VfGH V212/2021

VfGHV212/202128.2.2022

Zurückweisung eines Individualantrages auf Aufhebung einer Bestimmung der 2. COVID-19-ÖffnungsV betreffend den 2 G-Nachweis für Einrichtungen der Nachtgastronomie mangels Darlegung der unmittelbaren und aktuellen Betroffenheit

Normen

B-VG Art139 Abs1 Z3
2. COVID-19-ÖffnungsV BGBl II 278/2021 idF BGBl II 321/2021 §5 Abs1a
VfGG §7 Abs2, §57 Abs1

European Case Law Identifier: ECLI:AT:VFGH:2022:V212.2021

 

Spruch:

Der Antrag wird zurückgewiesen.

Begründung

Begründung

I. Antrag

Gestützt auf Art139 Abs1 Z3 B‑VG begehrt der Antragsteller, der Verfassungsgerichtshof möge §5 Abs1a der 2. COVID-19-Öffnungsverordnung, BGBl II 278/2021, idF BGBl II 321/2021 als verfassungs- und gesetzwidrig aufheben.

II. Rechtslage

§5 der Verordnung über weitere Öffnungsschritte in Bezug auf die COVID-19-Pandemie (2. COVID-19-Öffnungsverordnung – 2. COVID‑19‑ÖV), BGBl II 278/2021, idF BGBl II 321/2021 lautete (die angefochtene Bestimmung ist hervorgehoben):

"Gastgewerbe

§5. (1) Der Betreiber von Betriebsstätten sämtlicher Betriebsarten der Gastgewerbe darf Kunden zum Zweck des Erwerbs von Waren oder der Inanspruchnahme von Dienstleistungen des Gastgewerbes nur einlassen, wenn diese einen Nachweis gemäß §1 Abs2 vorweisen. Der Kunde hat den Nachweis für die Dauer des Aufenthalts bereitzuhalten.

(1a) Betreiber von Betriebsstätten der Gastgewerbe, in denen mit einer vermehrten Durchmischung und Interaktion der Kunden zu rechnen ist (Einrichtungen der 'Nachtgastronomie'), wie insbesondere Diskotheken, Clubs und Tanzlokale, dürfen Kunden zum Zweck des Erwerbs von Waren oder der Inanspruchnahme von Dienstleistungen nur einlassen, wenn diese einen Nachweis gemäß §1 Abs2 Z1 litc oder Z2 vorweisen. Der Kunde hat den Nachweis für die Dauer des Aufenthalts bereitzuhalten.

 

(2) Der Betreiber hat einen COVID-19-Beauftragten zu bestellen und ein COVID‑19‑Präventionskonzept auszuarbeiten und umzusetzen.

(3) Selbstbedienung ist zulässig, sofern geeignete Hygienemaßnahmen zur Minimierung des Infektionsrisikos gesetzt werden. Diese Maßnahmen sind im COVID‑19-Präventionskonzept gemäß Abs2abzubilden.

(4) Die Pflicht zum Vorweisen eines Nachweises gemäß Abs1 gilt nicht für:

1. die Abholung von Speisen und Getränken. Kunden haben in geschlossenen Räumen eine Maske zu tragen;

2. Imbiss- und Gastronomiestände. Kunden haben in geschlossenen Räumen eine Maske zu tragen;

3. Betriebsarten der Gastgewerbe, die innerhalb folgender Einrichtungen betrieben werden:

a) Krankenanstalten und Kuranstalten für Patienten;

b) Alten- und Pflegeheime sowie stationäre Wohneinrichtungen der Behindertenhilfe für Bewohner;

c) Einrichtungen zur Betreuung und Unterbringung von Kindern und Jugendlichen einschließlich Schulen und elementaren Bildungseinrichtungen;

d) Betrieben, wenn diese ausschließlich durch Betriebsangehörige oder dort beruflich tätige Personen genützt werden dürfen;

e) Massenbeförderungsmittel."

III. Antragsvorbringen und Vorverfahren

1. Der Antragsteller bringt zusammengefasst Folgendes vor:

1.1. Am 22. Juli 2021 sei "die neue Verordnung des Bundesministeriums für Soziales, Gesundheit, Pflege und Konsumentenschutz, Nr BGBl II 321/2021, in Kraft getreten." Durch diese Verordnung sei jene Verordnung desselben "Ministeriums", mit der weitere Öffnungsschritte in Bezug auf die COVID-19-Pandemie (2. COVID‑19-Öffnungsverordnung) erlassen wurden, geändert worden. Unter anderem sei bei Betreibern von Betriebsstätten der Gastgewerbe, in denen mit einer vermehrten Durchmischung und Interaktion der Kunden zu rechnen sei (Einrichtungen der "Nachtgastronomie"), wie insbesondere Diskotheken, Clubs, und Tanzlokale, festgelegt worden, dass nur mehr Kunden zum Zweck des Erwerbs von Waren oder der Inanspruchnahme von Dienstleistungen eingelassen werden dürften, die ein spezifisches (in der Verordnung näher angeführtes) molekularbiologisches Testergebnis auf SARS-CoV-2 nachweisen könnten oder einen Nachweis über eine mit einem zentral zugelassenen Impfstoff gegen COVID‑19 erfolgte Impfung hätten. Daher dürften jene Personen nicht mehr eingelassen werden, die einen Genesungsnachweis oder eine ärztliche Bestätigung über eine in den letzten 180 Tagen überstandene Infektion mit SARS-CoV-2, einen Nachweis über neutralisierende Antikörper oder einen Absonderungsbescheid vorweisen könnten.

1.2. Die Zulässigkeit des Antrages begründet der Antragsteller damit, er sei als natürliche Person, die regelmäßig – jedenfalls vor Einschränkungen durch die Pandemie – Waren und Dienstleistungen aus dem Bereich der Nachtgastronomie in Anspruch nehme, unmittelbar betroffen und zur Stellung eines Individualantrages auf Verordnungsprüfung legitimiert. Der Antragsteller verfüge über einen aktuellen Nachweis über neutralisierende Antikörper im Sinne des COVID-19-MG, sei jedoch nicht gegen COVID-19 geimpft. Daher werde er als jemand, der regelmäßig Waren und Dienstleistungen aus dem Bereich der Nachtgastronomie in Anspruch nehme, durch die 2. COVID-19-ÖV idF BGBl II 321/2021 direkt betroffen, weil diese Vorschrift insofern direkt und nachteilig in seine Rechtssphäre eingreife, als ihm die Inanspruchnahme von Waren und Dienstleistungen aus dem Bereich der Nachtgastronomie untersagt werde. Darüber hinaus sei dem Antragsteller kein anderer Rechtsweg zumutbar, um die Gesetz- und Verfassungswidrigkeit der Verordnung an den Verfassungsgerichtshof heranzutragen. Die Normwirkung trete ohne vorangegangene behördliche oder gerichtliche Entscheidung bei Erfüllung der gesetzlichen Bedingungen ein. Es sei dem Antragsteller unzumutbar, einen verwaltungsbehördlichen Rechtsakt wegen Missachtung des "Gesetzes" zu erwirken, um seine verfassungsrechtlichen Bedenken im Rechtsmittelverfahren geltend zu machen.

1.3. In der Sache rügt der Antragsteller die Gesetzwidrigkeit der angefochtenen Bestimmung wegen Verletzung des Epidemiegesetzes und des COVID-19-MG. Ferner erachtet er sich in seinem verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Gleichheit aller Staatsbürger vor dem Gesetz verletzt.

2. Der Bundesminister für Soziales, Gesundheit, Pflege und Konsumentenschutz (im Folgenden: BMSGPK) hat eine Äußerung erstattet, in der er die Zurückweisung des Antrages, in eventu dessen Abweisung begehrt.

2.1. Der BMSGPK verneint die Zulässigkeit des Antrages mit der Begründung, der Antragsteller habe seine unmittelbare Betroffenheit nicht hinreichend konkret dargelegt. Der Antragsteller begründe seine unmittelbare Betroffenheit von §5 Abs1a 2. COVID-19-ÖV damit, dass er regelmäßig Waren und Dienstleistungen aus dem Bereich der Nachtgastronomie in Anspruch nehme. Der Antragsteller lege nicht dar, inwieweit er im Antragszeitpunkt konkret beabsichtigt habe, Einrichtungen der Nachtgastronomie zu betreten. Das Erfordernis konkreter Darlegungen durch den Antragsteller bestehe nach der Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes auch dann, wenn bestimmte Annahmen im Hinblick auf die sonst geschilderte Situation naheliegen mögen (vgl VfGH 21.9.2020, V393/2020 mwN). Mit seinem Hinweis auf die regelmäßige Inanspruchnahme von Dienstleistungen der Nachtgastronomie vor den Einschränkungen durch die Corona-Pandemie lege der Antragsteller aber nahe, dass es sich um eine Gewohnheit der Vergangenheit handle und diesbezüglich aktuell keine konkreten Betretungsabsichten vorliegen würden.

2.2. Auch in der Sache tritt der BMSGPK dem Antrag entgegen.

3. Der Antragsteller hat eine Replik erstattet sowie einen weiteren Schriftsatz eingebracht.

IV. Zulässigkeit

1. Der Antrag ist nicht zulässig.

2. Gemäß Art139 Abs1 Z3 B‐VG erkennt der Verfassungsgerichtshof über die Gesetzwidrigkeit von Verordnungen auf Antrag einer Person, die unmittelbar durch diese Gesetzwidrigkeit in ihren Rechten verletzt zu sein behauptet, wenn die Verordnung ohne Fällung einer gerichtlichen Entscheidung oder ohne Erlassung eines Bescheides für diese Person wirksam geworden ist. Wie der Verfassungsgerichtshof in seiner mit VfSlg 8058/1977 beginnenden ständigen Rechtsprechung ausgeführt hat, ist daher grundlegende Voraussetzung für die Antragslegitimation, dass die Verordnung in die Rechtssphäre der betroffenen Person unmittelbar eingreift und sie – im Fall ihrer Gesetzwidrigkeit – verletzt. Hiebei hat der Verfassungsgerichtshof vom Antragsvorbringen auszugehen und lediglich zu prüfen, ob die vom Antragsteller ins Treffen geführten Wirkungen solche sind, wie sie Art139 Abs1 Z3 B‑VG als Voraussetzung für die Antragslegitimation fordert (vgl zB VfSlg 8594/1979, 15.527/1999, 16.425/2002 und 16.426/2002).

3. Es ist darüber hinaus erforderlich, dass die Verordnung selbst tatsächlich in die Rechtssphäre des Antragstellers unmittelbar eingreift. Ein derartiger Eingriff ist nur dann anzunehmen, wenn dieser nach Art und Ausmaß durch die Verordnung selbst eindeutig bestimmt ist, wenn er die (rechtlich geschützten) Interessen des Antragstellers nicht bloß potentiell, sondern aktuell beeinträchtigt und wenn dem Antragsteller kein anderer zumutbarer Weg zur Abwehr des – behaupteterweise – rechtswidrigen Eingriffes zur Verfügung steht (VfSlg 13.944/1994, 15.234/1998, 15.947/2000).

4. Nach §57 Abs1 letzter Satz VfGG muss der Antrag, eine Verordnung als gesetzwidrig aufzuheben, darlegen, inwieweit die angefochtenen Verordnungsregelungen unmittelbar und aktuell in die Rechtssphäre des Antragstellers eingreifen. Bei der Prüfung der aktuellen Betroffenheit hat der Verfassungsgerichtshof vom Antragsvorbringen auszugehen und lediglich zu untersuchen, ob die vom Antragsteller ins Treffen geführten Wirkungen solche sind, wie sie Art139 Abs1 Z3 B‑VG als Voraussetzung für die Antragslegitimation fordert (vgl zB VfSlg 10.353/1985, 14.227/1995, 15.306/1998, 16.890/2003, 18.357/2008, 19.919/2014, 19.971/2015). Anträge, die dem Erfordernis des §57 Abs1 VfGG nicht entsprechen, sind nach der ständigen Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofs (vgl VfSlg 14.320/1995, 14.526/1996, 15.977/2000, 18.235/2007) nicht im Sinne von §18 VfGG verbesserungsfähig, sondern als unzulässig zurückzuweisen (vgl etwa VfSlg 12.797/1991, 13.717/1994, 17.111/2004, 18.187/2007, 19.505/2011, 19.721/2012).

5. Diesem Erfordernis gemäß §57 Abs1 VfGG wird der Antrag nicht gerecht:

5.1. Der Antragsteller bringt lediglich pauschal vor, er werde durch die angefochtene Bestimmung daran gehindert, Waren und Dienstleistungen aus dem Bereich der Nachtgastronomie in Anspruch zu nehmen, weil er über einen aktuellen Nachweis über neutralisierende Antikörper iSd COVID-19‑MG verfüge, jedoch nicht gegen COVID‑19 geimpft sei. Mit diesem allgemein gehaltenen Vorbringen zur Betroffenheit ist es dem Antragsteller jedoch nicht gelungen, seine unmittelbare und aktuelle Betroffenheit für ein Verfahren vor dem Verfassungsgerichtshof hinreichend konkret darzulegen. So besteht das Erfordernis solcher Darlegungen auch dann, wenn bestimmte Annahmen im Hinblick auf die maßgebliche Situation naheliegen mögen (vgl VfSlg 14.309/1995, 14.817/1997, 19.613/2011; VfGH 21.9.2020, V365/2020; 21.9.2020, V375/2020; 1.10.2020, V405/2020; 1.10.2020, G271/2020 ua; 23.2.2021, V533/2020; 29.9.2021, V601/2020; 15.12.2021, V248/2021). Rein abstrakte Behauptungen, in den Anwendungsbereich einer Norm zu fallen, genügen daher dem Inhaltserfordernis des §57 Abs1 letzter Satz VfGG nicht. Der Antragsteller hat es unterlassen darzulegen, inwiefern er im Antragszeitpunkt konkret beabsichtigte, Einrichtungen der Nachtgastronomie zu besuchen (vgl idS VfGH 23.2.2021, V533/2020). Mit der bloßen Behauptung, er sei auf Grund von §5 Abs1a 2. COVID‑19‑ÖV idF BGBl II 321/2021 daran gehindert, Waren und Dienstleistungen aus dem Bereich der Nachtgastronomie in Anspruch zu nehmen, genügt der Antragsteller seiner Konkretisierungspflicht der unmittelbaren Betroffenheit nicht, weil er damit bloß die Anwendbarkeit der angefochtenen Bestimmung behauptet, seine unmittelbare Betroffenheit jedoch gerade nicht darlegt.

5.2. Da es sich bei diesem Mangel um kein behebbares Formgebrechen, sondern um ein Prozesshindernis handelt, erweist sich der Antrag schon aus diesem Grund als unzulässig.

V. Ergebnis

1. Der Antrag ist zurückzuweisen, ohne dass das Vorliegen der übrigen Prozessvoraussetzungen näher zu prüfen ist.

2. Dies konnte gemäß §19 Abs4 VfGG ohne mündliche Verhandlung in nichtöffentlicher Sitzung beschlossen werden.

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