VwGH 2008/21/0617

VwGH2008/21/061725.3.2010

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Novak und die Hofräte Dr. Pelant, Dr. Sulzbacher, Dr. Pfiel und Mag. Eder als Richter, im Beisein des Schriftführers MMag. Stelzl, über die Beschwerde der Bundesministerin für Inneres gegen den Bescheid des Unabhängigen Verwaltungssenates Burgenland vom 3. Oktober 2008, Zlen. E 166/14/2008.015/011, E 166/14/2008.016/009 und E 166/14/2008.017/009, betreffend Schubhaft (mitbeteiligte Parteien: 1. K S, 2. S S, und 3. R S, alle vertreten durch Dr. Lennart Binder, Rechtsanwalt in 1030 Wien, Rochusgasse 2), zu Recht erkannt:

Normen

AsylG 2005 §36 Abs4;
FrPolG 2005 §76 Abs1;
FrPolG 2005 §76 Abs2 Z1;
FrPolG 2005 §76 Abs2 Z2;
FrPolG 2005 §76 Abs2 Z3;
FrPolG 2005 §76 Abs2 Z4;
FrPolG 2005 §76 Abs2;
VwGG §42 Abs2 Z1;
VwRallg;
AsylG 2005 §36 Abs4;
FrPolG 2005 §76 Abs1;
FrPolG 2005 §76 Abs2 Z1;
FrPolG 2005 §76 Abs2 Z2;
FrPolG 2005 §76 Abs2 Z3;
FrPolG 2005 §76 Abs2 Z4;
FrPolG 2005 §76 Abs2;
VwGG §42 Abs2 Z1;
VwRallg;

 

Spruch:

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Begründung

Die drei Mitbeteiligten, indische Staatsangehörige, wurden am 24. August 2008 um etwa 4.30 Uhr in der Gemeinde Rudersdorf von Sicherheitsorganen unmittelbar nach ihrem (mit Hilfe eines Schleppers in einem Kastenwagen von Ungarn kommend durchgeführten) illegalen Grenzübertritt festgenommen. Bei der anschließenden, unter Beiziehung eines Dolmetschers durchgeführten Befragung stellten die Mitbeteiligten, die nicht im Besitz von (Identitäts‑)Dokumenten waren, jeweils Anträge auf Gewährung von internationalem Schutz. Bei der danach durchgeführten "Erstbefragung nach dem AsylG 2005" wurde von allen drei Mitbeteiligten die Frage, ob sie (bereits) in einem anderen Land Asyl beantragt hätten, verneint. Auch die Frage, ob sie in einem anderen Land von den dortigen Behörden "angehalten und untergebracht" worden seien, beantworteten sie mit "Nein". Ein in der Folge vorgenommener Abgleich der Fingerabdrücke ergab jedoch bei allen Mitbeteiligten einen sogenannten "Eurodac-Treffer" für Rumänien.

Bei der am 25. August 2008 durchgeführten Befragung durch ein Organ der Bezirkshauptmannschaft Jennersdorf (BH) gaben der Erst- und der Drittmitbeteiligte dann nach entsprechendem Vorhalt im Wesentlichen übereinstimmend an, in Rumänien einen Asylantrag gestellt zu haben und in einem näher bezeichneten Lager untergebracht gewesen zu sein. Das Lager hätten sie auf Anweisung des Schleppers verlassen; Zielland sei Italien gewesen. Der Zweitmitbeteiligte bestritt auch bei dieser Vernehmung - entgegen seinem späteren Zugeständnis in der mündlichen Verhandlung vor der belangten Behörde - in Rumänien einen Asylantrag gestellt zu haben, räumte aber ein, in demselben Lager wie die anderen Mitbeteiligten gewesen zu sein. Als sein ursprüngliches Zielland gab auch er Italien an, wo sich ein Onkel aufhalte, der die Reise des Zweitmitbeteiligten organisiert habe; nunmehr wolle er aber in Österreich bleiben.

Mit Bescheiden vom 25. August 2008 ordnete die BH gegen die Mitbeteiligten gemäß § 76 Abs. 2 Z 4 des Fremdenpolizeigesetzes 2005 - FPG die Schubhaft an, um das Verfahren zur Erlassung einer asylrechtlichen Ausweisung und um die Abschiebung zu sichern.

Mit dem angefochtenen Bescheid vom 3. Oktober 2008 gab der Unabhängige Verwaltungssenat Burgenland (die belangte Behörde) den von den Mitbeteiligten am 26. September 2008 erhobenen Schubhaftbeschwerden nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung unter Kostenzuspruch Folge. Gemäß § 83 Abs. 2 und 4 FPG iVm § 67c Abs. 3 AVG erklärte sie die Verhängung der Schubhaft gegen die Mitbeteiligten am 25. August 2008 und deren Anhaltung für rechtswidrig; weiters stellte sie fest, dass die für die Fortsetzung der Schubhaft maßgeblichen Voraussetzungen im Entscheidungszeitpunkt nicht vorlägen.

Nach Wiedergabe des im Wesentlichen gleichen Inhalts der Schubhaftbeschwerden stellte die belangte Behörde über den eingangs wiedergegebenen Sachverhalt hinaus fest, die Mitbeteiligten seien in Rumänien angehalten worden und sie hätten jeweils einen Asylantrag gestellt. Am 10. September 2008 sei den Mitbeteiligten vom Bundesasylamt mitgeteilt worden, dass die Zurückweisung ihrer Anträge auf internationalen Schutz beabsichtigt sei, seit 2. September mit Rumänien "Dublin-Konsultationen" geführt würden und am 8. September 2008 die Zustimmungserklärungen der rumänischen Behörden zur Übernahme der Mitbeteiligten eingelangt seien. Mit den am 22. bzw. 19. bzw. 24. September 2008 den Mitbeteiligten zugestellten Bescheiden habe das Bundesasylamt sodann die "Asylanträge" mangels Zuständigkeit Österreichs zurückgewiesen und die Ausweisung der Mitbeteiligten (nach Rumänien) verfügt. Dagegen hätten die Mitbeteiligten "Berufungen" erhoben, die dem Asylgerichtshof am 2. Oktober 2008 noch nicht vorgelegt worden seien.

Daran anknüpfend führte die belangte Behörde - nach Wiedergabe der für maßgeblich erachteten Bestimmungen des FPG und des AsylG 2005 - rechtlich aus, die gemäß § 29 Abs. 3 Z 4 AsylG 2005 erfolgte Mitteilung des Bundesasylamtes vom 10. September 2008 habe dazu geführt, dass das Ausweisungsverfahren gemäß § 27 Abs. 1 Z 1 AsylG 2005 als eingeleitet gelte und die Schubhaft auf § 76 Abs. 2 Z 2 FPG gegründet werden könne. Für den davor liegenden Zeitraum greife der Tatbestand des § 76 Abs. 2 Z 4 FPG. Das setze voraus, dass auf Grund des Ergebnisses der Befragung, der Durchsuchung und der erkennungsdienstlichen Behandlung anzunehmen ist, der Antrag des Fremden auf internationalen Schutz werde mangels Zuständigkeit Österreichs zur Prüfung zurückgewiesen werden, und dass die Schubhaft zur Sicherung des Ausweisungsverfahrens erforderlich ist.

Diesbezüglich legte die belangte Behörde unter Bezugnahme auf Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes (u.a.) dar, vor dem Hintergrund des verfassungsmäßigen Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes könne dem Gesetzgeber jedenfalls nicht zugesonnen werden, er sei davon ausgegangen, alle potenziellen "Dublin-Fälle" seien in Schubhaft zu nehmen. Eine Schubhaftnahme könne sich vielmehr nur dann als gerechtfertigt erweisen, wenn weitere Umstände vorlägen, die den betreffenden "Dublin-Fall" in einem besonderen Licht erscheinen und von daher "in einem erhöhten Grad" ein Untertauchen des betreffenden Fremden befürchten lassen.

Bei der gebotenen Einzelfallprüfung sei zu berücksichtigen, dass die Mitbeteiligten offenkundig wahrheitsgemäße Angaben über ihre Identitäten und Reiserouten gemacht hätten. Zwar habe das Beschwerdevorbringen, dass sie sich selbst zur Polizeiinspektion Heiligenkreuz begeben hätten, nach dem Verhandlungsergebnis (Aussage der Mitbeteiligten und Angaben eines Sicherheitsorgans) nicht festgestellt werden können. Die Mitbeteiligten seien jedoch unmittelbar nach dem Eintritt in das österreichische Bundesgebiet aufgegriffen worden und es hätten erhebliche Verständigungsschwierigkeiten bestanden. Die sich in einem schlechten Allgemeinzustand befindlichen Mitbeteiligten seien zunächst versorgt und erst später unter Beiziehung eines Dolmetschers einvernommen worden. Es sei daher für die Beurteilung eines Sicherungsbedarfs nicht ausschlaggebend, dass die Asylantragstellung der Mitbeteiligten nicht unmittelbar nach deren Aufgriff, sondern erst in der Einvernahme mit einem Dolmetsch erfolgt sei. Die Mitbeteiligten hätten in der Verhandlung vor der belangten Behörde ausgeführt, dass Österreich das ursprüngliche Zielland gewesen sei und sie daher das Asylverfahren in Österreich abwarten wollen. Diesen Feststellungen stehe kein widersprechendes Beweisergebnis entgegen. Es sei kein Verhalten der Mitbeteiligten zu erkennen, das den Schluss zuließe, es bestehe eine Gefahr des Untertauchens. Diese Gründe stünden "auch aus heutiger Sicht" der Annahme entgegen, die Mitbeteiligten würden sich dem weiteren Verfahren zur Erlassung einer Ausweisung oder der Abschiebung entziehen.

Im Übrigen legte die belangte Behörde noch dar, dass die Schubhaft nach der Zurückweisung der "Asylanträge" durch das Bundesasylamt mit den Bescheiden "vom 22.09.2008" im vorliegenden Fall nicht auf den Tatbestand der Z 1 des § 76 Abs. 2 FPG - das setzt voraus, dass gegen den Fremden eine durchsetzbare (wenn auch nicht rechtskräftige) Ausweisung nach § 10 AsylG 2005 erlassen wurde - gegründet werden könnte. Die Zurückweisungsbescheide des Bundesasylamtes seien zwar mit Ausweisungen verbunden worden und dagegen erhobenen "Berufungen" komme nach § 36 Abs. 1 AsylG 2005 keine aufschiebende Wirkung zu. Die vom Bundesasylamt erlassene Ausweisung sei allerdings trotzdem noch nicht durchsetzbar, weil gemäß § 36 Abs. 4 AsylG 2005 mit der Durchführung der Abschiebung bis zum Ablauf des siebten Tages ab "Berufungsvorlage", die hier noch nicht erfolgt sei, zuzuwarten sei.

Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Amtsbeschwerde der Bundesministerin für Inneres, über die der Verwaltungsgerichtshof nach Vorlage der Verwaltungsakten und Erstattung von Gegenschriften durch die belangte Behörde und die Mitbeteiligten erwogen hat:

Der mit "Schubhaft" überschriebene § 76 FPG (in der hier maßgeblichen Stammfassung) lautete - soweit er Asylwerber (iwS) betrifft - auszugsweise wie folgt:

"§ 76. (1) ...

(2) Die örtlich zuständige Fremdenpolizeibehörde kann über einen Asylwerber oder einen Fremden, der einen Antrag auf internationalen Schutz gestellt hat, Schubhaft zum Zwecke der Sicherung des Verfahrens zur Erlassung einer Ausweisung gemäß § 10 AsylG 2005 oder zur Sicherung der Abschiebung anordnen, wenn

1. gegen ihn eine durchsetzbare - wenn auch nicht rechtskräftige - Ausweisung (§ 10 AsylG 2005) erlassen wurde;

2. gegen ihn nach den Bestimmungen des Asylgesetzes 2005 ein Ausweisungsverfahren eingeleitet wurde;

3. gegen ihn vor Stellung des Antrages auf internationalen Schutz eine durchsetzbare Ausweisung (§§ 53 oder 54) oder ein durchsetzbares Aufenthaltsverbot (§ 60) verhängt worden ist oder

4. auf Grund des Ergebnisses der Befragung, der Durchsuchung und der erkennungsdienstlichen Behandlung anzunehmen ist, dass der Antrag des Fremden auf internationalen Schutz mangels Zuständigkeit Österreichs zur Prüfung zurückgewiesen werden wird."

Die einzelnen Tatbestände des § 76 Abs. 2 FPG sind insoweit aufeinander abgestimmt, als sie jeweils verschiedene Phasen des Asylverfahrens erfassen und diesen jeweils zugeordnet sind: Ist das Ausweisungsverfahren noch gar nicht eingeleitet, so greifen die Tatbestände der Z 4 oder der Z 3; diese werden nach Einleitung des Ausweisungsverfahrens durch jenen der Z 2 abgelöst, an dessen Stelle wiederum - wenn es nach Einleitung des Ausweisungsverfahrens auch tatsächlich zu einer durchsetzbaren Ausweisung kommt - schließlich der Tatbestand der Z 1 tritt. Insgesamt ergibt sich damit ein der Chronologie des Asylverfahrensablaufes entsprechend gestuftes Schubhaftregime (vgl. dazu ausführlich das hg. Erkenntnis vom 7. Februar 2008, Zl. 2006/21/0389, mwH).

Im vorliegenden Fall kann nicht bezweifelt werden, dass die BH im Zeitpunkt der Erlassung des die Schubhaft anordnenden Bescheides am 25. August 2008 im Hinblick auf die sogenannten "Eurodac-Treffer" (in Bezug auf den Erst- und den Drittmitbeteiligten auch wegen des Zugeständnisses der Asylantragstellung in Rumänien) vom Vorliegen des Tatbestandes der Z 4 der zitierten Bestimmung ausgehen durfte. Das wurde auch weder in der Schubhaftbeschwerde noch im angefochtenen Bescheid in Frage gestellt. Die belangte Behörde hat sodann zutreffend erkannt, dass aufgrund der gemäß § 27 Abs. 1 Z 1 AsylG 2005 als Einleitung des Ausweisungsverfahrens geltenden Mitteilung des Bundesasylamtes vom 10. September 2008 über die beabsichtigte Antragszurückweisung ab diesem Zeitpunkt von der Verwirklichung des Schubhafttatbestandes nach § 76 Abs. 2 Z 2 FPG ausgegangen werden konnte. Schließlich war aber - entgegen der im bekämpften Bescheid vertretenen Auffassung - ab der Erlassung der mit den Zurückweisungsbescheiden des Bundesasylamtes verbundenen Ausweisungen am 22. bzw. 19. bzw. 24. September 2008 auch der Tatbestand der Z 1 des § 76 Abs. 2 FPG erfüllt. Eine Ausweisung ist nämlich nach § 36 Abs. 4 erster Satz AsylG 2005 durchsetzbar, wenn einer dagegen erhobenen Beschwerde die aufschiebende Wirkung nicht zukommt. Davon war aber im Zeitpunkt der Erlassung des angefochtenen Bescheides am 3. Oktober 2008 auszugehen, weil einer Asylgerichtshofsbeschwerde gegen eine mit einer Antragszurückweisung verbundene Ausweisung gemäß § 36 Abs. 1 zweiter Satz AsylG 2005 die aufschiebende Wirkung nur zukommt, wenn sie vom Asylgerichtshof gemäß § 37 Abs. 1 AsylG 2005 zuerkannt wird, was vorliegend nicht der Fall war. Diese Beurteilung fällt - anders als die belangte Behörde offenbar meint - auch nicht deshalb anders aus, weil gemäß dem zweiten Satz des § 36 Abs. 4 AsylG 2005 mit der Durchführung der die durchsetzbare Ausweisung umsetzenden Abschiebung bis zum Ende der Rechtsmittelfrist, wird ein Rechtsmittel ergriffen, bis zum Ablauf des siebenten Tages ab Beschwerdevorlage zuzuwarten ist. Diese Pflicht zum Zuwarten mit der Umsetzung der Ausweisung ändert nach der Gesetzessystematik nämlich nichts daran, dass die Ausweisung im Sinne des ersten Satzes des § 36 Abs. 4 AsylG 2005 formell durchsetzbar ist. Nur daran knüpft aber der Schubhafttatbestand des § 76 Abs. 2 Z 1 FPG an (siehe dazu unter Bezugnahme auf die Gesetzesmaterialien das hg. Erkenntnis vom 27. Jänner 2010, Zl. 2010/21/0016).

Die Zulässigkeit von Schubhaft gegen Asylwerber setzt aber nicht nur das Vorliegen eines der im § 76 Abs. 2 FPG angeführten Tatbestände voraus, sondern verlangt nach ständiger höchstgerichtlicher Rechtsprechung auch ihre Notwendigkeit und Verhältnismäßigkeit (vgl. unter vielen zuletzt das Erkenntnis vom 22. Dezember 2009, Zl. 2009/21/0185; siehe auch das Erkenntnis vom 22. Oktober 2009, Zl. 2007/21/0068, sowie das Erkenntnis vom 28. Februar 2008, Zl. 2007/21/0391, jeweils mit weiteren Nachweisen). Zu deren Beurteilung ist eine einzelfallbezogene Abwägung zwischen dem öffentlichen Interesse an der Sicherung der Außerlandesschaffung (Aufenthaltsbeendigung) und dem privaten Interesse an der Schonung der persönlichen Freiheit des Betroffenen vorzunehmen. Bei dieser Prüfung ist unter dem Gesichtspunkt des öffentlichen Interesses vor allem der Frage nachzugehen, ob im jeweils vorliegenden Einzelfall ein Sicherungsbedürfnis gegeben ist. Das setzt die gerechtfertigte Annahme voraus, der Fremde werde sich dem Verfahren zur Erlassung einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme bzw. nach deren Vorliegen der Abschiebung (insbesondere) durch Untertauchen entziehen (vgl. insoweit das hg. Erkenntnis vom 17. März 2009, Zl. 2007/21/0542).

In diesem Zusammenhang ist noch einmal auf das gestufte Regime der einzelnen Ziffern des § 76 Abs. 2 FPG zurückzukommen. Mit dem Fortschreiten der einzelnen Phasen des Asylverfahrens verdichtet sich nämlich aus der Sicht des Asylwerbers die Wahrscheinlichkeit, dass das Verfahren über seinen Antrag auf internationalen Schutz negativ beendet, er ausgewiesen und letztlich abgeschoben werden könnte. Bei typisierender Betrachtung ist demnach davon auszugehen, dass die hier maßgebliche Gefahr eines Untertauchens des Fremden umso größer wird, je mehr sich das Asylverfahren dem Ende nähert. Mit anderen Worten: In dem frühen Verfahrensstadium vor Einleitung des Ausweisungsverfahrens, in dem die Schubhafttatbestände der Z 4 und der Z 3 in Betracht kommen, bedarf es besonderer Umstände, die ein Untertauchen des betreffenden Fremden schon zu diesem Zeitpunkt konkret befürchten lassen. In einem späteren Stadium des Asylverfahrens, insbesondere nach Vorliegen einer durchsetzbaren Ausweisung, können dann unter Umständen auch weniger ausgeprägte Hinweise auf eine Vereitelung oder Erschwerung der Aufenthaltsbeendigung für die Annahme eines Sicherungsbedarfs genügen.

Der Meinung der belangten Behörde, in keinem Verfahrensstadium sei in Bezug auf die Mitbeteiligten ein die Schubhaft rechtfertigendes Sicherungserfordernis gegeben gewesen, hält die Amtsbeschwerde entgegen, dafür hätten bereits nach dem der BH vorliegenden Sachverhalt, insbesondere aufgrund der Angaben der Mitbeteiligten, "spezifische Hinweise" bestanden. So seien die (sich widersprechenden bzw. wechselnden) Angaben hinsichtlich ihres Zielstaates und zu dort aufhältigen Bezugspersonen, zur Organisation der "Reise/Schleppung" und zu bisherigen Asylverfahren in anderen (Dublin‑)Staaten "gänzlich unhinterfragt, unbeachtet und ungewürdigt" geblieben. In diesem Zusammenhang wird (u.a.) darauf verwiesen, dass alle Mitbeteiligten bei ihrer ersten Befragung wahrheitswidrig ihre Asylantragstellung in Rumänien verschwiegen und in der Vernehmung vor der BH ausdrücklich Italien als Zielland genannt hätten. Der Zweitmitbeteiligte habe darüber hinaus angegeben, dass die Reise von seinem in Italien aufhältigen Onkel, zu dem er komme sollte, organisiert worden sei. Das - gerade für die Beurteilung eines Sicherungsbedarfes äußerst relevante - Faktum des ursprünglichen/eigentlichen Reiseziels sei von der belangten Behörde im angefochtenen Bescheid schlechthin ignoriert und in keiner Weise gewürdigt worden.

Damit ist die beschwerdeführende Bundesministerin im Recht:

Der Verwaltungsgerichtshof hat zwar in seiner Judikatur immer wieder auf die vom Verfassungsgerichtshof in seinem Erkenntnis vom 28. September 2004, B 292/04, VfSlg. 17.288, zum Ausdruck gebrachte Auffassung Bezug genommen, wonach der Umstand, dass ein Asylwerber bereits in einem anderen Land die Gewährung von Asyl beantragt habe, für sich nicht den Schluss rechtfertige, dass er unrechtmäßig in einen anderen Staat weiterziehen und sich so dem Verfahren entziehen werde. Dem hat sich der Verwaltungsgerichtshof schon wiederholt angeschlossen und diesbezüglich ergänzt, das gelte sinngemäß auch für die Annahme eines Untertauchens innerhalb Österreichs (siehe dazu beispielsweise das schon erwähnte Erkenntnis vom 28. Februar 2008, Zl. 2007/21/0391). Der Gerichtshof hat aber in diesem Zusammenhang auch schon darauf hingewiesen, dass dem Grund für eine Weiterreise nach Österreich nach Stellung eines Asylantrags in einem anderen Land und der dabei eingeschlagenen Vorgangsweise Relevanz zukommen kann (vgl. etwa das Erkenntnis vom 28. Juni 2007, Zl. 2006/21/0091).

Vor diesem Hintergrund hätte die belangte Behörde bei der Prüfung der Rechtmäßigkeit der Schubhaftverhängung darauf Bedacht nehmen müssen, dass die Mitbeteiligten gegenüber der BH als einzigen Grund für das Verlassen Rumäniens eine entsprechende Anweisung des Schleppers angeführt haben und die Reise nach Österreich offenbar nur dem Zweck dienen sollte, das eigentliche Zielland Italien zu erreichen, wo zum Teil familiäre Anknüpfungspunkte bestanden und die Mitbeteiligten ihre auch geäußerte Erwerbsabsicht verwirklichen wollten. Diese Umstände hat die belangte Behörde - wie in der Amtsbeschwerde zutreffend aufgezeigt wird - völlig ausgeblendet. Deshalb hat sie auch nicht erkannt, dass die Annahme der BH, es bedürfe - auf Basis der damals gegebenen Aktenlage - zur Verfahrenssicherung und zur Sicherung der Abschiebung in das für die Asylantragsprüfung zuständige Land der Verhängung der Schubhaft, gerechtfertigt war, weil andernfalls die von den Mitbeteiligten eigentlich beabsichtigte Weiterreise nach Italien ermöglicht worden wäre. Dazu kommt, dass die Mitbeteiligten die Frage nach einer Asylantragstellung in einem anderen Land zunächst verneinten und dies erst bei der Vernehmung am nächsten Tag auf Vorhalt des "Eurodac-Treffers" bzw. in der Verhandlung vor der belangten Behörde zugestanden haben. Die unterlassene Offenlegung der Asylantragstellung in Rumänien ließ aber erkennen, dass die Mitbeteiligten den nach der "Dublin-Verordnung" zuständigen Staat verschweigen wollten, um nicht dorthin abgeschoben zu werden. Das indizierte die Absicht der Mitbeteiligten, eine Abschiebung nach Rumänien verhindern zu wollen. Dem kommt im vorliegenden Fall - vor allem in Verbindung mit dem erklärten Ziel, nach Italien gelangen zu wollen - unter dem Gesichtspunkt des Sicherungsbedarfs verstärkende Bedeutung zu. Auch das hätte die belangte Behörde in ihre Überlegungen einbeziehen müssen.

Vor diesem Hintergrund erweist sich die Annahme der belangten Behörde, es sei im vorliegenden Fall (von Anfang an) kein Sicherungsbedarf gegeben gewesen, als nicht gerechtfertigt. Die bekämpfte Entscheidung kann daher in Bezug auf die vorgenommene Rechtswidrigerklärung der Schubhaftverhängung gegen die Mitbeteiligten und der Anhaltung keinen Bestand haben.

Aber auch hinsichtlich des Ausspruches nach § 83 Abs. 4 FPG betreffend das Nichtvorliegen der Voraussetzungen für die weitere Anhaltung erweist sich der angefochtene Bescheid als inhaltlich rechtswidrig. Zunächst kann dazu auf die obigen Ausführungen zum Vorliegen eines - schon bei der Schubhaftverhängung gegebenen - Sicherungsbedarfs verwiesen werden. Soweit die belangte Behörde in diesem Zusammenhang den Angaben der Mitbeteiligten in der Verhandlung am 3. Oktober 2008 folgte und davon ausging, Österreich sei das ursprüngliche Zielland gewesen, fehlt dafür eine nachvollziehbare Begründung. Dass dieser Feststellung "kein widersprechendes Beweisergebnis" entgegen stehe, ist vor dem Hintergrund der Angaben der Mitbeteiligten bei ihrer Vernehmung durch die BH jedenfalls aktenwidrig. Darüber hinaus hat die belangte Behörde - auch insoweit kann auf die obigen Ausführungen verwiesen werden - verkannt, dass im Zeitpunkt ihrer Entscheidung schon vom Vorliegen des Schubhafttatbestandes nach der Z 1 des § 76 Abs. 2 FPG auszugehen gewesen wäre, was ein weiter verdichtetes Sicherungserfordernis indiziert hätte.

Zusammenfassend ergibt sich somit, dass die in der Amtsbeschwerde vorgetragenen Einwände berechtigt sind und daher der angefochtene Bescheid gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufzuheben ist.

Wien, am 25. März 2010

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