AsylG 2005 §3 Abs1
AsylG 2005 §57
AsylG 2005 §8 Abs1
BFA-VG §9
B-VG Art133 Abs4
FPG §46
FPG §52 Abs2 Z2
FPG §52 Abs9
FPG §55 Abs2
European Case Law Identifier: ECLI:AT:BVWG:2021:L511.2159002.1.01
Spruch:
L511 2159002-1/25EL511 2159002-2/18E
IM NAMEN DER REPUBLIK!
Das Bundesverwaltungsgericht erkennt durch die Richterin Mag.a Sandra Tatjana JICHA als Einzelrichterin über die Beschwerden von XXXX , geb. XXXX , StA. , vertreten durch BBU GmbH, gegen die Bescheide des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl Regionaldirektion Niederösterreich Außenstelle Wiener Neustadt 1. vom 05.05.2017, Zahl: XXXX , und 2. vom 02.01.2019, Zahl XXXX nach mündlicher Verhandlung zu Recht:
A)
I. Die Beschwerde gegen den Bescheid vom 05.05.2017 wird mit der Maßgabe, dass die Frist für die freiwillige Ausreise gemäß § 55 Abs. 2 FPG vier Wochen beträgt, als unbegründet abgewiesen.
II. Die Beschwerde gegen Spruchpunkt I des Bescheides vom 02.01.2019 wird gemäß § 13 Abs. 2 Z 1 AsylG als unbegründet abgewiesen.
III. Der Beschwerde gegen die Spruchpunkte II bis VI des Bescheides vom 02.01.2019 wird stattgegeben und diese gemäß § 28 Abs. 1 und Abs. 2 VwGVG ersatzlos behoben.
B)
Die Revision ist gemäß Art 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.
Entscheidungsgründe:
I. Verfahrensgang
1.1. zum Zeitpunkt der Antragstellung minderjährige Beschwerdeführer stellte gemeinsam mit seinen Eltern (hg. GZ 2158999 und 2159007) und den damals minderjährigen Geschwistern (hg. GZ 2159004 und 2159005) am 16.10.2015 den verfahrensgegenständlichen Antrag auf internationalen Schutz (Aktenseite des Verwaltungsverfahrensaktes [im Folgenden: AS] 9). Zu diesem wurde der Vater am 16.10.2015 durch Organe des öffentlichen Sicherheitsdienstes erstbefragt (GZ 2158999 AS 7-17) und nach Zulassung des Verfahrens am 19.04.2017 beim Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl Regionaldirektion Vorarlberg [BFA] niederschriftlich einvernommen (GZ 2158999 AS 35-48).
1.2. Im durchgeführten Ermittlungsverfahren legte der Vater des Beschwerdeführers einen irakischen Staatsbürgerschaftsnachweis, Personalausweise aller Familienmitglieder, eine Heiratsurkunde, und eine polizeiliche Anzeige vom 01.06.2015 vor (GZ 2158999 AS 38).
1.3. Das BFA wies mit im Spruch bezeichneten Bescheid den Antrag Beschwerdeführers auf internationalen Schutz vom 16.10.2015 gemäß § 3 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG 2005 hinsichtlich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten (Spruchpunkt I) und gemäß § 8 Abs. 1 Z 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG 2005 bezüglich der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Irak (Spruchpunkt II) ab. Das BFA erteilte keinen Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen gemäß § 57 AsylG 2005 (Spruchpunkt III), erließ gemäß § 10 Abs. 1 Z 3 AsylG 2005 iVm § 9 BFA-VG gegen den Beschwerdeführer eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 2 Z 2 FPG (Spruchpunkt IV), stellte gemäß § 52 Abs. 9 FPG fest, dass die Abschiebung in den Herkunftsstaat Irak gemäß § 46 FPG zulässig sei (Spruchpunkt V) und sprach aus, dass gemäß § 55 Abs. 1 bis 3 FPG die Frist für die freiwillige Ausreise ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung betrage (Spruchpunkt VI) (GZ 2159002-1 AS 49-75).
1.4. Der Beschwerdeführer hat gegen den am 09.05.2017 zugestellten Bescheid mit Schreiben vom 17.05.2017 fristgerecht Beschwerde erhoben (AS 99-117).
2. Die belangte Behörde legte dem Bundesverwaltungsgericht [BVwG] am 26.05.2017 die Beschwerde samt durchnummeriertem Verwaltungsakt vor (Ordnungszahl des hg Gerichtsaktes [im Folgenden:] OZ 1 [=AS 1-117]).
3. Der Beschwerdeführer wurde für eine am 25.08.2017 versuchte absichtliche schwere Körperverletzung von einem österreichischen Landesgericht mit seit 17.04.2018 rechtskräftigem Urteil vom 11.04.2018 gemäß § 15, § 87 Abs. 1 StGB zu einer Freiheitsstrafe im Ausmaß von 15 Monaten verurteilt (OZ 15).
3.1. Mit Bescheid des BFA vom 02.01.2019 sprach das BFA aus, dass der Beschwerdeführer gemäß § 13 Abs. 2 Z 1 AsylG sein Recht zum Aufenthalt im Bundesgebiet ab dem 04.12.2017 verloren habe (Spruchpunkt I). Weiters erteilte das BFA keinen Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen gemäß § 57 AsylG (Spruchpunkt II) und erließ gemäß § 10 Abs. 2 AsylG iVm § 9 BFA-VG gegen den Beschwerdeführer eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 1 Z 1 FPG (Spruchpunkt III). Das BFA stellte gemäß § 52 Abs. 9 FPG fest, dass die Abschiebung in den Irak gemäß § 46 FPG zulässig sei (Spruchpunkt IV) und sprach aus, dass die Frist für die freiwillige Ausreise gemäß § 55 Abs. 1 bis 3 FPG zwei Wochen ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung betrage (Spruchpunkt V); abschließend erließ das BFA gegen den Beschwerdeführer gemäß § 53 Abs. 1 iVm Abs. 3 Z 1 FPG ein auf die Dauer von zehn Jahren befristetes Einreiseverbot (Spruchpunkt VI) (GZ 2159002-2 AS 75-130).
3.2. Der Beschwerdeführer hat gegen diesen Bescheid des BFA am 30.01.2019 fristgerecht Beschwerde erhoben (GZ 2159002-2 AS 151-169).
4. Das Bundesverwaltungsgericht hielt unter Beiziehung eines Dolmetschers für die Sprache Arabisch am 12.10.2020 eine mündliche Verhandlung ab, an der der Beschwerdeführer und seine Familie teilnahmen, die belangte Behörde ist nicht erschienen (OZ 17).
In der Verhandlung wurden die Gründe des Verlassens des Herkunftsstaates, sowie die Integration in Österreich mit allen Familienmitgliedern ausführlich erörtert. Zur aktuellen Situation im Herkunftsstaat wurde den Beschwerdeführer*innen die Länderinformationsquellen ausgehändigt (OZ 17/L), wozu diese Stellung nahmen (OZ 18).
4.1. Mit Schreiben vom 09.10.2020 wurden dem BVwG vom BFA die vorgelegten Unterlagen in gescannter Form übermittelt und soweit erforderlich einer Übersetzung zugeführt (OZ 16, 21).
II. zu A) Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:
1. entscheidungswesentliche Feststellungen
1.1. Zur Person des Beschwerdeführers und seinen Lebensverhältnissen im Irak
Der Beschwerdeführer führt den im Spruch angeführten Namen, ist 2000 geboren und Staatsangehöriger des Irak. Er gehört der arabischen Volksgruppe sowie der schiitischen Religionsgemeinschaft an.
Der Beschwerdeführer stammt aus Basra, wo er bis zu seiner Ausreise auch mit seiner Familie gelebt hat. Er reiste als Minderjähriger mit seinen Eltern und Geschwistern im Oktober 2015 illegal in das Bundesgebiet ein. Ein weiterer Bruder des Beschwerdeführers (hg. GZ 2195462) hält sich samt dessen Familie ebenso in Österreich, jedoch an einem anderen Ort als der Beschwerdeführer, auf. In Basra im Irak leben noch eine Schwester des Beschwerdeführers, Onkel und Tanten sowie Cousins des Beschwerdeführers. Die Großeltern des Beschwerdeführers sind bereits verstorben. Mit allen Verwandten im Irak besteht ein telefonischer Kontakt (AS 7, 36, 40, VHS S8, 11-12, 15).
Der Beschwerdeführer hat keine gesundheitlichen Einschränkungen zu vergegenwärtigen (VHS 3, 17-20).
1.2. Zur Lebenssituation in Österreich
Der Beschwerdeführer reiste im Oktober 2015 mit seinen Eltern und Geschwistern illegal in das Bundesgebiet ein und hält sich hier seit nunmehr fast 6 Jahren ununterbrochen auf.
In Österreich lebt der Beschwerdeführer mit den Eltern und einem Bruder zusammen. Die Schwester des Beschwerdeführers (hg. GZ 2159005) lebt seit dem Tod der Schwägerin im Jänner 2018 bei einem Bruder ca. 1 Autostunde entfernt von der Familie und kümmert sich gemeinsam mit dem Bruder um die 3 Neffen und Nichten im Alter von 10, 8 und 5 Jahren. Zwischen dem Beschwerdeführer und den in Österreich lebenden Familienmitgliedern besteht ein Kontakt im üblichen familiären Ausmaß. Der Beschwerdeführer hat in Österreich die HLW besucht, jedoch nicht abgeschlossen und besucht derzeit einen Vorbereitungslehrgang zum Nachholen des Pflichtschulabschlusses. Er ist derzeit nicht erwerbstätig und bezieht Leistungen aus der Grundversorgung für hilfsbedürftige Fremde (OZ 15), hat im Jahr 2019 jedoch gemeinnützige Arbeit geleistet und verfügt über eine aktuelle Einstellungszusage (VHS 18, VHS/B).
Der Beschwerdeführer hat österreichische und arabische Freunde sowie eine Beziehung mit einer Österreicherin. Seine Freizeit verbringt er mit seinen Freunden beim Fußballspielen und gemeinsamen Treffen. Er kann sich in Deutsch problemlos verständigen (VHS 17-20).
Der Beschwerdeführer wurde für eine am 25.08.2017 versuchte absichtliche schwere Körperverletzung von einem österreichischen Landesgericht mit Urteil vom 11.04.2018, rechtskräftig seit 17.04.2018, gemäß § 15, § 87 Abs. 1 StGB wegen einer versuchten absichtlichen schweren Körperverletzung zu einer Freiheitsstrafe im Ausmaß von 15 Monaten verurteilt. Am 17.04.2018 erfolgte eine bedingte Entlassung aus der Strafhaft. Mit rechtskräftigen Urteilen vom 20.05.2020 und 09.12.2020 wurde er wegen Diebstahls gemäß § 127 jeweils zu einer Geldstrafe von 80 Tagsätzen und 140 Tagsätzen zu je EUR 4,00 verurteilt (OZ 15).
Die Bewährungshelferin des Beschwerdeführers vom Verein Neustart attestiert ihm neben der Einsicht in sein Fehlverhalten, eine gute Zusammenarbeit, Verlässlichkeit sowie Bestrebungen den Schulabschluss nachzuholen und eine Arbeit zu finden (VHS/B).
1.3. Zur Begründung des Antrages auf internationalen Schutz
Zu seinen Fluchtgründen und seiner Rückkehrbefürchtung gab zunächst der Vater des zum Antragszeitpunkt minderjährigen Beschwerdeführers sowie in der Verhandlung der mittlerweile volljährige Beschwerdeführer an, dass er keine eigenen Fluchtgründe habe, sondern die des Vaters (hg. GZ 2158999) sich auch auf ihn auswirken würden (VHS 20).
Der Vater des Beschwerdeführers erbrachte nachfolgendes chronologisch zusammengefasste Vorbringen (hg. GZ 2158999: AS 40, 153-154; VHS 8-9), welches zwar im Hinblick auf das fluchtkausale Ereignis, nicht jedoch im Hinblick auf die daraus resultierende Bedrohung als glaubhaft erachtet und der rechtlichen Begründung zu Grunde gelegt wird: Er sei an seinem Arbeitsplatz, einer Baustelle, von militärisch gekleideten Leuten dazu aufgefordert worden, sich ihnen mit seinem Sohn [Anmerkung ein Bruder des Beschwerdeführers] gemeinsam anzuschließen, um sunnitische Familien in seinem Wohnbezirk zu töten. Da er dies abgelehnt habe, seien diese erzürnt und erbost gewesen und hätten ihn beschimpft und damit bedroht, dass er diese Entscheidung noch bereuen werde. Noch am selben Abend sei das Haus von diesen Männern beschossen worden und er habe daraufhin eine Anzeige bei der Polizei gemacht. Die Polizei habe vor Ort Beweise aufgenommen, und mitgeteilt, die Unbekannten zu suchen. Es habe keine weiteren Vorfälle oder weiteren Kontakt zu den unbekannten Angreifern gegeben. Aus Angst habe die Familie danach für etwa vier Monate bei einem Verwandten gewohnt, bevor sie gemeinsam ausgereist seien.
Vor einer Rückkehr in den Irak habe er Angst, weil die Personen, die den Vater bedroht haben, nicht aufhören würden diesen zu bedrohen (VHS 20).
1.4. Zur Lage im Herkunftsstaat Irak
1.4.1. Die Sicherheitslage im Irak hat sich nach der dramatischen Verschlechterung (vor allem durch den Vormarsch des IS ab Mitte 2014) in den Jahren 2015 und 2016 seitdem die territoriale Kontrolle des IS gebrochen wurde, verbessert. Derzeit ist es staatlichen Stellen nicht möglich, das Gewaltmonopol des Staates sicherzustellen. Insbesondere schiitische Milizen, aber auch sunnitische Stammesmilizen handeln eigenmächtig. Die im Kampf gegen den IS mobilisierten, zum Teil vom Iran unterstützten Milizen sind nur eingeschränkt durch die Regierung kontrollierbar und stellen eine potenziell erhebliche Bedrohung für die Bevölkerung dar. Durch die teilweise Einbindung der Milizen in staatliche Strukturen (zumindest formaler Oberbefehl des Ministerpräsidenten, Besoldung aus dem Staatshaushalt) verschwimmt die Unterscheidung zwischen staatlichen und nichtstaatlichen Akteuren (LIB 14)
1.4.2. Zur aktuellen Lage im Südirak und in Basra
Der gesamte südliche Teil des Irak, einschließlich des Gouvernements Babil, steht nominell unter der Kontrolle der irakischen Regierung. Vielerorts scheinen die Regierungsbehörden gegenüber lokalen Stämmen und Milizen noch immer in einer schwächeren Position zu sein. Die irakische Regierung war gezwungen, dem Kampf gegen den IS im Zentral- und Nordirak in den letzten Jahren Vorrang einzuräumen, bedeutende militärische und polizeiliche Ressourcen aus dem Süden abzuziehen und in diese Gegenden zu entsenden. Vor diesem Hintergrund sind Stammeskonflikte, eskalierende Gesetzlosigkeit und Kriminalität ein Problem der lokalen Sicherheitslage. Die Bemühungen der Regierung, die Kontrolle wieder zu übernehmen, scheinen noch nicht zum entscheidenden Erfolg geführt zu haben. Regierungsnahe Milizen sind in unterschiedlichem Maße präsent, aber der Großteil ihrer Kräfte wird im Norden eingesetzt. Terrorismus und Terrorismusbekämpfung spielen im Süden nach wie vor eine Rolle, insbesondere in Babil, aber im Allgemeinen in geringerem Maße als weiter im Norden. Noch immer gibt es vereinzelte Terroranschläge (LIB 31)
In der Wirtschaftsmetropole Basra im Süden des Landes können sich die staatlichen Ordnungskräfte häufig nicht gegen mächtige Stammesmilizen mit Verbindungen zur Organisierten Kriminalität durchsetzen. (LIB 14)
Seit 01.10.2019 kommt es in mehreren Gouvernements des Zentral- aber auch Südiraks (Bagdad, Basra, Maysan, Qadisiyah, Dhi Qar, Wasit, Muthanna, Babil, Kerbala, Najaf, Diyala, Kirkuk und Salah ad-Din) zu teils gewalttätigen Demonstrationen. Die Proteste richten sich gegen Korruption, die hohe Arbeitslosigkeit und die schlechte Strom- und Wasserversorgung, aber auch gegen den iranischen Einfluss auf den Irak (LIB 31, 61)
In Basra im Südirak wurden Berichten zufolge mehrere Menschenrechtsvertreter willkürlich festgenommen und gezwungen Dokumente ihnen unbekannten Inhalts zu unterzeichnen, bevor sie wieder freigelassen wurden. Zwei Journalisten, die in Basra über die Proteste berichteten, wurden am 10.1.2020 erschossen (LIB 51, 57). Aufgrund der konfliktbedingten internen Vertreibungen und Rückkehrbewegungen hat sich seit 2014 die Demographie einiger Gebiete von mehrheitlich sunnitisch zu mehrheitlich schiitisch bzw. zu konfessionell gemischt entwickelt, insbesondere in den Gouvernements Bagdad, Basra und Diyala. (LIB 77)
Es gibt keine Bürgschaftsanforderungen für die Einreise in die Gouvernements Babil, Bagdad, Basra, Diyala, Kerbala, Kirkuk, Najaf, Qadissiya und Wassit. (LIB 126)
1.4.3. Aktivitiäten der Milizen
Das Milizenbündnis der Volksmobilisierungseinheiten (Popular mobilization forces) [PMF] steht unter der Aufsicht des 2014 gegründeten Volksmobilisierungskomitees. Obwohl Ende 2016 ein Gesetz in Kraft trat, das die PMF dem regulären irakischen Militär in allen Belangen gleichstellt und somit der Weisung des Premierministers unterstellt, hat der irakische Staat und die irakische Armee nur mäßige Kontrolle über die Milizen. Die Milizen stellen Checkpoints und Sicherheitsbarrieren auf, führen Hausdurchsuchungen und Razzien durch und übernehmen damit Aufgaben aus dem Zuständigkeitsbereich der irakischen Armee. Die militärischen Erfolge der PMF gegen den IS steigerten ihre Popularität vor allem bei der schiitischen Bevölkerung, gleichzeitig wurden allerdings auch Berichte über Menschenrechtsverletzungen wie willkürliche Hinrichtungen, Entführungen und Zerstörung von Häusern veröffentlicht. Einige Milizionäre hätten sich laut mehrerer irakischer und US-amerikanischer Beamte an „mafiösen Praktiken“ beteiligt. Sie würden Schutzgeld von großen und kleinen Unternehmen fordern und an Checkpoints das Passieren von Autofahrern für Erpressungstaktiken benutzen. Den Milizen wird auch ein Naheverhältnis zur organisierten Kriminalität nachgesagt. Die 2003/4 neu gegründeten Milizen kooperierten zwangsläufig mit den Mafiabanden ihrer Stadtviertel. Kriminelle Elemente wurden aber nicht nur kooptiert, die Milizen sind selbst in einem dermaßen hohen Ausmaß in kriminelle Aktivitäten verwickelt, dass manche Experten sie nicht mehr von der organisierten Kriminalität unterscheiden, sondern von Warlords sprechen, die in ihren Organisationen Politik und Sozialwesen für ihre Klientel und Milizentum vereinen. Einkünfte kommen hauptsächlich aus dem großangelegten Ölschmuggel, Schutzgelderpressungen, Amtsmissbrauch, Entführungen, Waffen- und Menschenhandel, Antiquitäten- und Drogenschmuggel. (LIB 38-45; ATmiliz 5)
Oppositionelle, Protestanführer und Aktivisten der Zivilgesellschaft erhalten Todesdrohungen durch die unterschiedlichen Milizen, und es gibt unbestätigte Berichte, dass sich diese auf „hit lists“ der Milizen wiederfinden (UNHCR’19 19-20).
Verschiedene Auskunftspersonen berichteten im Jahr 2017 den von Landinfo und Lifos [die länderkundliche Rechercheeinheit der norwegischen und schwedischen Asylbehörden] interviewten Rechercheuren, dass die Milizen als „unantastbar“ gesehen werden, und dass weder die Polizei, noch eine andere Behörde sie davon abhalten könnten, Verbrechen zu begehen. Ein irakischer Politiker, den Landinfo und Lifos in Bagdad interviewte, gab an, dass bei den meisten Übergriffen, die von Milizen in Bagdad ausgeübt werden, die Opfer Sunniten sind. Der Politiker gab weiters an, dass die PMF die Möglichkeit haben, in jede Privatwohnung einzudringen, sogar in die Wohnung von Parlamentsmitgliedern. Er meint, dass nicht einmal Premierminister Haider al-Abadi diese stoppen könne. Dass die Milizen im Irak - auch in Bagdad - Menschen in ihren Wohnhäusern festnehmen, wurde auch von Amnesty International [AI] berichtet. Laut AI und Reuters beitreiben Milizen eigene Haftanstalten, in denen Folterungen und Misshandlungen stattfinden, ohne dass es zur Einmischung von Seiten der Behörden kommt (ABmiliz 6).
1.4.4. zur Versorgungslage im Irak, insbesondere in Basra
Der Staat kann die Grundversorgung der Bürger nicht kontinuierlich und in allen Landesteilen gewährleisten. Die Iraker haben eine dramatische Verschlechterung in Bezug auf die Zurverfügungstellung von Strom, Wasser, Abwasser- und Abfallentsorgung, Gesundheitsversorgung, Bildung, Verkehr und Sicherheit erlebt. Nachdem der Irak seit Jahrzehnten durch Krieg, Bürgerkrieg, Sanktionen zerrüttet wurde laufen nunmehr Wiederaufbauprogramme und die Weltbank traf für das Jahr 2019 vorsichtig-positive Wirtschaftsprognosen. Ob der Wiederaufbau zu einem nachhaltigen positiven Aufschwung beiträgt, hängt aus Sicht der Weltbank davon ab, ob das Land die Korruption in den Griff bekommt. Laut Welternährungsorganisation sind im Irak zwei Millionen Menschen von Nahrungsmittelunsicherheit betroffen. Die Landwirtschaft ist für die irakische Wirtschaft von entscheidender Bedeutung. Schätzungen zufolge hat der Irak in den letzten vier Jahren jedoch 40 Prozent seiner landwirtschaftlichen Produktion verloren. (LIB 133-135).
Die Wasserversorgung wird von der schlechten Stromversorgung in Mitleidenschaft gezogen. Außerdem fehlt es fehlt weiterhin an Chemikalien zur Wasseraufbereitung. Die völlig maroden und teilweise im Krieg zerstörten Leitungen führen zu hohen Transportverlusten und Seuchengefahr. Im gesamten Land verfügt heute nur etwa die Hälfte der Bevölkerung über Zugang zu sauberem Wasser. Im Südirak und insbesondere Basra führten schlechtes Wassermanagement und eine unzureichende Regulierung von Abwasser und die damit einhergehende Verschmutzung dazu, dass im Jahr 2018 mindestens 118.000 Menschen wegen Magen-Darm-Erkrankungen in Krankenhäusern behandelt werden mussten, und dass Landwirte ihre Flächen mit verschmutztem und salzhaltigem Wasser bewässern, was zu einer Degradierung der Böden und zum Absterben von Nutzpflanzen und Vieh führt. (LIB 136, 137)
Die medizinische Versorgungssituation bleibt angespannt. Das Gesundheitswesen besteht aus einem privaten und einem öffentlichen Sektor. Grundsätzlich sind die Leistungen des privaten Sektors besser, zugleich aber auch teurer. Ein staatliches Krankenversicherungssystem existiert nicht. Alle irakischen Staatsbürger, die sich als solche ausweisen können, haben Zugang zum Gesundheitssystem. Fast alle Iraker leben etwa eine Stunde vom nächstliegenden Krankenhaus bzw. Gesundheitszentrum entfernt. In ländlichen Gegenden lebt jedoch ein bedeutender Teil der Bevölkerung weiter entfernt von solchen Einrichtungen. (LIB 138)
1.4.5. Covid19-Pandemie
Laut Weltgesundheitsorganisation (WHO) und Europäischem Zentrum für die Kontrolle von Krankheiten (ECDC) haben das höchste Risiko für eine schwere Erkrankung durch SARS-CoV-2 Menschen im Alter von über 60 Jahren sowie Menschen mit Grunderkrankungen wie Bluthochdruck, Diabetes, Herz-Kreislauf-Erkrankungen, chronischen Atemwegserkrankungen und Krebs. Nach dem aktuellen Stand verläuft die Viruserkrankung bei ca. 80% der Betroffenen leicht und bei ca. 15% der Betroffenen schwerer, wenn auch nicht lebensbedrohlich. Bei ca. 5% der Betroffenen verläuft die Viruserkrankung derart schwer, dass Lebensgefahr gegeben ist und intensivmedizinische Behandlungsmaßnahmen notwendig sind. Diese sehr schweren Krankheitsverläufe treten am häufigsten in den Risikogruppen der älteren Personen und der Personen mit Vorerkrankungen (wie z.B. Diabetes, Herzkrankheiten und Bluthochdruck) auf (www.ages.at/themen/krankheitserreger/coronavirus/ ; www.sozialministerium.at/Informationen-zum-Coronavirus.html ; www.oesterreich.gv.at ).
Angaben des Gesundheitsministeriums vom 27.09.20 zufolge ist die Zahl der Infektionen auf 349.450 angestiegen. Die Zahl der Genesenen liegt bei 280.673, die Zahl der Todesopfer liegt bei 8.990. In der Region Kurdistan-Irak lag am 27.09.20 die Zahl der registrierten Fälle bei 45.731, von denen 29.422 genesen sind. Die Zahl der Todesopfer wird mit 1.671 angegeben. Am stärksten betroffen ist die Provinz Erbil. Angaben der WHO vom 20.09.20 zufolge sind aufgrund von COVID-19 fast 50 % der Krankenhauskapazität erreicht. (Briefing Notes 28.09.2020).
2. Beweisaufnahme und Beweiswürdigung
2.1. Die Beweisaufnahme erfolgt durch
Abhaltung einer mündlichen Verhandlung [VH] am 12.10.2020 (OZ 17)
Einsicht in den dem BVwG vorliegenden Verwaltungsverfahrensakt (OZ 1) beinhaltend insbesondere die Erstbefragung, die Niederschrift, den Bescheid und die Beschwerde
sowie Einsicht in folgende vorgelegte oder beigeschaffte Unterlagen und Dokumente
Irakischer Personalausweis und Staatsbürgerschaftsausweis im Original; Heiratsurkunde (OZ 16, 21)
Polizeianzeige und Fotos (OZ 16, 12)
Anzeigen und Strafgerichtsurteil vom 11.04.2018 zur Tat vom 25.08.2017 (OZ 5-8)
Einsicht in das Zentrale Melderegister (ZMR), das Strafregister der Republik Österreich (SA, SC), das Informationsverbundsystem Zentrales Fremdenregister des Bundesministeriums für Inneres (IZR), sowie das Betreuungsinformationssystem über die Gewährleistung der vorübergehenden Grundversorgung für hilfs- und schutzbedürftige Fremde in Österreich (GVS) (OZ 15)
Einsicht in folgende länderspezifische Berichte (VHS 23, VHS/L)
ACCORD: Themendossier zum Irak: Schiitische Milizen, Dokument-ID #2038435, 02.10.2020 [ATmiliz]
Bundesamt für Migration und Flüchtlinge, Briefing Notes, 28.09.2020 [BN]
Deutsches Auswärtiges Amt: Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Republik Irak (Stand: März 2020), 02.03.2020 [AA]
EASO: Country of Origin Information Report Iraq – Key socio-economic indicators for Baghdad, Basra and Erbil, September 2020 [EASO]
Schweizer Flüchtlingshilfe: Irak Verfolgung sunnitischer tribes – al-Sadoun, Punkt 2.1, 26.06.2019 [SFH]
Staatendokumentation [SD]: Länderinformationsblatt Irak, 17.03.2020 [LIB]
SD-Anfragebeantwortung Irak: Verfolgung aufgrund eines sunnitischen Namens, 07.05.2018 [ABname]
SD: Research paper Iraq, Socio-economic dynamics Baghdad, 31.07.2019 [SD-RP.B]
SD: AB Irak: Von schiitischen Milizen dominierte Gebiete, 04.01.2018 [ABmiliz]
UNHCR International Protection Considerations with Regard to People Fleeing the Republic of Iraq, Mai 2019 [UNHCR19]
2.2. Beweiswürdigung
2.2.1. Zur Person des Beschwerdeführers und seinen Lebensverhältnissen im Irak (Pkt. 1.1)
Die Angaben des Beschwerdeführers zu seiner Staatsangehörigkeit, Herkunft und Religionszugehörigkeit, die er im Zuge des Verfahrens vor dem BFA und in der mündlichen Verhandlung gemacht hat, sind auf Grund seiner Orts- und Sprachkenntnisse nicht anzuzweifeln (GZ 2158999 AS 7, 36, VHS). Bereits das BFA ging vom Feststehen der Identität des Beschwerdeführers und seiner Familie aufgrund der im Original vorgelegten irakischen Identitätskarte und dem Staatsbürgerschaftsnachweis des Beschwerdeführers aus.
Seine Ausführungen zu seinen Lebensumständen und seiner Lebensgrundlage sowie seinen Familienangehörigen im Irak waren sowohl vor dem BFA, als auch in der mündlichen Verhandlung kohärent, schlüssig und widerspruchsfrei. Zumal sich die Ausführungen auch vor dem festgestellten Länderhintergrund (GZ 2158999 AS 9, 39-40; VHS 6-8, VHS/L) als plausibel darstellen, werden diese als glaubhaft erachtet.
Der Gesundheitszustand des Beschwerdeführers ergibt sich aus seinen eigenen diesbezüglichen Angaben (VHS 3, 17-20).
2.2.2. Zu seinen Lebensverhältnissen in Österreich (Pkt. 1.2)
Die Feststellungen zur Lebenssituation des Beschwerdeführers in Österreich, ergeben sich ebenfalls aus seinen Angaben in der Verhandlung (VHS 17-20), welche sich mit den eingeholten Datenauszügen decken (OZ 15), so dass kein Grund bestand, diese Angaben zu bezweifeln. Auch das BFA ist den Angaben nach Übermittlung der Verhandlungsschrift nicht entgegengetreten.
Die Feststellungen zu seinen Deutschkenntnissen gehen auf den persönlichen Eindruck der entscheidenden Richterin in der Verhandlung zurück (VHS 17).
Die strafgerichtlichen Verurteilungen sowie die bedingte Haftentlassung des Beschwerdeführers ergeben sich aus behördlich geführten Datenregistern, an deren Richtigkeit kein Anlass an zu zweifeln bestand (OZ 15).
2.2.3. Zur Begründung des Antrages auf internationalen Schutz (Pkt 1.3)
2.2.3.1. Die vom Vater des Beschwerdeführers geschilderte Situation bezüglich eines Rekrutierungsversuches durch Milizen, welche im Beschuss des Hauses mündete, erscheint vor dem Länderhintergrund des Irak, insbesondere zu den Aktivitäten der Milizen (Punkt 1.4.3), nicht unplausibel und deckt sich auch mit Berichten, wonach Zwangsrekrutierungen zwar selten seien, aber vorkämen. Es bestehe auch kein Rekrutierungssystem, aber es werde gesellschaftlicher Druck ausgeübt, sich den Milizen anzuschließen (ACCORD, 27.02.2019 Anfragebeantwortung zum Irak: Rekrutierung von schiitischen Milizen (insb. Asaib Ahl al-Haqq), Konsequenzen bei Weigerung [a-10893-2]).
2.2.3.2. Das BVwG geht jedoch im Einklang mit den Länderberichten und somit im Gegensatz zur Befürchtung des Beschwerdeführers und seines Vaters nicht davon aus, dass dem Vater des Beschwerdeführers und dadurch ihm (auch 2021 noch) eine Gefahr durch diesen einmaligen Vorfall droht. So ergibt sich etwa aus der bereits zitierte Anfragebeantwortung von ACCORD vom 27.02.2019 (a-10893-2), dass in den für die Erstellung des Artikels herangezogenen Quellen keine Information dahingehend gefunden werden habe können, dass die Ablehnung einer Rekrutierung Konsequenzen nach sich ziehen würde. Aber auch UNHCR (UNHCR19 19-20) führt 2019 aus, dass sich auf den unbestätigt existierenden „hit lists“ der unterschiedlichen Milizen [zur jeweils eigenen Position] Oppositionelle, Protestanführer und Aktivisten der Zivilgesellschaft wiederfinden. Dass der Vater des Beschwerdeführers eine derart exponierte Person des Öffentlichen Lebens wäre, ergibt sich aus dem Vorbringen jedoch nicht.
2.2.3.3. Zusammenfassend erachtet das BVwG daher das fluchtkausale Vorbringen, wenngleich dem BFA darin zuzustimmen ist, dass dieses detailarm beschrieben wurde, zwar als nicht unplausibel, nicht jedoch die geäußerte Befürchtung einer Gefährdung bei einer Rückkehr in den Irak.
2.2.4. Zur Lage im Herkunftsstaat Irak (Punkt 1.4.)
Die getroffenen länderspezifischen Feststellungen ergeben sich im Wesentlichen aus den Berichten und Anfragebeantwortungen der Staatendokumentation (VHS/L). Die Staatendokumentation des BFA berücksichtigt im Länderinformationsblatt Irak [LIB] und den Anfragebeantwortungen [AB] Berichte verschiedener staatlicher Spezialbehörden, etwa des Deutschen Auswärtigen Amtes und des deutschen Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge oder des US Department of State, ebenso, wie auch Berichte von Nichtregierungsorganisationen, wie etwa von ACCORD, Amnesty international, Human Rights Watch, oder der Schweizerischen Flüchtlingshilfe. Die herangezogenen Quellen sind aktuell, Großteils aus dem Jahr 2019, die spezielleren Anfragebeantwortungen sind aus den Jahren 2019 und 2020.
Angesichts der Ausgewogenheit und Seriosität der genannten Quellen sowie der Plausibilität der weitestgehend übereinstimmenden Aussagen darin, besteht für das BVwG kein Grund, an der Richtigkeit der Angaben zu zweifeln. Auch die Parteien sind den in das Verfahren eingeführten Quellen nicht entgegengetreten (OZ 14).
3. Rechtliche Beurteilung
3.1.1. Die Zuständigkeit des BVwG und die Entscheidung durch eine Einzelrichterin ergibt sich aus § 6 Bundesgesetz über die Organisation des Bundesverwaltungsgerichtes [BVwGG] iVm §7 BFA-VG und dem AsylG 2005. Das Verfahren des BVwG ist durch das Verwaltungsgerichtsverfahrensgesetz (VwGVG) geregelt. Verfahrensgegenständlich sind demnach neben dem VwGVG auch die Bestimmungen des AVG mit Ausnahme der §§ 1 bis 5 sowie des IV. Teiles, sowie jene verfahrensrechtlichen Bestimmungen sinngemäß anzuwenden, die das BFA im erstinstanzlichen Verfahren angewendet hat oder anzuwenden gehabt hätte (§ 17 VwGVG).
3.1.2. Die Beschwerden sind rechtzeitig und auch sonst zulässig (§§ 7, 9 VwGVG).
3.2. zu Spruchpunkt I – Flüchtlingseigenschaft gemäß § 3 AsylG 2005
3.2.1. Einem Fremden, der in Österreich einen Antrag auf internationalen Schutz gestellt hat, ist, soweit dieser Antrag nicht bereits gemäß §§ 4, 4a oder 5 [Anmerkung: Drittstaatssicherheit, Schutz im EWR-Staat oder in der Schweiz oder Zuständigkeit eines anderen Staates] zurückzuweisen ist, der Status des Asylberechtigten zuzuerkennen, wenn glaubhaft ist, dass ihm im Herkunftsstaat Verfolgung im Sinne des Art. 1 Abschnitt A Z 2 Genfer Flüchtlingskonvention droht (§ 3 Abs. 1 AsylG 2005). Der Antrag auf internationalen Schutz ist bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten abzuweisen, wenn dem Fremden eine innerstaatliche Fluchtalternative (§ 11) offen steht (§ 3 Abs. 3 Z 1 AsylG 2005) oder der Fremde einen Asylausschlussgrund (§ 6) gesetzt hat (§ 3 Abs. 3 Z 2 AsylG 2005). Die Entscheidung, mit der einem Fremden von Amts wegen oder auf Grund eines Antrags auf internationalen Schutz der Status des Asylberechtigten zuerkannt wird, ist mit der Feststellung zu verbinden, dass diesem Fremden damit kraft Gesetzes die Flüchtlingseigenschaft zukommt (§ 3 Abs. 5 AsylG 2005).Nach Art. 1 Abschnitt A Z 2 der Konvention über die Rechtsstellung der Flüchtlinge vom 28. Juli 1951, BGBl Nr. 55/1955, idF des Protokolls über die Rechtsstellung der Flüchtlinge vom 31. Jänner 1967, BGBl Nr. 78/1974 (GFK), ist als Flüchtling im Sinne dieses Abkommens anzusehen, wer sich aus wohlbegründeter Furcht, aus Gründen der Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder der politischen Gesinnung verfolgt zu werden, außerhalb seines Heimatlandes befindet und nicht in der Lage oder im Hinblick auf diese Furcht nicht gewillt ist, sich des Schutzes dieses Landes zu bedienen; oder wer staatenlos ist, sich infolge obiger Umstände außerhalb des Landes seines gewöhnlichen Aufenthaltes befindet und nicht in der Lage oder im Hinblick auf diese Furcht nicht gewillt ist, in dieses Land zurückzukehren.
3.2.2. Voraussetzung für die Zuerkennung des Status des Asylberechtigten ist die Glaubhaftmachung, dass dem Asylwerber im Herkunftsstaat Verfolgung im Sinn des Art. 1 Abschnitt A Z 2 Genfer Flüchtlingskonvention, demnach aus Gründen der Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder der politischen Gesinnung, droht (VwGH 02.09.2015, Ra2015/19/0143). Nach der jüngeren Ansicht des UNHCR reicht es aus, dass der Konventionsgrund ein (maßgebender) beitragender Faktor ist, er muss aber nicht als einziger oder überwiegender Grund für die Verfolgung oder das Fehlen von Schutz vor solchen Handlungen nachgewiesen werden (VwGH 23.02.2016, Ra2015/20/0113 mit Literaturnachweisen von UNHCR, Hathaway/Foster und Marx).
Zentraler Aspekt der in Art 1 Abschnitt A Z 2 GFK definierten Verfolgung im Herkunftsstaat ist die wohlbegründete Furcht davor. Eine Furcht kann nur dann wohlbegründet sein, wenn sie im Licht der speziellen Situation des Asylwerbers unter Berücksichtigung der Verhältnisse im Verfolgerstaat objektiv nachvollziehbar ist. Es kommt nicht darauf an, ob sich eine bestimmte Person in einer konkreten Situation tatsächlich fürchtet, sondern ob sich eine mit Vernunft begabte Person in dieser Situation aus Konventionsgründen fürchten würde (VwGH 05.09.2016, Ra2016/19/0074). Unter Verfolgung im Sinne des Art 1 Abschnitt A Z 2 GFK ist ein ungerechtfertigter Eingriff von erheblicher Intensität in die zu schützende persönliche Sphäre des Einzelnen zu verstehen. § 2 Abs. 1 Z 11 AsylG 2005 umschreibt Verfolgung als jede Verfolgungshandlung im Sinne des Art. 9 Statusrichtlinie, worunter (ua) Handlungen fallen, die aufgrund ihrer Art oder Wiederholung so gravierend sind, dass sie eine schwerwiegende Verletzung der grundlegenden Menschenrechte darstellen, insbesondere der Rechte, von denen gemäß Art. 15 Abs. 2 MRK keine Abweichung zulässig ist. Dazu gehören insbesondere das durch Art. 2 MRK geschützte Recht auf Leben und das in Art. 3 MRK niedergelegte Verbot der Folter (VwGH 15.12.2016, Ra 2016/18/0083). Um den Status des Asylberechtigten zu erhalten, muss die Verfolgung mit einer maßgeblichen Wahrscheinlichkeit drohen; die entfernte Möglichkeit einer Verfolgung genügt nicht (VwGH 27.05.2019, Ra2019/14/0153).
3.2.3. Wie im Rahmen der Beweiswürdigung ausgeführt, kommt dem Vorbringen des Beschwerdeführers zu seinem Fluchtgrund – anhaltende Bedrohung aufgrund der Ablehnung einer Rekrutierung des Vaters zu einer Gruppierung, die Sunniten verfolgt – keine Glaubhaftigkeit zu, weshalb dieses entsprechend der VwGH-Judikatur (VwGH 20.10.2016, Ra2016/20/0260 mwN) einer rechtlichen Beurteilung nicht zu Grunde zu legen ist, da es von vorneherein nicht geeignet ist, eine wohlbegründete Furcht vor Verfolgung glaubhaft zu machen. Ergänzend ist festzuhalten, dass auch der einmalige Rekrutierungsversuch die Intensität einer asylrelevanten Verfolgungshandlung nicht erreicht (vgl. VwGH 25.01.2001, 2001/20/0011)
3.2.4. Es liegt somit keine Verfolgung des Beschwerdeführers im Sinne des Art. 1 Abschnitt A Z 2 GFK vor und braucht daher auf die Frage des Vorliegens einer innerstaatlichen Fluchtalternative nicht mehr eingegangen werden und die Beschwerde gegen Spruchpunkt I des angefochtenen Bescheides des BFA ist als unbegründet abzuweisen.
3.3. zu Spruchpunkt I – Subsidiäre Schutzberechtigung gemäß § 8 Abs. 1 AsylG 2005
3.3.1. Nach § 8 Abs. 1 AsylG 2005 ist der Status des subsidiär Schutzberechtigten einem Fremden zuzuerkennen, 1. der in Österreich einen Antrag auf internationalen Schutz gestellt hat, wenn dieser in Bezug auf die Zuerkennung des Status des Asylberechtigten abgewiesen wird oder 2. dem der Status des Asylberechtigten aberkannt worden ist, wenn eine Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung des Fremden in seinen Herkunftsstaat eine reale Gefahr einer Verletzung von Art. 2 EMRK, Art. 3 EMRK oder der Protokolle Nr. 6 oder Nr. 13 zur Konvention bedeuten würde oder für ihn als Zivilperson eine ernsthafte Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen Konfliktes mit sich bringen würde.
Nach § 8 Abs. 2 AsylG 2005 ist die Entscheidung über die Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten nach Abs. 1 leg.cit. mit der abweisenden Entscheidung nach § 3 leg.cit. oder der Aberkennung des Status des Asylberechtigten nach § 7 leg.cit. zu verbinden. Gemäß § 8 Abs. 3 AsylG 2005 sind Anträge auf internationalen Schutz bezüglich der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten abzuweisen, wenn eine innerstaatliche Fluchtalternative (§ 11 leg.cit .) offen steht.
3.3.2. Für die Gewährung des subsidiären Schutzstatus iSd § 8 Abs. 1 AsylG 2005 ist (über die Auslegung des Art. 15 lit. b der Statusrichtlinie iVm Art. 3 Statusrichtlinie hinausgehend) bereits jegliche reale Gefahr (real risk) einer Verletzung von Art. 3 MRK an sich, unabhängig von einer Verursachung von Akteuren oder einer Bedrohung in einem bewaffneten Konflikt im Herkunftsstaat ausreichend (VwGH 27.05.2019, Ra2019/14/0153). Um von der realen Gefahr (real risk) einer drohenden Verletzung der durch Art. 2 oder 3 MRK garantierten Rechte eines Asylwerbers bei Rückkehr in seinen Herkunftsstaat ausgehen zu können, reicht es nicht aus, wenn eine solche Gefahr bloß möglich ist. Es bedarf vielmehr einer darüber hinausgehenden Wahrscheinlichkeit, dass sich eine solche Gefahr verwirklichen wird (VwGH 21.02.2017, Ra2016/18/0137). Der EGMR erkennt in ständiger Rechtsprechung, dass ein real risk vorliegt, wenn stichhaltige Gründe (substantial grounds) dafür sprechen, dass die betroffene Person im Falle der Rückkehr in den Herkunftsstaat das reale Risiko (insbesondere) einer Verletzung ihrer durch Art 3 MRK geschützten Rechte zu gewärtigen hätte. Dafür spielt es grundsätzlich keine Rolle, ob dieses reale Risiko in der allgemeinen Sicherheitslage im Herkunftsstaat, in individuellen Risikofaktoren des Einzelnen oder in der Kombination beider Umstände begründet ist. Allerdings betont der EGMR in seiner Rechtsprechung auch, dass nicht jede prekäre allgemeine Sicherheitslage ein reales Riskio iSd Art 3 MRK hervorruft. Im Gegenteil lässt sich seiner Judikatur entnehmen, dass eine Situation genereller Gewalt nur in sehr extremen Fällen (in the most extreme cases) diese Voraussetzung In den übrigen Fällen bedarf es des Nachweises von besonderen Unterscheidungsmerkmalen (special distinguishing features), aufgrund derer sich die Situation des Betroffenen kritischer darstellt als für die Bevölkerung im Herkunftsstaat im Allgemeinen (VwGH 21.02.2017, Ra 2016/18/0137 uHa EGMR Sufi und Elmi / UK mwN). Der Tatbestand einer ernsthaften Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit einer Zivilperson infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen Konfliktes in § 8 Abs. 1 Z 2 AsylG 2005 orientiert sich an Art. 15 lit.c der Statusrichtlinie (Richtlinie 2011/95/EU ) und umfasst eine Schadensgefahr allgemeiner Art, die sich als "willkürlich" erweist, also sich auf Personen ungeachtet ihrer persönlichen Situation erstrecken kann. Entscheidend für die Annahme einer solchen Gefährdung ist nach den Ausführungen des EuGH, dass der den bewaffneten Konflikt kennzeichnende Grad willkürlicher Gewalt ein so hohes Niveau erreicht, dass stichhaltige Gründe für die Annahme bestehen, eine Zivilperson liefe bei einer Rückkehr in das betreffende Land oder gegebenenfalls die betroffene Region allein durch ihre Anwesenheit im Gebiet dieses Landes oder dieser Region tatsächlich Gefahr, einer ernsthaften Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit ausgesetzt zu sein. Dabei ist zu beachten, dass der Grad willkürlicher Gewalt, der vorliegen muss, damit der Antragsteller Anspruch auf subsidiären Schutz hat, umso geringer sein wird, je mehr er möglicherweise zu belegen vermag, dass er aufgrund von seiner persönlichen Situation innewohnenden Umständen spezifisch betroffen ist (VwGH 21.02.2017, Ra2016/18/0137 uHa EuGH 17.02.2009, C-465/07 , Elgafaji; 30.01.2014, C-285/12 , Diakite).
3.3.3. Die Deckung der existentiellen Grundbedürfnisse kann aus den Feststellungen zur Lage im Irak, insbesondere im Südirak (siehe Punkt 1.4.4), als gesichert angenommen werden.
Der aus Basra stammende Beschwerdeführer ist jung, ohne gesundheitliche Einschränkungen, so dass ihm eine Beschäftigung zuzumuten ist. Es ist daher nicht erkennbar, warum er in eine aussichtslose Lage geraten sollte oder ihm eine Existenzsicherung in seinem Herkunftsstaat nicht zumutbar sein sollte, zumal auch aus den Länderfeststellungen keinesfalls hervorgeht, dass die Lage für alle Personen (ohne Hinzutreten von besonderen Umständen) dergestalt wäre, dass das existentielle Überleben gefährdet wäre.
Es ergeben sich aus den Länderfeststellungen auch keine Hinweise auf das Vorliegen einer allgemeinen existenzbedrohenden Notlage (allgemeine Hungersnot, Seuchen, Naturkatastrophen oder sonstige diesen Sachverhalten gleichwertige existenzbedrohende Elementarereignisse).
Wenngleich sich die Versorgungssituation mit Trinkwasser in der Region Basra teilweise problematisch darstellt, liegt noch keine die physische Existenz nur unzureichend sichernde Versorgungssituation im gesamten Herkunftsstaat, die im Einzelfall eine Verletzung der durch Art 3 EMRK gewährleisteten Rechte darstellen würde, vor (vgl VwGH 08.09.2016, Ra2016/20/0063).
Das BVwG verkennt in diesem Zusammenhang nicht, dass sich die wirtschaftliche Lage des Beschwerdeführers in seinem Herkunftsstaat möglicherweise schlechter darstellen wird als in Österreich, aus den getroffenen Ausführungen ergibt sich aber eindeutig, dass der Schutzbereich des Art 3 EMRK nicht tangiert ist.
3.3.4. Eine lebensbedrohende Erkrankung oder einen sonstigen auf seine Person bezogenen „außergewöhnlichen Umstand“, welcher ein Abschiebungshindernis im Sinne von Art. 3 EMRK darstellen könnte, hat der Beschwerdeführer nicht behauptet oder bescheinigt. Dies gilt auch unter Berücksichtigung der aktuell vorherrschenden Covid19-Pandemie. Der Beschwerdeführer gehört keiner Risikogruppe an und auf Grund der nunmehr kostenlos verfügbaren Covid-Impfung besteht somit für den Beschwerdeführer im Falle der Rückkehr kein "real risk" einer Verletzung von Art 3 EMRK im Sinne der Rechtsprechung des EGMR und des EuGH.
3.3.5. Wenngleich sich die aktuelle Situation im Irak als angespannt und konfliktträchtig darstellt, kann trotz der in manchen Landesteilen regional und temporär angespannten Sicherheitslage vor dem Hintergrund der Länderfeststellungen noch nicht angenommen werden, dass sich der Irak im Zustand willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen Konfliktes befindet, und dass für den Beschwerdeführer als Zivilperson eine ernsthafte Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines solchen internationalen oder innerstaatlichen Konfliktes besteht. Aufgrund der getroffenen Feststellungen kann ferner auch nicht davon gesprochen werden, dass praktisch jedem, der in den Irak abgeschoben wird, Gefahr für Leib und Leben in einem Maße drohen, dass die Abschiebung im Lichte des Art. 3 EMRK unzulässig erschiene.
3.3.6. Zusammenfassend finden sich somit keine Anhaltspunkte dafür, dass der Beschwerdeführer bei einer Rückkehr in den Herkunftsstaat, mit der in diesem Zusammenhang maßgeblichen Wahrscheinlichkeit, einer Gefährdungssituation im Sinne des § 8 AsylG 2005 ausgesetzt wäre, womit die Beschwerde gegen Spruchpunkt II des Bescheides des Bundesasylamtes abzuweisen ist.
3.4. zu Spruchpunkt I – Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen gemäß § 57 AsylG
3.4.1. Fallbezogen liegen nach dem festgestellten Sachverhalt die gesetzlichen Voraussetzungen des § 57 AsylG für die Erteilung eines solchen Aufenthaltstitels nicht vor. Der Aufenthalt des Beschwerdeführers ist weder seit einem Jahr geduldet noch ist eine „Aufenthaltsberechtigung besonderer Schutz“ zur Gewährleistung der Strafverfolgung von gerichtlich strafbaren Handlungen oder zur Geltendmachung und Durchsetzung von zivilrechtlichen Ansprüchen im Zusammenhang mit solchen strafbaren Handlungen zu erteilen; schließlich hat der Beschwerdeführer auch nicht vorgebracht, Opfer von Gewalt geworden zu sein sowie, dass die Erteilung der „Aufenthaltsberechtigung besonderer Schutz“ zum Schutz vor weiterer Gewalt erforderlich ist.
3.4.2. Die Beschwerde gegen die in Spruchpunkt III ausgesprochene Nichterteilung eines Aufenthaltstitels aus berücksichtigungswürdigen Gründen gemäß § 57 AsylG ist daher abzuweisen.
3.5. zu Spruchpunkt I – Rückkehrentscheidung (§ 10 AsylG 2005, § 9 BFA-VG, § 52 FPG) und Zulässigkeit der Abschiebung in den Irak (§ 46 PFG)
3.5.1. Gemäß § 10 Abs. 1 Z 3 AsylG 2005 ist eine Entscheidung nach diesem Bundesgesetz mit einer Rückkehrentscheidung gemäß § 52 FPG zu verbinden, wenn der Antrag auf internationalen Schutz sowohl bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten als auch der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten abgewiesen wird und von Amts wegen ein Aufenthaltstitel gemäß § 57 AsylG 2005 nicht erteilt wird.
Gemäß § 52 Abs 9 FPG ist mit der Rückkehrentscheidung gleichzeitig festzustellen, ob die Abschiebung des Drittstaatsangehörigen gemäß § 46 in einen oder mehrere bestimmte Staaten zulässig ist. Dies gilt nicht, wenn die Feststellung des Drittstaates, in den der Drittstaatsangehörige abgeschoben werden soll, aus vom Drittstaatsangehörigen zu vertretenden Gründen nicht möglich ist.
Gemäß § 55 FPG wird mit einer Rückkehrentscheidung gemäß § 52 zugleich eine Frist für die freiwillige Ausreise festgelegt. (Abs 1) Eine Frist für die freiwillige Ausreise besteht nicht für die Fälle einer zurückweisenden Entscheidung gemäß § 68 AVG sowie wenn eine Entscheidung auf Grund eines Verfahrens gemäß § 18 BFA-VG durchführbar wird. (Abs 1a) Die Frist für die freiwillige Ausreise beträgt 14 Tage ab Rechtskraft des Bescheides, sofern nicht im Rahmen einer vom Bundesamt vorzunehmenden Abwägung festgestellt wurde, dass besondere Umstände, die der Drittstaatsangehörige bei der Regelung seiner persönlichen Verhältnisse zu berücksichtigen hat, die Gründe, die zur Erlassung der Rückkehrentscheidung geführt haben, überwiegen. (Abs 2) Bei Überwiegen besonderer Umstände kann die Frist für die freiwillige Ausreise einmalig mit einem längeren Zeitraum als die vorgesehenen 14 Tage festgesetzt werden. Die besonderen Umstände sind vom Drittstaatsangehörigen nachzuweisen und hat er zugleich einen Termin für seine Ausreise bekanntzugeben. § 37 AVG gilt. (Abs 3) Das Bundesamt hat von der Festlegung einer Frist für die freiwillige Ausreise abzusehen, wenn die aufschiebende Wirkung der Beschwerde gemäß § 18 Abs. 2 BFA-VG aberkannt wurde. (Abs 4)
Wird durch eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 FPG in das Privat- oder Familienleben des Fremden eingegriffen, so ist gemäß § 9 Abs 1 BFA-VG idgF die Erlassung der Entscheidung zulässig, wenn dies zur Erreichung der im Art 8 Abs 2 EMRK genannten Ziele dringend geboten ist.
Gemäß § 9 Abs 2 BFA-VG sind bei der Beurteilung des Privat- und Familienlebens im Sinne des Art 8 EMRK insbesondere zu berücksichtigen: 1. die Art und Dauer des bisherigen Aufenthaltes und die Frage, ob der bisherige Aufenthalt des Fremden rechtswidrig war; 2. das tatsächliche Bestehen eines Familienlebens; 3. die Schutzwürdigkeit des Privatlebens; 4. der Grad der Integration; 5. die Bindungen zum Herkunftsstaat des Fremden; 6. die strafgerichtliche Unbescholtenheit; 7. Verstöße gegen die öffentliche Ordnung, insbesondere im Bereich des Asyl-, Fremdenpolizei- und Einwanderungsrechts; 8. die Frage, ob das Privat- und Familienleben des Fremden in einem Zeitpunkt entstand, in dem sich die Beteiligten ihres unsicheren Aufenthaltsstatus bewusst waren; 9. die Frage, ob die Dauer des bisherigen Aufenthaltes des Fremden in den Behörden zurechenbaren überlangen Verzögerungen begründet ist.
Gemäß § 9 Abs 3 BFA-VG ist über die Zulässigkeit der Rückkehrentscheidung gemäß § 52 FPG jedenfalls begründet, insbesondere im Hinblick darauf, ob diese gemäß Abs 1 auf Dauer unzulässig ist, abzusprechen. Die Unzulässigkeit einer Rückkehrentscheidung gemäß § 52 FPG ist nur dann auf Dauer, wenn die ansonsten drohende Verletzung des Privat- und Familienlebens auf Umständen beruht, die ihrem Wesen nach nicht bloß vorübergehend sind. Dies ist insbesondere dann der Fall, wenn die Rückkehrentscheidung gemäß § 52 FPG schon allein auf Grund des Privat- und Familienlebens im Hinblick auf österreichische Staatsbürger oder Personen, die über ein unionsrechtliches Aufenthaltsrecht oder ein unbefristetes Niederlassungsrecht (§§ 45 und 48 oder §§ 51 ff Niederlassungs- und Aufenthaltsgesetz (NAG), BGBl I Nr 100/2005) verfügen, unzulässig wäre.
3.5.2. Wird durch eine Rückkehrentscheidung in das Privat- oder Familienleben des Fremden eingegriffen, so ist die Erlassung dieser Maßnahme gemäß § 9 Abs. 1 BFA-VG 2014 (nur) zulässig, wenn dies zur Erreichung der im Art 8 Abs. 2 MRK genannten Ziele dringend geboten ist. Bei Beurteilung dieser Frage ist unter Bedachtnahme auf alle Umstände des Einzelfalles eine gewichtende Abwägung des öffentlichen Interesses an einer Aufenthaltsbeendigung mit den gegenläufigen privaten und familiären Interessen des Fremden, insbesondere unter Berücksichtigung der in § 9 Abs. 2 BFA-VG 2014 genannten Kriterien und unter Einbeziehung der sich aus § 9 Abs. 3 BFA-VG 2014 ergebenden Wertungen, in Form einer Gesamtbetrachtung vorzunehmen (VwGH 16.11.2016, Ra 2016/18/0041). Folgende Umstände stellen in Verbindung mit anderen Aspekten Anhaltspunkte dafür dar, dass der Fremde die in Österreich verbrachte Zeit zumindest in gewissem Ausmaß genützt hat, um sich zu integrieren: Erwerbstätigkeit des Fremden, das Vorhandensein einer Beschäftigungsbewilligung, eine Einstellungszusage, das Vorhandensein ausreichender Deutschkenntnisse, familiäre Bindungen zu in Österreich lebenden, aufenthaltsberechtigten Familienangehörigen, ein Freundes- und Bekanntenkreis in Österreich bzw. die Vorlage von Empfehlungsschreiben, eine aktive Teilnahme an einem Vereinsleben, freiwillige Hilfstätigkeiten, ein Schulabschluss bzw. eine gute schulische Integration in Österreich oder der Erwerb des Führerscheins (VwGH 17.10.2016, Ro 2016/22/0005 mwN).
3.5.3. Fallbezogen hält sich der Beschwerdeführer zum Entscheidungszeitpunkt knapp sechs Jahre in Österreich auf. Er geht keiner Erwerbstätigkeit nach und ist auf Leistungen aus der Grundversorgung für hilfsbedürftige Fremde angewiesen. Er kann sich auf Deutsch problemlos verständigen.
Für den Beschwerdeführer spricht fallbezogen neben seinen Deutschkenntnissen der Aufenthalt von weiteren Familienmitgliedern in Österreich, sowie altersmäßig übliche Kontakte zu Freunden und die Beziehung zu einer Österreicherin, mit der er jedoch nicht im selben Haushalt lebt. Es bestehen aber keine Anhaltspunkte für die Annahme besonderer sozialer oder wirtschaftlicher Beziehungen des Beschwerdeführers in Österreich. Er verfügt über keinen aufrechten Aufenthaltstitel; sein bisheriger Aufenthalt stützte sich ausschließlich auf das Asylrecht. Hinzu kommen mehrere strafrechtliche Verurteilung.
Wenngleich er den Irak als Minderjähriger verlassen hat, so hat er doch den überwiegenden Teil seines Lebens im Irak verbracht und wurde dort auch sozialisiert. Es deutet nichts darauf hin, dass es dem Beschwerdeführer im Falle einer Rückkehr in den Herkunftsstaat nicht möglich wäre, sich in die dortige Gesellschaft erneut zu integrieren, zumal er im Familienverband zurückkehren würde (VwGH 25.04.2019, Ra2018/22/0251). Eine anderweitige Aufenthaltsverfestigung, die die Annahme einer Prävalenz der hier bestehenden Bindungen zu Österreich gegenüber jenen zum Herkunftsstaat rechtfertigen würde, ist im Verfahren nicht hervorgetreten.
Den vom Beschwerdeführer gesetzten Integrationsschritten stehen die öffentlichen Interessen des Schutzes der öffentlichen Ordnung, insbesondere in Form der Einhaltung der die Einreise und den Aufenthalt von Fremden regelnden Bestimmungen, sowie des wirtschaftlichen Wohles des Landes gegenüber. Im Rahmen einer Abwägung dieser Fakten iSd Art 8 Abs. 2 EMRK und unter Berücksichtigung der Judikatur des EGMR erweisen sich die individuellen Interessen des Beschwerdeführers iSd Art 8 Abs. 1 EMRK nicht als so ausgeprägt, dass sie insbesondere das öffentliche Interesse an der Aufenthaltsbeendigung nach Abschluss des gegenständlichen Verfahrens und der Einhaltung der österreichischen aufenthalts- und fremdenrechtlichen Bestimmungen überwiegen.
Nach Maßgabe einer Interessensabwägung im Sinne des § 9 BFA-VG überwiegt fallbezogen das öffentliche Interesse an der Beendigung des unrechtmäßigen Aufenthalts des Beschwerdeführers im Bundesgebiet dessen persönliches Interesse am Verbleib im Bundesgebiet. Auch sonst sind keine Anhaltspunkte hervorgekommen, die im gegenständlichen Fall den Ausspruch einer dauernden Unzulässigkeit einer Rückkehrentscheidung rechtfertigen würden.
3.5.4. Im Verfahren sind auch keine Anhaltspunkte dahingehend hervorgekommen, dass die Abschiebung in den Herkunftsstaat gemäß § 52 Abs. 9 iVm § 50 FPG unzulässig wäre. Derartiges wurde auch weder in der Beschwerde noch in der Verhandlung oder in Stellungnahmen schlüssig geltend gemacht.
3.5.5. Die Beschwerde gegen Spruchpunkt IV und V des angefochtenen Bescheides, mit der die Rückkehrentscheidung und die Zulässigkeit der Abschiebung in den Irak bekämpft wurde, ist daher abzuweisen.
3.6. zu Spruchpunkt I – Ausreisefrist (§ 55 PFG)
3.6.1. Mit einer Rückkehrentscheidung ist gemäß § 55 FPG zugleich eine Frist für die freiwillige Ausreise festgelegt, die in der Regel 14 Tage ab Rechtskraft des Bescheides beträgt. Besondere Umstände, die der Beschwerdeführer bei der Regelung seiner persönlichen Verhältnisse zu berücksichtigen hat, wurden nicht behauptet.
3.6.2. Am 17.04.2020 wurde jedoch im Amtsblatt der Europäischen Union eine Mitteilung der Europäische Kommission mit von ihr unter Mitwirkung des Europäischen Unterstützungsbüros für Asylfragen (EASO) und der Europäischen Agentur für die Grenz- und Küstenwache (Frontex) als Orientierungshilfe für die Mitgliedstaaten ausgearbeiteten Hinweisen zur Umsetzung der einschlägigen EU-Bestimmungen im Bereich der Asyl- und Rückführungsverfahren und zur Neuansiedlung veröffentlicht (2020/C 126/02; Amtsblatt der EU, C 123/12). Darin wird ua anderem darauf hingewiesen, dass aufgrund der erheblichen Beschränkungen bei gewerblichen Flügen und der restriktiven Maßnahmen, die von Drittländern in Bezug auf die Einreise aus Europa eingeführt wurden, Drittstaatsangehörige mit einer verpflichtenden Entscheidung zur Rückkehr, dieser trotz bester Anstrengungen und Absichten nicht innerhalb der gesetzten Frist nachkommen können. Die Kommission empfiehlt daher den Mitgliedstaaten, von der in Artikel 7 Absatz 2 der Rückführungsrichtlinie vorgesehenen Möglichkeit Gebrauch zu machen und die Frist für die freiwillige Ausreise unter Berücksichtigung der besonderen Umstände des Einzelfalls, der Dauer und der Art der restriktiven Maßnahmen sowie der Verfügbarkeit von Beförderungsmitteln in dem Bestimmungsdrittstaat um einen angemessenen Zeitraum verlängern.
3.6.3. In Österreich wurden die Ausgangsbeschränkung, die von der österreichischen Bundesregierung im Umgang mit dem Coronavirus SARS-CoV-2 2020 und 2021 angeordnet worden waren, inzwischen wieder aufgehoben. Es zeigt sich aber, dass die zuständigen Behörden, Beratungseinrichtungen, Vertretungsbehörden, und gewerblichen Flugbetreiber etc. erst allmählich wieder ihren Betrieb und Personenverkehr ausweiten, dies weiterhin unter organisatorischen und logistischen Vorsichtsmaßnahmen, sodass Verzögerung bei der Bearbeitung die Folge sein können.
3.6.4. Bei Berücksichtigung dieser Umstände wird ein Zeitraum von vier Wochen es dem Beschwerdeführer ermöglichen, sich an das BFA und die für eine Rückkehrhilfe eingerichteten Beratungsstellen zu wenden und eine Rückkehrberatung und Rückkehrhilfe in Anspruch zu nehmen und seine ernsthafte Bereitschaft, freiwillig zurückkehren zu wollen, zum Ausdruck zu bringen. Ergänzend wird es dem Beschwerdeführer innerhalb dieser Frist gegebenenfalls auch noch möglich sein sich einer COVID Impfung zu unterziehen.
3.6.5. Sollte sich im Zuge dessen herausstellen, dass für die freiwillige Ausreise ein längerer Zeitraum als die hier festgesetzten vier Wochen erforderlich ist, besteht für den Beschwerdeführer die Möglichkeit, gemäß § 55 Abs. 3 FPG an das BFA einen Antrag auf Verlängerung der Ausreisefrist zu stellen (vgl. VwGH 16.05.2013, 2012/21/0072).
3.6.6. Der Beschwerde gegen Spruchpunkt IV des angefochtenen Bescheides wird daher insoweit stattgegeben, als gemäß § 55 Abs. 2 FPG die Frist für die freiwillige Ausreise 4 (vier) Wochen beträgt.
3.7. zu Spruchpunkt II – Verlust des Aufenthaltsrechts gemäß § 13 Abs. 2 AsylG
3.7.1. § 13 Abs. 1 AsylG zufolge, ist ein Asylwerber, dessen Asylverfahren zugelassen ist, bis zur Erlassung einer durchsetzbaren Entscheidung, bis zur Einstellung oder Gegenstandslosigkeit des Verfahrens oder bis zum Verlust des Aufenthaltsrechtes (Abs. 2) zum Aufenthalt im Bundesgebiet berechtigt. Ein auf Grund anderer Bundesgesetze bestehendes Aufenthaltsrecht bleibt unberührt. Ein Asylwerber verliert sein Recht zum Aufenthalt im Bundesgebiet gemäß § 13 Abs. 2 AsylG, wenn dieser straffällig geworden ist (§ 2 Abs. 3) [Z 1]. Der Verlust des Aufenthaltsrechtes ist dem Asylwerber mit Verfahrensanordnung (§ 7 Abs. 1 VwGVG) mitzuteilen. […] Hat ein Asylwerber sein Recht auf Aufenthalt im Bundesgebiet gemäß Abs. 2 verloren, kommt ihm gemäß § 13 Abs. 3 AsylG faktischer Abschiebeschutz zu. Das Bundesamt hat gemäß § 13 Abs. 4 AsylG im verfahrensabschließenden Bescheid über den Verlust des Aufenthaltsrechtes eines Asylwerbers abzusprechen.
3.7.2. Der Beschwerdeführer ist im Sinn des § 13 Abs. 2 Z 1 iVm § 2 Abs. 3 AsylG straffällig geworden und hat demzufolge ex lege das Recht zum Aufenthalt im Bundesgebiet verloren. Mit Verfahrensanordnung des BFA vom 14.12.2017 wurde dem Beschwerdeführer der Verlust des Aufenthaltsrechtes auch mitgeteilt.
3.7.3. Die Beschwerde gegen Spruchpunkt I des Bescheides vom 02.01.2019 ist daher abzuweisen.
3.8. zu Spruchpunkt III – erneute Rückkehrentscheidung samt Einreiseverbot vom 02.01.2019
3.8.1. Gegenständlich war zum Zeitpunkt der Erlassung des Bescheides vom 02.01.2019 mit dem ein Rückkehrentscheidung samt Einreiseverbot über den Beschwerdeführer verhängt wurde bereits ein Beschwerdeverfahren hinsichtlich eines Antrages auf internationalen Schutz beim Bundesverwaltungsgericht anhängig.
3.8.2. Der VwGH hat diesbezüglich festgehalten (zuletzt VwGH 26.06.2019, Ra2019/21/0146), dass die Erlassung einer Rückkehrentscheidung und eines Einreiseverbotes nicht zulässig ist, bevor über einen anhängigen Antrag auf internationalen Schutz abgesprochen wurde. Auch dann, wenn ein Rückkehrentscheidungsverfahren – unabhängig vom Verfahren über den Antrag auf internationalen Schutz – bereits anhängig ist, darf die Rückkehrentscheidung grundsätzlich nicht vor der Entscheidung über den Antrag auf internationalen Schutz ergehen. Eine bereits von der Behörde erlassene, mit Beschwerde bekämpfte Rückkehrentscheidung ist vom Bundesverwaltungsgericht ersatzlos zu beheben.
3.8.3. Die Spruchpunkte II bis VI des Bescheides vom 02.01.2019 sind daher ersatzlos zu beheben.
III. ad B) Unzulässigkeit der Revision
Die sich aus dem festgestellten Sachverhalt ergebende rechtliche Subsumtion bedurfte angesichts der einheitlichen im Zuge der rechtlichen Ausführungen ausführlich wiedergegebenen Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes zur Flüchtlingskonvention keiner Lösung einer erheblichen Rechtsfrage. Es ergeben sich auch keine sonstigen Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfrage, so dass insgesamt die Voraussetzungen für die Zulässigkeit einer Revision gemäß Art 133 Abs. 4 B-VG nicht vorliegen.
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