VfGH V583/2020 ua

VfGHV583/2020 ua10.3.2021

Keine Gesetzwidrigkeit des Betretungsverbots von öffentlichen Orten (Inn- und Sillpromenade) einer Verordnung des Bürgermeisters von Innsbruck zur Verhinderung und Verbreitung von COVID-19; hinreichende Dokumentation der Entscheidungsgrundlagen

Normen

B-VG Art18 Abs2
B-VG Art139 Abs1 Z1
COVID-19-MaßnahmenG §2
COVID-19-MaßnahmenV des Bürgermeisters von Innsbruck vom 20.03.2020 §1 Z20, §1 Z22
VfGG §7 Abs1

European Case Law Identifier: ECLI:AT:VFGH:2021:V583.2020

 

Spruch:

I. Soweit sich der zu V583/2020 protokollierte Antrag gegen §1 Z22 der Verordnung des Bürgermeisters der Landeshauptstadt Innsbruck vom 20. März 2020 nach §2 Z3 des COVID‑19‑Maßnahmengesetzes, kundgemacht im Boten für Tirol Nr 167/2020, in der Fassung der Verordnung des Bürgermeisters der Landeshauptstadt Innsbruck vom 21. März 2020, mit der die Verordnung gemäß §2 Z3 des COVID‑19‑Maßnahmengesetzes (II‑VA‑V‑006515/2020) geändert wird, kundgemacht im Boten für Tirol Nr 169/2020, richtet, wird er abgewiesen.

II. Soweit sich der zu V584/2020 protokollierte Antrag gegen §1 Z20 der Verordnung des Bürgermeisters der Landeshauptstadt Innsbruck vom 20. März 2020 nach §2 Z3 des COVID‑19‑Maßnahmengesetzes, kundgemacht im Boten für Tirol Nr 167/2020, in der Fassung der Verordnung des Bürgermeisters der Landeshauptstadt Innsbruck vom 21. März 2020, mit der die Verordnung gemäß §2 Z3 des COVID‑19‑Maßnahmengesetzes (II‑VA‑V‑006515/2020) geändert wird, kundgemacht im Boten für Tirol Nr 169/2020, richtet, wird er abgewiesen.

III. Im Übrigen werden die Anträge zurückgewiesen.

Begründung

Entscheidungsgründe

I. Anträge

1. Mit seinem auf Art139 Abs1 Z1 B‑VG gestützten, zu V583/2020 protokollierten Antrag begehrt das Landesverwaltungsgericht Tirol, der Verfassungsgerichtshof möge feststellen, dass

"§1 (bzw §1 Abs22) der Verordnung des Bürgermeisters der Landeshauptstadt Innsbruck vom 20. März 2020 nach §2 Z3 des COVID‑19‑Maßnahmengesetzes (Bote für Tirol Nr 167/2020), in der Fassung der Verordnung des Bürgermeisters der Landeshauptstadt Innsbruck vom 21. März 2020, mit der die Verordnung gemäß §2 Z3 des COVID‑19‑Maßnahmengesetzes (II‑VA‑V‑006515/2020) geändert wird (Bote für Tirol Nr 169/2020)"

 

gesetzwidrig war.

2. Mit dem weiteren, auf Art139 Abs1 Z1 B‑VG gestützten, zu V584/2020 protokollierten Antrag begehrt das Landesverwaltungsgericht Tirol, der Verfassungsgerichtshof möge feststellen, dass

"§1 (bzw §1 Abs20) der Verordnung des Bürgermeisters der Landeshauptstadt Innsbruck vom 20. März 2020 nach §2 Z3 des COVID‑19‑Maßnahmengesetzes (Bote für Tirol Nr 167/2020), in der Fassung der Verordnung des Bürgermeisters der Landeshauptstadt Innsbruck vom 21. März 2020, mit der die Verordnung gemäß §2 Z3 des COVID‑19‑Maßnahmengesetzes (II‑VA‑V‑006515/2020) geändert wird (Bote für Tirol Nr 169/2020)"

 

gesetzwidrig war.

II. Rechtslage

Die maßgebliche Rechtslage stellt sich wie folgt dar:

1. §2 und §3 des Bundesgesetzes betreffend vorläufige Maßnahmen zur Verhinderung der Verbreitung von COVID‑19 (COVID‑19‑Maßnahmengesetz), BGBl I 12/2020, lauteten in der bis zum Ablauf des 4. April 2020 (§2) bzw bis zum Ablauf des 25. September 2020 (§3) geltenden Stammfassung:

"Betreten von bestimmten Orten

 

§2. Beim Auftreten von COVID‑19 kann durch Verordnung das Betreten von bestimmten Orten untersagt werden, soweit dies zur Verhinderung der Verbreitung von COVID‑19 erforderlich ist. Die Verordnung ist

1. vom Bundesminister für Soziales, Gesundheit, Pflege und Konsumentenschutz zu erlassen, wenn sich ihre Anwendung auf das gesamte Bundesgebiet erstreckt,

2. vom Landeshauptmann zu erlassen, wenn sich ihre Anwendung auf das gesamte Landesgebiet erstreckt, oder

3. von der Bezirksverwaltungsbehörde zu erlassen, wenn sich ihre Anwendung auf den politischen Bezirk oder Teile desselben erstreckt.

Das Betretungsverbot kann sich auf bestimmte Zeiten beschränken.

 

Strafbestimmungen

 

§3. (1) Wer eine Betriebsstätte betritt, deren Betreten gemäß §1 untersagt ist, begeht eine Verwaltungsübertretung und ist mit einer Geldstrafe von bis zu 3 600 Euro zu bestrafen.

 

(2) Wer als Inhaber einer Betriebsstätte nicht dafür Sorge trägt, dass die Betriebsstätte, deren Betreten gemäß §1 untersagt ist, nicht betreten wird, begeht eine Verwaltungsübertretung und ist mit einer Geldstrafe von bis zu 30 000 Euro zu bestrafen. Wer als Inhaber einer Betriebsstätte nicht dafür Sorge trägt, dass die Betriebsstätte höchstens von der in der Verordnung genannten Zahl an Personen betreten wird, begeht eine Verwaltungsübertretung und ist mit einer Geldstrafe von bis zu 3 600 Euro zu bestrafen.

 

(3) Wer einen Ort betritt, dessen Betreten gemäß §2 untersagt ist, begeht eine Verwaltungsübertretung und ist mit einer Geldstrafe von bis zu 3 600 Euro zu bestrafen."

2. Die Verordnung des Bürgermeisters der Landeshauptstadt Innsbruck vom 20. März 2020 nach §2 Z3 des COVID‑19‑Maßnahmengesetzes, kundgemacht im Boten für Tirol Nr 167/2020 am 21. März 2020, in der Fassung der Verordnung des Bürgermeisters der Landeshauptstadt Innsbruck vom 21. März 2020, mit der die Verordnung gemäß §2 Z3 des COVID‑19‑Maßnahmengesetzes (II‑VA‑V‑006515/2020) geändert wird, kundgemacht im Boten für Tirol Nr 169/2020 am 21. März 2020, lautete auszugsweise (die jeweils angefochtene Bestimmung ist hervorgehoben):

"V E R O R D N U N G

des Bürgermeisters der Landeshauptstadt Innsbruck

vom 20. März 2020 nach §2 Z3 des COVID‑19‑Maßnahmengesetzes

 

Der Bürgermeister der Landeshauptstadt Innsbruck verordnet gem. §2 Z3 des COVID‑19‑Maßnahmengesetzes, BGBl I Nr 12/2020:

 

§1

Zur Verhinderung der weiteren Verbreitung von COVID‑19 ist das Betreten und Befahren folgender öffentlicher Orte verboten:

(1) Parkplatz Arzler Schießstand, Eggenwaldweg.

(2) Parkplatz Gramartboden, Gramartstraße.

(3) Parkplatz Planötzenhof, Planötzenhofstraße.

(4) Parkplatz Schillerhof, Rechenhofweg, östlich der Mühlauer Bach Brücke ('Schweinsbrücke').

(5) Parkplatz alte Patscherkofelbahn, Heiligwasserweg.

(6) Parkplatz Patscherkofelbahn (neu), Römer Straße.

(7) Parkplatz Busumkehrplatz Kranebitten, Kranebitter Allee.

(8) Parkplatz Kranebitten Hawaii, Kranebitter Allee.

(9) Parkplatz Hungerburg, ehem. Sparparkplatz, Höhenstraße, östlich HNr 125.

(10) Parkplatz Nordkettenbahn, Hungerburgweg.

(11) Parkplatz Sophienruhe, Weiherburggasse.

(12) Parkplatz Alpenzoo, Weiherburggasse.

(13) Parkplatz Baggersee, Archenweg.

(14) Parkplatz 'Heiligwasser', Römer Straße.

(15) Parkplatz Schloss Ambras, Schlossstraße.

(16) Parkplatz 'Schönblick', Schönblickweg 2.

(17) Parkanlagen im Sinne der Verordnung zum Schutze städtischer Parkanlagen (Parkordnung) in der Fassung des Beschlusses des Gemeinderates der Landeshauptstadt Innsbruck vom 26.04.2018.

(18) Spielplätze im Sinne der Spielplatzordnung in der Fassung des Beschlusses des Gemeinderates der Landeshauptstadt Innsbruck vom 26.04.2018.

(19) Fußweg, Radweg an der Innpromenade, südlich des Inns, zwischen der Gemeindegrenze zu Völs und der Gemeindegrenze zu Ampass.

(20) Fußweg, Radweg an der Innpromenade, nördlich des Inns, zwischen der Gemeindegrenze zu Zirl und der Gemeindegrenze zu Rum.

(21) Fußweg, Radweg an der Sillpromenade, östlich der Sill, zwischen der Olympiastraße und der Einmündung der Sill in den Inn.

(22) Fußweg, Radweg an der Sillpromenade, westlich der Sill, zwischen der ErzherzogEugenStraße (Prinz Eugen Brücke) und der Einmündung der Sill in den Inn.

 

[…]

 

§5

 

(1) Diese Verordnung tritt mit dem Ablauf des Tages der Kundmachung in Kraft.

(2) Die Änderungen durch die Novelle II‑VA‑[V‑]006520/2020 treten mit dem der Kundmachung folgenden Tag in Kraft."

3. Die Verordnung des Bürgermeisters der Landeshauptstadt Innsbruck vom 28. März 2020, kundgemacht im Boten für Tirol Nr 190/2020 am 28. März 2020, lautete auszugsweise:

"V E R O R D N U N G

des Bürgermeisters der Landeshauptstadt Innsbruck

vom 28. März 2020 nach COVID‑19‑Maßnahmengesetz

Betretungs- und Befahrungsverbote

 

Auf Grund des §2 Z3 des Bundesgesetzes betreffend vorläufige Maßnahmen zur Verhinderung der Verbreitung von COVID‑19 (COVID‑19‑Maßnahmengesetz), BGBI I Nr 12/2020, zuletzt geändert durch das Gesetz BGBI I Nr 16/2020, in Verbindung mit §31 Abs5 des Stadtrechtes der Landeshauptstadt Innsbruck 1975, LGBL Nr 53/1975, zuletzt geändert durch das Gesetz LGBL Nr 138/2019, wird verordnet:

 

§1

Zur Verhinderung der Ausbreitung von COVID‑19 ist das Betreten und Befahren folgender öffentlicher Orte verboten:

(1) Parkplatz Arzler Schießstand, Eggenwaldweg

(2) Parkplatz Gramartboden, Gramartboden

(3) Parkplatz Planötzenhof, Planötzenhofstraße

(4) Parkplatz Schillerhof, Rechenhofweg, östlich der Mühlauer Bach Brücke ('Schweinsbrücke')

(5) Parkplatz alte Patscherkofelbahn, Heiligwasserweg

(6) Parkplatz Patscherkofelbahn (neu), Römer Straße

(7) Parkplatz Busumkehrplatz Kranebitten, Kranebitter Allee

(8) Parkplatz Kranebitten Hawaii, Kranebitter Allee

(9) Parkplatz Hungerburg, ehem. Sparparkplatz, Höhenstraße östlich HNr 125 (10) Parkplatz Nordkettenbahn, Hungerburgweg

(11) Parkplatz Sophienruhe, Weiherburggasse

(12) Parkplatz Alpenzoo, Weiherburggasse

(13) Parkplatz Baggersee, Archenweg

(14) Parkplatz 'Heiligwasser', Römer Straße

(15) Parkplatz Schloss Ambras, Schlossstraße

(16) Parkplatz 'Schönblick', Schönblickweg 2

(17) Parkanlagen im Sinne der Verordnung zu Schutze städtischer Parkanlagen (Parkordnung) in der Fassung des Beschlusses des Gemeinderates der Landeshauptstadt Innsbruck vom 26. April 2018

(18) Spielplätze im Sinne der Spielplatzordnung in der Fassung des Beschlusses des Gemeinderates der Landeshauptstadt Innsbruck vom 26. April 2018

(19) Fußweg und Radweg an der Innpromenade nördlich des Inns:

a. von der Gemeindegrenze zu Völs bis zur Karwendelbrücke

b. von der Freiburger Brücke bis zur Kreuzung Prandtauerufer / Hutterweg

c. von der Innbrücke bis zum östlichen Ende des Waltherparks

d. von der Kreuzung der Innstraße / Magtstraße bis zur Einmündung des Steinbruchbaches in den Inn

e. 100m östlich der Grenobler Brücke bis zur New Orleans Brücke

(20) Fußweg und Radweg an der Innpromenade südlich des Inns:

a. von der Karwendelbrücke bis zu Universitätsbrücke

b. vom westlichen Beginn des Englischen Gartens bis zum Emile‑Béthouart‑Steg

c. von der Kreuzung Rennweg / Karl‑Schönherr‑Straße / Franz‑Greiter-Promenade bis zur Mühlauer Brücke

d. von der Einmündung der Sill bis 75m westlich der Grenobler Brücke

e. von der Grenobler Brücke zur Gemeindegrenze zu Ampass

(21) Fußweg und Radweg an der Sillpromenade östlich der Sill von der Olympiabrücke bis zur Einmündung der Sill in den Inn.

(22) Fußweg und Radweg an der Sillpromenade westlich der Sill von der Pembaurbrücke bis zur Einmündung der Sill in den Inn.

 

[…]

§5

Die Verordnung des Bürgermeisters der Landeshauptstadt Innsbruck vom 20. März 2020 nach §2 Z3 COVID‑19‑Maßnahmengesetz (II‑VA‑V‑006515/202[0], Bote für Tirol Nr 168) und die Verordnung des Bürgermeisters der Landeshauptstadt Innsbruck vom 21. März 2020 (II‑VA‑V‑006520/2020, Bote für Tirol Nr 169), mit der die Verordnung gemäß COVID‑19‑Maßnahmengesetz (II‑VA‑V‑006515/2020) geändert wurde, werden aufgehoben.

 

§6

Diese Verordnung tritt mit 30. März 2020 in Kraft."

III. Antrag und Vorverfahren

1. Beim Landesverwaltungsgericht Tirol ist zur Zahl LVwG‑2020/34/0890 eine Bescheidbeschwerde gegen ein Straferkenntnis des Bürgermeisters der Landeshauptstadt Innsbruck vom 23. April 2020 anhängig, mit welchem über den Beschwerdeführer des Anlassverfahrens zu V583/2020 eine Geldstrafe in Höhe von € 150,00 verhängt wurde, weil dieser am 26. März 2020 um 11.28 Uhr auf Höhe der Matthias‑Schmid‑Straße 12c in 6020 Innsbruck "unter einem Absperrband hindurch" und dann weiter über den Innradweg und über die Tiflisbrücke gegangen sei und damit einen öffentlichen Ort entgegen §1 Z22 der angefochtenen Verordnung des Bürgermeisters der Landeshauptstadt Innsbruck betreten habe. Aus Anlass dieses Verfahrens stellt das Landesverwaltungsgericht Tirol den zu V583/2020 protokollierten Antrag gemäß Art139 Abs1 Z1 B‑VG an den Verfassungsgerichtshof.

2. Beim Landesverwaltungsgericht Tirol ist weiters zur Zahl LVwG‑2020/34/1251 eine Bescheidbeschwerde gegen ein Straferkenntnis des Bürgermeisters der Landeshauptstadt Innsbruck vom 6. Mai 2020 anhängig, mit welchem über den Beschwerdeführer des Anlassverfahrens zu V584/2020 eine Geldstrafe in Höhe von € 150,00 verhängt wurde, weil dieser am 23. März 2020 um 14.15 Uhr auf der Innpromenade in der Höhe des Gebäudes Prandtauerufer 8 angetroffen worden sei und damit einen öffentlichen Ort entgegen §1 Z20 der angefochtenen Verordnung des Bürgermeisters der Landeshauptstadt Innsbruck betreten habe. Aus Anlass dieses Verfahrens stellt das Landesverwaltungsgericht Tirol den zu V584/2020 protokollierten Antrag gemäß Art139 Abs1 Z1 B‑VG an den Verfassungsgerichtshof.

3. Das Landesverwaltungsgericht Tirol führt zur Zulässigkeit seiner beiden Anträge jeweils näher aus, es habe die angefochtene Verordnung auf Grund der in den bei ihm bekämpften Straferkenntnissen zugrunde gelegten Tatzeit (26. März 2020 bzw 23. März 2020) unmittelbar anzuwenden, auch wenn diese Verordnung bereits mit 30. März 2020 außer Kraft getreten sei.

4. Das Landesverwaltungsgericht Tirol legt seine Bedenken, die es zur Antragstellung beim Verfassungsgerichtshof bestimmt haben, jeweils im Wesentlichen übereinstimmend wie folgt dar:

4.1. Zunächst gibt das Landesverwaltungsgericht Tirol einen zum Verordnungsakt gehörenden Aktenvermerk vom 20. März 2020 sowie ein zum Verordnungsakt genommenes Protokoll einer "LZ GEL Stabsbesprechung" vom 20. März 2020 wieder.

4.1.1. Der Aktenvermerk lautet wörtlich wie folgt:

 

"AKTENVERMERK:

Die notwendigen Verkehrsbeschränkungen im Zusammenhang mit COVID‑19 waren bisher in der Verordnung des Bürgermeisters der Landeshauptstadt Innsbruck vom 15.03.2020 (Bote für Tirol 135) geregelt. Diese Verordnung trat mit Ablauf des 19.03.2020 außer Kraft und wird im Wesentlichen ersetzt durch die Verordnung des Landeshauptmanns von Tirol LGBL 33/2020.

Für die Landeshauptstadt Innsbruck bestehen aufgrund der örtlichen Gegebenheiten besondere Aspekte zur Verhinderung der Ausbreitung von Infektionen mit COVID‑19.

Wie bereits bei Erlassung der Verordnung vom 15.03.2020 sind über das für das gesamte Landesgebiet notwendige Maß hinausgehende Einschränkungen notwendig, um eine Ausbreitung der Infektionen zu verhindern. Die Regelungen in der Verordnung sollen für den Rechtsunterworfenen klar verständlich sein. Aus diesem Grund sollen im Stadtgebiet von Innsbruck alle Promenaden (gesamte Parkanlagen inkl. Geh- und Radwege) mit einem Betretungsverbot belegt werden. In diesem Zusammenhang darf auf die mediale Berichterstattung von Anfang März verwiesen werden. Zu diesem Zeitpunkt erfolgte eine exzessive Nutzung der Innpromenaden, insbesondere im Innenstadtbereich. Durch diese exzessive Nutzung besteht die latente Gefahr einer Ausbreitung von COVID‑19.

 

 

 

 

Nachdem durch die Verordnung des Landeshauptmannes von Tirol LGBL 33/2020 weitrechende Verkehrsbeschränkungen verordnet werden, ist im Hinblick auf das große Einzugsgebiet der Naherholungsbereiche im Gemeindegebiet von Innsbruck weiters das Betreten der Parkplätze in diesen Bereichen zu untersagen, um auch hier eine Ausbreitung von Infektionen hintanhalten zu können.

 

Die Lageentwicklung der letzten Tage stellte sich wie folgt dar:

 

Aus dieser Lageübersicht ergibt sich die derzeit dynamische Lageentwicklung in Innsbruck (Anstieg der positiv getesteten Personen innerhalb von 48 h von 86 auf 123 sowie ein Anstieg der Verdachtsfälle innerhalb von 48 h von 882 auf 1.182). Folglich wurde heute in der Stabsbesprechung aus fachlicher Sicht einstimmig festgestellt, dass die Erlassung einer über die Bestimmungen der Verordnung des Landeshauptmanns (LGBL 33/2020) hinausgehende Verordnung dringend notwendig ist um an Orten mit üblich starkem Personenaufkommen auf engen Raum die Infektionsgefahr hintanzuhalten.

Nach der Bestimmung des §2 Z3 COVID‑19‑Maßnahmengesetz kann die Bezirksverwaltungsbehörde durch Verordnung das Betreten bestimmter Orte untersagen, soweit dies zur Verhinderung der Verbreitung von COVID‑19 erforderlich ist. Darüber hinaus kann geregelt werden, unter welchen bestimmten Voraussetzungen oder Auflagen jene bestimmten Orte betreten werden dürfen.

Somit liegen die Voraussetzungen für die Erlassung der angeschlossenen Verordnung vor. Die Ausnahmen vom Betretungsverbot sind zur Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung und Sicherheit sowie der Versorgung der Bevölkerung erforderlich."

4.1.2. Das Besprechungsprotokoll lautet auszugsweise wie folgt:

"Protokoll - LZ GEL Stabsbesprechung:

 

Datum: 20.03.2020

Dauer: 11:36 bis 12:21 Uhr

Protokollführer: P****, Z****

TeilnehmerInnen

Siehe Teilnehmerliste

Eckpunkte der Besprechung

• Quarantänevollzug

• […]

• […]

Berichte Landeseinsatzleitung und Stabstellen

A****, H****

Fokus liegt auf den Sicherheitsaspekt, das Stadtpolizeikommando meldet eine hohe Frequentierung der Innpromenade. Aktuell wird bereits gestraft, größtenteils aber Aufklärung betrieben.

Um weitere Versammlungen zu unterbinden werden Wanderparks, Spielplätze und Park geschlossen, auch kein Durchgang gestattet. Die entsprechende VO sollte heute Mitternacht in Kraft treten und eine solide Handlungsgrundlage für die Organe der Sicherheitspolizei bilden; BGM hier aktuelle in Gesprächen mit den LH und BH

Für die Innpromenade wird ebenso eine Sperre angedacht, Details sind hier aber noch offen.

Die Anzahl der positiven Fälle hat sich stark erhöht, aktueller Stand bei 123 Infizierte.

Ab nächster Woche ist der Flughafen für den regulären Verkehr geschlossen; das betrifft nicht Notfallflüge sowie Ausreisen.

Das Problem um die Studentenwohnheime ist nun auch beim Land registriert worden. Ideal wäre es gewesen, alle Bewohner der Heime zu testen, dies ist jedoch vom Material her nicht möglich.

Allfälliges: 24hPflegepersonal darf einreisen. Testläufe in Wien, ob Schutzmasken wiederverwendet werden können. Lieferung mit Schutzausrüstung an das Land steht an, genauer Umfang unbekannt. S4 soll Kontakt aufrechterhalten. Der Stadtrad-Service wurde eingestellt, gleiches gilt für die Angebote an E‑Scooter.

Im Gesundheitsamt sind die Entlastungen weiter am laufen. Der E‑Mail-Eingang wurde zentralisiert, gleiches ist für die Telefone geplant, jedoch mit der alten Telefonanlage schwer umsetzbar, Lösung über skype for business in Vorbereitung. Für die direkte Erreichbarkeit der Amtsärzte Kontakt über LZ herstellen

S1/N****

[…]

S2/B****

Die Spreizung wird wesentlich geringer, aktuell sind ca 20% aller Testergebnisse positiv.

S2/S****

Ein weiterer positiver Fall bei einer Musiklehrerin, ist isoliert.

Flowchart bei Vorgehensweise zu K1, K2, K3 => Ersuchen um Freigabe.

[…]

S5/R****

Aussendungen wie geplant raus; die Info für die Sperren wird aktuell formuliert. Die soft news kommen gut an streuen, bzgl der Magnolien wird entsprechend verfahren.

[…]

Ende 12:21"

4.2. Damit würden aber – so die Bedenken des Landesverwaltungsgerichtes Tirol in dem zu V583/2020 protokollierten Verfahren – die angefochtenen Bestimmungen der in Rede stehenden Verordnung des Bürgermeisters der Landeshauptstadt Innsbruck den Vorgaben des §2 COVID‑19‑Maßnahmengesetzes nicht genügen:

"Die Entscheidungsgrundlagen, die im Aktenvermerk vom 20.3.2020 dokumentiert sind, beschränken sich auf die mediale Berichterstattung von Anfang März zur Innpromenade hinter der Universität Innsbruck. Sieht man sich den untenstehenden Auszug aus dem Lageplan zur in Rede stehenden Verordnung an […], ist erkennbar, dass der in Rede stehende Tatort und die Innpromenade hinter der Universität Innsbruck weit voneinander entfernt sind […]. Im Aktenvermerk vom 20.3.2020 findet sich zudem eine Beschreibung der Lageentwicklung der Tage des 18.3.2019, des 19.3.2019 und des 20.3.2019 [gemeint wohl jeweils 2020]. Aufgrund der dynamischen Lageentwicklung in Innsbruck (Anstieg der positiv getesteten Personen innerhalb von 48 h von 86 auf 123 sowie ein Anstieg der Verdachtsfälle innerhalb von 48 h von 882 auf 1.182) sei die Erlassung der Verordnung dringend notwendig um an Orten mit üblich starkem Personenaufkommen auf engem Raum die Infektionsgefahr hintanzuhalten. Es findet sich weder im Aktenvermerk vom 20.3.2020 noch im 'Protokoll - LZ GEL Stabsbesprechung' vom 20.3.2020 ein Hinweis oder eine Begründung, warum alle Promenaden (gesamte Parkanlagen inkl Geh- und Radwege) und insbesondere konkret der in Rede stehende Tatort mit einem Betretungsverbot belegt werden. Dass die Regelungen in der Verordnung für den Rechtsunterworfenen klar verständlich sein sollen, reicht als Begründung für die Erforderlichkeit dieser Maßnahme nicht aus.

 

Aufgrund des durchgeführten Ermittlungsverfahrens […] steht zudem fest, dass der Tatort kein öffentlicher Ort im Sinne des §1 der Verordnung des Bürgermeisters der Landeshauptstadt Innsbruck vom 20. März 2020 nach §2 Z3 des COVID‑19‑Maßnahmengesetzes (Bote für Tirol Nr 167/2020) war, sondern er dies erst mit Inkrafttreten der Verordnung des Bürgermeisters der Landeshauptstadt Innsbruck vom 21. März 2020, mit der die Verordnung gemäß §2 Z3 des COVID‑19‑Maßnahmengesetzes (II‑VA‑V‑006515/2020) geändert wird (Bote für Tirol Nr 169/2020), wurde. Es liegt keine Begründung vor […], warum es schließlich auch verboten wurde, den Tatort als öffentlichen Ort zu betreten und befahren.

 

§1 der Verordnung des Bürgermeisters der Landeshauptstadt Innsbruck vom 20. März 2020 nach §2 Z3 des COVID‑19‑Maßnahmengesetzes (Bote für Tirol Nr 167/2020), in der Fassung der Verordnung des Bürgermeisters der Landeshauptstadt Innsbruck vom 21. März 2020, mit der die Verordnung gemäß §2 Z3 des COVID‑19‑Maßnahmengesetzes (II‑VA‑V‑006515/2020) geändert wird (Bote für Tirol Nr 169/2020) verstößt somit gegen §2 COVID‑19‑Maßnahmengesetz, weil es der Verordnungsgeber unterlassen hat, jene Umstände, die ihn bei der Verordnungserlassung bestimmt haben, so festzuhalten, dass entsprechend nachvollziehbar ist, warum der Verordnungsgeber die mit diesen Regelungen getroffenen Maßnahmen für erforderlich gehalten hat."

4.3. Die Bedenken des Landesverwaltungsgerichts Tirol in seinem zu V584/2020 protokollierten Antrag stimmen mit diesen, soeben (4.2.) wiedergegebenen Bedenken hinsichtlich des ersten und des dritten Absatzes sinngemäß überein (der zweite Absatz wird zu V584/2020 nicht vorgebracht).

5. Der Bürgermeister der Landeshauptstadt Innsbruck hat als verordnungserlassende Behörde lediglich ausgewählte Aktenteile (neben den beiden Verordnungen vom 20. März 2020 bzw vom 21. März 2020 und zwei Auszügen aus dem Boten für Tirol weiters den – bereits vom Landesverwaltungsgericht Tirol wörtlich wiedergegebenen [siehe vorhin 4.1.1.] – "Aktenvermerk der Landes- und Gemeindeeinsatzleitung vom 20.03.2020" und einen weiteren "Aktenvermerk der Landes- und Gemeindeeinsatzleitung vom 21.03.2020" vorgelegt und jeweils eine – in den wesentlichen Punkten übereinstimmende – Äußerung erstattet, in der er den Bedenken des Landesverwaltungsgerichtes Tirol wie folgt entgegentritt (ohne die Hervorhebungen im Original):

"Wie das antragstellende Landesverwaltungsgericht Tirol mit der nachfolgenden Grafik selbst aufzeigt, handelt es sich beim verfahrensgegenständlichen Flussufer um einen Teil des zusammenhängenden Promenadensystems (Inn, Sill) im Stadtgebiet von Innsbruck. Um eine Verlagerung bzw Verdrängung der Menschenmassen bei den im März 2020 vorherrschenden Witterungsverhältnissen und dem Bedürfnis der Menschen, im Freien zusammenzukommen, zu verhindern, wurde die Verordnung vom 20. März 2020 von der zuständigen Bezirks-verwaltungsbehörde unter Beachtung des sich täglich ändernden Lagebildes am 21.03.2020 entsprechend angepasst.

 

[…]

 

Vor Erlassung der Verordnung vom 20. März 2020 wurde in einer Kooperation der Landes- und Gemeindeeinsatzleitung eine substantiierte Bestandsaufnahme zum Zusammenkommen größerer Menschenansammlungen im Stadtgebiet von Innsbruck sowie der damit verbundenen Gefahr der Verbreitung von COVID‑19 durchgeführt. Dies wurde in einem gemeinsamen Aktenvermerk der Landes- und Gemeindeeinsatzleitung dokumentiert.

 

Aufgrund der aktuellen Lageübersicht und einer dynamischen Lageentwicklung in Innsbruck (Anstieg der positiv getesteten Personen innerhalb von 48 Stunden von 86 auf 123 sowie dem Anstieg der Verdachtsfälle innerhalb von 48 Stunden von 882 auf 1.182) war die dringende Notwendigkeit gegeben, für Orte mit üblicherweise starkem Personenaufkommen und der damit verbundenen Gefahr einer Weiterverbreitung von COVID‑19 zeitnah Maßnahmen seitens der Bezirksverwaltungsbehörde zu setzen. Zu den ansteckungsgeneigten Orten zählen insbesondere Promenaden bzw Flussufer, wie die gegenständlichen, wo bei den im März 2020 vorherrschenden Witterungsverhältnissen größere Menschenansammlungen entstehen. Um die Infektionsgefahr hintanzuhalten, war es notwendig, die verfahrensgegenständliche, zweckmäßige Verordnung zu erlassen. Im Sinne der Verhältnismäßigkeit wurden zur Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung und Sicherheit sowie für die Versorgung der Bevölkerung Ausnahmen in der Verordnung normiert.

 

Die oben angeführten und von der Bezirksverwaltungsbehörde dokumentierten sachlichen Grundlagen gelten in derselben Art und Weise auch für jene Örtlichkeiten, welche aufgrund des sich tägliche ändernden Lagebildes mit Verordnung vom 21. März 2020 — als Änderung der Verordnung vom 20. März 2020 — in die Verordnung aufgenommen wurden. Aufgrund der Gleichartigkeit der Wege und des zusammenhängenden Charakters des Promenadensystems an den beiden Flüssen Sill und Inn sowie dem Bedürfnis der Menschen, aufgrund der Witterungsverhältnisse im März 2020 auf diesem Wegesystem zusammenzukommen, war auch die Änderung/Ausweitung der Örtlichkeiten mit der Verordnung vom 21. März 2020 sachlich gerechtfertigt. Die in §1 der Verordnung angeführten, im Sinne des §2 COVID‑19‑Maßnahmengesetz bestimmten Orte im Stadtgebiet von Innsbruck mussten mit einem Betretungsverbot versehen werden, um aufgrund der herrschenden Witterungsbedingungen und der damit verbundenen Menschenansammlungen die Ausbreitung von COVID‑19 zu verhindern. Beide Verordnungen waren daher gesetzeskonform.

 

Entgegen dem Vorbringen des antragstellenden Landesverwaltungsgerichtes Tirol wurde zudem keine der in der Verordnung angeführten Örtlichkeiten erst durch die Verordnung zu 'öffentlichen Orten' erklärt. Bei den in §1 der Verordnung festgelegten und mit einem Betretungsverbot zur Verhinderung der Verbreitung von COVID‑19 belegten Örtlichkeiten handelt es sich um 'bestimmte Orte' im Sinn des §2 COVID‑19‑Maßnahmengesetzes. Als öffentlicher Ort wird in der Rechtsprechung der Gerichtshöfe des öffentlichen Rechts jeder Ort erachtet, der jederzeit von einem nicht von vornherein zahlenmäßig beschränkten Personenkreis betreten werden kann (vgl VfSlg 8685/1979, VwSlg 6581 A/1965). Dies trifft auf die durch die Verordnung des Bürgermeisters der Landeshauptstadt Innsbruck vom 20. März 2020 nach §2 Z3 des COVID‑19‑Maßnahmengesetzes, in der Fassung der Verordnung des Bürgermeisters der Landeshauptstadt Innsbruck vom 21. März 2020, mit der die Verordnung gemäß §2 Z3 des COVID‑19‑Maßnahmengesetzes geändert wird, mit einem Betretungsverbot versehenen Orte zu. Es handelt sich um konkret beschriebene, einzelne Orte, für welche laut der Verordnung zudem Ausnahmen vom Betretungsverbot vorgesehen waren. Die Verordnungserlassung war sohin jedenfalls notwendig und zweckmäßig sowie verhältnismäßig."

Der als (weitere) Beilage vorgelegte "Aktenvermerk der Landes- und Gemeindeeinsatzleitung vom 21.03.2020" lautet wie folgt:

"Unter Bezugnahme auf den Vero[r]dnungsakt II‑VA‑V‑006515/2020 (VO des BGM vom 20.03.2020, Bote für Tirol 167/2020) sollen nunmehr – nach politWillensbildung – die aus dem oe. Akt ersichtlichen Promenaden mit einem Betretungsverbot belegt werden. Inhaltlich hat sich seit der Lagebeurteilung vom 20.03.2020 an der dynamischen Lageentwicklung nichts geändert."

6. Der Bundesminister für Soziales, Gesundheit, Pflege und Konsumentenschutz und die Parteien des Verfahrens vor dem antragstellenden Gericht haben von der Erstattung einer Äußerung abgesehen.

IV. Erwägungen

Der Verfassungsgerichtshof hat über die in sinngemäßer Anwendung der §§187 und 404 ZPO iVm §35 Abs1 VfGG zur gemeinsamen Beratung und Entscheidung verbundenen Anträge erwogen:

1. Zur Zulässigkeit:

1.1. Der Verfassungsgerichtshof ist nicht berechtigt, durch seine Präjudizialitätsentscheidung das antragstellende Gericht an eine bestimmte Rechtsauslegung zu binden, weil er damit indirekt der Entscheidung dieses Gerichtes in der Hauptsache vorgreifen würde. Gemäß der ständigen Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes darf daher ein Antrag iSd Art139 Abs1 Z1 B‑VG bzw des Art140 Abs1 Z1 lita B‑VG nur dann wegen Fehlens der Präjudizialität zurückgewiesen werden, wenn es offenkundig unrichtig (denkunmöglich) ist, dass die – angefochtene – generelle Norm eine Voraussetzung der Entscheidung des antragstellenden Gerichtes im Anlassfall bildet (vgl etwa VfSlg 10.640/1985, 12.189/1989, 15.237/1998, 16.245/2001 und 16.927/2003).

1.2. §1 der angefochtenen Verordnung verbietet das Betreten und Befahren taxativ aufgelisteter öffentlicher Orte, die in keinem normativen Zusammenhang zueinander stehen. Dem antragstellenden Landesverwaltungsgericht ist zwar nicht entgegenzutreten, wenn es davon ausgeht, dass es im Anlassverfahren die – inzwischen aufgehobene – Verordnung des Bürgermeisters der Landeshauptstadt Innsbruck dem Grunde nach anzuwenden hat (vgl VfGH 10.12.2020, V512/2020). Den Anlassverfahren zu den beiden Verordnungsprüfungsanträgen liegen jedoch (nur) Straferkenntnisse zugrunde, die das Betreten der nördlichen Innpromenade (§1 Z20 der Verordnung; V584/2020) bzw der westlichen Sillpromenade (§1 Z22 der Verordnung; V583/2020) zum Gegenstand haben. Soweit sich die Anträge (auch) auf andere, in §1 der Verordnung angeführte öffentliche Orte beziehen, sind sie wegen offenkundigen Fehlens der Präjudizialität als unzulässig zurückzuweisen. Im Übrigen, also hinsichtlich §1 Z20 (V584/2020) und §1 Z22 (V583/2020) der angefochtenen Verordnung sind die Verordnungsprüfungsanträge, da auch sonst keine Prozesshindernisse hervorgekommen sind, zulässig.

2. In der Sache:

2.1. Der Verfassungsgerichtshof hat sich in einem auf Antrag eingeleiteten Verfahren zur Prüfung der Gesetzmäßigkeit einer Verordnung gemäß Art139 B‑VG auf die Erörterung der geltend gemachten Bedenken zu beschränken (vgl VfSlg 11.580/1987, 14.044/1995, 16.674/2002). Er hat sohin ausschließlich zu beurteilen, ob die angefochtene Bestimmung aus den in der Begründung des Antrages dargelegten Gründen gesetzwidrig ist (VfSlg 15.644/1999, 17.222/2004).

2.2. Die Anträge sind – soweit zulässig – nicht begründet:

2.2.1. Das antragstellende Landesverwaltungsgericht macht als Bedenken geltend, dass die angefochtenen Verbote nicht den Vorgaben des §2 COVID‑19‑Maßnahmengesetz genügen würden, weil die aus den Verordnungsakten ersichtliche Dokumentation als Begründung für die Erforderlichkeit dieser Verbote nicht ausreiche. Die Entscheidungsgrundlagen würden sich auf die mediale Berichterstattung von Anfang März zur Innpromenade "hinter der Universität Innsbruck" (sohin nicht auf die hier maßgeblichen öffentlichen Orte) beschränken. Es finde sich keine Begründung, warum alle Promenaden, insbesondere die anlassgebenden Tatorte, mit einem Betretungsverbot belegt worden seien. Hinsichtlich §1 Z22 der angefochtenen Verordnung (V583/2020) liege weiters keine Begründung vor, warum dieser Ort nachträglich (Bote für Tirol Nr 169/2020) noch in den Verbotsbereich einbezogen worden sei. Der Verordnungsgeber habe es also unterlassen, jene Umstände, die ihn bei der Verordnungserlassung bestimmt haben, so festzuhalten, dass nachvollziehbar sei, warum der Verordnungsgeber die getroffenen Maßnahmen für erforderlich gehalten habe.

2.2.2. Der Bürgermeister der Landeshauptstadt Innsbruck als verordnungserlassende Behörde verwies demgegenüber unter anderem auf die im Verordnungsakt dokumentierte Entwicklung des Infektionsgeschehens und darauf, dass es notwendig gewesen sei, bei den damals herrschenden Witterungsverhältnissen im "zusammenhängenden Promenadensystem (Inn, Sill) im Stadtgebiet von Innsbruck" Verlagerungen bzw Verdrängungen massenhafter Zusammenkünfte zu verhindern, weshalb auch die Verordnung dem sich "täglich ändernden Lagebild" angepasst worden sei.

2.2.3. Die angefochtenen Bestimmungen stehen in folgendem normativen Zusammenhang:

2.2.3.1. Gemäß §2 COVID‑19‑Maßnahmengesetz in der hier maßgeblichen Stammfassung BGBl I 12/2020, auf den sich die angefochtene Verordnung stützt, waren (unter anderem) die Bezirksverwaltungsbehörden ermächtigt, beim Auftreten von COVID‑19 durch Verordnung das Betreten von bestimmten Orten zu untersagen, soweit dies zur Verhinderung der Verbreitung von COVID‑19 erforderlich war.

2.2.3.2. Der Verfassungsgerichtshof hat zu den Verordnungsermächtigungen des COVID‑19‑Maßnahmengesetz idF vor BGBl I 104/2020 bereits mehrfach ausgesprochen (grundlegend VfGH 14.7.2020, V411/2020; weiters VfGH 1.10.2020, V392/2020; 1.10.2020, V405/2020; 1.10.2020, V429/2020; 1.10.2020, V463/2020 ua), dass sie dem Verordnungsgeber einen Einschätzungs- und Prognosespielraum übertragen haben, ob und wieweit er zur Verhinderung der Verbreitung von COVID‑19 auch erhebliche Grundrechtseinschränkungen für erforderlich hält, weshalb der Verordnungsgeber seine Entscheidung als Ergebnis einer Abwägung mit den einschlägigen grundrechtlich geschützten Interessen der Betroffenen zu treffen hatte. Der Verordnungsgeber musste also in Ansehung des Standes und der Ausbreitung von COVID‑19 notwendig prognosehaft beurteilen, inwieweit in Aussicht genommene Betretungsverbote zur Verhinderung der Verbreitung von COVID‑19 geeignete (der Zielerreichung dienliche), erforderliche (gegenläufige Interessen weniger beschränkend und zugleich weniger effektiv nicht mögliche) und insgesamt angemessene (nicht hinnehmbare Grundrechtseinschränkungen ausschließende) Maßnahmen darstellten.

Der Einschätzungs- und Prognosespielraum des Verordnungsgebers umfasste insoweit auch die zeitliche Dimension dahingehend, dass ein schrittweises, nicht vollständig abschätzbare Auswirkungen beobachtendes und entsprechend wiederum durch neue Maßnahmen reagierendes Vorgehen von der gesetzlichen Ermächtigung der §§1 und 2 COVID‑19‑Maßnahmengesetz vorgesehen und auch gefordert war.

Angesicht der damit inhaltlich weitreichenden Ermächtigung des Verordnungs-gebers verpflichteten §1 und §2 COVID‑19‑Maßnahmengesetz in der Stammfassung vor dem Hintergrund des Art18 Abs2 B‑VG den Verordnungsgeber im einschlägigen Zusammenhang auch, die Wahrnehmung seines Entscheidungsspielraums im Lichte der gesetzlichen Zielsetzungen insoweit nachvollziehbar zu machen, als er im Verordnungserlassungsverfahren festzuhalten hatte, auf welcher Informationsbasis über die nach dem Gesetz maßgeblichen Umstände die Verordnungsentscheidung fußte und die gesetzlich vorgegebene Abwägungsentscheidung erfolgt ist. Die diesbezüglichen Anforderungen dürfen naturgemäß nicht überspannt werden, sie haben sich maßgeblich danach bestimmt, was in der konkreten Situation möglich und zumutbar war. Auch in diesem Zusammenhang kommt dem Zeitfaktor entsprechende Bedeutung zu.

2.2.3.3. All dies hat der Verfassungsgerichtshof bei seiner Prüfung, ob die Verwaltungsbehörde den gesetzlichen Vorgaben bei Erlassung der angefochtenen Verordnung entsprochen hat, zu berücksichtigen. Damit ist für die Beurteilung des Verfassungsgerichtshofes insoweit der Zeitpunkt der Erlassung der entsprechenden Verordnungsbestimmungen und die diesen zugrunde liegende aktenmäßige Dokumentation maßgeblich (VfGH 10.3.2021, V573/2020 und V574/2020).

2.2.4. Der angefochtenen Verordnung liegen ausweislich der Akten des Landesverwaltungsgerichts Tirol und der mit der Äußerung des Bürgermeisters der Landeshauptstadt Innsbruck vorgelegten Unterlagen (jedenfalls) drei Dokumente zugrunde, nämlich erstens ein dreiseitiges Besprechungsprotokoll des "Lagezentrums GEL Stabsbesprechung" vom 20. März 2020 (siehe dessen Text auszugsweise oben 4.1.2.), weiters ein Aktenvermerk vom 20. März 2020 zur Geschäftszahl II‑VA‑V‑006515/2020 (siehe dessen Text oben 4.1.1.) sowie ein Aktenvermerk vom 21. März 2020 zur Geschäftszahl II‑VA‑V‑006520/2020 (siehe dessen Text oben 5.).

Die verordnungserlassende Behörde hat in ihrem Aktenvermerk vom 20. März 2020 zunächst die "dynamische" Entwicklung des Infektionsgeschehens für den Zeitraum vom 18. März bis zum 20. März 2020 unter anderem in der Landeshauptstadt Innsbruck dokumentiert und einen Anstieg der Zahl der positiv Getesteten innerhalb von 48 Stunden von 86 auf 123 Personen festgehalten. Sie hat weiters die intensive Nutzung der Innpromenaden dargelegt, am Beispiel der Innpromenade "hinter der Uni" durch einen Zeitungsbericht über eng nebeneinander verweilende Personen aus "Anfang März" belegt und daraus auf die Gefahr einer Ausbreitung von COVID‑19 geschlossen. In dem der räumlichen Ausweitung des Betretungsverbotes (durch die Verordnungsnovelle Bote für Tirol Nr 169/2020) zugrunde liegenden "Aktenvermerk der Landes- und Gemeindeeinsatzleitung vom 21.03.2020"hat die verordnungserlassende Behörde festgehalten, dass sich an der "dynamischen Lageentwicklung" nichts geändert habe.

Damit hat die verordnungserlassende Behörde zum damaligen Zeitpunkt hinreichend dokumentiert, auf welcher Informationsbasis über die nach dem Gesetz maßgeblichen Umstände, nämlich das Auftreten von COVID‑19 und die Erforderlichkeit von Maßnahmen zur Verhinderung der Verbreitung dieser Krankheit, ihre Verordnungsentscheidung fußte. Der Verfassungsgerichtshof vermag der verordnungserlassenden Behörde ferner nicht entgegenzutreten, wenn sie in ihrer Äußerung auf der Erfahrung entsprechende Verlagerungseffekte bloß punktueller Betretungsverbote angesichts der damals herrschenden Witterungsverhältnisse hinweist, weshalb es der Verfassungsgerichtshof nicht für erforderlich erachtet, dass die Behörde erhebliche Menschenzusammenkünfte für jeden der in das Betretungsverbot einbezogenen Orte zu belegen gehabt hätte. Aus diesem Grund konnte die verordnungserlassende Behörde auch auf Basis der dokumentierten Informationslage mit der Änderungsverordnung vom Folgetag (Bote für Tirol Nr 169/2020) noch weitere Orte in den Verbotsbereich einbeziehen.

2.2.5. Die Anträge sind daher abzuweisen.

V. Ergebnis

1. Die mit dem zu V583/2020 protokollierten Antrag ob der Gesetzmäßigkeit des §1 Z22 der Verordnung des Bürgermeisters der Landeshauptstadt Innsbruck vom 20. März 2020 nach §2 Z3 des COVID‑19‑Maßnahmengesetzes, kundgemacht im Boten für Tirol Nr 167/2020, in der Fassung der Verordnung des Bürgermeisters der Landeshauptstadt Innsbruck vom 21. März 2020, mit der die Verordnung gemäß §2 Z3 des COVID‑19‑Maßnahmengesetzes (II‑VA‑V‑006515/2020) geändert wird, kundgemacht im Boten für Tirol Nr 169/2020, erhobenen Bedenken treffen nicht zu. Der Antrag ist daher insoweit abzuweisen.

2. Die mit dem zu V584/2020 protokollierten Antrag ob der Gesetzmäßigkeit des §1 Z20 der Verordnung des Bürgermeisters der Landeshauptstadt Innsbruck vom 20. März 2020 nach §2 Z3 des COVID‑19‑Maßnahmengesetzes, kundgemacht im Boten für Tirol Nr 167/2020, in der Fassung der Verordnung des Bürgermeisters der Landeshauptstadt Innsbruck vom 21. März 2020, mit der die Verordnung gemäß §2 Z3 des COVID‑19‑Maßnahmengesetzes (II‑VA‑V‑006515/2020) geändert wird, kundgemacht im Boten für Tirol Nr 169/2020, erhobenen Bedenken treffen nicht zu. Auch dieser Antrag ist daher insoweit abzuweisen.

3. Im Übrigen sind die Anträge zurückzuweisen.

4. Diese Entscheidung konnte gemäß §19 Abs4 VfGG ohne mündliche Verhandlung in nichtöffentlicher Sitzung getroffen werden.

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