BVwG W105 1216157-3

BVwGW105 1216157-329.5.2018

AsylG 2005 §5
B-VG Art.133 Abs4
FPG §61

European Case Law Identifier: ECLI:AT:BVWG:2018:W105.1216157.3.00

 

Spruch:

W105 1216157-3/2E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht hat durch den Richter Mag. Harald BENDA als Einzelrichter über die Beschwerde von XXXX, geb. XXXX, StA Türkei, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 18.04.2018, Zl. 433785809-180102233, zu Recht erkannt:

A) Die Beschwerde wird gemäß § 5 AsylG 2005 und § 61 FPG als

unbegründet abgewiesen.

B) Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.

ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:

I. Verfahrensgang:

1. Der Antragssteller wurde am XXXX in Wien geboren. Ursprünglich wurde für den Antragssteller durch die vormalige gesetzliche Vertreterin (auf Mutter) ein Antrag auf Zuerkennung des Flüchtlingsstatus gestellt. Am 14.09.1992 stellte der Antragssteller in eigener Sache einen Antrag auf Gewährung internationalen Schutzes und wurde ihm mit Entscheidung vom 07.10.1992 die Flüchtlingseigenschaft zuerkannt. Mit 26.05.1998 wurde ein Aberkennungsverfahren eingeleitet und wurde mit Bescheid des Bundesasylamtes vom 13.03.2000 festgestellt, dass dem Antragssteller die Flüchtlingseigenschaft nicht mehr zukommt. Diese Entscheidung erwuchs in Rechtskraft. Aufgrund strafrechtlicher Verurteilung wurde Schutzstatus aberkannt und der Beschwerdeführer nach der Türkei abgeschoben. Am 09.11.2007 stellte der nunmehrige Berufungswerber einen neuerlichen Antrag auf internationalen Schutz und wurde dieser mit Bescheid des Bundesasylamtes vom 24.04.2008 abgewiesen. Die gegen diesen Bescheid erhobene Berufung wurde mit Bescheid des Unabhängigen Bundesasylsenates vom 15.05.2008 abgewiesen.

Am 30.01.2018 beantragte der nunmehrige Beschwerdeführer abermals die Gewährung internationalen Schutzes. Im Rahmen der niederschriftlichen Ersteinvernahme zum gegenständlichen Asylantrag gab der Antragssteller am 30.01.2018 an, am 13.12.2017 seinen Herkunftsstaat (Türkei) verlassen zu haben. Unter anderem gab der Antragssteller auf Befragen an, dass er ein holländisches Visum, ausgestellt von der niederländischen Berufsvertretungsbehörde in Istanbul mit Gültigkeitsdauer von 40 Tagen besessen hat. Eine Abfrage des VIS-Systems ergab, dass der Antragssteller über ein seitens niederländischer Auslandsvertretungsbehörden ausgestelltes Visum der Kategorie C mit Gültigkeitsdauer von 23.12.2017 bis 27.01.2018 verfügte.

Im Rahmen der Ersteinvernahme gab der Antragssteller des weiteren an, dass er hier geboren und aufgewachsen sei und habe er sich bis zum 29. Lebensjahr aufgehalten. Weiters befinde sich ein Teil seiner Familie (Mutter, Brüder, Schwester) in Österreich.

2. Das BFA richtete am 02.02.2018 ein auf Art. 12 Abs. 2 der Verordnung (EU) Nr. 604/2013 des Europäischen Parlaments und des Rates (Dublin III-VO) gestütztes Aufnahmeersuchen an das Königreich der Niederlande. Das Königreich der Niederlande stimmte diesem Aufnahmeersuchen mit Schreiben vom 14.03.2018 unter Hinweis auf Art. 12 Abs. 2 Dublin III-VO ausdrücklich zu.

Im Zuge seiner Einvernahme durch das BFA vom 05.04.2018 gab der Beschwerdeführer im Wesentlichen an, seine Familie lebe in Österreich. Seine Mutter (namentlich genannt) sei Konventionsflüchtling, ebenso wie seine Schwester. Einer seiner Brüder sei ebenfalls anerkannter Flüchtling, einer im Besitz einer sogenannten Rot-Weiß-Rot-Karte. Er wohne bei einem seiner Brüder und werde er von der ganzen Familie unterstützt und stehe ständig in Kontakt mit diesen. Konkretisierend führte der Antragssteller aus, er beziehe von seinen Familienangehörigen Essen, Trinken, Klamotten, Zigaretten, die Monatskarte sowie erhalte er Taschengeld.

Auf Vorhalt der geführten Konsultationen mit den Niederlanden und der eingelangten Zustimmung zur Aufnahme, gab der Antragssteller an, er kenne die Niederlande überhaupt nicht und habe er dort keine Verwandten oder Bekannten. Seine Familie lebe in Österreich und wolle er deshalb, dass sein Verfahren hier abgewickelt werde. Er spreche auch nicht niederländisch, sondern nur Deutsch. Seine Wurzeln seien hier in Österreich und würde er seine ganze Unterstützung verlieren. Er sei mit der österreichischen Kultur aufgewachsen und habe er acht Jahre in der Türkei und 29 Jahre in Österreich gelebt. Er habe in der Vergangenheit Fehler gemacht und sei er deshalb nach der Türkei abgeschoben worden und wolle er jetzt noch einmal die Chance ergreifen und schlussendlich mit seiner Familie zusammen zu leben. In der Türkei hat sein Vater noch einmal geheiratet und habe er sich mit diesem nicht verstanden und habe er nicht mit diesem und einem weiteren in der Türkei lebenden Bruder zusammengelebt. In den letzten acht Jahren habe er in der Türkei Türkisch gesprochen.

Am 05.04.2018 wurde die Mutter des Antragsstellers vor der Erstbehörde niederschriftlich einvernommen, bekräftigte sie, dass sie ihn stetigen Kontakt zu ihrem Sohn stehe. Während seines Aufenthaltes in der Türkei habe sie ihm Geld geschickt und ihn unterstützt. Wie des weiteren eine Vollmacht, dass er familiäres Immobilieneigentum verkaufen konnte. Auf Vorhalt, dass seine finanzielle Unterstützung auch während eines Aufenthaltes des Sohnes in den Niederlanden möglich wäre, gab die Zeugin zu Protokoll, sie wolle nicht, dass ihr Sohn ohne ihre Liebe lebe und brauche er ihre Liebe und Zuneigung. Sie habe immer wieder gehofft, dass er eines Tages zurückkomme. Sie selbst sei schwer krank und wolle sie sich nicht von ihrem Sohn trennen bzw. die letzten Jahres ihres Lebens mit dem Sohn verbringen.

Mit Eingabe des rechtsfreundlichen Vertreters des Antragsstellers wurde vorgebracht, dass der nunmehrige Antragssteller mit Urteil des Landesgerichtes Krems vom 25.05.1998 strafrechtlich verurteilt worden sei bzw. habe man ihm gleichzeitig in einer Anstalt untergebracht. Der Antragsteller hat seine Freiheitsstrafe verbüßt und wurde am 18.01.2010 aufgrund eines positiven Gutachtens ins Ausland abgeschoben. Zum Straftatzeitpunkt sei der Antragssteller 17 Jahre und minderjährig gewesen und liege die Straftat 21 Jahre zurück. Der Antragssteller sei seither strafrechtlich unauffällig und habe eine sehr gute Persönlichkeitsentwicklung gezeigt. Das persönliche Verhalten des Antragsstellers zeige, dass er keine tatsächliche gegenwärtige und erhebliche Gefahr mehr für die öffentliche Ordnung und Sicherheit darstelle. Unter anderem bezog sich der Vertreter des Antragsstellers auf das mit Bescheid des Magistrates der Stadt Krems vom 13.01.2004 über den Antragssteller verhängte Aufenthaltsverbot unbefristeter Dauer.

3. Das BFA wies sodann den Antrag auf internationalen Schutz ohne in die Sache einzutreten mit Bescheid vom 18.04.2018 gemäß § 5 Abs. 1 AsylG 2005 als unzulässig zurück und sprach aus, dass die Niederlande gemäß 12 Abs. 4 Dublin III-VO zur Prüfung des Antrags zuständig sei. Gleichzeitig wurde die Außerlandesbringung des BF gemäß § 61 Abs. 1 FPG idgF angeordnet und festgestellt, dass demzufolge gemäß § 61 Abs. 2 FPG seine Abschiebung nach den Niederlanden zulässig sei.

Die Ergebnisse des Ermittlungsverfahrens, die Sachverhaltsfeststellungen sowie die Beweiswürdigung zur Lage im Mitgliedstaat wurden im angefochtenen Bescheid im Wesentlichen folgendermaßen zusammengefasst (unkorrigiert):

1. Allgemeines zum Asylverfahren

Es existiert ein rechtsstaatliches Asylverfahren mit gerichtlicher Beschwerdemöglichkeit (AIDA 2.2017; vgl. GoN o.D.a, IND o.D.a für weitere Informationen siehe dieselben Quellen).

Quellen:

2. Dublin-Rückkehrer

Dublin-Rückkehrer haben Zugang zum Asylverfahren (allgemeines und erweitertes Verfahren) vor der niederländischen Einwanderungsbehörde (Immigratie-en Naturalisatiedienst - IND). Im Falle eines "take back"-Verfahrens kann der Asylwerber einen Folgeantrag stellen, der neue Elemente enthalten muss. Dieser wird wie der Folgeantrag eines Nicht-Dublin-Rückkehrers behandelt In "take charge"-Fällen kann der Rückkehrer einen Erstantrag stellen. (AIDA 2.2017).

Quellen:

3. Non-Refoulement

Das Gesetz sieht die Freizügigkeit im Inland, die Reisefreiheit, das Recht auf Emigration und Wiedereinbürgerung vor, und die Regierung respektiert generell diese Rechte. Der Staat arbeitet mit dem Büro des UN-Hochkommissariats für Flüchtlinge (UNHCR) und anderen humanitären Organisationen zusammen, um Flüchtlingen, Asylwerbern, Staatenlosen und anderen Betroffenen Schutz und Hilfe zu gewähren (USDOS 3.3.2017).

Nach einer endgültigen Ablehnung des Asylantrags ist eine Folgeantragsstellung möglich. Dies ergibt sich aus den Grundsätzen des Non-Refoulement-Prinzips der Flüchtlingskonvention und der Europäischen Menschenrechtskonvention (AIDA 2.2017).

Quellen:

4. Versorgung

Gemäß Gesetz haben alle mittellosen Asylwerber ein Recht auf Unterbringung und materielle Versorgung ab Antragstellung (AIDA 2.2017). Die Zentralstelle für die Aufnahme von Asylwerbern (COA) ist für die Unterbringung und Versorgung der grundlegenden Bedürfnisse von Asylwerbern während ihres Asylverfahrens verantwortlich (COA o.D.b; vgl. AIDA 2.2017).

Asylwerber erhalten in der Regel eine monatliche finanzielle Unterstützung/Gutscheine in der Höhe von 296,24 Euro. Das wöchentliche Taschengeld variiert jedoch je nach Art der Unterbringung. Die Versorgung deckt die folgenden Leistungen und Kosten: Unterkunft; wöchentlicher Zuschuss für Nahrung, Kleidung und persönliche Ausgaben; Tickets für öffentliche Verkehrsmittel zum Besuch des Anwalts; Freizeitangebot und Bildungsaktivitäten (z.B. Vorbereitung für die Integrationsprüfung); Krankenversicherung; Haftpflichtversicherung; Sonderkosten (AIDA 2.2017).

Der Asylwerber darf für 24 Wochen im Jahr arbeiten. Daneben ist es für sie möglich, verschiedene Arbeiten in ihrer Unterbringung (z.B. Wartungs- und Reinigungsarbeiten) gegen wöchentliche Bezahlung in der Höhe von 14 Euro zu verrichten. Die Ausübung einer ehrenamtlichen Tätigkeit außerhalb des Unterbringungszentrums ist auch erlaubt (AIDA 2.2017; vgl. CAO o.D.c).

Quellen:

4.1. Unterbringung

Es gibt in den Niederlanden insgesamt 106 Unterbringungszentren, mit

26.185 Plätzen. Es handelt sich dabei um:

? Antragszentrum in Schipol (Aanmeldcentrum - AC): geschlossenes Zentrum im Grenzverfahren.

? Zentrales Auffanglager Ter Apel (Centraal Opvanglocatie - COL): wo Asylanträge zu stellen sind. Aufenthalt max. 3 Tage.

? 4 Verfahrenszentren (Proces Opvanglocatie - POL): dient der Ruhe- und Vorbereitungsphase. Bei allgemeinem Verfahren bleibt der Asylwerber im POL.

? Asylwerberzentren (Asielzoekerscentrum - AZC): hier werden erweiterte Verfahren geführt, aber auch Schutzberechtigte untergebracht, bis sie eine Wohnmöglichkeit finden.

? Freiheitsbeschränkende Unterbringung (Vrijheidsbeperkende locatie - VBL): bis zwölf Wochen Unterbringung möglich, wenn der Fremde bei Organisation der Heimreise kooperiert; keine geschlossene Unterbringung, aber Gebietsbeschränkung.

? 8 Familienzentren (Gezinslocatie - GL): für Familien, die das Unterbringungsrecht verloren haben, da Kinder immer unterzubringen sind. Fokus liegt auf Rückkehr. keine geschlossene Unterbringung, aber Gebietsbeschränkung (AIDA 2.2017; vgl. CAO o.D.d).

Die Familienzentren wurden vom niederländischen Kinderhilfswerk der Vereinten Nationen (UNICEF) kritisiert, da der eingeschränkte Zugang zu Versorgung mit den Regelungen über Kinderrechte nicht übereinstimmen (AIDA 2.2017).

Die zeitlich begrenzte und bedingte Unterstützung der niederländischen Regierung für abgelehnte Asylwerber gab weiterhin Anlass zur Besorgnis. Der UN-Ausschuss für wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte kritisiert das Gesetz, welches die medizinische Versorgung, Bildung und Sozialhilfe für Asylwerber mit einem negativen Bescheid von deren Bereitschaft zur Rückkehr in das Herkunftsland abhängig macht (HRW 18.1.2018).

Quellen:

4.2. Medizinische Versorgung

Asylwerber sind versichert und haben Anspruch auf medizinische Versorgung (GoN o.D.b). Die allgemeine medizinische Behandlung ist, soweit möglich, dieselbe wie für niederländische Bürger, erweitert um besonderes Augenmerk auf sprachliche und kulturelle Unterschiede, die Lebenssituation von Asylwerbern, das Asylverfahren und deren besondere Bedürfnisse (AIDA 2.2017; vgl. GZA o.D.a). Das Gesundheitszentrum für Asylwerber (GZA) ist die erste Anlaufstelle für Asylwerber in Gesundheitsangelegenheiten. Das GZA verfügt über zahlreiche Standorte in oder in der Nähe fast jedes Asylwerbezentrums. Ein Allgemeinmediziner, eine Krankenschwester und ein psychologischer Berater oder medizinischer Assistent stehen dort zur Verfügung (GZA o.D.b). Außerdem gibt es eine Telefon-Hotline, wo Fragen gestellt, Termine ausgemacht und Dolmetscher für die Untersuchungen bestellt werden können. Die Hotline steht rund um die Uhr bei Notfällen auch zur Verfügung (GZA o.D.c). Bei der Ankunft in Unterbringungszentrum wird eine medizinische Eingangsuntersuchung angeboten, um Behandlungserfordernisse frühzeitig zu erfassen (IND 8.2015). Eine Tuberkulosekontrolle ist jedoch für alle Asylwerber obligatorisch (COA o.D.e).

Asylwerber haben Zugang zu medizinischer Basisversorgung, darunter Zugang zu Allgemeinmedizin, Spitälern, Psychologen, Zahnmedizin (in extremen Fällen) und auf Tagesbasis Zugang zu psychiatrischen Kliniken. Es gibt eine Reihe spezialisierter Institutionen zur Behandlung von Asylwerbern mit psychischen Problemen (z.B. Phoenix). Zugang zu medizinischer Versorgung für Asylwerber in POL, COL, VBL und für Erwachsene in GL ist nur in Notfällen gewährleistet. Gesundheitsdienstleister bekommen Leistungen für irreguläre Migranten bei einer speziellen Stiftung ersetzt. Nach einer Untersuchung rief der Ombudsmann den Gesundheitsminister auf, den Zugang zu medizinischer Versorgung auch für Menschen ohne Aufenthaltstitel zu gewährleisten (AIDA 2.2017).

MedCOI bearbeitet grundsätzlich keine medizinischen Anfragen zu EU-Mitgliedsstaaten, da die medizinischen Mitarbeiter von MedCOI (Ärzte) davon ausgehen, dass medizinische Behandlungsmöglichkeiten in der EU generell in ausreichendem Maße verfügbar sind. Ausnahmen von dieser Regel sind nur in sehr spezifischen Einzelfällen möglich (MedCOI 14.12.2016).

Quellen:

Es folgte im angefochtenen Bescheid die rechtliche Beurteilung zu den beiden Spruchpunkten. Der Antrag auf internationalen Schutz sei zurückzuweisen, weil Art. 12 Abs. 4 Dublin III-VO formell erfüllt und implizit sohin die Niederlande für die Prüfung des Antrags zuständig seien. Ein im besonderen Maße substantiiertes, glaubhaftes Vorbringen betreffend das Vorliegen außergewöhnlicher Umstände, die die Gefahr einer Verletzung der GRC oder der EMRK im Falle einer Überstellung des BF ernstlich für möglich erscheinen lassen, sei im Verfahren nicht hervorgekommen. Der im Spruch genannte Staat sei bereit, den BF einreisen zu lassen und seinen Antrag auf internationalen Schutz zu prüfen. Eine hinreichende Wahrscheinlichkeit einer Gefahr der Verletzung der EMRK oder eine systematische notorische Verletzung fundamentaler Menschenrechte seien in den Niederlanden nicht zu erkennen. Die Regelvermutung des § 5 Abs. 3 AsylG treffe zu und es habe sich kein Anlass für die Ausübung des Selbsteintrittsrechts gemäß Art. 17 Abs. 1 Dublin III-VO ergeben. Weiters lägen keine humanitären Gründe gem. Art. 16 und 17 Abs. 2 leg.cit. vor. Dass der Antragssteller wurde wie festgestellt rechtskräftig verurteilt, ergebe sich das aus dem Strafregister der Republik Österreich. Unter anderem wurde auf das erlassene Aufenthaltsverbot des Magistrats der Stadt Krems verwiesen. Im weiteren wurde auf die familiären Bezugspunkte verwiesen sowie spezifizierend darauf, dass der Antragssteller mit seinem Bruder in einem Haushalt lebt. Finanzielle oder sonstige Abhängigkeitsverhältnisse konnten nicht festgestellt werden.

In Bezug auf das bestehende Recht auf Achtung des Privatlebens in Hinblick auf Artikel 8 Abs. 2 EMRK wurde festgehalten wie folgt:

„Es ist nach der Rechtssprechung des Verwaltungsgerichtshofes für die Notwendigkeit einer Außerlandesbringung von Relevanz, ob der Fremde seinen Aufenthalt vom Inland her legalisieren kann. Es ist Ihnen auf Grund geltender Rechtslage (§ 21 NAG) und aufgrund Ihrer illegaler Einreise nicht möglich Ihren Aufenthalt vom Inland aus zu legalisieren, was aufgrund der fehlenden Subsumierbarkeit des hier vorliegenden Sachverhaltes unter die Ausnahmen des § 21 (2) NAG auch den offenkundigen Willen des Gesetzgebers entspricht, weshalb Sie schon allein deshalb schon eine Ausreiseverpflichtung trifft und daher mit einer Außerlandesbringung vorzugehen ist. Der EGMR führte zu diesem Themenkreis auf seine Vorjudikatur (Rodrigues da Silva and Hookkamer v. the Netherlands vom 31. Jänner 2006, Zahl 50435/99) verweisend aus, dass Personen, welche die Behörden eines (Vertrags‑)Staates ohne die geltenden Rechtsvorschriften zu erfüllen, als fait accompli mit ihrem Aufenthalt konfrontieren, grundsätzlich keinerlei Berechtigung haben, mit der Ausstellung eines Aufenthaltstitels zu rechnen. Es könnte eine Außerlandesbringung allenfalls insbesondere dann eine Verletzung von Art. 8 EMRK darstellen, wenn Sie zum Zeitpunkt Ihrer Einreise nach Österreich vernünftiger Weise erwarten konnten, Ihr Familien- oder Privatleben in Österreich weiterzuführen. Vgl. dazu auch die nationale Höchstgerichtliche Judikatur, va VwGH 26.06.2007, 2007/01/0479 sowie VfGH 17.03.2005, G78/04. Konnten Sie zum Zeitpunkt der Einreise hiervon vernünftiger Weise nicht ausgehen, so erscheinen Sie im Sinne des Art. 8 EMRK grundsätzlich nicht schützenswert. Da Sie die beschwerliche Art (im Sinne hoher Kosten und Unwägbarkeiten bzw. Unsicherheiten und Gefahren) der illegalen Einreise etwa der legalen Antragsstellung bei einer Vertretungsbehörde vorzogen bzw. dies erst gar nicht versuchten, ist davon auszugehen, dass Sie selbst nicht von der Möglichkeit der legalen Einreise ins Bundesgebiet ausgehen konnten und faktisch auch nicht ausgegangen sind, wodurch die voranstehenden Ausführungen vollinhaltlich auf Ihren Fall anwendbar sind.

Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) hat sich im Urteil vom 8. April 2008 (rk. 8.Juli 2008), NNYANZI gegen das Vereinigte Königreich, Nr. 21878/06 zum Fall einer seit 27.10.1998 als Asylwerberin im Vereinigten Königreich (UK) aufhältigen ugandischen Staatsangehörigen mit der Frage der Interessensabwägung zwischen einem während des Asylverfahrens begründeten Privatleben und dem öffentlichen Interesse an einer effektiven Zuwanderungskontrolle und damit verbundenen Abschiebung erfolgloser Asylwerber im Hinblick auf Artikel 8 EMRK auseinandergesetzt.

Die zuständige Kammer des EMGR kommt im Hinblick auf Artikel 8 EMRK zu dem Schluss, dass es nicht erforderlich ist, sich mit der Frage auseinanderzusetzen, ob (in diesem Fall) durch das Studium der Beschwerdeführerin im UK, ihr Engagement in der Kirche sowie ihre Beziehung unbekannter Dauer zu einem Mann während ihres fast 10-jährigen Aufenthalts ein Privatleben iS von Art. 8 EMRK entstanden ist. Dies begründet sie damit, dass im vorliegenden Fall auch das Bestehen eines Privatlebens ohne Bedeutung für die Zulässigkeit der Abschiebung wäre, da einerseits die beabsichtigte Abschiebung im Einklang mit dem Gesetz steht und das legitime Ziel der Aufrechterhaltung und Durchsetzung einer kontrollierten Zuwanderung verfolgt; und andererseits jegliches zwischenzeitlich etabliertes Privatleben im Rahmen einer Interessenabwägung gegen das legitime öffentliche Interesse an einer effektiven Einwanderungskontrolle NICHT dazu führen könnte, dass ihre Abschiebung als unverhältnismäßiger Eingriff zu werten wäre. Die zuständige Kammer merkt dazu an, dass es sich hier im Gegensatz zum Fall ÜNER gg. Niederlanden (EGMR Urteil vom 05.07.2005, Nr. 46410/99) bei der Beschwerdeführerin um keinen niedergelassenen Zuwanderer handelt, sondern ihr niemals ein Aufenthaltsrecht erteilt wurde und ihr Aufenthalt im UK daher während der gesamten Dauer ihres Asylverfahrens und ihrer humanitären Anträge unsicher war. Die Abschiebung in Folge der Abweisung dieser Anträge wird auch durch eine behauptete Verzögerung der Behörden bei der Entscheidung über diese Anträge nicht unverhältnismäßig.

Die zuständige Kammer des EGMR differenziert im Hinblick auf die Interessenabwägung zwischen dem Privatleben eines Fremden und dem öffentlichen Interesse an einer Außerlandesbringung ausdrücklich zwischen im Aufenthaltsstaat rechtsmäßig niedergelassenen und bloß aufgrund ihres Status als Asylwerber vorübergehend zum Aufenthalt berechtigten Fremden. Dies ist insofern im Einklang mit der österreichischen höchstgerichtlichen Judikatur als sowohl VwGH als auch VfGH von einer unterschiedlichen Gewichtung der Interessen eines bislang legal aufhältigen Fremden und eines bloß aufgrund seines Asylantrags zum Aufenthalt berechtigten Fremden ausgehen (Vgl. ua VwGH 26.06.2007, 2007/01/0479 sowie VfGH 17.03.2005, G78/04). Kern dieser Erwägungen ist somit die Frage, ob bzw. in welchem Zeitraum der Betreffende Fremde zum Aufenthalt im Bundesgebiet berechtigt war bzw. ist.

Ihre persönliche Situation stellt sich nun so dar, dass sich die Dauer Ihres Aufenthalts auf Ihnen zurechenbare Handlungen, wie das Stellen eines letztlich unbegründeten und zurückgewiesenen Antrages auf internationalen Schutz beschränkt.

Es kam Ihnen im Zeitraum Ihres Aufenthalts im Bundesgebiet NIE ein (nicht auf das Asylrecht begründetes) und dauerhaftes Aufenthaltsrecht zu, realistischerweise konnten Sie auch nicht davon ausgehen, dass Ihnen ein anderweitiges Aufenthaltsrecht zukommen würde, wodurch auch dieser Tatbestand vollinhaltlich auf Ihren konkreten Fall anwendbar ist. Eine gegenteilige Ansicht widerspräche den Bestimmungen des Fremdenrechts, welche den Zuzug von Fremden ins Bundesgebiet regeln und würde in letzter Konsequenz bedeuten, dass diese Bestimmungen durch den faktischen Vollzug des Fremdenrechts durch Einreise unter Umgehung der Grenzkontrolle in der Rechtswirklichkeit de facto außer Kraft gesetzt werden würden.

Es wird besonders darauf hingewiesen, dass es sich im gegenständlichen Fall um kein durch besondere Umstände qualifiziertes privates Interesse an einem Aufenthalt im Bundesgebiet handelt, welches im Einzelfall zu einem anderen Resultat führen könnte. Wie bereits angeführt, sind die Dauer Ihres Aufenthalts und die daraus resultierenden privaten Interessen ausschließlich auf Ihre eigenen, in letzter Konsequenz rechtswidrigen Handlungen zurückzuführen, was unter Berücksichtigung prozessualer Grundsätze kein Recht auf Schutz Ihres privaten Interesses an einem dauernden Aufenthalt im Bundesgebiet ergibt.

Die gegenteilige Ansicht würde dazu führen, dass Fremde, welche die unbegründete bzw. rechtsmissbräuchliche Asylantragstellung bzw. eine illegale Einreise unterlassen, letztlich schlechter gestellt wären, als Fremde, welche genau zu diesen Mitteln greifen, was zu einer unsachlichen Differenzierung der Fremden untereinander führen würde (vgl. hierzu auch das Estoppel-Prinzip).

Abgesehen davon, dass Ihnen bereits zu einem sehr frühen Zeitpunkt Ihres Verfahrens bewusst sein musste, dass Ihnen weder ein nicht auf das Asylgesetz gestütztes Aufenthaltsrecht in Österreich zukommen werde, ebenso wenig wie eine auf das Asylgesetz gestützte Aufenthaltsberechtigung, vermochten Sie im Verfahren auch keine besonders gewichtigen privaten Interessen an einem Verbleib in Österreich aufzuzeigen.

Eine den Schutz des Privatlebens auslösende Verbindung kann insbesondere für solche Ausländer in Betracht kommen, deren Bindung an Österreich aufgrund eines Hineinwachsens in die hiesigen Verhältnisse mit gleichzeitiger Entfremdung vom Heimatland quasi Österreichern gleichzustellen ist. Ihre Situation ist dadurch gekennzeichnet, dass Österreich faktisch das Land ist, zu dem sie gehören, während sie mit ihrem Heimatland nur noch das formale Band der Staatsbürgerschaft verbindet (EGMR 26.03.1993 im Fall Beldjondi und vom 26.09.1997 im Fall Mehemi gg. Frankreich).

Voraussetzung dafür wird sein, dass das Privat- und Familienleben in Österreich fest verankert ist, was in Ihrem Fall offensichtlich nicht der Fall ist. Der Besuch eines Deutschkurses oder eine Berufsausbildung allein wird noch kein schützenswertes Privatleben begründen.

In Ihrem Fall liegen insbesondere auch keine konkreten Hinweise vor, dass Sie aufgrund Ihrer persönlichen Situation in die hiesigen Verhältnisse hineingewachsen sind, unter gleichzeitiger Entfremdung von Ihrem Heimatland. Insbesondere sprechen Sie nach wie vor die in Ihrem Heimatland gesprochenen Sprachen besser als Deutsch, was sich schon allein daraus ergibt, dass die Einvernahmen bzw. Befragungen im gegenständlichen Asylverfahren nur unter Beiziehung von geeigneten Dolmetschern möglich war. Eine fortgeschrittene familiäre, gesellschaftliche oder berufliche Integration in Österreich ist zudem in Ihrem Fall nicht ersichtlich. Dem Aspekt einer allenfalls zu berücksichtigenden Verankerung in Österreich kommt somit kein bedeutsames Gewicht zu Ihren Gunsten zu.

Auch wenn der Fremde in Österreich die Schule besucht und abgeschlossen hat so überwiegen die öffentlichen Interessen an der Ausreise, weil der Integration des Fremden angesichts des zum überwiegenden Teil unrechtmäßigen Aufenthaltes und des Fehlens der Möglichkeit seinen Aufenthalt vom Inland aus zu legalisieren, trotz der insgesamt langen Aufenthaltsdauer kein entscheidendes Gewicht zukommt (VwGH 19.10.1999, 99/18/0342).

Insbesondere vermag die Dauer Ihres Aufenthalts im Bundesgebiet kein im Sinne des Art. 8 EMRK relevantes Recht auf Achtung des Privatlebens zu begründen.

Im Zusammenhang mit einer Ausweisungsentscheidung und im Hinblick auf die Berücksichtigung der Aufenthaltsdauer wird zudem auf das Erkenntnis des VfGH vom 06.03.2008, B 2400/07-9, verwiesen:

"Zum Zeitpunkt der Erlassung des angefochtenen Bescheides hielt sich der Beschwerdeführer also rund vier Monate in Österreich auf. Der Behörde kann nicht entgegengetreten werden, wenn sie davon ausgeht, dass die Ausweisung schon wegen der kurzen Aufenthaltsdauer auch Art 8 EMRK nicht verletzt."

Auch in Ihrem Fall geht die Aufenthaltsdauer im Bundesgebiet nicht über die vorstehend angeführte Vergleichsentscheidung des VfGH hinaus. Abgesehen von der kurzen Aufenthaltsdauer im Bundesgebiet haben sich im Verfahren auch keine Hinweise auf vorliegende und besonders gewichtige private Interessen an einem Verbleib in Österreich ergeben, insbesondere erfolgte Ihre Einreise nach Österreich illegal, während Ihres gesamten Aufenthalts in Österreich musste Ihnen -unter objektiven Gesichtspunkten betrachtet- Ihr unsicherer Aufenthaltsstatus in Österreich bewusst sein und es sind im vorliegenden Fall auch keine Anhaltspunkte für eine Integrationsverfestigung in Österreich ersichtlich.

Die Außerlandesbringung stellt daher keinen Eingriff in das in Art. 8 EMRK gewährleistete Recht auf Achtung des Privatlebens dar.

Zu Ihren Verwandtschaftsverhältnissen in Österreich ist im Hinblick auf das Recht auf Achtung des Privatlebens weiters folgendes anzumerken:

Allfällige sich aus Ihrem Aufenthalt in Österreich ergebende und direkte Beziehungen zu Verwandten entstanden in der Zeit, als Ihnen Ihr unsicherer Aufenthaltsstatus in Österreich bewusst gewesen sein musste. Wie bereits weiter oben angeführt, hat sich -unter Beachtung Ihres Rechts auf Achtung des Familienlebens- die Zulässigkeit Ihrer Außerlandesbringung aus Österreich in die Niederlande ergeben. Darüber hinausgehend haben sich betreffend Ihren Verwandtschaftsverhältnissen in Österreich im Verfahren keine zusätzlichen, im Hinblick auf ein relevantes Privatleben und einer Außerlandesbringung entgegenstehenden Aspekte ergeben. Angesichts Ihres unsicheren Aufenthaltsstatus in Österreich konnten Sie von vornherein nicht davon ausgehen, dass Ihnen nur aufgrund der Anwesenheit von Verwandten in Österreich ein nicht auf das Asylgesetz gestütztes Aufenthaltsrecht zukommen werde und sich daher ein direkter verwandtschaftlicher Kontakt lediglich auf die Dauer Ihres unsicheren Aufenthalts in Österreich beschränkt. Die Möglichkeit der Aufrechterhaltung von Kontakten zu in Österreich befindlichen Verwandten besteht für Sie -wenn auch in eingeschränkter Form- auch von den Niederlanden aus, z.B. auf telefonischer Basis, durch Brief- oder E-Mailverkehr. Eine etwaige finanzielle und moralische Unterstützung ist auch von Österreich aus weiterhin möglich. Des Weiteren besteht für Ihre Verwandten die Möglichkeit Sie in den Niederlanden zu besuchen. Unter diesen Gesichtspunkten betrachtet und unter Beachtung Ihrer verwandtschaftlichen Anknüpfungspunkte in Österreich stellt Ihre Außerlandesbringung aus Österreich keinen gravierenden Eingriff in Bezug auf Art. 8 EMRK, Achtung des Privatlebens, dar.

Sie sind in Österreich auch nicht Mitglied in Vereinen oder Organisationen und verfügen in Österreich über keine gewichtigen und besonders berücksichtigungswürdigen familiären, verwandtschaftlichen oder sonstigen Anknüpfungspunkte, weswegen unter diesen Gesichtspunkten eine Außerlandesbringung aus Österreich keinen gravierenden Eingriff in Ihr Recht auf Achtung des Familien- und Privatlebens darstellt.

Der VwGH hat weiters folgendes ausgeführt:

Verfügt der Fremde über einen gesicherten Unterhalt und ist er nicht straffällig geworden, so bewirken diese Umstände keine relevante Verstärkung seiner persönlichen Interessen. Vielmehr stellen das Fehlen ausreichender Unterhaltsmittel und die Begehung von Straftaten eigene Gründe für die Erlassung einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme dar (VwGH 13.01.1994, 93/18/0281).

Nachdem Sie in Österreich nicht berufstätig sind, wodurch auch nicht von einer Selbsterhaltungsfähigkeit ausgegangen werden kann, vermögen die vorstehend angeführten Aspekte (Unterhalt, Straffälligkeit) keinesfalls eine Stärkung Ihrer persönlichen Interessen zu bewirken.

In einer Gesamtabwägung der öffentlichen und privaten Interessen ist somit zusammengefasst festzuhalten, dass zusätzlich zum oben angeführten und besonders gewichtigen öffentlichen Interesse an einem geordneten Fremdenwesen, welchem nach Ansicht des Verwaltungsgerichtshofes ein hoher Stellenwert zukommt, die weiteren Aspekte hinzukommen,

Den vorstehend angeführten Aspekten steht der Wunsch an einem Verbleib in Österreich gegenüber, welcher für sich genommen kein bedeutsames Gewicht im Sinne des Art. 8 EMRK bewirkt. Berücksichtigt man weiters die im vorstehenden Absatz angeführten Aspekte, einschließlich Ihres sonstigen Vorbringens im Verfahren, ergeben sich auch unter diesen Gesichtspunkten keine besonders gewichtigen und zu Ihren Gunsten zu wertenden Sachverhalte im Hinblick auf ein im Sinne des Art. 8 EMRK relevantes Familien- und Privatleben in Österreich.

In Ihrem Fall ist weiters davon auszugehen, dass Sie auch die Möglichkeit haben, sich in den Niederlanden ein relevantes Familienund/oder Privatleben aufzubauen, nachdem Sie sich in einem anpassungsfähigen Alter befinden. Unter Berücksichtigung des gesamten Sachverhalts haben sich für das Bundesasylamt keine Anhaltspunkte ergeben, dass es Ihnen -nach einer üblichen Anpassungsphase- nicht möglich sein sollte, sich in die Lebensgewohnheiten und Lebensverhältnisse in den Niederlanden einzufinden.

Aufgrund dieser Überlegungen und einer Gesamtabwägung der Interessen ist daher festzustellen, dass Ihren im Sinne des Art. 8 EMRK relevanten Interesse an einem weiteren Aufenthalt in Österreich ein wesentlich geringerer Stellenwert zukommt, als dem wichtigen öffentlichen Interesse an einer Beendigung Ihres Aufenthaltes im Bundesgebiet, nachdem die zu Ihren Gunsten zu wertenden Aspekte kein besonderes Gewicht zu entfalten vermögen. Daher ist Ihre Außerlandesbringung aus Österreich in die Niederlande zulässig.

Es ist daher davon auszugehen, dass die Anordnung der Außerlandesbringung nicht zu einer relevanten Verletzung der Dublin III-VO, sowie von Art. 7 Grundrechtecharta, beziehungsweise Art. 8 EMRK führt und die Zurückweisungsentscheidung daher unter diesen Aspekten zulässig ist. "

Gegen diesen Bescheid richtet sich die fristgerecht erhobene Beschwerde, in welcher zentral ausgeführt wurde, dass der Antragssteller unter Zuhilfenahme eines gültigen Schengen Visums legal nach den Niederlanden gereist sei, sowie habe er sich sodann auf dem Landweg nach Österreich begeben. Der Antragssteller sei am XXXX in Wien geboren und habe aufgrund des Flüchtlingsstatus seiner Mutter ebenfalls den Status eines anerkannten Flüchtlings gehabt. Der Beschwerdeführer habe bereits in Wien 29 Jahre lang mit seiner Mutter und den Geschwistern im selben Haushalt gelebt. Er sei auch während der Zeit seines Aufenthaltes im Ausland von seiner Mutter und den Geschwistern finanziell unterstützt worden. Die Mutter des Beschwerdeführers konnte aufgrund des Asylstatus nicht in die Türkei einreisen und konnte daher den Beschwerdeführer auch während seines Aufenthaltes in der Türkei nicht besuchen. Vor dieser Zeit sei der Beschwerdeführer in Haft gewesen. Die Gesundheit der Mutter des Beschwerdeführers sei stark angeschlagen. Die Mutter sei daher seelisch auf die Anwesenheit des Beschwerdeführers angewiesen. Im weiteren wurde auf die weiters in Österreich lebenden, legal aufhältigen Geschwister des Antragsstellers verwiesen sowie darauf, dass die familiäre Bindung in Wien sehr stark sei. Der Beschwerdeführer sei 37 Jahre alt und habe 29 Jahre davon in Österreich gelebt. Er habe beabsichtigt zu seiner Familie in Wien zurückzukehren. Nach der Haftentlassung habe er sich zunächst an das neue Land (Türkei) und die Menschen gewöhnen müssen und habe er sehr zurückgezogen gelebt und habe er sich mit seiner Vergangenheit ausreichend auseinander gesetzt. Er habe sich sehr positiv zu einem anderen Menschen entwickelt und sei seither strafgerichtlich nicht auffällig geworden. Der Beschwerdeführer sei im Alter von 17 Jahren mit Urteil des Landesgerichtes Krems verurteilt und gleichzeitig in einer Anstalt untergebracht worden. Nach vollständiger Haftvollziehung (Entlassung am 18.01.2010) sei einvernehmlich der Flüchtlingspass zurückgegeben worden sowie habe man ihn anschließend in die Türkei abgeschoben. Gegen den Antragssteller besteht seit 29.01.2004 ein unbefristetes Aufenthaltsverbot.

Im Hinblick auf die Relevierung des Art. 8 EMRK wurde auf Gerichtsentscheidungen zum Themenreis des vorhergehenden langjährigen Aufenthaltes in Österreich sowie auf eine gebotene Interessensabwägung verwiesen. Der Antragssteller sei im August 1998 und somit vor 20 Jahren verurteilt worden. Zum Zeitpunkt der Verurteilung sei er 17 Jahre alt gewesen und habe er vor seiner Verurteilung durchgehend ununterbrochen in Wien gelebt.

Weiterhin seien Art. 9 und Art. 17 der Dublin III Verordnung verletzt. Zwar habe der Beschwerdeführer stets angeben, dass seine Mutter den Status eines anerkannten Flüchtlings habe, er vor seiner Abschiebung ebenfalls denselben Status gehabt habe sowie seien seine drei weiteren Geschwister ebenfalls anerkannte Flüchtlinge und in Österreich wohnhaft. Er spreche die deutsche Sprache wie seine Muttersprache. Die belangte Behörde habe daher Art. 9 der Dublin III. rechtswidrig nicht angewendet. Weiterhin sei das Konsultationsverfahren mit den Niederlanden mangelhaft durchgeführt worden, da nicht mitgeteilt worden sei, dass der Beschwerdeführer in Wien geboren sei und 29 Jahre hier gelebt habe. Art. 16 der Dublin III. Verordnung sei deshalb verletzt, da das bestehende Abhängigkeitsverhältnis zwischen dem Beschwerdeführer und seiner Mutter nicht hinreichend gewürdigt worden wäre.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Feststellungen:

Festgestellt wird zunächst der dargelegte Verfahrensgang.

Der Antragssteller wurde am XXXX im österreichischen Bundesgebiet geboren.

Der Antragssteller wurde mit Urteil des Landesgerichtes Steyr vom 29.10.1996 gemäß §§ 206 Abs. 1, 207 Abs. 1, 127, 128 Abs. 1/2 sowie 129 Abs. 1 und 83 Abs. 1 StGB zu einer Freiheitsstrafte von fünf Monaten, bedingt, Probezeit drei Jahre rechtskräftig verurteilt.

Mit Landesgericht Wels vom 25.05.1998 wurde der Antragssteller gemäß § 75 StGB (Mord) zu einer Freiheitsstrafte von acht Jahren sowie Einweisung in eine Anstalt für geistig abnorme Rechtsbrecher gemäß § 21 Abs. 2 StGB verurteilt. Der Antragssteller wurde aus der Anstaltsunterbringung am 18.01.2010, bedingt, Probezeit 10 Jahre entlassen.

Über den Antragssteller wurde ein unbefristetes Aufenthaltsgebot für die Republik Österreich verhängt und wurde der Antragssteller nach Entlassung aus dem Maßnahmenvollzug nach der Türkei abgeschoben.

Der Antragssteller reiste sodann legal unter Zuhilfenahme eines seitens niederländischer Berufsvertretungsbehörden ausgestellten Schengen Visums mit dem Gültigkeitszeitraum 13.12.2017 bis 27.01.2018 über die Niederlande in das österreichische Bundesgebiet ein und beantragte am 30.01.2018 die Gewährung internationalen Schutzes.

Der Antragssteller verfügt im österreichischen Bundesgebiet über familiäre Anknüpfungspunkte in Form seiner Mutter sowie mehrere Geschwister. Die Mutter sowie zwei der Geschwister verfügen über Asylstatus. Der Antragssteller steht im ständigen Kontakt zur Mutter sowie seinen Geschwistern und wird von diesen finanziell unterstützt. Zwingende gegenseitige Abhängigkeiten bestehen nicht.

Besondere, in der Person des Antragstellers gelegene Gründe, welche für eine reale Gefahr des fehlenden Schutzes vor Verfolgung in den Niederlanden sprechen, liegen nicht vor. Insbesondere kann nicht erkannt werden, welchem konkreten Gefährdungsrisiko der Beschwerdeführer in den Niederlanden ausgesetzt wäre.

Das Bundesverwaltungsgericht schließt sich den Feststellungen der angefochtenen Bescheide zur Lage im Mitgliedstaat an.

Der Beschwerdeführer leidet an keinerlei Krankheiten oder Beschwerden.

2. Beweiswürdigung:

Die Feststellungen zum Verfahrensgang und zu seinem niederländischen Visum ergeben sich aus den Akten des BFA und dem darin befindlichen Vorbringen des BF, sowie aus dem VIS-Abgleichsbericht. Die Feststellungen zur gesundheitlichen und familiären Situation des BF ergeben sich aus dessen Vorbringen sowie den zeugenschaftlichen Angaben der einvernommen Mutter des Beschwerdeführers im Rahmen des Zulassungsverfahrens.

Die Gesamtsituation des Asylwesens im zuständigen Mitgliedstaat resultiert aus den umfangreichen und durch aktuelle Quellen belegten Länderfeststellungen des angefochtenen Bescheides, welche auf alle entscheidungsrelevanten Fragen eingehen.

Das Bundesamt hat im angefochtenen Bescheid neben Ausführungen zur Versorgungslage von Asylwerbern in den Niederlanden auch Feststellungen zur dortigen Rechtslage und Vollzugspraxis von asyl- und fremdenrechtlichen Bestimmungen (darunter konkret auch im Hinblick auf "Dublin-Rückkehrer") samt dem dortigen jeweiligen Rechtsschutz im Rechtsmittelwege getroffen. Das Bundesverwaltungsgericht schließt sich den oben wiedergegebenen Erwägungen zur Beweiswürdigung an.

3. Rechtliche Beurteilung:

Das Asylgesetz 2005 (AsylG 2005) ist im vorliegenden Fall in der Fassung BGBl. I Nr. 24/2016 anzuwenden. Die maßgeblichen Bestimmungen lauten:

"§ 5 (1) Ein nicht gemäß §§ 4 oder 4a erledigter Antrag auf internationalen Schutz ist als unzulässig zurückzuweisen, wenn ein anderer Staat vertraglich oder auf Grund der Dublin-Verordnung zur Prüfung des Asylantrages oder des Antrages auf internationalen Schutz zuständig ist. Mit der Zurückweisungsentscheidung ist auch festzustellen, welcher Staat zuständig ist. Eine Zurückweisung des Antrages hat zu unterbleiben, wenn im Rahmen einer Prüfung des § 9 Abs. 2 BFA-VG festgestellt wird, dass eine mit der Zurückweisung verbundene Anordnung zur Außerlandesbringung zu einer Verletzung von Art. 8 EMRK führen würde.

(2) Gemäß Abs. 1 ist auch vorzugehen, wenn ein anderer Staat vertraglich oder auf Grund der Dublin-Verordnung dafür zuständig ist zu prüfen, welcher Staat zur Prüfung des Asylantrages oder des Antrages auf internationalen Schutz zuständig ist.

(3) Sofern nicht besondere Gründe, die in der Person des Asylwerbers gelegen sind, glaubhaft gemacht werden oder beim Bundesamt oder beim Bundesverwaltungsgericht offenkundig sind, die für die reale Gefahr des fehlenden Schutzes vor Verfolgung sprechen, ist davon auszugehen, dass der Asylwerber in einem Staat nach Abs. 1 Schutz vor Verfolgung findet.

§ 10 (1) Eine Entscheidung nach diesem Bundesgesetz ist mit einer Rückkehrentscheidung oder einer Anordnung zur Außerlandesbringung gemäß dem 8. Hauptstück des FPG zu verbinden, wenn

1. der Antrag auf internationalen Schutz gemäß §§ 4 oder 4a zurückgewiesen wird,

2. der Antrag auf internationalen Schutz gemäß § 5 zurückgewiesen wird,

...

und in den Fällen der Z 1 und 3 bis 5 von Amts wegen ein Aufenthaltstitel gemäß § 57 nicht erteilt wird sowie in den Fällen der Z 1 bis 5 kein Fall der §§ 8 Abs. 3a oder 9 Abs. 2 vorliegt.

§ 9 Abs. 1 und 2 BFA-VG idF BGBl. I Nr. 144/2013 lautet:

"§ 9 (1) Wird durch eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 FPG, eine Anordnung zur Außerlandesbringung gemäß § 61 FPG, eine Ausweisung gemäß § 66 FPG oder ein Aufenthaltsverbot gemäß § 67 FPG in das Privat- oder Familienleben des Fremden eingegriffen, so ist die Erlassung der Entscheidung zulässig, wenn dies zur Erreichung der im Art. 8 Abs. 2 EMRK genannten Ziele dringend geboten ist.

(2) Bei der Beurteilung des Privat- und Familienlebens im Sinne des Art. 8 EMRK sind insbesondere zu berücksichtigen:

1. die Art und Dauer des bisherigen Aufenthaltes und die Frage, ob der bisherige Aufenthalt des Fremden rechtswidrig war,

2. das tatsächliche Bestehen eines Familienlebens,

3. die Schutzwürdigkeit des Privatlebens,

4. der Grad der Integration,

5. die Bindungen zum Heimatstaat des Fremden,

6. die strafgerichtliche Unbescholtenheit,

7. Verstöße gegen die öffentliche Ordnung, insbesondere im Bereich des Asyl-, Fremdenpolizei- und Einwanderungsrechts,

8. die Frage, ob das Privat- und Familienleben des Fremden in einem Zeitpunkt entstand, in dem sich die Beteiligten ihres unsicheren Aufenthaltsstatus bewusst waren,

9. die Frage, ob die Dauer des bisherigen Aufenthaltes des Fremden in den Behörden zurechenbaren überlangen Verzögerungen begründet ist."

§ 61 FPG 2005 idF BGBl. I Nr. 24/2016 lautet:

"§ 61 (1) Das Bundesamt hat gegen einen Drittstaatsangehörigen eine Außerlandesbringung anzuordnen, wenn

1. dessen Antrag auf internationalen Schutz gemäß §§ 4a oder 5 AsylG 2005 zurückgewiesen wird oder nach jeder weiteren, einer zurückweisenden Entscheidung gemäß §§ 4a oder 5 AsylG 2005 folgenden, zurückweisenden Entscheidung gemäß § 68 Abs. 1 AVG oder

2. ...

(2) Eine Anordnung zur Außerlandesbringung hat zur Folge, dass eine Abschiebung des Drittstaatsangehörigen in den Zielstaat zulässig ist. Die Anordnung bleibt binnen 18 Monaten ab Ausreise des Drittstaatsangehörigen aufrecht.

(3) Wenn die Durchführung der Anordnung zur Außerlandesbringung aus Gründen, die in der Person des Drittstaatsangehörigen liegen, eine Verletzung von Art. 3 EMRK darstellen würde und diese nicht von Dauer sind, ist die Durchführung für die notwendige Zeit aufzuschieben.

(4) Die Anordnung zur Außerlandesbringung tritt außer Kraft, wenn das Asylverfahren gemäß § 28 AsylG 2005 zugelassen wird."

Die maßgeblichen Bestimmungen der Verordnung (EU) Nr. 604/2013 des Europäischen Parlaments und des Rates ("Dublin III-VO") zur Ermittlung des zuständigen Mitgliedstaates lauten:

"KAPITEL II

ALLGEMEINE GRUNDSÄTZE UND SCHUTZGARANTIEN

Art. 3

Verfahren zur Prüfung eines Antrags auf internationalen Schutz

(1) Die Mitgliedstaaten prüfen jeden Antrag auf internationalen Schutz, den ein Drittstaatsangehöriger oder Staatenloser im Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaats einschließlich an der Grenze oder in den Transitzonen stellt. Der Antrag wird von einem einzigen Mitgliedstaat geprüft, der nach den Kriterien des Kapitels III als zuständiger Staat bestimmt wird.

(2) Lässt sich anhand der Kriterien dieser Verordnung der zuständige Mitgliedstaat nicht bestimmen, so ist der erste Mitgliedstaat, in dem der Antrag auf internationalen Schutz gestellt wurde, für dessen Prüfung zuständig.

Erweist es sich als unmöglich, einen Antragsteller an den zunächst als zuständig bestimmten Mitgliedstaat zu überstellen, da es wesentliche Gründe für die Annahme gibt, dass das Asylverfahren und die Aufnahmebedingungen für Antragsteller in diesem Mitgliedstaat systemische Schwachstellen aufweisen, die eine Gefahr einer unmenschlichen oder entwürdigenden Behandlung im Sinne des Artikels 4 der EU-Grundrechtecharta mit sich bringen, so setzt der die Zuständigkeit prüfende Mitgliedstaat, die Prüfung der in Kapitel III vorgesehenen Kriterien fort, um festzustellen, ob ein anderer Mitgliedstaat als zuständig bestimmt werden kann.

Kann keine Überstellung gemäß diesem Absatz an einen aufgrund der Kriterien des Kapitels III bestimmten Mitgliedstaat oder an den ersten Mitgliedstaat, in dem der Antrag gestellt wurde, vorgenommen werden, so wird der die Zuständigkeit prüfende Mitgliedstaat der zuständige Mitgliedstaat.

(3) Jeder Mitgliedstaat behält das Recht, einen Antragsteller nach Maßgabe der Bestimmungen und Schutzgarantien der Richtlinie 32/2013/EU in einen sicheren Drittstaat zurück- oder auszuweisen.

KAPITEL III

KRITERIEN ZUR BESTIMMUNG DES ZUSTÄNDIGEN MITGLIEDSTAATS

Art. 7

Rangfolge der Kriterien

(1) Die Kriterien zur Bestimmung des zuständigen Mitgliedstaats finden in der in diesem Kapitel genannten Rangfolge Anwendung.

(2) Bei der Bestimmung des nach den Kriterien dieses Kapitels zuständigen Mitgliedstaats wird von der Situation ausgegangen, die zu dem Zeitpunkt gegeben ist, zu dem der Antragsteller seinen Antrag auf internationalen Schutz zum ersten Mal in einem Mitgliedstaat stellt.

(3) Im Hinblick auf die Anwendung der in den Artikeln 8, 10 und 6 (Anmerkung: gemeint wohl 16) genannten Kriterien berücksichtigen die Mitgliedstaaten alle vorliegenden Indizien für den Aufenthalt von Familienangehörigen, Verwandten oder Personen jeder anderen verwandtschaftlichen Beziehung des Antragstellers im Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaats, sofern diese Indizien vorgelegt werden, bevor ein anderer Mitgliedstaat dem Gesuch um Aufnahme- oder Wiederaufnahme der betreffenden Person gemäß den Artikeln 22 und 25 stattgegeben hat, und sofern über frühere Anträge des Antragstellers auf internationalen Schutz noch keine Erstentscheidung in der Sache ergangen ist.

Art. 12

Ausstellung von Aufenthaltstiteln oder Visa

(1) Besitzt der Antragsteller einen gültigen Aufenthaltstitel, so ist der Mitgliedstaat, der den Aufenthaltstitel ausgestellt hat, für die Prüfung des Antrags auf internationalen Schutz zuständig.

(2) Besitzt der Antragsteller ein gültiges Visum, so ist der Mitgliedstaat, der das Visum erteilt hat, für die Prüfung des Antrags auf internationalen Schutz zuständig, es sei denn, dass das Visum im Auftrag eines anderen Mitgliedstaats im Rahmen einer Vertretungsvereinbarung gemäß Artikel 8 der Verordnung (EG) Nr. 810/2009 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 13. Juli 2009 über einen Visakodex der Gemeinschaft ( 1 ) erteilt wurde. In diesem Fall ist der vertretene Mitgliedstaat für die Prüfung des Antrags auf internationalen Schutz zuständig.

(3) Besitzt der Antragsteller mehrere gültige Aufenthaltstitel oder Visa verschiedener Mitgliedstaaten, so sind die Mitgliedstaaten für die Prüfung des Antrags auf internationalen Schutz in folgender Reihenfolge zuständig:

a) der Mitgliedstaat, der den Aufenthaltstitel mit der längsten Gültigkeitsdauer erteilt hat, oder bei gleicher Gültigkeitsdauer der Mitgliedstaat, der den zuletzt ablaufenden Aufenthaltstitel erteilt hat;

b) der Mitgliedstaat, der das zuletzt ablaufende Visum erteilt hat, wenn es sich um gleichartige Visa handelt;

c) bei nicht gleichartigen Visa der Mitgliedstaat, der das Visum mit der längsten Gültigkeitsdauer erteilt hat, oder bei gleicher Gültigkeitsdauer der Mitgliedstaat, der das zuletzt ablaufende Visum erteilt hat.

(4) Besitzt der Antragsteller nur einen oder mehrere Aufenthaltstitel, die weniger als zwei Jahre zuvor abgelaufen sind, oder ein oder mehrere Visa, die seit weniger als sechs Monaten abgelaufen sind, aufgrund deren er in das Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaats einreisen konnte, so sind die Absätze 1, 2 und 3 anwendbar, solange der Antragsteller das Hoheitsgebiet der Mitgliedstaaten nicht verlassen hat.

Besitzt der Antragsteller einen oder mehrere Aufenthaltstitel, die mehr als zwei Jahre zuvor abgelaufen sind, oder ein oder mehrere Visa, die seit mehr als sechs Monaten abgelaufen sind, aufgrund deren er in das Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaats einreisen konnte, und hat er die Hoheitsgebiete der Mitgliedstaaten nicht verlassen, so ist der Mitgliedstaat zuständig, in dem der Antrag auf internationalen Schutz gestellt wird.

(5) Der Umstand, dass der Aufenthaltstitel oder das Visum aufgrund einer falschen oder missbräuchlich verwendeten Identität oder nach Vorlage von gefälschten, falschen oder ungültigen Dokumenten erteilt wurde, hindert nicht daran, dem Mitgliedstaat, der den Titel oder das Visum erteilt hat, die Zuständigkeit zuzuweisen. Der Mitgliedstaat, der den Aufenthaltstitel oder das Visum ausgestellt hat, ist nicht zuständig, wenn nachgewiesen werden kann, dass nach Ausstellung des Titels oder des Visums eine betrügerische Handlung vorgenommen wurde.

Art. 13

Einreise und/oder Aufenthalt

(1) Wird auf der Grundlage von Beweismitteln oder Indizien gemäß den beiden in Artikel 22 Absatz 3 dieser Verordnung genannten Verzeichnissen, einschließlich der Daten nach der Verordnung (EU) Nr. 603/2013 festgestellt, dass ein Antragsteller aus einem Drittstaat kommend die Land-, See- oder Luftgrenze eines Mitgliedstaats illegal überschritten hat, so ist dieser Mitgliedstaat für die Prüfung des Antrags auf internationalen Schutz zuständig. Die Zuständigkeit endet zwölf Monate nach dem Tag des illegalen Grenzübertritts.

(2) Ist ein Mitgliedstaat nicht oder gemäß Absatz 1 dieses Artikels nicht länger zuständig und wird auf der Grundlage von Beweismitteln oder Indizien gemäß den beiden in Artikel 22 Absatz 3 genannten Verzeichnissen festgestellt, dass der Antragsteller - der illegal in die Hoheitsgebiete der Mitgliedstaaten eingereist ist oder bei dem die Umstände der Einreise nicht festgestellt werden können - sich vor der Antragstellung während eines ununterbrochenen Zeitraums von mindestens fünf Monaten in einem Mitgliedstaat aufgehalten hat, so ist dieser Mitgliedstaat für die Prüfung des Antrags auf internationalen Schutz zuständig.

Hat sich der Antragsteller für Zeiträume von mindestens fünf Monaten in verschiedenen Mitgliedstaaten aufgehalten, so ist der Mitgliedstaat, wo er sich zuletzt aufgehalten hat, für die Prüfung des Antrags auf internationalen Schutz zuständig.

KAPITEL IV

ABHÄNGIGE PERSONEN UND ERMESSENSKLAUSELN

Artikel 16

Abhängige Personen

(1) Ist ein Antragsteller wegen Schwangerschaft, eines neugeborenen Kindes, schwerer Krankheit, ernsthafter Behinderung oder hohen Alters auf die Unterstützung seines Kindes, eines seiner Geschwister oder eines Elternteils, das/der sich rechtmäßig in einem Mitgliedstaat aufhält, angewiesen oder ist sein Kind, eines seiner Geschwister oder ein Elternteil, das/der sich rechtmäßig in einem Mitgliedstaat aufhält, auf die Unterstützung des

Antragstellers angewiesen, so entscheiden die Mitgliedstaaten in der Regel, den Antragsteller und dieses Kind, dieses seiner Geschwister oder Elternteil nicht zu trennen bzw. sie zusammenzuführen, sofern die familiäre Bindung bereits im Herkunftsland bestanden hat, das Kind, eines seiner Geschwister oder der Elternteil in der Lage ist, die abhängige Person zu unterstützen und die betroffenen Personen ihren Wunsch schriftlich kundgetan haben.

(2) Hält sich das Kind, eines seiner Geschwister oder ein Elternteil im Sinne des Absatzes 1 rechtmäßig in einem anderen Mitgliedstaat als der Antragsteller auf, so ist der Mitgliedstaat, in dem sich das Kind, eines seiner Geschwister oder ein Elternteil rechtmäßig aufhält, zuständiger Mitgliedstaat, sofern der Gesundheitszustand des Antragstellers diesen nicht längerfristig daran hindert, in diesen Mitgliedstaat zu reisen. In diesem Fall, ist der Mitgliedstaat, in dem sich der Antragsteller aufhält, zuständiger Mitgliedstaat. Dieser Mitgliedstaat kann nicht zum Gegenstand der Verpflichtung gemacht werden, d s Kind, eines

seiner Geschwister oder ein Elternteil in sein Hoheitsgebiet zu verbringen.

(3) Der Kommission wird die Befugnis übertragen gemäß Artikel 45 in Bezug auf die Elemente, die zur Beurteilung des Abhängigkeitsverhältnisses zu berücksichtigen sind, in Bezug auf die Kriterien zur Feststellung des Bestehens einer nachgewiesenen familiären Bindung, in Bezug auf die Kriterien zur Beurteilung der Fähigkeit der betreffenden Person zur Sorge für die abhängige Person und in Bezug auf die Elemente, die zur Beurteilung einer längerfristigen Reiseunfähigkeit zu berücksichtigen sind, delegierte Rechtsakte zu erlassen.

(4) Die Kommission legt im Wege von Durchführungsrechtsakten einheitliche Bedingungen für Konsultationen und den Informationsaustausch zwischen den Mitgliedstaaten fest. Diese

Durchführungsrechtsakte werden nach dem in Artikel 44 Absatz 2 genannten Prüfverfahren erlassen.

Art. 17

Ermessensklauseln

(1) Abweichend von Artikel 3 Absatz 1 kann jeder Mitgliedstaat beschließen, einen bei ihm von einem Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen gestellten Antrag auf internationalen Schutz zu prüfen, auch wenn er nach den in dieser Verordnung festgelegten Kriterien nicht für die Prüfung zuständig ist.

Der Mitgliedstaat, der gemäß diesem Absatz beschließt, einen Antrag auf internationalen Schutz zu prüfen, wird dadurch zum zuständigen Mitgliedstaat und übernimmt die mit dieser Zuständigkeit einhergehenden Verpflichtungen. Er unterrichtet gegebenenfalls über das elektronische Kommunikationsnetz DubliNet, das gemäß Artikel 18 der Verordnung (EG) Nr. 1560/2003 eingerichtet worden ist, den zuvor zuständigen Mitgliedstaat, den Mitgliedstaat, der ein Verfahren zur Bestimmung des zuständigen Mitgliedstaats durchführt, oder den Mitgliedstaat, an den ein Aufnahme- oder Wiederaufnahmegesuch gerichtet wurde.

Der Mitgliedstaat, der nach Maßgabe dieses Absatzes zuständig wird, teilt diese Tatsache unverzüglich über Eurodac nach Maßgabe der Verordnung (EU) Nr. 603/2013 mit, indem er den Zeitpunkt über die erfolgte Entscheidung zur Prüfung des Antrags anfügt.

(2) Der Mitgliedstaat, in dem ein Antrag auf internationalen Schutz gestellt worden ist und der das Verfahren zur Bestimmung des zuständigen Mitgliedstaats durchführt, oder der zuständige Mitgliedstaat kann, bevor eine Erstentscheidung in der Sache ergangen ist, jederzeit einen anderen Mitgliedstaat ersuchen, den Antragsteller aufzunehmen, aus humanitären Gründen, die sich insbesondere aus dem familiären oder kulturellen Kontext ergeben, um Personen jeder verwandtschaftlichen Beziehung zusammenzuführen, auch wenn der andere Mitgliedstaat nach den Kriterien in den Artikeln 8 bis 11 und 16 nicht zuständig ist. Die betroffenen Personen müssen dem schriftlich zustimmen.

Das Aufnahmegesuch umfasst alle Unterlagen, über die der ersuchende Mitgliedstaat verfügt, um dem ersuchten Mitgliedstaat die Beurteilung des Falles zu ermöglichen.

Der ersuchte Mitgliedstaat nimmt alle erforderlichen Überprüfungen vor, um zu prüfen, dass die angeführten humanitären Gründe vorliegen, und antwortet dem ersuchenden Mitgliedstaat über das elektronische Kommunikationsnetz DubliNet, das gemäß Artikel 18 der Verordnung (EG) Nr. 1560/2003 eingerichtet wurde, innerhalb von zwei Monaten nach Eingang des Gesuchs. Eine Ablehnung des Gesuchs ist zu begründen.

Gibt der ersuchte Mitgliedstaat dem Gesuch statt, so wird ihm die Zuständigkeit für die Antragsprüfung übertragen.

KAPITEL V

PFLICHTEN DES ZUSTÄNDIGEN MITGLIEDSTAATS

Artikel 18

Pflichten des zuständigen Mitgliedstaats

(1) Der nach dieser Verordnung zuständige Mitgliedstaat ist verpflichtet:

a) einen Antragsteller, der in einem anderen Mitgliedstaat einen Antrag gestellt hat, nach Maßgabe der Artikel 21, 22 und 29 aufzunehmen;

b) einen Antragsteller, der während der Prüfung seines Antrags in einem anderen Mitgliedstaat einen Antrag gestellt hat oder der sich im Hoheitsgebiet eines anderen Mitgliedstaats ohne Aufenthaltstitel aufhält, nach Maßgabe der Artikel 23, 24, 25 und 29 wieder aufzunehmen;

c) einen Drittstaatsangehörigen oder einen Staatenlosen, der seinen Antrag während der Antragsprüfung zurückgezogen und in einem anderen Mitgliedstaat einen Antrag gestellt hat oder der sich ohne Aufenthaltstitel im Hoheitsgebiet eines anderen Mitgliedstaats aufhält, nach Maßgabe der Artikel 23, 24, 25 und 29 wieder aufzunehmen;

d) einen Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen, dessen Antrag abgelehnt wurde und der in einem anderen Mitgliedstaat einen Antrag gestellt hat oder der sich im Hoheitsgebiet eines anderen Mitgliedstaats ohne Aufenthaltstitel aufhält, nach Maßgabe der Artikel 23, 24, 25 und 29 wieder aufzunehmen.

(2) Der zuständige Mitgliedstaat prüft in allen dem Anwendungsbereich des Absatzes 1 Buchstaben a und b unterliegenden Fällen den gestellten Antrag auf internationalen Schutz oder schließt seine Prüfung ab.

Hat der zuständige Mitgliedstaat in den in den Anwendungsbereich von Absatz 1 Buchstabe c fallenden Fällen die Prüfung nicht fortgeführt, nachdem der Antragsteller den Antrag zurückgezogen hat, bevor eine Entscheidung in der Sache in erster Instanz ergangen ist, stellt dieser Mitgliedstaat sicher, dass der Antragsteller berechtigt ist, zu beantragen, dass die Prüfung seines Antrags abgeschlossen wird, oder einen neuen Antrag auf internationalen Schutz zu stellen, der nicht als Folgeantrag im Sinne der Richtlinie 2013/32/EU behandelt wird. In diesen Fällen gewährleisten die Mitgliedstaaten, dass die Prüfung des Antrags abgeschlossen wird.

In den in den Anwendungsbereich des Absatzes 1 Buchstabe d fallenden Fällen, in denen der Antrag nur in erster Instanz abgelehnt worden ist, stellt der zuständige Mitgliedstaat sicher, dass die betreffende Person die Möglichkeit hat oder hatte, einen wirksamen Rechtsbehelf gemäß Artikel 46 der Richtlinie 2013/32/EU einzulegen.

KAPITEL VI

AUFNAHME- UND WIEDERAUFNAHMEVERFAHREN

Art. 20

Einleitung des Verfahrens

(1) Das Verfahren zur Bestimmung des zuständigen Mitgliedstaats wird eingeleitet, sobald in einem Mitgliedstaat erstmals ein Antrag auf internationalen Schutz gestellt wird.

(2) Ein Antrag auf internationalen Schutz gilt als gestellt, wenn den zuständigen Behörden des betreffenden Mitgliedstaats ein vom Antragsteller eingereichtes Formblatt oder ein behördliches Protokoll zugegangen ist. Bei einem nicht in schriftlicher Form gestellten Antrag sollte die Frist zwischen der Abgabe der Willenserklärung und der Erstellung eines Protokolls so kurz wie möglich sein.

(3) Für die Zwecke dieser Verordnung ist die Situation eines mit dem Antragsteller einreisenden Minderjährigen, der der Definition des Familienangehörigen entspricht, untrennbar mit der Situation seines Familienangehörigen verbunden und fällt in die Zuständigkeit des Mitgliedstaats, der für die Prüfung des Antrags auf internationalen Schutz dieses Familienangehörigen zuständig ist, auch wenn der Minderjährige selbst kein Antragsteller ist, sofern dies dem Wohl des Minderjährigen dient. Ebenso wird bei Kindern verfahren, die nach der Ankunft des Antragstellers im Hoheitsgebiet der Mitgliedstaaten geboren werden, ohne dass ein neues Zuständigkeitsverfahren für diese eingeleitet werden muss.

(4) Stellt ein Antragsteller bei den zuständigen Behörden eines Mitgliedstaats einen Antrag auf internationalen Schutz, während er sich im Hoheitsgebiet eines anderen Mitgliedstaats aufhält, obliegt die Bestimmung des zuständigen Mitgliedstaats dem Mitgliedstaat, in dessen Hoheitsgebiet sich der Antragsteller aufhält. Dieser Mitgliedstaat wird unverzüglich von dem mit dem Antrag befassten Mitgliedstaat unterrichtet und gilt dann für die Zwecke dieser Verordnung als der Mitgliedstaat, bei dem der Antrag auf internationalen Schutz gestellt wurde.

Der Antragsteller wird schriftlich von dieser Änderung des die Zuständigkeit prüfenden Mitgliedstaats und dem Zeitpunkt, zu dem sie erfolgt ist, unterrichtet.

(5) Der Mitgliedstaat, bei dem der erste Antrag auf internationalen Schutz gestellt wurde, ist gehalten, einen Antragsteller, der sich ohne Aufenthaltstitel im Hoheitsgebiet eines anderen

Mitgliedstaats aufhält oder dort einen Antrag auf internationalen Schutz gestellt hat, nachdem er seinen ersten Antrag noch während des Verfahrens zur Bestimmung des zuständigen Mitgliedstaats zurückgezogen hat, nach den Bestimmungen der Artikel 23, 24, 25 und 29 wieder aufzunehmen, um das Verfahren zur Bestimmung des zuständigen Mitgliedstaats zum Abschluss zu bringen.

Diese Pflicht erlischt, wenn der Mitgliedstaat, der das Verfahren zur Bestimmung des zuständigen Mitgliedstaats abschließen soll, nachweisen kann, dass der Antragsteller zwischenzeitlich das Hoheitsgebiet der Mitgliedstaaten für mindestens drei Monate verlassen oder in einem anderen Mitgliedstaat einen Aufenthaltstitel erhalten hat.

Ein nach einem solchen Abwesenheitszeitraum gestellter Antrag im Sinne von Unterabsatz 2 gilt als neuer Antrag, der ein neues Verfahren zur Bestimmung des zuständigen Mitgliedstaats auslöst.

Art. 21

Aufnahmegesuch

(1) Hält der Mitgliedstaat, in dem ein Antrag auf internationalen Schutz gestellt wurde, einen anderen Mitgliedstaat für die Prüfung des Antrags für zuständig, so kann er so bald wie möglich, auf jeden Fall aber innerhalb von drei Monaten nach Antragstellung im Sinne von Artikel 20 Absatz 2, diesen anderen Mitgliedstaat ersuchen, den Antragsteller aufzunehmen.

Abweichend von Unterabsatz 1 wird im Fall einer Eurodac-Treffermeldung im Zusammenhang mit Daten gemäß Artikel 14 der Verordnung (EU) Nr. 603/2013 dieses Gesuch innerhalb von zwei Monaten nach Erhalt der Treffermeldung gemäß Artikel 15 Absatz 2 jener Verordnung gestellt. Wird das Gesuch um Aufnahme eines Antragstellers nicht innerhalb der in Unterabsätzen 1 und 2 niedergelegten Frist unterbreitet, so ist der Mitgliedstaat, in dem der Antrag auf internationalen Schutz gestellt wurde, für die Prüfung des Antrags zuständig.

(2) Der ersuchende Mitgliedstaat kann in Fällen, in denen der Antrag auf internationalen Schutz gestellt wurde, nachdem die Einreise oder der Verbleib verweigert wurde, der Betreffende wegen illegalen Aufenthalts festgenommen wurde oder eine Abschiebungsanordnung zugestellt oder vollstreckt wurde, eine dringende Antwort anfordern. In dem Gesuch werden die Gründe genannt, die eine dringende Antwort rechtfertigen, und es wird angegeben, innerhalb welcher Frist eine Antwort erwartet wird. Diese Frist beträgt mindestens eine Woche.

(3) In den Fällen im Sinne der Unterabsätze 1 und 2 ist für das Gesuch um Aufnahme durch einen anderen Mitgliedstaat ein Formblatt zu verwenden, das Beweismittel oder Indizien gemäß den beiden in Artikel 22 Absatz 3 genannten Verzeichnissen und/oder sachdienliche Angaben aus der Erklärung des Antragstellers enthalten muss, anhand deren die Behörden des ersuchten Mitgliedstaats prüfen können, ob ihr Staat gemäß den in dieser Verordnung definierten Kriterien zuständig ist. Die Kommission legt im Wege von Durchführungsrechtsakten einheitliche Bedingungen für die Erstellung und Übermittlung von Aufnahmegesuchen fest. Diese Durchführungsrechtsakte werden gemäß dem in Artikel 44 Absatz 2 genannten Prüfverfahren erlassen.

Art. 22

Antwort auf ein Aufnahmegesuch

(1) Der ersuchte Mitgliedstaat nimmt die erforderlichen Überprüfungen vor und entscheidet über das Gesuch um Aufnahme eines Antragstellers innerhalb von zwei Monaten, nach Erhalt des Gesuchs.

(2) In dem Verfahren zur Bestimmung des zuständigen Mitgliedstaats werden Beweismittel und Indizien verwendet.

(3) Die Kommission legt im Wege von Durchführungsrechtsakten die Erstellung und regelmäßige Überprüfung zweier Verzeichnisse, in denen die sachdienlichen Beweismittel und Indizien gemäß den in den Buchstaben a und b dieses Artikels festgelegten Kriterien aufgeführt sind, fest. Diese Durchführungsrechtsakte werden gemäß dem in Artikel 44 Absatz 2 genannten Prüfverfahren erlassen.

a) Beweismittel:

i) Hierunter fallen förmliche Beweismittel, die insoweit über die Zuständigkeit nach dieser Verordnung entscheiden, als sie nicht durch Gegenbeweise widerlegt werden;

ii) Die Mitgliedstaaten stellen dem in Artikel 44 vorgesehenen Ausschuss nach Maßgabe der im Verzeichnis der förmlichen Beweismittel festgelegten Klassifizierung Muster der verschiedenen Arten der von ihren Verwaltungen verwendeten Dokumente zur Verfügung;

b) Indizien:

i) Hierunter fallen einzelne Anhaltspunkte, die, obwohl sie anfechtbar sind, in einigen Fällen nach der ihnen zugebilligten Beweiskraft ausreichen können;

ii) Ihre Beweiskraft hinsichtlich der Zuständigkeit für die Prüfung des Antrags auf internationalen Schutz wird von Fall zu Fall bewertet.

(4) Das Beweiserfordernis sollte nicht über das für die ordnungsgemäße Anwendung dieser Verordnung erforderliche Maß hinausgehen.

(5) Liegen keine förmlichen Beweismittel vor, erkennt der ersuchte Mitgliedstaat seine Zuständigkeit an, wenn die Indizien kohärent, nachprüfbar und hinreichend detailliert sind, um die Zuständigkeit zu begründen.

(6) Beruft sich der ersuchende Mitgliedstaat auf das Dringlichkeitsverfahren gemäß Artikel 21 Absatz 2, so unternimmt der ersuchte Mitgliedstaat alle Anstrengungen, um die vorgegebene Frist einzuhalten. In Ausnahmefällen, in denen nachgewiesen werden kann, dass die Prüfung eines Gesuchs um Aufnahme eines Antragstellers besonders kompliziert ist, kann der ersuchte Mitgliedstaat seine Antwort nach Ablauf der vorgegebenen Frist erteilen, auf jeden Fall ist die Antwort jedoch innerhalb eines Monats zu erteilen. In derartigen Fällen muss der ersuchte Mitgliedstaat seine Entscheidung, die Antwort zu einem späteren Zeitpunkt zu erteilen, dem ersuchenden Mitgliedstaat innerhalb der ursprünglich gesetzten Frist mitteilen.

(7) Wird innerhalb der Frist von zwei Monaten gemäß Absatz 1 bzw. der Frist von einem Monat gemäß Absatz 6 keine Antwort erteilt, ist davon auszugehen, dass dem Aufnahmegesuch stattgegeben wird, was die Verpflichtung nach sich zieht, die Person aufzunehmen und angemessene Vorkehrungen für die Ankunft zu treffen."

Zu A)

1. Zu Spruchpunkt I. des angefochtenen Bescheides (Zurückweisung des Antrags auf internationalen Schutz):

In materieller Hinsicht ist die Zuständigkeit des Königreichs der Niederlande zur Prüfung des Asylantrags des BF aufgrund des vorliegenden Visums, mit dem der BF in das Hoheitsgebiet der Mitgliedstaaten eingereist ist, jedenfalls in Art. 12 Abs. 2 Dublin III-VO begründet.

Auch aus Art. 16 Abs. 1 (abhängige Personen) und 17 Abs. 2 (humanitäre Klausel) Dublin III-VO ergibt sich keine österreichische Zuständigkeit zur Prüfung des Antrages des BF.

Einerseits haben sich im Verfahren keinerlei Hinweise auf eine Abhängigkeit des Beschwerdeführers von den in Österreich lebenden Bezugspersonen ergeben sowie andererseits liegen keine drastischen Gründe für die dringende Anwendung des Art. 17 Abs. 2 der Dublin III. Verordnung vor.

Nach der Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes (zB 17.06.2005, B 336/05; 15.10.2004, G 237/03) und des Verwaltungsgerichtshofes (zB 23.01.2007, 2006/01/0949; 25.04.2006, 2006/19/0673) ist aus innerstaatlichen verfassungsrechtlichen Gründen das Selbsteintrittsrecht zwingend auszuüben, sollte die innerstaatliche Überprüfung der Auswirkungen einer Überstellung ergeben, dass Grundrechte des betreffenden Asylwerbers bedroht wären.

Das BFA hat von der Möglichkeit der Ausübung des Selbsteintrittsrechts nach Art. 17 Abs. 1 Dublin III-VO keinen Gebrauch gemacht. Es war daher zu prüfen, ob von diesem Selbsteintrittsrecht im gegenständlichen Verfahren ausnahmsweise zur Vermeidung einer Verletzung der EMRK zwingend Gebrauch zu machen gewesen wäre:

Die bloße Möglichkeit einer Art. 3 EMRK widersprechenden Behandlung in jenem Staat, in den ein Fremder abgeschoben werden soll, genügt nicht, um die Abschiebung des Fremden in diesen Staat als unzulässig erscheinen zu lassen. Wenn keine Gruppenverfolgung oder sonstige amtswegig zu berücksichtigenden notorischen Umstände grober Menschenrechtsverletzungen in Mitgliedstaaten der EU in Bezug auf Art. 3 EMRK vorliegen (VwGH 27.09.2005, 2005/01/0313), bedarf es zur Glaubhaftmachung der genannten Bedrohung oder Gefährdung konkreter, auf den betreffenden Fremden bezogener Umstände, die gerade in seinem Fall eine solche Bedrohung oder Gefährdung im Fall seiner Abschiebung als wahrscheinlich erscheinen lassen (VwGH 26.11.1999, 96/21/0499; 09.05.2003, 98/18/0317; vgl. auch 16.07.2003, 2003/01/0059). "Davon abgesehen liegt es aber beim Asylwerber, besondere Gründe, die für die reale Gefahr eines fehlenden Verfolgungsschutzes im zuständigen Mitgliedstaat sprechen, vorzubringen und glaubhaft zu machen. Dazu wird es erforderlich sein, dass der Asylwerber ein ausreichend konkretes Vorbringen erstattet, warum die Verbringung in den zuständigen Mitgliedstaat gerade für ihn die reale Gefahr eines fehlenden Verfolgungsschutzes, insbesondere einer Verletzung von Art. 3 EMRK, nach sich ziehen könnte, und er die Asylbehörden davon überzeugt, dass der behauptete Sachverhalt (zumindest) wahrscheinlich ist." (VwGH 23.01.2007, 2006/01/0949).

Die Vorlage allgemeiner Berichte ersetzt dieses Erfordernis in der Regel nicht (vgl. VwGH 17.02.1998, 96/18/0379; EGMR 04.02.2005, 46827/99 und 46951/99, Mamatkulov und Askarov/Türkei Rz 71-77), eine geringe Anerkennungsquote, eine mögliche Festnahme im Falle einer Überstellung, ebenso eine allfällige Unterschreitung des verfahrensrechtlichen Standards des Art. 13 EMRK, sind für sich genommen nicht ausreichend, die Wahrscheinlichkeit einer hier relevanten Menschenrechtsverletzung darzutun. Relevant wäre dagegen etwa das Vertreten von mit der GFK unvertretbaren rechtlichen Sonderpositionen in einem Mitgliedstaat oder das Vorliegen einer massiv rechtswidrigen Verfahrensgestaltung im individuellen Fall, wenn der Asylantrag im zuständigen Mitgliedstaat bereits abgewiesen wurde. Eine ausdrückliche Übernahmeerklärung des anderen Mitgliedstaates hat in die Abwägung einzufließen (VwGH 31.03.2005, 2002/20/0582; 31.05.2005, 2005/20/0025; 25.04.2006, 2006/19/0673), ebenso weitere Zusicherungen der europäischen Partnerstaaten Österreichs (zur Bedeutung solcher Sachverhalte Filzwieser/Sprung, Dublin II-Verordnung³, K13 zu Art. 19).

Der EuGH sprach in seinem Urteil vom 10.12.2013, C-394/12 , Shamso Abdullahi/Österreich Rz 60, aus, dass in einem Fall, in dem ein Mitgliedstaat der Aufnahme eines Asylbewerbers nach Maßgabe des in Art. 10 Abs. 1 Dublin II-VO festgelegten Kriteriums zugestimmt hat, der Asylbewerber der Heranziehung dieses Kriteriums nur damit entgegentreten kann, dass er systemische Mängel des Asylverfahrens und der Aufnahmebedingungen für Asylbewerber in diesem Mitgliedstaat geltend macht, die ernsthafte und durch Tatsachen bestätigte Gründe für die Annahme darstellen, dass er tatsächlich Gefahr läuft, einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung im Sinne von Art. 4 GRC ausgesetzt zu werden.

Zudem hat der EuGH in seinem Urteil vom 07.06.2016, C-63/15 ,

Gezelbash (Große Kammer), festgestellt, dass Art. 27 Abs. 1 Dublin

III-VO im Licht des 19. Erwägungsgrundes dieser Verordnung dahin

auszulegen ist, dass [ ... ] ein Asylbewerber im Rahmen eines

Rechtsbehelfs gegen eine Entscheidung über seine Überstellung die

fehlerhafte Anwendung eines in Kapitel III dieser Verordnung

festgelegten Zuständigkeitskriteriums [ ... ] geltend machen kann.

Damit im Einklang steht das Urteil des EuGH ebenfalls vom 07.06.2016, C-155/15 , Karim (Große Kammer), wonach ein Asylbewerber im Rahmen eines Rechtsbehelfs gegen eine Entscheidung über seine Überstellung einen Verstoß gegen die Regelung des Art. 19 Abs. 2 Unterabs. 2 der Verordnung geltend machen kann.

Mit der Frage, ab welchem Ausmaß von festgestellten Mängeln im Asylsystem des zuständigen Mitgliedstaates der Union ein Asylwerber von einem anderen Aufenthaltsstaat nicht mehr auf die Inanspruchnahme des Rechtsschutzes durch die innerstaatlichen Gerichte im zuständigen Mitgliedstaat und letztlich den EGMR zur Wahrnehmung seiner Rechte verwiesen werden darf, sondern vielmehr vom Aufenthaltsstaat zwingend das Selbsteintrittsrecht nach Art. 3 Abs. 2 Dublin II-VO auszuüben ist, hat sich der EuGH in seinem Urteil vom 21.12.2011, C-411/10 und C-493/10 , N.S. ua/Vereinigtes Königreich, befasst und - ausgehend von der Rechtsprechung des EGMR in der Entscheidung vom 02.12.2008, 32733/08, K.R.S./Vereinigtes Königreich, sowie deren Präzisierung mit der Entscheidung vom 21.01.2011 (GK), 30696/09, M.S.S./Belgien und Griechenland - ausdrücklich ausgesprochen, dass nicht jede Verletzung eines Grundrechtes durch den zuständigen Mitgliedstaat, sondern erst systemische Mängel im Asylverfahren und den Aufnahmebedingungen für Asylbewerber im zuständigen Mitgliedstaat die Ausübung des Selbsteintrittsrechtes durch den Aufenthaltsstaat gebieten.

Somit ist zum einen unionsrechtlich (im Hinblick auf die Urteile des EuGH vom 10.12.2013, C-394/12 , Shamso Abdullahi/Österreich, sowie jeweils vom 07.06.2016, C-63/15 , Gezelbash, und C-155/15 , Karim) zu prüfen, ob im zuständigen Mitgliedstaat systemische Mängel im Asylverfahren und den Aufnahmebedingungen für Asylbewerber vorherrschen, und zum anderen, ob die BF im Falle der Zurückweisung ihres Antrages auf internationalen Schutz und ihrer Außerlandesbringung nach Finnland gemäß §§ 5 AsylG und 61 FPG - unter Bezugnahme auf ihre persönliche Situation - in ihren Rechten gemäß Art. 3 und/oder 8 EMRK verletzt werden würden, wobei der Maßstab des "real risk" anzulegen ist.

Der angefochtene Bescheid enthält - wie oben ausgeführt - ausführliche Feststellungen zum niederländischen Asylwesen. Diese Feststellungen basieren auf einer aktuellen Zusammenstellung der Staatendokumentation des BFA, zu den einzelnen Passagen sind jeweils detaillierte Quellenangaben angeführt. Die belangte Behörde behandelt in ihrem Bescheid etwa die Situation von sogenannten "Dublin-Rückkehrern", das Non-Refoulmentgebot sowie die Versorgung, einschließlich der medizinischen Versorgung, und Unterbringung von Asylwerbern in den Niederlanden.

Schon vor dem Hintergrund der zitierten erstinstanzlichen Erwägungen kann nicht erkannt werden, dass im Hinblick auf Asylwerber, die von Österreich im Rahmen der Dublin III-VO nach den Niederlanden rücküberstellt werden, aufgrund der dortigen Rechtslage und/oder Vollzugspraxis systematische Verletzungen von Rechten gemäß der EMRK erfolgen würden, oder dass diesbezüglich eine maßgebliche Wahrscheinlichkeit im Sinne eines "real risk" für den Einzelnen bestehen würde.

Insgesamt ergibt sich somit aus dem Parteivorbringen weder eine konkrete systemische, noch eine individuell drohende Gefahr des BF in den Niederlanden, welche für die reale Gefahr einer Verletzung des Art. 3 EMRK sprechen würden, weshalb die Rechtsvermutung des § 5 Abs. 3 AsylG zur Anwendung kommt, wonach ein Asylwerber im zuständigen Mitgliedstaat Schutz vor Verfolgung findet.

Jedenfalls hätte der BF die Möglichkeit, etwaige konkret drohende oder eingetretene Verletzungen in seinen Rechten, etwa durch eine unmenschliche Behandlung im Sinn des Art. 3 EMRK, bei den zuständigen Behörden in den Niederlanden und letztlich beim EGMR, insbesondere auch durch Beantragung einer vorläufigen Maßnahme gemäß Art. 39 EGMR-VerfO, geltend zu machen.

Im Hinblick auf Art. 8 EMRK wird, um doppelte Ausführungen zu vermeiden, auf nachstehende, unter Punkt 2. ausgeführte, Erwägungen, wonach kein schützenswertes Privat- oder Familienleben des BF erkannt werden kann, verwiesen.

Das BFA hat daher zu Recht keinen Gebrauch vom Selbsteintrittsrecht nach Art. 17 Abs. 1 Dublin III-VO gemacht. Spruchpunkt I. der erstinstanzlichen Entscheidung war sohin bei Übernahme der Beweisergebnisse der Erstbehörde mit obiger näherer Begründung zu bestätigen.

2. Zu Spruchpunkt II. des angefochtenen Bescheides (Anordnung zur Außerlandesbringung gemäß § 61 FPG und einer möglichen Verletzung von Art. 7 GRC bzw. Art. 8 EMRK):

Gemäß § 10 Abs. 1 Z 2 AsylG (iVm § 61 Abs. 1 FPG) ist eine Entscheidung nach diesem Bundesgesetz mit einer Anordnung zur Außerlandesbringung gemäß dem 8. Hauptstück des FPG zu verbinden, wenn der Antrag auf internationalen Schutz gemäß § 5 zurückgewiesen wird und kein Fall der §§ 8 Abs. 3a oder 9 Abs. 2 vorliegt.

Nach Art. 8 Abs. 1 EMRK hat jedermann Anspruch auf Achtung seines Privat- und Familienlebens, seiner Wohnung und seines Briefverkehrs. Der Eingriff einer öffentlichen Behörde in Ausübung dieses Rechts ist gemäß Art. 8 Abs. 2 EMRK nur statthaft, soweit dieser Eingriff gesetzlich vorgesehen ist und eine Maßnahme darstellt, die in einer demokratischen Gesellschaft für die nationale Sicherheit, die öffentliche Ruhe und Ordnung, das wirtschaftliche Wohl des Landes, die Verteidigung der Ordnung und zur Verhinderung von strafbaren Handlungen, zum Schutz der Gesundheit und der Moral oder zum Schutz der Rechte und Freiheiten anderer notwendig ist.

Der Begriff des "Familienlebens" in Art. 8 EMRK umfasst nicht nur die Kleinfamilie von Eltern und (minderjährigen) Kindern und Ehegatten, sondern auch entferntere verwandtschaftliche Beziehungen, sofern diese Beziehungen eine gewisse Intensität erreichen. Als Kriterien hiefür kommen etwa das Vorliegen eines gemeinsamen Haushaltes oder die Gewährung von Unterhaltsleistungen in Betracht. In der bisherigen Spruchpraxis der Straßburger Instanzen wurden als unter dem Blickwinkel des Art. 8 EMRK zu schützende Beziehungen bereits solche zwischen Enkel und Großeltern (EGMR 13.6.1979, Marckx, EuGRZ 1979, 458; s. auch EKMR 7.12.1981, B 9071/80, X-Schweiz, EuGRZ 1983, 19), zwischen Geschwistern (EKMR 14.3.1980, B 8986/80, EuGRZ 1982, 311) und zwischen Onkel bzw. Tante und Neffen bzw. Nichten (EKMR 19.7.1968, 3110/67, Yb 11, 494 (518); EKMR 28.2.1979, 7912/77, EuGRZ 1981/118; EKMR 5.7.1979, B 8353/78, EuGRZ 1981, 120) anerkannt, sofern eine gewisse Beziehungsintensität vorliegt (vgl. Baumgartner, ÖJZ 1998, 761; Rosenmayer, ZfV 1988, 1). Das Kriterium einer gewissen Beziehungsintensität wurde von der Kommission auch für die Beziehung zwischen Eltern und erwachsenen Kindern gefordert (EKMR 6.10.1981, B 9202/80, EuGRZ 1983, 215).

Festzuhalten ist vorab, dass der Antragssteller einen großen Teil seiner Lebenszeit in Österreich verbracht hat und er nach wie vor hier über familiäre Anbindungen verfügt. Einerseits spricht ihm im gegenständlichen Fall für den Antragssteller die Tatsache der bestehenden Bindungen sowie andererseits des langjährigen Aufenthaltes in Österreich. Die Bewertung des langjährigen Aufenthaltes in Österreich wird jedoch durch die Tatsache der zweimaligen schweren Verurteilung gemindert; so hat er doch einen erheblichen Teil seiner in Österreich verbrachten Lebenszeit zuletzt auf Grund der Begehung und strafrechtlichen Verurteilung wegen eines Mordes im Maßnahmenvollzug verbracht und wurde sodann aus diesem Grunde abgeschoben. Die österreichische Rechtsordnung reagierte aufgrund der Gesetzeslage weiters sodann mit einem unbefristeten verhängten Aufenthaltsverbot gegen den Antragssteller sowie Außerlandesbringung nach dem ursprünglichen Herkunftsstaat des Antragsstellers und wurde dieser im Jahre 2010 nach die Türkei abgeschoben. Seither lebte der Antragssteller in der Türkei. Verständlicherweise wurde der Antragsstellers während seines Türkei Aufenthaltes von der in Österreich weilenden Mutter finanziell unterstützt. Persönliche Kontakte bestanden während des Zeitraumes keine.

Die Begehung einer schweren Straftat gegen Leib und Leben wiegt jedenfalls die durchaus beachtliche Bindung des Beschwerdeführers zu seiner Mutter und den hier anwesenden Geschwistern auf und wurde gerade in Folge der schweren strafrechtlichen Verurteilungen ein unbefristetes Aufenthaltsverbot gegen den Beschwerdeführer erlassen um den weiteren Aufenthalt des Beschwerdeführers in Österreich nicht zu gestatten.

Festzuhalten ist des weiteren, dass ein Kontakt zu hier in Österreich lebenden Familienangehörigen auch bei einem Aufenthalt des Antragsstellers im Königreich der Niederlande nicht unmöglich ist; sohin bestehende weitreichende elektronische Möglichkeiten, den Kontakt intensiv aufrecht zu erhalten, sowie ist weiters eine finanzielle Unterstützung der Mutter bzw. der Geschwister auch bei Aufenhaltnahme in den Niederlanden leicht möglich. Zwingende gegenseitige Abhängigkeiten sind im Verfahren nicht hervor getreten.

In Hinblick auf Artikel 8 EMRK wiegen die Argumente aufgrund der Begehung mehrerer Straftaten und des zu recht bestehenden Aufenthaltsverbotes weitaus schwerer zulasten des Antragstellers gegenüber der Interessen des Antragsstellers physisch sich in der Nähe seiner in Österreich lebenden Familienangehörigen zu befinden.

Der durch die normierte Ausweisung des BF aus dem Bundesgebiet erfolgende Eingriff in sein Privatleben ist durch ein Überwiegen des öffentlichen Interesses im Vergleich zu seinem Privatinteresse am Verbleib im Bundesgebiet gedeckt:

Festzuhalten ist, dass der Antragssteller im Bundesgebiet geboren wurde, er hier aufwuchs und zum vormaligen Zeitpunkt seinen Lebensmittelpunkt in Österreich gehabt hatte. Schwer zu Lasten des Antragsstellers wiegen die vorliegenden strafrechtlichen Verurteilungen. Dabei erstreckt sich der Bogen der erfolgten Verurteilungen von schwerem sexuellen Missbrauch von Unmündigen, über Diebstahl, schweren Diebstahl bis hin zu Körperverletzung und sogar Mord, woraus letztlich auch die strafrechtlichen Verurteilungen, die Aberkennung des Flüchtlingsstatus sowie die Außerlandesbringung des Antragsstellers und die Verhängung eines unbefristeten Aufenthaltsverbotes resultierten.

Vor dem Hintergrund der schwerwiegenden begangenen Straftateten muss jegliches private Interesse aufgrund eines langjährigen Voraufenthaltes jedenfalls in den Hintergrund treten.

Der nunmehrige Aufenthalt des Antragsstellers nach erfolgter Einreise ist jedenfalls ein vorläufig Berechtigter, aus welchem keinerlei Rechte aus dem Blickwinkel des Privatlebens entstehen konnten.

Die seitens des Antragsstellers im Rahmen des Beschwerdeschriftsatzes angesprochene Judikatur österreichischer Gerichtsinstanzen weist auf die gebotene Interessensabwägung im Hinblick auf das Familien- und Privatleben hin, ohne jedoch sich eingehend vergleichend mit den begangenen Verbrechen des Antragsstellers auseinander zu setzen.

Letztlich ist hinzuzufügen, dass es vor dem Hintergrund der vorliegenden Fakten dem Antragssteller auch durchaus zumutbar ist, sich nach dem hochentwickelten Staat Königreich Niederlande zu begeben, dort sein Asylverfahren durchzuführen und weiteren Kontakt zu seinen in Österreich lebenden Familienangehörigen auf elektronischem Weg aufrecht zu erhalten. Wie bereits ausgeführt besteht für die Familienangehörigen jedenfalls jegliche Art der Möglichkeit den Antragsstellers weiterhin finanziell oder durch sonstige Zuwendungen auch im Königreich der Niederlande zu unterstützen.

Zudem ist dieser Aufenthalt, gemessen an der Judikatur des EGMR und der Gerichtshöfe des öffentlichen Rechts, als kein ausreichend langer Zeitraum zu qualifizieren. Aus der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ist erkennbar, dass etwa ab einem zehnjährigen Aufenthalt im Bundesgebiet im Regelfall die privaten Interessen am Verbleib gegenüber den öffentlichen Interessen überwiegen können (09.05.2003, 2002/18/0293). Gleiches gilt etwa für einen siebenjährigen Aufenthalt, wenn eine berufliche und soziale Verfestigung vorliegt (05.07.2005, 2004/21/0124). Der Antragsteller musste sich weiters seines unsicheren Aufenthaltsstatus bewusst sein. Sonstige Integrationsaspekte liegen demgegenüber nicht vor, sodass bei einer abwägenden Gesamtbetrachtung der mit der Ausweisung verbundene Eingriff in das Privatleben des BF nicht nur zulässig, sondern insbesondere angesichts der geringen zeitlichen Komponente seines Aufenthalts geradezu geboten ist. Die Verwaltungsbehörde hat daher eine korrekte Interessensabwägung im Sinne der Rechtsprechung vorgenommen.

Gemäß § 21 Abs. 6a BFA-VG konnte von der Durchführung einer mündlichen Verhandlung abgesehen werden.

Eine gesonderte Erwägung bezüglich einer allfälligen Zuerkennung der aufschiebenden Wirkung gemäß § 17 BFA-VG konnte angesichts des Spruchinhaltes entfallen.

Zu B) Unzulässigkeit der Revision:

Gemäß § 25a Abs. 1 VwGG hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen. Nach Art. 133 Abs. 4 Satz 1 B-VG idF BGBl. I Nr. 51/2012 ist gegen ein Erkenntnis des Verwaltungsgerichtes die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.

Im vorliegenden Fall ist die ordentliche Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage grundsätzlicher Bedeutung abhängt. Die Entscheidung liegt allein in der Bewertung der Asyl- und Aufnahmesituation im Mitgliedsstaat, welche bereits durch umfassende und im Detail bzw. in der fachlichen Substanz unwidersprochen gebliebene Feststellungen festgehalten wurde und demgemäß in einer Tatbestandsfrage.

Hinsichtlich der Einordnung des Sachverhaltes konnte sich das Bundesverwaltungsgericht sowohl auf umfangreiche Judikatur des EGMR sowie auf eine ständige Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes bzw. auf eine ohnehin klare Rechtslage stützen. Die maßgebliche Rechtsprechung wurde bei den Erwägungen zu den einzelnen Spruchpunkten des angefochtenen Bescheides wiedergegeben.

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