. UVS 30.20-55/2011-39 (prot. zur hg. Zl. 2012/02/0276), betreffend Sachverständigengebühren in einem Verfahren betreffend Übertretung der StVO (weitere Partei: Steiermärkische Landesregierung), zu Recht erkannt:

Normen

StVO 1960 §4 Abs1 lita;
StVO 1960 §4 Abs5;
StVO 1960 §99 Abs2 lita;
StVO 1960 §99 Abs3 litb;
VStG §5 Abs1;
VwGG §42 Abs2 Z1;
StVO 1960 §4 Abs1 lita;
StVO 1960 §4 Abs5;
StVO 1960 §99 Abs2 lita;
StVO 1960 §99 Abs3 litb;
VStG §5 Abs1;
VwGG §42 Abs2 Z1;

 

Spruch:

Die angefochtenen Bescheide werden wegen Rechtswidrigkeit ihres Inhaltes aufgehoben.

Das Land Steiermark hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von EUR 2.652,80 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

1.1. Mit Straferkenntnis der Bezirkshauptmannschaft Deutschlandsberg vom 25. Mai 2011 wurde dem Beschwerdeführer zur Last gelegt, er sei als Lenker eines dem Kennzeichen nach bestimmten LKWs am 28. Oktober 2010 um 13:00 Uhr in Deutschlandsberg auf der B 76 auf Höhe StrKm 25.35 mit einem Verkehrsunfall mit Sachschaden in ursächlichem Zusammenhang gestanden und habe nicht ohne unnötigen Aufschub die nächste Polizeidienststelle verständigt. Dadurch habe er gegen § 4 Abs. 5 StVO verstoßen, weshalb über ihn eine Geldstrafe in Höhe von EUR 100,-- (im Falle der Uneinbringlichkeit zwei Tage Ersatzfreiheitsstrafe) gemäß § 99 Abs. 3 lit. b StVO verhängt wurde (Spruchpunkt 1.).

Ferner habe der Beschwerdeführer sein Fahrzeug nicht sofort angehalten; dadurch habe er gegen § 4 Abs. 1 lit. a StVO verstoßen, weshalb über ihn eine Geldstrafe in Höhe von EUR 210,-- (im Falle der Uneinbringlichkeit vier Tage Ersatzfreiheitsstrafe) gemäß § 99 Abs. 2 lit. a StVO verhängt wurde (Spruchpunkt 2.).

1.2. Mit dem erstangefochtenen Bescheid der belangten Behörde vom 22. August 2012 wurde die Berufung des Beschwerdeführers gemäß § 66 Abs. 4 AVG in Verbindung mit § 24 VStG zu Punkt 1. des genannten Straferkenntnisses abgewiesen. Hinsichtlich Punkt 2. wurde der Berufung Folge gegeben, dieser Spruchpunkt aufgehoben und diesbezüglich das Verfahren gemäß § 45 Abs. 1 Z. 2 VStG eingestellt. Zudem wurden dem Beschwerdeführer spruchgemäß die Kosten des beigezogenen nichtamtlichen kraftfahrtechnischen Sachverständigen für das KFZ-Wesen DI Dr. G "in noch zu bestimmender Höhe" auferlegt.

Die belangte Behörde führte in der Begründung im Wesentlichen aus, der Beschwerdeführer habe zum Tatzeitpunkt den nach dem Kennzeichen bestimmten LKW im Gemeindegebiet von Deutschlandsberg auf der B 76 auf Höhe StrKm 25.35 in Richtung Schwanberg gelenkt. Als die entgegenkommende Lenkerin K. in etwa auf gleicher Höhe mit dem Müllwagen des Beschwerdeführers gewesen sei, sei vom Müllwagen eine ca. 40 x 25 cm große Platte auf das Fahrzeug der K. gefallen und habe dieses am linken Scheinwerfer und an der linken Seite beschädigt. Der Beschwerdeführer habe das Herabfallen der Platte und den Aufprall am PKW der K. nicht bemerken können. Frau K. habe sofort ihr Fahrzeug gewendet, um dem Müllwagen nachzufahren. Sie habe ihn beim Kreisverkehr Fuchswirt in Richtung Schwanberg fahren gesehen und etwa auf Höhe "Glockenwieser" in Hohlbach auf den Müllwagen aufschließen können. In der Folge habe die Zeugin K. in einer Nachfahrt über ca. drei bis vier Kilometer unmittelbar hinter dem vom Beschwerdeführer gelenkten Müllwagen Signale mit Hupe und Lichthupe gegeben, wobei sie ihr Fahrzeug auch nach links ausgelenkt habe und den Beschwerdeführer im linken Außenspiegel des LKW habe sehen können. Bei gehöriger Aufmerksamkeit hätte der Beschwerdeführer diese Signale der Frau K. bemerken müssen. Es sei für sie jedoch nicht ersichtlich gewesen, ob dieser sie bemerkt habe oder nicht. Die Zeugin sei dem LKW bis Schwanberg, Höhe Einfahrt des Schwimmbades, nachgefahren und habe, nachdem der Beschwerdeführer nicht reagiert habe, gewendet und sei zurück zur Unfallstelle gefahren, um zu sehen, ob der Gegenstand noch da wäre. Sie habe den Gegenstand dann eingesammelt und sei zur Polizei gefahren.

Diese Feststellungen ergäben sich aus der Aktenlage und den Beweisergebnissen der öffentlichen mündlichen Verhandlungen.

Der Sachverständige habe in seinem Gutachten nachvollziehbar und glaubwürdig ausgeführt, dass die Schäden am Fahrzeug der Zeugin K. von der Platte stammten, die vom LKW gefallen sei. Es habe sich einerseits bei der Besichtigung des LKW gezeigt, dass vor allem am Unterbau viel Platz und Nischen gegeben seien, wo sich ein derartiger Gegenstand hätte befinden können. Andererseits ergebe sich aus den Ausführungen des Sachverständigen auch nachvollziehbar, dass die Fallhöhe der Platte vom LKW mit dem Aufprall am PKW korreliert habe und die Platte nicht von der Straße habe aufgewirbelt werden können. Abgesehen davon habe die Zeugin K. glaubwürdig angegeben, dass vor ihr auf der Fahrbahn nichts gelegen sei. Es sei auf Grund der Geschwindigkeit auch nachvollziehbar, dass Frau K. die Platte dann eher am Straßenrand und nicht in der Mitte vorgefunden habe, weil sich die Platte im Fahrtwind wie eine Art Tragflügel verhalte und leichte Seitwärtsbewegungen ausführen könne. In der Verhandlung habe der Sachverständige auch verständlich und nachvollziehbar erläutert, dass die seitlichen Schäden am PKW durch den Flug der Platte erklärbar wären.

Personen, deren Verhalten am Unfallort mit einem Verkehrsunfall in ursächlichem Zusammenhang stehe, hätten, wenn sie ein Fahrzeug lenkten, sofort anzuhalten. Die Anhaltepflicht beschränke sich auf den Bereich der Unfallstelle und fordere darüber hinaus nicht, dass ein Fahrzeuglenker, der erst nachträglich vom Verkehrsunfall erfahre, an den Unfallort zurückzukehren habe.

Im gegenständlichen Fall habe der Beschwerdeführer nach den Ausführungen des Sachverständigen am Unfallort nichts von dem Unfall bemerken können. Der Ort, an dem der Beschwerdeführer erst durch die Signale der Zeugin K. hätte von dem Unfall Kenntnis erlangen können, sei bereits von der Unfallstelle entfernt gelegen und von der Anhaltepflicht des § 4 Abs. 1 lit. a StVO nicht mehr erfasst gewesen, sodass der Berufung hinsichtlich Spruchpunkt 2. Folge zu geben und das Verfahren spruchgemäß einzustellen gewesen sei.

Personen, deren Verhalten am Unfallort mit einem Verkehrsunfall in ursächlichem Zusammenhang stehe, hätten aber auch die nächste Polizei- oder Gendarmeriedienststelle von dem Verkehrsunfall ohne unnötigen Aufschub zu verständigen.

Der Beschwerdeführer sei als Lenker des Müllwagens mit einem Verkehrsunfall in ursächlichem Zusammenhang gestanden, da ein von seinem Müllwagen herabfallendes Teil das Fahrzeug der Zeugin K. beschädigt habe. Der Beschwerdeführer habe nach den Ausführungen des Sachverständigen zwar am Unfallort nichts von dem Anprall bemerken können, er hätte jedoch bei gehöriger Aufmerksamkeit die eindringlichen Signale mit Hupe und Lichthupe der unmittelbar hinter ihm nachfahrenden Zeugin K. bemerken können und müssen. Aufgrund der Häufigkeit der Signalgebung mit Hupe und Lichthupe eines ihm nachfahrenden Fahrzeugs über eine Strecke von mehreren Kilometern hätte der Beschwerdeführer durchaus in Betracht ziehen müssen, dass die Signale auf einen Verkehrsunfall hinweisen könnten. Der Beschwerdeführer hätte sich vergewissern müssen, was tatsächlich passiert sei.

Damit habe der Beschwerdeführer den Tatbestand des § 4 Abs. 5 StVO verwirklicht und in jedenfalls fahrlässiger Weise zu verantworten.

Ferner führte die belangte Behörde aus, gemäß § 64 Abs. 3 VStG seien dem Bestraften im Zuge des Verwaltungsstrafverfahrens entstandene Barauslagen zum Ersatz aufzuerlegen. Dazu zählten gemäß § 76 Abs. 1 AVG auch die Gebühren der Sachverständigen. Die Höhe der zu ersetzenden Kosten werde mittels gesondertem Bescheid festgelegt werden.

1.3. Mit dem zweitangefochtenen Bescheid vom 4. Oktober 2012 wurde dem Beschwerdeführer gemäß § 52 Abs. 2 AVG in Verbindung mit § 64 Abs. 3 VStG der Ersatz der im Berufungsverfahren betreffend den Bescheid der belangten Behörde vom 22. August 2012 entstandenen Barauslagen in Form von Sachverständigengebühren des nichtamtlichen kraftfahrtechnischen Sachverständigen DI Dr. G in der Höhe von insgesamt EUR 734,-- auferlegt.

1.4. Gegen diese Bescheide der belangten Behörde richten sich die vorliegenden Beschwerden wegen Rechtswidrigkeit des Inhaltes. Die belangte Behörde hat die Akten des Verwaltungsstrafverfahrens vorgelegt und jeweils eine Gegenschrift erstattet.

2. Der Verwaltungsgerichtshof hat beschlossen, die beiden Beschwerden wegen ihres persönlichen und sachlichen Zusammenhanges zur gemeinsamen Beratung und Entscheidung zu verbinden und hierüber erwogen:

Eingangs ist anzumerken, dass auf die vorliegenden, mit Ablauf des 31. Dezember 2013 beim Verwaltungsgerichtshof anhängigen Beschwerdefälle nach § 79 Abs. 11 letzter Satz VwGG idF BGBl. I Nr. 122/2013 die bis zum Ablauf des 31. Dezember 2013 geltenden Bestimmungen des VwGG in der Fassung vor der Novelle BGBl. I Nr. 33/2013 weiter anzuwenden sind.

2.1. Zum erstangefochtenen Bescheid (hg. Zl. 2012/02/0237):

Gemäß § 4 Abs. 1 lit. a StVO 1960 haben alle Personen, deren Verhalten am Unfallort mit einem Verkehrsunfall in ursächlichem Zusammenhang steht, wenn sie ein Fahrzeug lenken, sofort anzuhalten.

Gemäß § 4 Abs. 5 StVO 1960 haben die im Abs. 1 genannten Personen, wenn bei einem Verkehrsunfall nur Sachschaden entstanden ist, die nächste Polizei- oder Gendarmeriedienststelle vom Verkehrsunfall ohne unnötigen Aufschub zu verständigen.

Voraussetzung für die Anhalte- und Meldepflicht des § 4 Abs. 1 lit. a StVO 1960 und des § 4 Abs. 5 leg. cit. ist als objektives Tatbildmerkmal der Eintritt wenigstens eines Sachschadens und in subjektiver Hinsicht das Wissen von dem Eintritt eines derartigen Schadens, wobei der Tatbestand schon dann gegeben ist, wenn dem Täter objektive Umstände zu Bewusstsein gekommen sind oder bei gehöriger Aufmerksamkeit zu Bewusstsein hätten kommen müssen, aus denen er die Möglichkeit eines Verkehrsunfalles mit einer Sachbeschädigung zu erkennen vermochte. Der Lenker eines Fahrzeuges hat bei und nach riskanten Fahrmanövern, bei welchen die dringende Gefahr besteht, dass es zu einer Kollision mit einem anderen Straßenverkehrsteilnehmer kommen kann, den Geschehnissen um sein Fahrzeug die volle Aufmerksamkeit zuzuwenden und sich zu vergewissern, ob sein Fahrverhalten für einen Verkehrsunfall ursächlich gewesen ist. Unterlässt er dies, so ist sein Nichtwissen von einem von ihm derart verursachten Unfall verschuldet (vgl. das hg. Erkenntnis vom 23. Mai 2002, Zl. 2001/03/0417, mwH).

Im Rahmen der dem Verwaltungsgerichtshof obliegenden Prüfung der Beweiswürdigung (vgl. das Erkenntnis eines verstärkten Senates vom 3. Oktober 1985, Zl. 85/02/0053) begegnet es keinem Einwand, wenn die belangte Behörde gestützt auf das schlüssige Gutachten des besagten Sachverständigen und die glaubwürdigen Aussagen der genannten Zeugin K. feststellte, dass die Schäden am Fahrzeug der Zeugin K. von der Platte stammten und diese vom LKW gefallen sei, sowie dass der Beschwerdeführer nach den Ausführungen des Sachverständigen am Unfallort nichts von dem Unfall habe bemerken können. Da der Beschwerdeführer somit den Unfallort verließ, ohne dass ihm objektive Umstände zu Bewusstsein gekommen waren oder bei gehöriger Aufmerksamkeit zu Bewusstsein hätten kommen müssen, aus denen er die Möglichkeit eines Verkehrsunfalles mit einer Sachbeschädigung zu erkennen vermocht hätte, hat die belangte Behörde das Strafverfahren hinsichtlich des Tatvorwurfs der Verletzung der Anhaltepflicht zu Recht eingestellt.

In der Folge war es dem Beschwerdeführer aber auch nicht zuzumuten, ausschließlich aus der (allenfalls bemerkbaren) Tatsache, dass ein hinter ihm herfahrender Verkehrsteilnehmer öfters die Hupe bzw. Lichthupe betätigt, zu schließen, dass er möglicherweise ursächlich an einem Verkehrsunfall beteiligt war. Denn im Gegensatz zu dem im zitierten hg. Erkenntnis vom 23. Mai 2002 vorliegenden Sachverhalt hatte der Beschwerdeführer hier eben kein riskantes Fahrmanöver getätigt.

Es kann daher dahingestellt bleiben, ob der Beschwerdeführer die im Zuge der Nachfahrt getätigten Lichthup- und Hupsignale bemerkte oder bemerken musste, weil er mangels Durchführung eines riskanten Fahrmanövers oder Vorliegen einer anderen erhöhten Gefährdungssituation nicht davon ausgehen musste, dass sein Fahrverhalten für einen Verkehrsunfall ursächlich war.

Der erstangefochtene Bescheid war daher gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufzuheben.

2.2. Zum zweitangefochtenen Bescheid (hg. Zl. 2012/02/0276):

Mit der Aufhebung des erstangefochtenen Bescheides entfällt auch die Rechtsgrundlage für die Auferlegung der Sachverständigengebühren durch den zweitangefochtenen Bescheid. Auch dieser war daher gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufzuheben.

2.3. Die Entscheidung über den Aufwandersatz beruht nach § 3 Z 1 der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2014 idF BGBl. II Nr. 8/2014 auf den §§ 47 ff VwGG iVm der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2008, BGBl. II Nr. 455/2008.

Wien, am 17. November 2014

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