Normen
B-VG Art144 Abs1 / Anlassfall
AuslBG §4 Abs3
VfGG §7 Abs1
European Case Law Identifier: ECLI:AT:VFGH:2021:E2420.2020
Spruch:
I. Die Beschwerdeführerin ist durch das angefochtene Erkenntnis wegen Anwendung eines verfassungswidrigen Gesetzes und gesetzwidriger Verordnungen in ihren Rechten verletzt worden.
Das Erkenntnis wird aufgehoben.
II. Der Bund (Bundesminister für Arbeit) ist schuldig, der Beschwerdeführerin zuhanden seiner Rechtsvertreterin die mit € 2.856,– bestimmten Prozesskosten binnen 14 Tagen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
Entscheidungsgründe
1. Den von einem pakistanischen Staatsangehörigen gestellten Antrag auf internationalen Schutz vom 2. August 2016 wies das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl mit Bescheid vom 10. Jänner 2018 ab. Die dagegen erhobene Beschwerde war zum Zeitpunkt der hier zugrunde liegenden Entscheidung noch beim Bundesverwaltungsgericht anhängig. Für diesen Asylwerber stellte die Beschwerdeführerin am 4. September 2019 einen Antrag auf Erteilung einer Beschäftigungsbewilligung für die berufliche Tätigkeit (Lehrling) als Spengler.
1.1. Mit Bescheid vom 25. September 2019 wies das Arbeitsmarktservice (im Folgenden: AMS) Oberwart diesen Antrag auf Erteilung einer Beschäftigungsbewilligung mit der Begründung ab, dass "[g]emäß Erlass v. 12.09.2018 des Bundesministeriums für Arbeit, Soziales, Gesundheit und Konsumentenschutz […] Anträge auf Beschäftigungsbewilligung für AsylwerberInnen gem. §4 Abs1 bzw Abs2 – aufgrund Sicherstellung eines geordneten Asylwesens bzw gem. §4 Abs3 Ziffer 1 – keine einhellige Befürwortung durch den Regionalbeirat, abzulehnen [sind]." Der Beirat der regionalen Geschäftsstelle habe dem Antrag nicht einhellig zugestimmt. Die gesetzlichen Voraussetzungen für die Erteilung einer Beschäftigungsbewilligung seien daher nicht gegeben gewesen.
1.2. Im Rahmen der Beschwerdevorlage an das Bundesverwaltungsgericht führt das AMS Oberwart aus, dass die Beschäftigungsbewilligung nicht erteilt worden sei, weil im Regionalbeirat keine einhellige Zustimmung nach §4 Abs3 Z1 AuslBG zustande gekommen sei.
1.3. Die gegen den Bescheid des AMS Oberwart erhobene Beschwerde wies das Bundesverwaltungsgericht mit Erkenntnis vom 18. Juni 2020 als unbegründet ab. Der Regionalbeirat des AMS Oberwart habe die Befürwortung der Erteilung der Beschäftigungsbewilligung mit Beschluss vom 16. September 2019 abgelehnt und seine Entscheidung auf den Erlass der Bundesministerin für Arbeit, Soziales, Gesundheit und Konsumentenschutz vom 12. September 2018, GZ BMASGK‑435.006/0013‑VI/B/7/2018, gestützt, demzufolge alle bereits anhängigen und neu eingebrachten Anträge auf Beschäftigungsbewilligung für Asylwerberinnen und Asylwerber ausschließlich nach Maßgabe des Erlasses vom 11. Mai 2004, GZ 435.006/6‑II/7/04, zu prüfen und zu erledigen seien. Die Gründe für die nicht einhellige Befürwortung der Erteilung der Beschäftigungsbewilligung durch den Regionalbeirat würden aus der Stellungnahme des AMS Oberwart hervorgehen, die es anlässlich der Beschwerdevorlage abgegeben habe. Die auf die nichteinhellige Befürwortung durch den Regionalbeirat gestützte Abweisung des Antrags auf Erteilung der Beschäftigungsbewilligung sei zu Recht erfolgt.
2. Gegen diese Entscheidung richtet sich die vorliegende, auf Art144 B‑VG gestützte Beschwerde, in der die Verletzung in näher bezeichneten verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechten sowie in Rechten wegen Anwendung gesetzwidriger Verordnungen behauptet und die kostenpflichtige Aufhebung des angefochtenen Erkenntnisses beantragt wird.
3. Aus Anlass dieser Beschwerde leitete der Verfassungsgerichtshof zunächst gemäß Art139 Abs1 Z2 B‑VG von Amts wegen ein Verfahren zur Prüfung der Gesetzmäßigkeit folgender Verordnungen ein:
"der Absatz 'Alle bereits anhängigen und neu eingebrachten Anträge für Asylwerberinnen und Asylwerber sind ausschließlich nach Maßgabe des Erlasses vom 11.05.2004 GZ 435.006/6‑II/7/2004 zu prüfen und zu erledigen. Anträge, die gemäß diesem Erlass nicht positiv erledigt werden können, sind gestützt auf eine nicht einhellige Befürwortung durch den Regionalbeirat (§4 Abs3 Z1 AuslBG) und/oder entgegenstehende wichtige öffentliche Interessen (Sicherstellung eines geordneten Asylwesens) gemäß §4 Abs1 AuslBG abzulehnen.' des Erlasses der (ehemaligen) Bundesministerin für Arbeit, Soziales, Gesundheit und Konsumentenschutz vom 12. September 2018, GZ BMASGK‑435.006/0013‑VI/B/7/2018, sowie
die Absätze '– vorläufige Aufenthaltsberechtigung gemäß §19 AsylG:
Diesen Aufenthaltstitel erhalten Asylwerber für die Dauer des Asylverfahrens (Aufenthaltsberechtigungskarte). Dabei ist zu beachten, dass während der ersten drei Monate ab Einbringung des Asylantrages oder nach Einstellung des Asylverfahrens die aufenthaltsrechtlichen Voraussetzungen für die Erteilung einer Beschäftigungsbewilligung nicht vorliegen und damit de facto ein Beschäftigungsverbot besteht.
Informationen über den Stand und die Dauer des Asylverfahrens sind in Zweifelsfällen von der zuständigen Asylbehörde einzuholen.
Für §19-Asylwerber sind im Hinblick auf die derzeitige Arbeitsmarktsituation und deren nur vorläufiges Aufenthaltsrecht, das auf Grund der künftig wesentlich rascher abgeschlossenen Asylverfahren in der Regel nur von kurzer Dauer sein wird, Beschäftigungsbewilligungen auch nach der dreimonatigen Wartefrist nur im Rahmen von Kontingenten gemäß §5 zu erteilen.' des Erlasses des (ehemaligen) Bundesministers für Wirtschaft und Arbeit vom 11. Mai 2004, GZ 435.006/6‑II/7/04."
Mit Erkenntnis vom 23. Juni 2021, V95/2021 ua, hob der Verfassungsgerichtshof diese Verordnungen als gesetzwidrig auf.
4. Aus Anlass dieser Beschwerde leitete der Verfassungsgerichtshof sodann gemäß Art140 Abs1 Z1 litb B‑VG von Amts wegen ein Verfahren zur Prüfung der Verfassungsmäßigkeit des §4 Abs3 AuslBG, BGBl 218/1975, idF BGBl I 56/2018 ein. Mit Erkenntnis vom 14. Dezember 2021, G232/2021, hob er diese Bestimmung als verfassungswidrig auf.
5. Die – zulässige – Beschwerde ist begründet.
Das Bundesverwaltungsgericht hat eine verfassungswidrige Gesetzesbestimmung und gesetzwidrige Verordnungen angewendet. Es ist nach Lage des Falles offenkundig, dass ihre Anwendung für die Rechtsstellung der Beschwerdeführerin nachteilig war.
Die Beschwerdeführerin wurde also durch das angefochtene Erkenntnis wegen Anwendung einer verfassungswidrigen Gesetzesbestimmung und gesetzwidriger Verordnungsbestimmungen in ihren Rechten verletzt (zB VfSlg 10.303/1984, 10.404/1985, 10.515/1985).
Das Erkenntnis ist daher aufzuheben, ohne dass auf das weitere Beschwerdevorbringen einzugehen ist.
6. Diese Entscheidung konnte gemäß §19 Abs4 VfGG ohne mündliche Verhandlung in nichtöffentlicher Sitzung getroffen werden.
7. Die Kostenentscheidung beruht auf §88 VfGG. In den zugesprochenen Kosten ist Umsatzsteuer in der Höhe von € 436,– sowie eine Eingabengebühr gemäß §17a VfGG in der Höhe von € 240,– enthalten.
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