VfGH G139/2019

VfGHG139/201911.12.2020

Verfassungswidrigkeit des strafrechtlichen Verbots jeglicher Hilfe eines Dritten bei der Mitwirkung am Selbstmord auf Grund Verletzung des verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechts des Einzelnen auf freie Selbstbestimmung; das Recht auf freie Selbstbestimmung – abgeleitet vom Recht auf Privatleben, Recht auf Leben und dem Gleichheitsgrundsatz – umfasst sowohl das Recht auf die Gestaltung des Lebens als auch das Recht auf ein menschenwürdiges Sterben; der Entschluss zur Selbsttötung muss auf einer freien Selbstbestimmung gründen; die Behandlungshoheit des Einzelnen umfasst neben der Ablehnung von lebenserhaltenden oder verlängernden Maßnahmen insbesondere das Recht auf ein menschenwürdiges Sterben sowie das Recht, Hilfe eines Dritten in Anspruch zu nehmen

Normen

B-VG Art7 Abs1 / Gesetz
B-VG Art18 Abs1
B-VG Art140 Abs1Z1 litc
StGG Art2
EMRK Art2
EMRK Art7
EMRK Art8
EMRK Art9
StV St Germain 1919 (Staatsvertrag von St Germain) Art63 Abs1
StGB §41, §75, §77, §78, §110
ABGB §252, §253, §254
ÄrzteG 1998 §2, §49, §49a
Patientenverfügungs-G §4, §5, §6, §8, §9, §10, §11, §12, §13, §14
VfGG §7 Abs1

European Case Law Identifier: ECLI:AT:VFGH:2020:G139.2019

 

Spruch:

I. 1. Die Wortfolge "oder ihm dazu Hilfe leistet," in §78 des Bundesgesetzes vom 23. Jänner 1974 über die mit gerichtlicher Strafe bedrohten Handlungen (Strafgesetzbuch – StGB), BGBl Nr 60/1974, wird als verfassungswidrig aufgehoben.

2. Die Aufhebung tritt mit Ablauf des 31. Dezember 2021 in Kraft.

3. Frühere gesetzliche Bestimmungen treten nicht wieder in Kraft.

4. Der Bundeskanzler ist zur unverzüglichen Kundmachung dieser Aussprüche im Bundesgesetzblatt I verpflichtet.

II. Der Antrag wird, soweit er sich auf §77 StGB bezieht, zurückgewiesen.

III. Im Übrigen wird der Antrag abgewiesen.

IV. Der Bund (Bundesministerin für Justiz) ist schuldig, den Antragstellern zuhanden ihrer Rechtsvertreterin die mit insgesamt € 1.809,60 bestimmten Prozesskosten binnen 14 Tagen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Entscheidungsgründe

I. Antrag

1. Mit ihrem auf Art140 Abs1 Z1 litc B‑VG gestützten Antrag begehren die Antragsteller, "der hohe Verfassungsgerichtshof möge bezüglich der angefochtenen Bestimmungen §77 und §78 StGB, BGBl Nr 60/1974, in Kraft getreten am 1. 1. 1975, idgF, ein Gesetzesprüfungsverfahren iSd §§62ff VerfGG einleiten, eine mündliche Verhandlung durchführen und die Bestimmungen als verfassungswidrig aufheben".

2. Unter einem beantragen die Antragsteller, "dem Bund den Prozesskostenersatz aufzuerlegen, wobei iSd §27 VerfGG der Zuspruch für alle regelmäßigen Kosten zuzüglich USt begehrt wird".

II. Rechtslage

1. §77 und §78 des Bundesgesetzes vom 23. Jänner 1974 über die mit gerichtlicher Strafe bedrohten Handlungen (Strafgesetzbuch – StGB), BGBl 60/1974, lauten:

"Tötung auf Verlangen

 

§77. Wer einen anderen auf dessen ernstliches und eindringliches Verlangen tötet, ist mit Freiheitsstrafe von sechs Monaten bis zu fünf Jahren zu bestrafen.

 

Mitwirkung am Selbstmord

 

§78. Wer einen anderen dazu verleitet, sich selbst zu töten, oder ihm dazu Hilfe leistet, ist mit Freiheitsstrafe von sechs Monaten bis zu fünf Jahren zu bestrafen."

 

2. §49 und §49a des Bundesgesetzes über die Ausübung des ärztlichen Berufes und die Standesvertretung der Ärzte (Ärztegesetz 1998 – ÄrzteG 1998), BGBl I 169/1998, idF BGBl I 20/2019 lauten:

"Behandlung der Kranken und Betreuung der Gesunden

 

§49. (1) Ein Arzt ist verpflichtet, jeden von ihm in ärztliche Beratung oder Behandlung übernommenen Gesunden und Kranken ohne Unterschied der Person gewissenhaft zu betreuen. Er hat sich laufend im Rahmen anerkannter Fortbildungsprogramme der Ärztekammern in den Bundesländern oder der Österreichischen Ärztekammer oder im Rahmen anerkannter ausländischer Fortbildungsprogramme fortzubilden und nach Maßgabe der ärztlichen Wissenschaft und Erfahrung sowie unter Einhaltung der bestehenden Vorschriften und der fachspezifischen Qualitätsstandards, insbesondere aufgrund des Gesundheitsqualitätsgesetzes (GQG), BGBl I Nr 179/2004, das Wohl der Kranken und den Schutz der Gesunden zu wahren.

 

(2) Die Ärztin/Der Arzt hat ihren/seinen Beruf persönlich und unmittelbar, erforderlichenfalls in Zusammenarbeit mit anderen Ärztinnen/Ärzten und Vertreterinnen/Vertretern einer anderen Wissenschaft oder eines anderen Berufes, auszuüben. Zur Mithilfe kann sie/er sich jedoch Hilfspersonen bedienen, wenn diese nach ihren/seinen genauen Anordnungen und unter ihrer/seiner ständigen Aufsicht handeln.

 

(2a) Ärzte und Gruppenpraxen haben regelmäßig eine umfassende Evaluierung der Qualität durchzuführen und die jeweiligen Ergebnisse der Österreichischen Gesellschaft für Qualitätssicherung & Qualitätsmanagement in der Medizin GmbH nach Maßgabe der technischen Ausstattung im Wege der elektronischen Datenfernübertragung zu übermitteln.

 

(2b) Ergibt die Evaluierung oder Kontrolle eine unmittelbare Gefährdung der Gesundheit oder unterbleibt aus Gründen, die der Arzt oder die Gruppenpraxis zu vertreten hat, die Evaluierung gemäß Abs2a, so stellt dies als schwerwiegende Berufspflichtverletzung auch einen Kündigungsgrund im Sinne des §343 Abs4 des Allgemeinen Sozialversicherungsgesetzes (ASVG), BGBl Nr 189/1955, dar, sofern die fachspezifischen Qualitätsstandards im Hinblick auf die Prozess- oder Strukturqualität betroffen sind.

 

(2c) Ärzte, die zur selbstständigen Berufsausübung berechtigt sind, haben ihre absolvierte Fortbildung zumindest alle drei Jahre gegenüber der Österreichischen Ärztekammer glaubhaft zu machen. Ärzte haben diese Meldungen spätestens bis zum Ablauf von drei Monaten nach dem jeweiligen Fortbildungszeitraum (Sammelzeitraum) zu erstatten. Die Österreichische Ärztekammer hat diese Meldungen zu überprüfen und auszuwerten sowie als Grundlage für die Berichterstattung gemäß §117b Abs1 Z21 lite heranzuziehen. Zur Aufgabenerfüllung kann sich die Österreichische Ärztekammer einer Tochtergesellschaft bedienen.

 

(3) Der Arzt kann im Einzelfall an Angehörige anderer Gesundheitsberufe oder in Ausbildung zu einem Gesundheitsberuf stehende Personen ärztliche Tätigkeiten übertragen, sofern diese vom Tätigkeitsbereich des entsprechenden Gesundheitsberufes umfasst sind. Er trägt die Verantwortung für die Anordnung. Die ärztliche Aufsicht entfällt, sofern die Regelungen der entsprechenden Gesundheitsberufe bei der Durchführung übertragener ärztlicher Tätigkeiten keine ärztliche Aufsicht vorsehen.

 

(4) Die in Ausbildung stehenden Studenten der Medizin sind, sofern sie vertrauenswürdig und gesundheitlich geeignet sind, zur unselbständigen Ausübung der im Abs5 genannten Tätigkeiten unter Anleitung und Aufsicht der ausbildenden Ärzte berechtigt. Eine Vertretung dieser Ärzte durch Turnusärzte ist zulässig, wenn der Leiter der Abteilung, in deren Bereich die Ausbildung von Turnusärzten erfolgt, schriftlich bestätigt, daß diese Turnusärzte über die hiefür erforderlichen medizinischen Kenntnisse und Erfahrungen verfügen.

 

(5) Tätigkeiten im Sinne des Abs4 sind:

1. Erhebung der Anamnese,

2. einfache physikalische Krankenuntersuchung einschließlich Blutdruckmessung,

3. Blutabnahme aus der Vene,

4. die Vornahme intramuskulärer und subkutaner Injektionen und

5. einzelne weitere ärztliche Tätigkeiten, sofern deren Beherrschung zum erfolgreichen Abschluss des Studiums der Medizin zwingend erforderlich ist und die in Ausbildung stehenden Studenten der Medizin nachweislich bereits über die zur gewissenhaften Durchführung erforderlichen Kenntnisse und Erfahrungen im Hinblick auf den Schwierigkeitsgrad dieser Tätigkeiten verfügen.

 

(6) Die Abs4 und 5 finden sinngemäß auch Anwendung auf Personen, zu deren Antrag auf Nostrifizierung eines im Ausland abgeschlossenen Studiums der Humanmedizin ein Nostrifizierungsverfahren an einer österreichischen Medizinischen Universität oder österreichischen Universität, an der eine Medizinische Fakultät eingerichtet ist, anhängig ist.

 

Beistand für Sterbende

 

§49a. (1) Die Ärztin/Der Arzt hat Sterbenden, die von ihr/ihm in Behandlung übernommen wurden, unter Wahrung ihrer Würde beizustehen.

 

(2) Im Sinne des Abs1 ist es bei Sterbenden insbesondere auch zulässig, im Rahmen palliativmedizinischer Indikationen Maßnahmen zu setzen, deren Nutzen zur Linderung schwerster Schmerzen und Qualen im Verhältnis zum Risiko einer Beschleunigung des Verlusts vitaler Lebensfunktionen überwiegt."

 

3. Die hier maßgeblichen Bestimmungen des Bundesgesetzes über Patientenverfügungen (Patientenverfügungs-Gesetz – PatVG), BGBl I 55/2006, idF BGBl I 12/2019 lauten:

"1. Abschnitt

 

Allgemeine Bestimmungen

 

Anwendungsbereich

 

§1. (1) Dieses Bundesgesetz regelt die Voraussetzungen und die Wirksamkeit von Patientenverfügungen.

 

(2) Eine Patientenverfügung kann den Willen eines Patienten, eine medizinische Behandlung abzulehnen, verbindlich festlegen (§6). Im Übrigen ist jede vorliegende Patientenverfügung der Ermittlung des Patientenwillens zu Grunde zu legen (§8).

 

(3) Die Voraussetzungen, das Bestehen, der Umfang, die Wirkungen, die Änderung und die Beendigung einer Patientenverfügung richten sich für Behandlungen in Österreich nach österreichischem Recht.

 

Begriffe

 

§2. (1) Eine Patientenverfügung im Sinn dieses Bundesgesetzes ist eine Willenserklärung, mit der ein Patient eine medizinische Behandlung ablehnt und die dann wirksam werden soll, wenn er im Zeitpunkt der Behandlung nicht entscheidungsfähig ist.

 

(2) Patient im Sinn dieses Bundesgesetzes ist eine Person, die eine Patientenverfügung errichtet, gleichgültig, ob sie im Zeitpunkt der Errichtung erkrankt ist oder nicht.

 

(3) Register im Sinn dieses Bundesgesetzes ist ein Verzeichnis, das ungeachtet seiner technischen Umsetzung der Aufnahme von Patientenverfügungen dient. Datenspeicher (§2 Z7 des Gesundheitstelematikgesetzes 2012 [GTelG 2012], BGBl I Nr 111/2012) und Verweisregister (§2 Z13 GTelG 2012) sind keine Register im Sinn dieses Bundesgesetzes.

 

Höchstpersönliches Recht, Fähigkeit der Person

 

§3. Eine Patientenverfügung kann nur höchstpersönlich errichtet werden. Der Patient muss bei Errichtung einer Patientenverfügung entscheidungsfähig sein.

 

2. Abschnitt

 

Verbindliche Patientenverfügung

 

Inhalt

 

§4. In einer verbindlichen Patientenverfügung müssen die medizinischen Behandlungen, die Gegenstand der Ablehnung sind, konkret beschrieben sein oder eindeutig aus dem Gesamtzusammenhang der Verfügung hervorgehen. Aus der Patientenverfügung muss zudem hervorgehen, dass der Patient die Folgen der Patientenverfügung zutreffend einschätzt.

 

Aufklärung

 

§5. Der Errichtung einer verbindlichen Patientenverfügung muss eine umfassende ärztliche Aufklärung einschließlich einer Information über Wesen und Folgen der Patientenverfügung für die medizinische Behandlung vorangehen. Der aufklärende Arzt hat die Vornahme der Aufklärung und das Vorliegen der Entscheidungsfähigkeit des Patienten unter Angabe seines Namens und seiner Anschrift durch eigenhändige Unterschrift zu dokumentieren und dabei auch darzulegen, dass und aus welchen Gründen der Patient die Folgen der Patientenverfügung zutreffend einschätzt, etwa weil sie sich auf eine Behandlung bezieht, die mit einer früheren oder aktuellen Krankheit des Patienten oder eines nahen Angehörigen zusammenhängt.

 

Errichtung

 

§6. (1) Eine Patientenverfügung ist verbindlich, wenn sie schriftlich unter Angabe des Datums

1. vor einem Rechtsanwalt oder

2. vor einem Notar oder

3. vor einem rechtskundigen Mitarbeiter der Patientenvertretungen (§11e des Krankenanstalten- und Kuranstaltengesetzes, BGBl Nr 1/1957) oder

4. nach Maßgabe technischer und personeller Möglichkeiten vor einem rechtskundigen Mitarbeiter eines Erwachsenenschutzvereins

errichtet worden ist und der Patient über die Folgen einer verbindlichen Patientenverfügung sowie die Möglichkeit des jederzeitigen Widerrufs belehrt worden ist.

 

(2) Die in Abs1 genannten Personen haben die Vornahme dieser Belehrung in der Patientenverfügung durch eigenhändige Unterschrift sowie unter Angabe ihres Namens und ihrer Anschrift zu dokumentieren und nach Maßgabe einer Verordnung der Bundesministerin für Arbeit, Soziales, Gesundheit und Konsumentenschutz gemäß §14d ab technischer Verfügbarkeit die Patientenverfügung – sofern der Patient nicht widerspricht – in ELGA zur Verfügung zu stellen. In einer Verordnung gemäß §14d ist festzulegen, in welcher Weise eine Zurverfügungstellung, allenfalls unter Einbindung der ELGA-Ombudsstelle gemäß §17 GTelG 2012, zu erfolgen hat.

 

Erneuerung

 

§7. (1) Eine verbindliche Patientenverfügung verliert nach Ablauf von acht Jahren ab der Errichtung ihre Verbindlichkeit, sofern der Patient nicht eine kürzere Frist bestimmt hat. Sie kann nach entsprechender ärztlicher Aufklärung gemäß §5 erneuert werden, wodurch die Frist von acht Jahren oder eine vom Patienten kürzer bestimmte Frist neu zu laufen beginnt.

 

(2) Sofern die Erneuerung bei einer in §6 Abs1 genannten Person erfolgt, sind die Erfordernisse gemäß §6 Abs1 und 2 anzuwenden.

 

(3) Einer Erneuerung ist es gleichzuhalten, wenn einzelne Inhalte der Patientenverfügung nachträglich geändert bzw ergänzt werden. In diesem Fall ist gemäß Abs1 und 2 vorzugehen. Mit jeder nachträglichen Änderung beginnt die in Abs1 genannte Frist für die gesamte Patientenverfügung neu zu laufen.

 

(4) Sofern eine Patientenverfügung in einem Register erfasst wurde, ist ein Rechtsanwalt oder Notar verpflichtet, nach Maßgabe der technischen Möglichkeiten und unter Berücksichtigung der spezialgesetzlichen Regelungen für das jeweilige Register, auch eine ihm zur Kenntnis gebrachte erneuerte, geänderte oder ergänzte Patientenverfügung in diesem Register zu vermerken und es ist überdies gemäß §6 Abs2 vorzugehen.

 

(5) Eine Patientenverfügung verliert nicht ihre Verbindlichkeit, solange sie der Patient mangels Entscheidungsfähigkeit nicht erneuern kann.

 

3. Abschnitt

 

Bedeutung anderer Patientenverfügungen

 

Voraussetzungen

 

§8. Eine Patientenverfügung, die nicht alle Voraussetzungen der §§4 bis 7 erfüllt, ist dennoch der Ermittlung des Patientenwillens zu Grunde zu legen.

 

Berücksichtigung

 

§9. Eine Patientenverfügung gemäß §8 ist bei der Ermittlung des Patientenwillens umso mehr zu berücksichtigen, je mehr sie die Voraussetzungen einer verbindlichen Patientenverfügung erfüllt. Dabei ist insbesondere zu berücksichtigen,

1. inwieweit der Patient die Krankheitssituation, auf die sich die Patientenverfügung bezieht, sowie deren Folgen im Errichtungszeitpunkt einschätzen konnte,

2. wie konkret die medizinischen Behandlungen, die Gegenstand der Ablehnung sind, beschrieben sind,

3. wie umfassend eine der Errichtung vorangegangene ärztliche Aufklärung war,

4. inwieweit die Verfügung von den Formvorschriften für eine verbindliche Patientenverfügung abweicht,

5. wie lange die letzte Erneuerung zurückliegt und

6. wie häufig die Patientenverfügung erneuert wurde.

 

4. Abschnitt

 

Gemeinsame Bestimmungen

 

Unwirksamkeit

 

§10. (1) Eine Patientenverfügung ist unwirksam, wenn

1. sie nicht frei und ernstlich erklärt oder durch Irrtum, List, Täuschung oder physischen oder psychischen Zwang veranlasst wurde,

2. ihr Inhalt strafrechtlich nicht zulässig ist oder

3. der Stand der medizinischen Wissenschaft sich im Hinblick auf den Inhalt der Patientenverfügung seit ihrer Errichtung wesentlich geändert hat.

 

(2) Eine Patientenverfügung verliert ihre Wirksamkeit, wenn sie der Patient selbst widerruft oder zu erkennen gibt, dass sie nicht mehr wirksam sein soll.

 

Sonstige Inhalte

 

§11. Der Wirksamkeit einer Patientenverfügung steht es nicht entgegen, dass darin weitere Anmerkungen des Patienten, insbesondere die Benennung einer konkreten Vertrauensperson, die Ablehnung des Kontakts zu einer bestimmten Person oder die Verpflichtung zur Information einer bestimmten Person, enthalten sind.

 

Notfälle

 

§12. Dieses Bundesgesetz lässt medizinische Notfallversorgung unberührt, sofern der mit der Suche nach einer Patientenverfügung verbundene Zeitaufwand das Leben oder die Gesundheit des Patienten ernstlich gefährdet.

 

Pflichten des Patienten

 

§13. Der Patient kann durch eine Patientenverfügung die ihm allenfalls aufgrund besonderer Rechtsvorschriften auferlegten Pflichten, sich einer Behandlung zu unterziehen, nicht einschränken.

 

Dokumentation

 

§14. (1) Der aufklärende und der behandelnde Arzt haben Patientenverfügungen in die Krankengeschichte oder, wenn sie außerhalb einer Krankenanstalt errichtet wurden, in die ärztliche Dokumentation aufzunehmen.

 

(2) Stellt ein Arzt im Zuge der Aufklärung nach §5 fest, dass der Patient nicht über die zur Errichtung einer Patientenverfügung erforderlichen Entscheidungsfähigkeit verfügt, so hat er dies, gegebenenfalls im Rahmen der Krankengeschichte, zu dokumentieren.

 

(3) Ein Patient kann eine Patientenverfügung an die ELGA-Ombudsstelle gemäß §17 GTelG 2012 zur Speicherung in ELGA gemäß §14a übermitteln. Sofern der Patient ELGA-Teilnehmer ist, wird die Patientenverfügung in ELGA gespeichert.

 

[…]

 

Verwaltungsstrafbestimmung zum Schutz vor Missbrauch

 

§15. Wer den Zugang zu Einrichtungen der Behandlung, Pflege oder Betreuung oder den Erhalt solcher Leistungen davon abhängig macht, dass eine Patientenverfügung errichtet oder dies unterlassen wird, begeht, sofern die Tat nicht mit gerichtlicher Strafe bedroht ist, eine Verwaltungsübertretung und ist mit Geldstrafe bis zu 25 000 Euro, im Wiederholungsfall bis zu 50 000 Euro, zu bestrafen.

 

[…]"

 

III. Antragsvorbringen und Vorverfahren

1. Die Antragsteller legen ihre Antragslegitimation sowie die Bedenken gegen die angefochtenen Bestimmungen wie folgt dar (ohne die Hervorhebungen im Original):

"3. Sachverhalt und Antragslegitimation

[…]

 

3.2. Zum Erst-, Zweit- und Drittantragsteller

 

51. Der Erstantragsteller ist österreichischer Staatsbürger, wurde am 17. 1. 1964 geboren, steht also im 55ten Lebensjahr und ist voll geschäftsfähig. Der Erstantragsteller leidet an Multipler Sklerose. [Unter Multipler Sklerose wird eine autoimmune, chronisch-entzündliche neurologische Erkrankung verstanden. Dabei werden die Markscheiden angegriffen, die die elektrisch isolierende äußere Schicht der Nervenfasern im Zentralnervensystem bilden. Es entstehen in der weißen Substanz von Gehirn und Rückenmark verstreut viele (multiple) entzündliche Entmarkungsherde, die vermutlich durch den Angriff körpereigener Abwehrzellen auf die Myelinscheiden der Nervenzellfortsätze verursacht werden. Die Entmarkungsherde können im gesamten Zentralnervensystem (ZNS) auftreten, und somit kann Multiple Sklerose fast jedes neurologische Symptom verursachen. Der Verlauf der Krankheit ist unterschiedlich und findet in Schüben statt. Als Schub wird das Auftreten neuer oder das Wiederaufflammen bereits bekannter klinischer Symptome, die länger als 24 Stunden anhalten, genannt. Diesen Schüben liegt eine entzündliche – entmarkende Schädigung des ZNS zu Grunde. Je nachdem, ob sich die einzelnen Schübe abgrenzen lassen und sich wieder zurückbilden, werden verschiedene Verlaufsformen unterschieden. Eine Heilung von Multipler Sklerose ist bislang nicht möglich. Lediglich therapeutische Maßnahmen, die den Patienten die Unabhängigkeit im Alltag und die beste erreichbare Lebensqualität zu erreichen, sind möglich.] Gemäß der unter einem vorgelegten fachärztlichen Bestätigung, Beilage ./A, ist die Prognose schlecht bzw führt diese Erkrankung nach dem Stand der Wissenschaft unweigerlich zum Tod; eine Heilung des Erstantragstellers ist ausgeschlossen. Seine verbleibende Lebenserwartung kann im Hinblick auf den Fortschritt der Krankheit einerseits und die aus medizinischer Sicht zur Verfügung stehenden lebensverlängernden Maßnahmen andererseits nicht exakt vorhergesagt werden, da der Verlauf der Krankheit unterschiedlich ist, mit den zur Verfügung stehenden Behandlungen immer auch Nebenwirkungen wie auch Komplikationen verbunden sein können. Fest steht jedoch, dass mit Fortschreiten der Krankheit die körperliche und geistige Leistungsfähigkeit immer mehr eingeschränkt wird.

 

52. Der Erstantragsteller hat den festen und freien Entschluss gefasst, sein Leben im Wege der Suizidhilfe zu beenden. Seine Selbstbestimmungsfähigkeit ist trotz der bestehenden Erkrankung uneingeschränkt gegeben. Der von ihm gefasste Entschluss resultiert nicht aus einer psychischen Erkrankung oder Depression.

 

Beweis: fachärztliche Bestätigung, Beilage ./A

Passkopie, Beilage ./B

im Bestreitungsfall weitere Beweise vorbehalten

 

53. Der Erstantragsteller ist jedenfalls nicht gewillt, den weiteren Verlauf seiner Erkrankung und die damit bereits verbundenen und schon absehbaren weiteren Leidenszustände zu ertragen, bis der Tod eintritt. Er ist insbesondere nicht gewillt, sich noch länger einem Zustand völliger Abhängigkeit von der andauernden Hilfe Dritter, wie insb. Ärzten, Krankenpflegern, Heimhilfen und/oder Angehörigen auszusetzen oder sich mit Schmerzmitteln oder anderen Medikamenten in einen zunehmenden geistigen Dämmerzustand (damit ist in der Regel eine sogenannten 'palliative' oder 'terminale' Sedierung gemeint) versetzen zu lassen, bis er entweder an den Folgen der Erkrankung oder den Nebenwirkungen der Medikamente oder Schmerzmittel verstirbt. Solche Zustände wären für den Erstantragsteller subjektiv unerträglich und kämen damit einer Aufgabe seiner Menschenwürde gleich.

 

54. Der Erstantragsteller ist auch nicht mehr in der Lage, sein Leben ohne fremde Hilfe würdig zu beenden, sondern ist dazu unbedingt auf Unterstützung Dritter angewiesen. Da Suizidhilfe und eine Tötung auf Verlangen aber mit den angefochtenen Bestimmungen hierzulande strafgesetzlich verboten sind, und dementsprechend diese Formen der Sterbehilfe in Österreich nicht zulässig sind, hat der Erstantragsteller den Entschluss gefasst, dazu die Dienste des Verein 'D***************************************************' (im Folgenden: 'D*******') in der Schweiz, oder eines anderen Vereins in einem der Mitgliedsländer der EU, in welchen solche Sterbehilfe erlaubt ist, in Anspruch zu nehmen.

 

55. Der Erstantragsteller kann – im Hinblick auf die nicht mehr gegebene Mobilität bzw den Umstand, dass er ans Bett gebunden ist – eine Reise in die Schweiz oder andere Länder nicht mehr alleine antreten und ohne fremde Hilfe nicht einmal organisieren. Dafür wäre der Erstantragsteller auf eine Vertrauensperson angewiesen, und bräuchte natürlich auch einen kostspieligen Krankentransport von Österreich ins Ausland.

 

56. Eine Vertrauensperson des Erstantragstellers wäre auch bereit und gewillt, dem Wunsch des Erstantragstellers zu entsprechen, würde sich aber in Anbetracht der angefochtenen Bestimmungen §§77 und/oder 78 StGB – wie auch jeder andere Helfer, der um die Absicht des Erstantragstellers Bescheid weiß – trotz des Umstandes, dass in der Schweiz nicht selbstsüchtig geleistete Suizidhilfe legal ist, zufolge der Bestimmung von §64 Abs1 Z7 StGB strafbar machen. Dies kann und will der Erstantragsteller dieser Vertrauensperson oder anderen möglichen Helfern nicht zumuten. Ein würdevoller, betreuter und begleiteter Suizid in Anwesenheit und mit Unterstützung von Angehörigen oder anderen Vertrauenspersonen wird dem Erstantragsteller durch die angefochtenen Bestimmungen somit unmöglich gemacht.

 

57. Der Erstantragsteller ist insofern unmittelbar betroffen, da ihn die angefochtenen Bestimmungen dazu zwingen, den weiteren Verlauf seiner Erkrankung und die damit verbundenen Leiden gegen seinen erklärten Willen bis zum Ende zu ertragen und darauf zu warten, dass er – unter Umständen qualvoll, in jedem Fall nicht in Übereinstimmung mit seinen persönlichen Wünschen diesbezüglich – an den Folgen der Erkrankung oder Nebenwirkungen der Medikamente und/oder Schmerzmittel stirbt. Daran vermag auch der Umstand nichts zu ändern, dass ihm ganz am Schluss allenfalls die Möglichkeit der passiven Sterbehilfe zB im Wege einer Patientenverfügung zugänglich ist, da der Antragsteller bewusst über Art und Zeitpunkt seines Lebensendes selbst bestimmen will. Das Recht auf einen selbstbestimmten würdigen Tod, eben über Art und Zeitpunkt des eigenen Lebensendes zu entscheiden, wie es der EGMR in der Sache Haas, Beschwerde 31322/07, zuerkannt hat, ist durch eine rein passive Sterbehilfe nicht gewährleistet.

 

58. Der Zweitantragsteller ist österreichischer Staatsbürger, wurde am 16. 4. 1945 geboren, steht also im 75. Lebensjahr und ist voll geschäftsfähig. Der Zweitantragsteller ist noch völlig gesund. Sollte er in Zukunft an einer schweren und/oder unheilbaren Krankheit leiden, und die mit dieser verbundenen schwere Leidenszustände eintreten, die nur mit Schmerzmitteln und hoher Medikamentendosierung erträglich sind, so möchte der Zweitantragsteller selbstbestimmt und frei bestimmt entscheiden, wann und auf welche Weise sein Leben endet. Auch der Zweitantragsteller ist nicht gewillt, sich in einen Zustand von Abhängigkeit von Hilfe Dritter, wie insb Ärzten, Krankenpflegern, Heimhilfen auszusetzen. Ebenso möchte sich der Zweitantragsteller nicht mit Schmerzmitteln oder anderen Medikamenten in einen geistigen Dämmerzustand versetzen lassen, bis er entweder an den Folgen der Erkrankung oder den Nebenwirkungen der Medikamente oder Schmerzmittel verstirbt. Solche Zustände wären für den Zweitantragsteller subjektiv unerträglich und kämen damit für ihn einer Aufgabe seiner Menschenwürde gleich.

 

Beweis: Staatsbürgerschaftsnachweis, Beilage ./C

weiter Beweise vorbehalten

 

59. Zudem wurde der Zweitantragsteller bereits wegen des Verbrechens der 'Mitwirkung am Selbstmord' gemäß §78 StGB rechtskräftig verurteilt, somit war und ist er zumindest von dieser Norm bereits unmittelbar betroffen: Der Zweitantragsteller unterstützte seine Ehefrau, die an Bau[ch]speicheldrüsenkrebs und an einem unheilbaren und sehr schmerzhaften Bauchfellkarzinom litt, bei ihrem Suizid. Er wurde wegen Verschaffens des Zuganges der zum Suizid verwendeten Waffe und des Geständnisses, dass er seiner Ehegattin auch versichert hatte, ihr im Falle des Misslingens der Selbsttötung den 'Gnadenschuss' zu geben, zu 10 Monaten Freiheitsstrafe verurteilt. Der Vollzug der Freiheitsstrafe wurde unter Bestimmung einer Probezeit für 3 Jahre nachgesehen.

 

60. Ein würdevoller und betreuter bzw begleiteter Suizid in Anwesenheit und mit Unterstützung des Ehegatten war auch der Ehegattin des Zweitantragstellers durch die angefochtenen Bestimmungen unmöglich gemacht worden. Auch wenn der Zweitantragsteller nach der Bestimmung des §78 StGB bereits verurteilt wurde, würde er jederzeit wieder so handeln.

 

Beweis: Protokollsvermerk und gekürzte Urteilsausfertigung des LG Wr. Neu-

stadt, GZ 42 Hv 67/18y, Beilage /D

PV,

weitere Beweise vorbehalten

 

61. Diese gerichtliche Verurteilung schadet dabei der Antragslegitimation des Zweitantragstellers gemäß Art140 Abs1 z 1 litc B‑VG nicht. Das Strafverfahren ist bereits rechtskräftig ab[ge]schlossen. Dem Zweitantragsteller wäre die Darlegung seiner Bedenken gegen die angefochtene Norm nur möglich, wenn das Strafverfahren durch einen Wiederaufnahmeantrag gemäß §353 StPO wiedereröffnet werden würde. An das Vorliegen von Wiederaufnahmegründen werden strenge Maßstäbe gesetzt. Einem Wiederaufnahmeantrag des Zweitantragstellers wäre in Ermangelung von wie auch immer gearteten Wiederaufnahmegründen kein Erfolg beschieden – ein derartiger Antrag wäre von vornherein aussichtslos.

 

62. Daher ist auch dem Zweitantragsteller kein anderer Weg zumutbar oder möglich, als seine Bedenken gegen die angefochtenen Bestimmungen in Form des vorliegenden Individualantrages darzulegen.

 

63. Überdies ist auch der Zweitantragsteller spätestens bei Eintritt einer schweren unheilbaren Krankheit im Sinne des Vorbringens zu RRzz 53 und 55 dazu gezwungen,

a. zu versuchen, sich selbst das Leben zu nehmen, solange er dazu noch in der Lage ist, wobei er das äußerst erhebliche Risiko des Scheiterns eines Suizidversuchs unter gleichzeitiger Verschlechterung seiner so schon hoffnungslosen Lage in Kauf nehmen müsste, oder

 

b. eine Reise in die Schweiz oder ein anderes Land, in dem die selbstbestimmte, assistierte Beendigung des eigenen Lebens gesetzlich erlaubt ist und daher möglich ist, jedoch alleine – also ohne die auch vom Zweitantragsteller gewünschten Begleiter und Unterstützer – durchzuführen, solange oder sofern er dazu dann wiederum noch in der Lage ist, oder

 

c. wiederum den weiteren Verlauf seiner Erkrankung und die damit verbundenen Leiden gegen seinen erklärten Willen bis zum Ende und zu ertragen und darauf zu warten, dass er an den Folgen der Erkrankung oder Nebenwirkungen der Medikamente und/oder Schmerzmittel stirbt.

 

64. Für die Frage der unmittelbaren Betroffenheit kann es dabei keinen Unterschied machen, ob jemand bereits schwer und/oder unheilbar erkrankt oder noch völlig gesund ist. Letztlich ist alles Leben endlich, und kann sich daher auch ein noch völliger gesunder Mensch Gedanken über bzw Pläne für sein würdiges Sterben machen und dafür Vorsorge treffen. Die angefochtenen Normen verhindern jedoch deren Umsetzung.

 

65. Auch ist es verständlich, dass Menschen, die infolge einer unheilbaren schweren Erkrankung am Ende ihres Lebens stehen, ein Verfahren vor dem VfGH regelmäßig gar nicht mehr auf sich nehmen können und wollen, zumal sie dessen Ausgang höchstwahrscheinlich gar nicht mehr erleben würden. [vgl dazu Patrick Schaerz, AJP 1/2019, S 115-129, insbes S 124. Dort hält Schaerz fest, das Grundrecht auf den eigenen Tod sei ein rein formelles Grundrecht geblieben: 'Mehrfach und in jedem einschlägigen Entscheid bestätigt und hervorgehoben, von Juristen niemals in Frage gestellt, vermochte es bislang nicht in einem einzigen Fall Wirkung zu zeigen.' Tatsächlich sind praktisch alle an sich positiven Entscheidungen erst in einem Zeitraum ergangen, in welchem die Beschwerdeführer bereits zT seit längerer Zeit schon tot waren.] Auch unter diesem Blickwinkel muss es auch einem noch gesunden Menschen möglich sein, seine Bedenken an den VfG[H] heranzutragen.

 

66. Der Drittantragsteller ist österreichischer Staatsbürger, wurde am 7. 6. 1940 geboren, steht also im 79ten Lebensjahr und ist voll geschäftsfähig. Seine Selbstbestimmungsfähigkeit ist trotz der bestehenden Erkrankung uneingeschränkt gegeben. Der Drittantragsteller leidet seit 8 Jahren an Morbus Parkinson. [Unter Morbus Parkinson ist der langsam fortschreitende Verlust von Nervenzellen zu verstehen. Kennzeichnend für Morbus Parkinson ist das vornehmliche Absterben der Dopamin produzierenden Nervenzellen in der Substantia Nigra, einer Struktur im Mittelhirn. Dadurch kommt es zu einem Mangel des Botenstoffes Dopamin, welcher letztlich zu einer Verminderung der aktivierenden Wirkung der Basalganglien auf die Großhirnrinde und dadurch zu Bewegungsstörungen führt. Eine umfassende Behandlungsmöglichkeit, die die Degeneration der Nervenzellen verhindert oder aufhält, gibt es nicht. Es können lediglich die Symptome behandelt werden. Meist wird Parkinson medikamentös behandelt. Besonders im fortgeschrittenen Stadium von Morbus Parkinson wird es immer schwieriger, die Medikamente richtig zu dosieren, da das Wirkungsfenster immer kleiner wird. Dies ist dem Abnehmen von Nervenzellen geschuldet, die das Dopamin speichern. Neben der medikamentösen Therapie ist auch eine neurochirurgische Behandlung möglich. Die Symptome können zwar gelindert werden, jedoch ist eine vollständige Heilung nicht möglich. Im Verlauf der Krankheit kommt es auch zu weiteren Symptomen, wie Minderung des Geruchssinnes und Missempfindungen. Auch vegetative Störungen wie Salbengesicht, Kreislaufregulationsstörungen[,] Bewegungsstörungen des Magen-Darm-Trakts, als auch psychische Veränderung, wie niedergedrückte Stimmung, Verlangsamung der Denkabläufe, Sinnestäuschungen als Folge der dopaminergen Medikamente und echte Demenz treten auf.] Gemäß der unter einem vorgelegten fachärztlichen Bestätigung, Beilage ./D, ist die Prognose schlecht bzw führt diese Erkrankung nach dem Stand der Wissenschaft unweigerlich zum Tod; eine Heilung des Erstantragstellers ist ausgeschlossen. Seine verbleibende Lebenserwartung kann im Hinblick auf den Fortschritt der Krankheit, den aus medizinischer Sicht zur Verfügung stehenden lebensverlängernden Maßnahmen, nicht vorhergesagt werden, jedoch reduzieren sich sowohl die geistigen als auch motorischen Fähigkeiten.

 

Beweis: Staatsbürgerschaftsnachweis, Beilage ./E

beiliegende ärztliche Bestätigungen, Beilage ./F

 

67. Der Drittantragsteller hat den festen und freien Entschluss gefasst, sein Leben im Wege der Suizidhilfe zu beenden. Dieser Entschluss resultiert nicht aus einer psychischen Erkrankung oder Depression. Der Drittantragsteller ist jedenfalls nicht gewillt, den weiteren Verlauf seiner Erkrankung und die damit verbundenen absehbaren Leidenszustände zu 'ertragen', bis der Tod eintritt. Er ist auch nicht gewillt, sich einem Zustand völliger Abhängigkeit von der andauernden Hilfe Dritter, wie insb. Ärzten, Krankenpflegern, Heimhilfen und/oder Angehörigen auszusetzen oder sich mit Schmerzmitteln oder anderen Medikamenten in einen zunehmenden 'geistigen Dämmerzustand' (damit ist in der Regel eine sogenannte 'palliative' oder 'terminale' Sedierung gemeint) versetzen zu lassen, bis er entweder an den Folgen der Erkrankung oder den Nebenwirkungen der Medikamente oder Schmerzmittel verstirbt. Solche Zustände wären für den Drittantragsteller subjektiv unerträglich und kämen damit einer Aufgabe seiner Menschenwürde gleich.

 

68. Da eine Suizidhilfe und/oder eine Tötung auf Verlangen mit den angefochtenen Bestimmungen hierzulande strafgesetzlich verboten sind, und dementsprechend diese Formen der Sterbehilfe in Österreich legal nicht möglich sind, hat der Drittantragsteller den Entschluss gefasst, dazu die Dienste des Vereins D******* in der Schweiz oder eines anderen Vereins in einem anderen Mitgliedsland in der EU, in dem solche Sterbehilfe erlaubt ist, in Anspruch zu nehmen.

 

69. Der Drittantragsteller wird aber im Hinblick auf seine dann wohl nur mehr eingeschränkte Mobilität die Reise ins Ausland nicht alleine antreten können. Eine Vertrauensperson – uU ein Familienangehöriger – wird wohl dafür benötigt. Die Vertrauensperson, die bereit und gewillt wäre, dem Wunsch des Drittantragstellers zu entsprechen, würde sich aber in Anbetracht der angefochtenen Bestimmung zumindest nach §78 StGB iVm §64 Abs1 Z7 StGB strafbar machen, weil §64 Abs1 Z7 leg cit die legale Auslandstat dennoch bestraft sehen will.

 

70. Überdies ist auch der Drittantragsteller spätestens bei Voranschreiten der Krankheit im Sinne des Vorbringens zu RRzz 53 und 55 dazu gezwungen,

 

a. zu versuchen, sich selbst das Leben zu nehmen, solange er dazu noch in der Lage ist, wobei er das äußerst erhebliche Risiko des Scheiterns eines Suizidversuchs unter gleichzeitiger Verschlechterung seiner so schon hoffnungslosen Lage in Kauf nehmen müsste, oder

 

b. eine Reise in die Schweiz oder ein anderes Land, in dem die selbstbestimmte, assistierte Beendigung des eigenen Lebens gesetzlich erlaubt und daher möglich ist, jedoch alleine – also ohne die auch vom Drittantragsteller gewünschten Begleiter und Unterstützer – durchzuführen, solange oder sofern er dazu dann wiederum noch in der Lage ist, oder

 

c. wiederum den weiteren Verlauf seiner Erkrankung und die damit verbundenen Leiden gegen seinen erklärten Willen bis zum Ende und zu ertragen und darauf zu warten, dass er an den Folgen der Erkrankung oder Nebenwirkungen der Medikamente und/oder Schmerzmittel stirbt.

 

71. Ein würdevoller und betreuter bzw begleiteter Suizid in Anwesenheit und mit Unterstützung von Angehörigen oder anderen Vertrauenspersonen wird dem Drittantragsteller durch die angefochtenen Bestimmungen damit unmöglich gemacht.

 

3.3. Zur Antragslegitimation des Erst-, Zweit- und Drittantragstellers

 

72. Aus dem in Art2 EMRK festgelegten Verbot einer absichtlichen Tötung kann – wie weiter unten noch ausführlicher dargestellt werden wird – keinesfalls eine 'Pflicht zum Leben und Leiden' abgeleitet werden. Diese Sicht wird auch von der österreichischen Bioethikkommission vertreten.

 

Beweis: Sterben in Würde, Stellungnahme der Bioethikkommission vom

9. 2. 2015, S. 8, Beilage ./G

 

73. Art8 EMRK gewährleistet nach stRSp des EGMR ein Recht auf Selbstbestimmung. Dieses umfasst auch das Recht, Aktivitäten nachzugehen, die schädlich oder gefährlich für den Berechtigten sind. Nach stRspr des GH bedürfen Eingriffe in das Recht auf Privatleben selbst dann einer Rechtfertigung nach Art8 (2) EMRK, wenn sie dem Schutz des Lebens des Betroffenen dienen [RS0125085; Bsw2346/02; Bsw61927/00; Bsw3451/05; Bsw26713/05; Bsw25579/05; Bsw31322/07; Bsw497/09].

 

74. Wie der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte insbesondere in der Entscheidung vom 20. 1. 2011, Haas gg. die Schweiz (Beschwerde Nr 31322/07), Zf 51, schon klargestellt hat, ist auch das Recht einer selbstbestimmungsfähigen Person, zu bestimmen, auf welche Art und zu welchem (Zeit-)Punkt ihr Leben enden soll, einer der Aspekte des Rechts auf Achtung des Privat- und Familienlebens. Diese Ansicht wurde auch im EGMR-Kammer-Urteil Gross gg. die Schweiz (Nr 67810/10), Zf 58, bekräftigt. Der freie Wille des Menschen ist für sich genommen Teil seiner Privatsphäre und damit Schutzgegenstand des genannten Grundrechts.

 

75. Im Einklang mit der Rechtsprechung des EGMR hat auch das deutsche Bundesverwaltungsgericht in seiner Entscheidung vom 2. 3. 2017, BVerwG 3 C 19.15, ausgesprochen, dass eine Pflicht zum Weiterleben gegen den eigenen Willen den Kern der eigenverantwortlichen Selbstbestimmung berührt und verletzt. Eine solche Bestimmung darf der Staat schwer- und unheilbar Kranken, die selbstbestimmungsfähig sind, nicht – auch nicht mittelbar – auferlege[n](vgl dort Rz 32). [vgl den unter folgendem Link abrufbaren Volltext des Urteils vom 2. 3. 2017, BVerwG 3 [C] 19.15, Rz 32: https://www.bverwg.de/020317U3C19.15.0 ] Diese Rechtsansicht steht im Einklang mit dem Kernsatz der EGMR-Entscheidung Haas.

 

76. Die angefochtenen §§77, 78 StGB idgF statuieren jedoch eine solche Pflicht zum Weiterleben, wenn und soweit die Antragsteller selbstbestimmt ihr Leben nicht (mehr) selbst beenden können.

 

77. Wie der EGMR schon in der Entscheidung im Fall Sanles Sanles gg Spanien, Bsw Nr 48335/9, ausgesprochen hat, ist das unter Art8 EMRK geltend gemachte Recht des Betroffenen auf (für den Helfenden straflose) Beihilfe zum Suizid zu erhalten, unter der Annahme, dass ein solches existiert, überdies auch höchstpersönlicher Natur und fällt in die Kategorie der nicht übertragbaren Rechte (vgl auch Koch gg Deutschland; Bsw 497/09). Es kann daher auch nur von den Beschwerdeführern selbst, nicht aber von helfenden Angehörigen geltend gemacht werden.

 

78. Durch die angefochtenen Bestimmungen der §§77 und 78 StGB idgF wird somit unmittelbar und akut in die Rechte des Erstantragstellers, des Zweitantragstellers und auch des Drittantragstellers gem Art8 EMRK sowie Art1 GRC eingegriffen. Die Antragslegitimation der Erst- bis Drittantragsteller ist damit gegeben.

 

3.4. Zum Viertantragsteller

 

79. Der Viertantragsteller ist österreichischer Staatsbürger, geb. am 20. 4. 1954, Mitglied der Ärztekammer für Wien, und als Arzt für Allgemeinmedizin, Facharzt für Anästhesiologie und Intensivmedizin, sowie Arbeitsmediziner in Österreich tätig. Bei seiner Tätigkeit als Arzt ist er – gerade auch für schwerkranke Personen – eine Vertrauensperson.

 

Beweis: Staatsbürgerschaftsnachweis, Beilage ./H

PV; weitere Beweise vorbehalten

3.5. Zur Antragslegitimation des Viertantragstellers

 

80. Durch die angefochtenen Bestimmungen des §77 und 78 StGB werden ein respektvoller und wichtiger Diskurs mit den Patienten, und eine umfassende Beratung und Unterstützung bezüglich Lebensende-Fragen verhindert. Oftmals steht der Viertantragsteller vor schwierigen Entscheidungen. Dem Viertantragsteller ist es durch die angefochtenen Bestimmungen der §§77, 78 StGB verboten, sterbewillige Patienten aktiv bei der selbstbestimmten eigenen Beendigung ihres Lebens durch Suizidhilfe zu unterstützen, oder sie gar auf deren ernstliches Verlangen zu töten.

 

81. Würde der Viertantragsteller dem Wunsch eines Patienten nach Suizidhilfe oder Aktiver Sterbehilfe nachgeben, so würde er sich jedenfalls strafbar machen.

 

82. Andererseits ist es dem Viertantragsteller auch verboten, Patienten gegen ihren Willen – und insofern eigenmächtig iS des §110 StGB – zu behandeln und gegen ihren Willen am Leben zu erhalten. Das österreichische Recht gibt Patienten zwar in eingeschränktem Umfang – nämlich im Rahmen einer Patientenverfügung nach den Bestimmungen PatVG – das Recht, medizinische Behandlungen für den Fall des Verlusts der Geschäftsfähigkeit abzulehnen, selbst wenn dies zum Tod führen wird, und auch die Möglichkeit, diese Entscheidung auf Dritte zu übertragen (Vorsorgevollmacht oder Erwachsenenvertretung nach §§260 ff ABGB).

 

83. Wie auch die Bioethikkommission in ihrer Stellungnahme, Beilage ./G aber zu Recht festhält, ist bei dieser in Österreich bereits zulässigen 'passiven Sterbehilfe' die Feststellung des 'mutmaßlichen Patientenwillens' im Einzelfall oftmals schwierig, und führt zwangsläufig zu einem rechtlichen Graubereich. In einem solchen bewegt und befindet sich der behandelnde Arzt insbesondere auch dann, wenn zwar der Sterbewille des Patienten klar ist, die Patientenverfügung auf die dann konkret vorliegende medizinische Situation und die dann noch zur Verfügung stehenden lebenserhaltenden bzw künstlich lebensverlängernden Maßnahmen nicht ausgerichtet ist. In praxi problematisch ist auch, wenn – etwa wegen verabsäumter Erneuerung oder aufgrund geringfügiger Formgebrechen – keine rechtsverbindliche Patientenverfügung iSd §§2 ff PatVG idGF vorliegt, und zu prüfen und zu entscheiden ist, inwiefern sie dennoch zumindest 'berücksichtigungswürdig' iSd §§8, 9 PatVG, oder ob sie unwirksam ist.

 

84. Eine Linderung unerträglicher Schmerzen eines unheilbar erkrankten Patienten durch starke Schmerzmittel (wie zB Opioide in hoher Dosierung) führt bei Patienten regelmäßig zum Verlust der Geschäftsfähigkeit, und schließlich – aufgrund der damit verbundenen schädlichen Nebenwirkungen – ebenfalls zum Tod. Ebensowenig wie eine 'Pflicht zum Leben und Leiden' bestehen kann, kann ein unheilbar kranker Mensch dazu verpflichtet sein, den Verlust seiner Geschäftsfähigkeit zu akzeptieren, damit man ihm Schmerzen oder Leid 'erspart', die er im Falle des von ihm gewünschten selbstbestimmten, würdigen und assistierten Todes nicht hätte.

 

85. Neben den strafrechtlichen Konsequenzen bei einer Verletzung der Bestimmungen der §§77, 78 StGB hätte der Viertantragsteller als Mitglied der Ärztekammer auch standes- bzw disziplinarrechtliche Konsequenzen zu fürchten, die im schlimmsten Fall auch zum Verlust seiner Berufsberechtigung, jedenfalls aber zu einer Beeinträchtigung seiner Erwerbsfreiheit bzw seines Rechts auf freie Berufsausübung führen würden.

 

Beweis: PV

weitere Beweise vorbehalten

 

86. Der Viertantragsteller ist somit unmittelbar betroffen, da ihn die angefochtenen Bestimmungen dazu zwingen,

 

a. entweder geschäftsfähige Sterbewillige durch lebenserhaltende Maßnahmen gegen ihren Willen weiter am Leben zu erhalten, oder

 

b. sich strafrechtlich und standesrechtlich verantwortlich zu machen, wenn er dem dringlichen Wunsch eines schwer und/oder unheilbar erkrankten und unter massiven Schmerzen leidenden, aber voll geschäftsfähigen Patienten Folge leistet und ihm bei seiner selbstbestimmten Beendigung seines Lebens assistiert.

 

87. Dem Viertantragsteller kann dabei nicht zugemutet werden, zunächst ein strafbares Handeln zu setzen, um dann im Zuge eines Straf- oder Rechtsmittelverfahrens Bedenken gegen die angefochtenen Bestimmungen äußern zu können. Es besteht daher auch für den Viertantragsteller kein anderer zumutbarer Weg, die Bedenken gegen die angefochtenen Bestimmungen zu äußern.

 

88. Die Antragslegitimation des Viertantragsstellers ist daher ebenfalls gegeben.

 

4. Darlegung der Bedenken

 

4.1. Verletzte Rechte

 

89. Die Antragsteller erachten sich durch die angefochtenen Bestimmungen insbesondere in den nachstehenden verfassungs- und konventionsrechtlich gewährleisteten Rechten verletzt, nämlich im

 

 Recht auf Achtung der Menschwürde gem Art1 GRC

 Recht auf Leben gem Art2 EMRK und Art2 GRC

 Verbot unmenschlicher oder erniedrigender Strafe oder Behandlung gem Art3 EMRK und Art4 GRC

 Recht auf Achtung des Privatlebens gem Art8 EMRK und Art7 GRC

 Gedanken-, Gewissens- und Religionsfreiheit gem Art9 EMRK und Art10 Abs1 GRC

 Diskriminierungsverbot gem Art14 EMRK und Art21 GRC;

Gleichheitsgrundsatz nach Art7 B‑VG

 Bestimmtheitsgebot gem Art18 B‑VG

 

4.2. Grundsätzliches

 

90. Die Wertedebatte um Sterbehilfe im Allgemeinen und um die Suizidhilfe wie auch die Aktive Sterbehilfe (Tötung auf Verlangen) im Besonderen wird bislang fast ausschließlich entlang oft irrationaler, weltanschaulicher Linien geführt. Spätestens seit dem 'Kirchenvater' Augustinus gilt der Suizid in der christlichen Welt als 'Todsünde' bzw als so verwerfliche Tat, dass sie nicht vergeben werden könne; [Augustinus, Bischof von Hippo (354-430), ersetzte das Mordverbot in den Zehn Geboten durch ein Tötungsverbot und weitete dieses schließlich auch zu einem Selbsttötungsverbot aus. Maßgebend waren dabei ökonomische Überlegungen: Da sich damals in Nordafrika insbesondere in unteren Gesellschaftsschichten – in welchen vor allem Sklaven zu finden waren – eine Sekte, die sog Donatisten, ausgebreitet hatte, welche einen möglichst raschen Tod anstrebte, um schnell bei Jesus zu sein, griff eine Suizidwelle um sich. Dies beschädigte den in der Bilanz eingestellten Aktivposten 'Sklaven' so erheblich, dass Augustinus nur die Möglichkeit sah, durch eine 'Neudeutung' der Sinai-Gebote der Sekte Herr zu werden. Dies war der Beginn des vor allem katholischen Suizidtabus. Luther steuerte dann seinerseits dazu bei, indem er den Begriff 'Selbstmord' schuf und damit die in der Regel nicht auf verabscheuenswürdige Motive zurückzuführende Selbsttötung dem schweren – idR aus niedrigsten Beweggründen begangenen – Delikt des Mordes zugesellte. Vgl hierzu Theodora Büttner/Ernst Werner, Circumcellionen und Adamiten / Zwei Formen mittelalterlicher Haeresie, Berlin 1959, S 41-52] dies führte in christlich dominierten Gesellschaften zur gesetzlichen Verankerung von Suizidverboten; gescheiterte bzw überlebte Selbsttötungsversuche zogen Strafen (bis hin zur Todesstrafe!) nach sich. [vgl dazu das Todesurteil gegen Irene Coffee noch in den 1940er-Jahren in England: http://www.spiegel.de/einestages/absurder-prozess-a-947259.html ] Wie verpönt der Suizid war, veranschaulichte auch die gesonderte und in der Regel abwertende Behandlung der Bestattung von Suizidenten: sie wurden zur Strafe außerhalb der Friedhöfe, also in ungeweihter Erde beigesetzt.

 

91. Rechtsgeschichtlich ist §78 StGB jedenfalls tief in der christlichen Morallehre verwurzelt und erscheint von dieser nicht trennbar. Es verwundert insofern kaum, dass die gegenwärtig in vielen europäischen Ländern bestehende sehr restriktive Rechtslage bezüglich der Entscheidungsfreiheit in Lebensende-Fragen tendenziell immer noch jene Länder kennzeichnet, die einen hohen Gläubigenanteil bzw eine katholische oder orthodoxe Prägung aufweisen. Im Einklang mit der weltweit oft sehr kontrovers geführten Sterbehilfedebatte wird auch der österreichische Sterbehilfediskurs sehr stark von den Religionsgemeinschaften – und allen voran der Katholischen Kirche – geprägt.

 

92. Dabei macht sich nicht nur eine direkte Beeinflussung der politischen bzw gesellschaftlichen Debatte seitens der (gesetzlich anerkannten) Amtskirche und ihr nahestehender Organisationen bemerkbar. Auch (Laien-)Organisationen wie die K***************** oder der Ö************************** (***), dem zahlreiche politische Entscheidungsträger, Mandatare, aber auch zahlreiche Richter und Rechtsanwälte angehören, bemühen sich nach wie vor um eine Verschärfung der ohnehin 'konservativen' – jedenfalls wenig liberalen – Rechtslage in Österreich in diesem Bereich. [Als Beispiel denke man an die politisch immer wieder erhobene Forderung, das Verbot der Sterbehilfe in der Verfassung zu verankern.] Zwar fordern auch der Katholischen Kirche nahestehende Organisationen einen Ausbau von Hospizen und palliativen Pflegeeinrichtungen und behaupten, auch ein Recht auf ein würdiges Lebensende grundsätzlich anzuerkennen. In der Realität wird aber in kirchennahen Hospizen und Pflegeeinrichtungen ein offener, von religiöser Ideologie befreiter Diskurs über (alle Formen der) Sterbehilfe nicht stattfinden. Dadurch wird das Recht auf ein selbstbestimmtes Lebensende ein sehr 'theoretisches'.

 

93. Den Religionsgemeinschaften bzw den Vertretern ihrer Dogmatik steht nun einerseits ein – auch in Österreich wachsendes und weitgehend heterogenes – Lager von religionsfreien und/oder religionsindifferenten Bürgern gegenüber, die der Sterbehilfe im Allgemeinen und der Suizidhilfe oder auch der Aktiven Sterbehilfe im Speziellen eine grundsätzliche Akzeptanz entgegenbringen.

 

94. Andererseits zeigen auch immer mehr gläubige und/oder religiöse Menschen die Bereitschaft, Suizidhilfe in Anspruch zu nehmen, einem Hilfesuchenden diese anzubieten [So zB besteht in Australien, nebst anderen, die Organisation 'Christians Supporting Choice for Voluntary Assisted Dying': https://christiansforvad.org.au ] oder, bezogen auf Drittpersonen, den Tatbestand der Suizidhilfe nicht als Straftat zu betrachten. Nur so lässt sich nämlich erklären, weshalb in Österreich, wo 8 von 10 Bürgern zwar einer der gesetzlich anerkannten Religionsgemeinschaften angehören, eine deutliche Mehrheit der Bevölkerung (62%) der Aktiven Sterbehilfe, also selbst der Tötung auf Verlangen, unter bestimmten Voraussetzungen bejahend gegenüber steht. [vgl Studie der MedUni Graz aus 2010; vgl weiters europäische Umfrage: http://www.saez.ch/docs/saez/2013/26/de/saez-01520.pdf und http://www.

medizinalrecht.org/wp-content/uploads/2013/03/Meinungsumfrageergebnisse_

Selbstbestimmung_am_Lebensende.pdf]

 

Österreich / Konfessionen

in %

Jahr

Gesamtbevölkerung

8'773'000

100

2017

davon

Römisch-katholisch

5'050'000

57.56

2018

Orthodoxe Christen

775'000

8.83

2018

Muslime

700'000

7.98

2016

Evangelische

292'597

3.34

2018

Aleviten

60'000

0.68

2012

Zeugen Jehovas

20'795

0.24

2013

Hindu

11'000

0.13

2015

Sikhs

9'000

0.10

2015

Juden

8'117

0.09

2018

ohne Konfession

1'846'491

21.05

-

     

 

Quelle: statista GmbH, https://de.statista.com/statistik/daten/studie/304874/umfrage/mitglieder-in-religionsgemeinschaften-in-oesterreich/

 

95. Dabei kann festgestellt werden, dass diese Tendenz europaweit zutrifft, unbeachtlich der Frage, welche Religion im betreffenden Staat vorherrscht. [vgl ua http://www.medizinalrecht.org/?p=61 ]

 

96. Wie der EGMR in der Sache Oliari ua vs Italien, Bsw 18766/11 und 36030/11 bereits deutlich werden ließ, ist für die Beurteilung der Situation in einem Land die – aus verlässlichen Umfrageergebnisse ableitbare – Meinung der betroffenen Bevölkerung durchaus von Relevanz (vgl Rz 179ff, Bsw 18766/11 und 36030/1). Das ist insbesondere dort von Gewicht, wo die Auffassung der Regierung oder des Parlamentes engen ideologischen Grenzen folgt, die Mehrheit der Bevölkerung jedoch anders denkt.

 

97. In der 'Sterbehilfedebatte' (ein offener und umfassender Diskurs hat dazu in Österreich bis heute in Wahrheit nicht stattgefunden) werden hierzulande die Autonomie im Sinne des Selbstbestimmungsrechts voll geschäftsfähiger Menschen und die Würde der Betroffenen missachtet. Auch Fakten und Zahlen werden regelmäßig ausgeblendet. Daher werden im Folgenden in der gebotenen gedrängten Form einige wesentliche Umstände in diesem Zusammenhang erläutert: Nach aktuellen Berichten und Studien nehmen sich in Österreich jährlich ca 1.200 Menschen aus unterschiedlichsten Gründen auf unterschiedliche, teils blutige und auch Dritte erheblich gefährdende oder sogar tötende (insb. im Wege des sog 'erweiterten Selbstmordes') Art das Leben – damit beinahe dreimal so viele, als hierzulande etwa jährlich durch Verkehrsunfälle sterben. [vgl Suizid und Suizidprävention in Österreich 2017, Bericht des Bundesministeriums für Arbeit, Soziales, Gesundheit und Konsumentenschutz] Nach internationalen Studien kommen auf jeden 'geglückten' Suizid 10 bis 30 gescheiterte Suizidversuche (mit teils erheblichen Folgen bzw irreparablen Schäden). Die Weltgesundheitsorganisation WHO hält fest: 'For every suicide there are many more people who attempt suicide every year.' [https://www.who.int/en/news-room/fact-sheets/detail/suicide ] Der Schweizerische Bundesrat hat darüber hinaus darauf hingewiesen, dass sich nach wissenschaftlicher Sichtweise des National Institute for Mental Health in Washington D.C. aus den Siebzigerjahren des 20. Jahrhunderts in industrialisierten Staaten die Zahl der Suizidversuche bis zum Fünfzigfachen der Zahl der amtlich festgestellten Suizide reichen kann. Demnach muss in Österreich von 12.000 bis zu 60.000 Suizidversuchen pro Jahr ausgegangen werden, von denen nur etwa 1.200 gelingen; die anderen scheitern, jedoch oft mit schwersten gesundheitlichen Folgen für Suizidenten und Dritte. [vgl https://www.parlament.ch/de/ratsbetrieb/suche-curia-vista/geschaeft?AffairId=20011105 ] Wirksamer Lebensschutz blendet diese schwerwiegende Tatsache nicht aus, sondern nimmt sie zum Anlass, mit erheblichen Anstrengungen, Präventivmaßnahmen zu verwirklichen.

 

Beweis: Suizid und Suizidprävention in Österreich 2017, Bericht des Bundes-

ministeriums für Arbeit, Soziales, Gesundheit- und Konsumentenschutz;

Beilage ./I

 

98. Neueste Zahlen aus der amtlichen Statistik der Schweiz weisen im Übrigen nach, dass dort die Anzahl der einsamen, risikobehafteten Suizide in den letzten Jahren erheblich zurückgegangen sind, [vgl https://www.obsan.admin.ch/de/indikatoren/suizid ] was einerseits darauf zurückzuführen sein dürfte, dass Bund und Kantone vermehrt Anstrengungen unternommen haben, um suizidale 'Hot-Spots' abzusichern, andererseits aber auch darauf, dass durch das progressiv-liberale Schweizer System der persönlichen Wahlfreiheit bezüglich des eigenen Lebensendes das schädliche Suizidtabu nachhaltig verringert worden ist. Dies gestattet es Personen, die aus welchem Grund auch immer ihr Leben beenden möchten, vermehrt vor der Umsetzung einer Idee, einen Suizidversuch zu unternehmen, bei Dritten verbal um Hilfe nachzusuchen, anstatt durch einen gescheiterten Suizidversuch einen averbalen 'Hilferuf' zu platzieren.

 

99. Die angefochtenen Strafbestimmungen der §§77 und 78 StGB sind – evidenter Maßen – nicht geeignet, die im internationalen Vergleich durchaus zahlreichen Suizide und Suizidversuche in Österreich zu verhindern oder einen sinnvollen Beitrag zur Suizid(versuchs)prävention zu leisten (sonst gäbe es die vielen Suizide und Suizidversuche hierzulande ja nicht, zumindest nicht in diesem Ausmaß). Es gibt auch keinerlei Anhaltspunkt dafür, dass derartige Strafbestimmungen etwa noch mehr Suizide und Suizidversuche verhindern würden, oder umgekehrt, eine Entkriminalisierung der Sterbehilfe, insbesondere der Suizidhilfe, die Suizidraten in anderen Ländern erhöht hätte – ganz im Gegenteil: So liegt die Suizidrate etwa in den Niederlanden (dem Land, das 2001 weltweit als Erstes die Aktive Sterbehilfe, also die Tötung auf Verlangen gesetzlich zuließ) bei ca 8 pro 100.000, während sie in Österreich beinahe doppelt so hoch, nämlich bei über 15 pro 100.000 Einwohnern pro Jahr steht. [vgl beiliegende Präsentation zum Suizidbericht 2013, Beilage ./F]

 

100. Vielmehr versagen Staat und Gesellschaft hier nicht nur im Bereich der Suizid- und Suizidversuchsprävention, sondern auch dort, wo voll geschäftsfähigen Menschen selbst bei hohem Leidensgrad die Möglichkeit geraubt wird, einen sicheren, schmerzlosen (ärztlich assistierten und professionell begleiteten) Suizid vorzunehmen und diese so genötigt werden, oftmals entwürdigende Situationen weiter zu 'erdulden' – oder aber unter Strafandrohung für ihre Liebsten, die ihnen aus Menschlichkeit behilflich sind, ins Ausland zu reisen, soweit sie dies in ihrem Zustande überhaupt noch können.

 

101. Es gibt nun ein 'state of the art'-Arzneimittel, um einen sicheren, schmerzlosen und für den Betroffenen nicht entwürdigenden Suizid zu ermöglichen. Das Mittel der Wahl ist das Medikament Natrium-Pentobarbital (NaP). Es wird zB in der Schweiz seit über 20 Jahren bei assistierten Suiziden eingesetzt. Für eine fachmännische Begleitung (durch Ärzte wie in der Niederlanden und/oder durch ausgebildete Mitarbeiter von Sterbehilfeorganisationen wie in der Schweiz) eines Suizids, der den genannten Voraussetzungen entsprechen soll, ist NaP unerlässlich.

 

102. Die Bestimmungen der §§77 und 78 StGB idgF verhindern die (legale) Abgabe von Natrium-Pentobarbital bzw die ärztliche Assistenz, und daher in zahlreichen Fällen auch einen würdigen und selbstbestimmten Tod.

 

103. Dem österreichischen Gesetzgeber ist diese Problematik seit Jahren bekannt (vgl parlamentarische Enquete im Jahr 2001, sowie Enquetekommission im Jahr 2014). Der österreichische Nationalrat weigert sich jedoch nachhaltig, eine sachliche Regelung (beispielsweise nach der Gesetzeslage in der Schweiz oder dem 'Oregon-Modell' [Ein Gesetz, das es Ärzten erlaubt, Patienten, die an einer diagnostizierten terminalen Erkrankung mit maximal sechs Monaten Lebenserwartung leiden, ein tödliches Medikament zur eigenen Einnahme zu verschreiben. Vgl den vor 20 Jahren im US-Bundesstaat eingeführte 'Death with Dignity Act' https://www.oregon.gov/oha/PH/PROVIDERPARTNERRESOURCES/EVALU-ATIONRESEARCH/DEATHWITHDIGNITYACT/Pages/index.aspx . Selbstredend ist ein solches Gesetz diskriminierend; Menschen, für welche eine solche ärztliche Prognose nicht abgegeben werden kann, werden dadurch schwer diskriminiert. Im übrigen gilt auch hier Mark Twain: 'Prognosen sind schwierig, besonders wenn sie die Zukunft betreffen'.] zu erlassen. Dies, obwohl sich auch schon die Bioethikkommission als wichtigste Fachinstanz klar für eine Entkriminalisierung des assistierten Suizids ausgesprochen hat. Wie schon erwähnt ist offenbar nicht einmal eine ernsthafte Diskussion zum Thema assistierter Suizid erwünscht. Die zuletzt geführte parlamentarische Enquete zur 'Würde am Ende des Lebens' hat sich – überspitzt formuliert – mit allem beschäftigt, nur nicht mit der Sterbehilfe bzw dem assistierten Suizid. [vgl beiliegenden Endbericht der Enquetekommission, Beilage ./G]

 

104. Vor dem Hintergrund der Weigerung des Gesetzgebers, eine sachliche Regelung zu erlassen, die einen würdigen, insbesondere sowohl professionell unterstützten wie auch mitmenschlich begleiteten Suizid ermöglichen würde, erscheint es an der Zeit, sich ernsthaft mit der Frage auseinanderzusetzen, ob ein uneingeschränktes und ausnahmsloses Verbot der Suizidhilfe und der Aktiven Sterbehilfe aus grund- und menschenrechtlicher Sicht und auch in Anbetracht der aufgezeigten Fakten und Zahlen noch haltbar ist, zumal die Richter im Fall Pretty vs United Kingdom (Nr 2346/02) [im Web abrufbar unter: http://hudoc.echr.coe.int/eng?i=001-60448 ] selbst meinten, dass eine grundsätzliche Entscheidung auch des EGMR zur Frage des Anrechts auf Suizidhilfe und/oder Aktive Sterbehilfe bis heute fehlen würde. [vgl Rietberg, 2011, Gibt es ein Recht auf den Tod, S. 16; mvW au Mahler 2010, S. 164-167]

 

4.3. Die Konvention als 'living instrument'

 

105. Bei den nachfolgenden Ausführungen zu den einzelnen verletzten verfassungs- und konventionsrechtlich gewährleisteten Rechten ist bei der Beurteilung einer Verletzung auch die Auslegung der gewährleisteten Rechte im Sinne der Konvention zu berücksichtigen. Schon in der Präambel der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte wird auf die Weiterentwicklung der Grundrechte hingewiesen. Darüber hinaus ist die teleologische Auslegung der Erklärung nicht im Sinne einer historischen Interpretation zu verstehen, sondern ist vielmehr ein dynamisch veränderbarer Grundrechtsgehalt zu unterstellen. Ebenso hat der EGMR in seiner Entscheidung Tyrer vs United Kingdom (Nr 5856/72) hervorgehoben, dass bei der Auslegung der Konvention der Wandel der politischen, gesellschaftlichen, sozialen, wirtschaftlichen und kulturellen Bedingungen zu berücksichtigen sind.

 

106. Die Präambel stellt im Übrigen die Basis dafür dar, dass der EGMR die Konvention als 'living instrument' bezeichnet hat, sagt sie doch unter anderem in ihrem Absatz 3, es sei das Ziel des Europarates, 'eine engere Verbindung zwischen seinen Mitgliedern herzustellen, und dass eines der Mittel zur Erreichung dieses Zieles die Wahrung und Fortentwicklung der Menschenrechte und Grundfreiheiten [sei]'. Die Konvention ist somit ein lebendiges Instrument, das im Lichte der heutigen Verhältnisse zu interpretieren ist.

 

4.4. Zur Verletzung der Menschenwürde

 

107. Schon die Präambel der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte der Vereinten Nationen wie auch die Präambel/Promulgationsklausel der EMRK sprechen von der vollen Anerkennung der allen Menschen innewohnenden und angeborenen Würde – der Menschenwürde.

 

108. Zu Art1 GRC der EU gehört, dass der Mensch über sich selbst verfügen und sein Schicksal eigenverantwortlich gestalten kann. Der Einzelne muss also nicht nur autonom sein können, sondern so akzeptiert werden, wie er in dieser Autonomie die für ihn geltenden Richtwerte und Intensität der Menschenwürde bestimmt (BVerfGE 49, 286 (298)).

 

109. Der unionsrechtlichen Menschenwürde kommt nach dem System der GRC auch der Status einer abwägungsfeindlichen Primatstellung im Gesamtgefüge der Grundrechte zu. [vgl Novak, Universitäten zwischen Freiheit und Verantwortung. Entwicklung und Perspektiven einer Rechtsbeziehung (2014) 244 ff, 260 ff, 265 ff.)] Es ist gewissermaßen (siehe schon vorne Rz 45) das 'Muttergrundrecht', aus dem sich alle anderen Grundrechte ableiten. Zudem ist der Grundsatz der Menschenwürde wegen seiner Anordnung an der Spitze der 'Chartahierarchie' und unter Berücksichtigung seiner Entstehungsgeschichte ein Maßstab für die Auslegung sämtlicher weiterer Rechte und Grundsätze. [vgl Borowsky, in: Meyer, Art1, Rz 7, mwN]

 

110. Insbesondere bei den mit Menschenwürde eng verknüpften Rechten – wie dem Recht auf Leben, Recht auf Achtung der Privatsphäre – kommt eine extensive Auslegung und Verstärkung der Menschenwürde zur Geltung. [ibid] Daher ist die Achtung der Menschenwürde auch bei den nachfolgenden Ausführungen immer als mitumfasst zu beurteilen.

 

111. Wenn man nun das Selbstbestimmungsrecht, die Autonomie und Würde eines voll geschäftsfähigen Menschen anerkennt und wirklich ernst nimmt, geht es nicht an, ihn in Umstände oder Situationen zu zwingen bzw in Leidenszuständen gefangen zu halten, die er als unmenschlich und entwürdigend empfindet und die er – wäre er dazu in der Lage – mit einem sicheren, schmerzlosen, ärztlich assistierten Suizid beenden würde.

 

112. Ohne fremde Hilfe können die Betroffenen – oftmals mit Schmerzmitteln 'vollgepumpt' – ihr Leiden nur weiter 'ertragen' bzw nur hoffen, dass ihr Tod bald 'natürlich' eintritt. Die Strafbestimmungen der §§77 und 78 StGB, die selbst dazu befähigten Ärzten (und selbst bei schwersten Leidenszuständen sowie frei erklärtem Willen voll geschäftsfähiger Betroffener) uneingeschränkt undifferenziert verbieten, eine Tötung auf Verlangen vorzunehmen oder bei einem Suizid in einer derartigen Situation zu assistieren, bewirkt genau das – eine massive Verletzung der Menschenwürde der Betroffenen.

 

4.5. Zur Verletzung des Rechts auf Leben

 

113. Art2 EMRK normiert die Pflicht des Staates, das Leben vor Eingriffen durch den Staat selbst als auch vor Privatpersonen zu schützen. Dieses Grundrecht verbietet es dem Staat, den Tod eines Menschen gegen dessen Willen herbeizuführen. Es enthält aber auch die Pflicht, jedes Leben zu schützen, selbst wenn es in den Augen anderer nicht lebenswert scheint.

 

114. Die Schutzpflicht des Art2 EMRK geht jedoch nicht soweit, dass der Staat das Leben auch gegen den Willen der Betroffenen selbst zu schützen hätte. Es kann daher aus Art2 EMRK jedenfalls keine 'Pflicht zum Leben und Leiden' abgeleitet werden. [vgl dazu insb Luzius Wildhaber, Internationaler Kommentar zur Europäischen Menschenrechtskonvention, Köln etc. 1986, Rz 267 ff., insb 268.]

 

115. Mit Urteil vom 20.01.2011 führte der EGMR in der Sache Haas v. Schweiz, Beschwerde Nr 31322/07, aus, dass gemäß Art2 EMRK in Zusammenschau mit Art8 EMRK die Pflicht bestehe, 'verwundbare Personen auch vor Handlungen zu schützen, mit denen sie ihr eigenes Leben gefährden. Die Behörden sind folglich verpflichtet, die Selbsttötung eines Individuums zu verhindern, falls seine diesbezügliche Entscheidung weder frei noch in voller Kenntnis der Umstände erfolgt ist (vgl Rz 54).' Umgekehrt kann – wie in weiterer Folge zu Art8 EMRK noch genauer ausgeführt wird – aus Art2 EMRK jedoch keine Verpflichtung des Staates abgeleitet werden, ein Leben zu schützen, wenn ein Individuum frei und in voller Kenntnis der Umstände die Entscheidung der Selbsttötung trifft.

 

116. Aus Art2 folgt daher keine Verpflichtung des Staates, die Suizidhilfe oder die Aktive Sterbehilfe (Tötung auf Verlangen) gesetzlich zu verbieten, wie es in §§77 und 78 StGB der Fall ist (vgl Kopetzki in Korinek/Holoubek, Art2 EMRK Rn 21).

 

117. All dies gilt uneingeschränkt auch für Art2 GRC.

 

118. Die geltende Rechtslage in Österreich führt zur absurden Situation, dass Österreicher, wenn sie ein selbstbestimmtes Lebensende mittels legaler Suizidhilfe im Ausland in Anspruch nehmen wollen, sich 'für den Tod' wesentlich früher entscheiden müssen, als wenn sie die selbe Möglichkeit zu Hause zugänglich hätten: Wer für eine Freitodbegleitung erst ins Ausland reisen muss, ist auch gezwungen, möglicherweise den eigenen Sterbe- bzw Todestag wesentlich früher anzusetzen, als dies der Fall wäre, wenn er/sie daheim in Österreich versterben könnte. Dies schon deshalb, weil die Anstrengungen und Mühen einer Reise ins Ausland in schwer krankem Zustand erhebliche körperliche Reserven verlangen. Dies trifft ganz besonders bei einer 'letzten Reise in die Schweiz' zu: die in der Schweiz erlaubte Suizidhilfe (Aktive Sterbehilfe ist dort verboten), bedingt, dass die sterbewillige Person in der Lage ist, den letzten Akt zur Herbeiführung des eigenen Todes selbst auszuführen.

 

119. Insofern stellt die angefochtene Rechtslage einen Eingriff dar und verletzt das Recht auf Schutz des Lebens von Sterbewilligen.

 

4.6. Zur Verletzung des Verbots nach Art3 EMRK und Art4 GRC

 

120. Nach Art3 EMRK und Art4 GRC darf niemand der Folter oder unmenschlicher oder erniedrigender Strafe oder Behandlung unterworfen werden. Erniedrigende Behandlung besteht in einer Verachtung des Wertes, der dem Personsein zukommt, in der Geringschätzung der Person und ihrer Würde. [vgl Isensee, in Handbuch der Grundrechte in Deutschland und Europa, Band IV, [H]rsg. von Merten/Papier, Heidelberg 2011, N 178] Das rein formelle Gewähren des essentiellen Rechts, über die Art und den Zeitpunkt des eigenen Lebensendes selbst entscheiden zu können, ohne dies danach in die Praxis umsetzen zu können, muss als unmenschliche Behandlung qualifiziert werden. [vgl P. Schaerz, in AJP 1/2019, S. 115-129, Beilage 147]

 

121. Dadurch, dass die Ausübung des völkerrechtlich zuerkannten Rechts, über Art und Zeitpunkt des eigenen Lebensendes zu bestimmen, durch die angefochtenen strafrechtlichen Bestimmungen §§77 und 78 StGB faktisch verhindert wird, liegt eine erniedrigende Behandlung der betroffenen Personen vor. Der Gerichtshof in Strassburg hat bereits 1980 erkannt, dass die bloß formelle Gewährung von Grundrechten dem Sinn und Zweck der Europäischen Menschenrechtskonvention nicht genügt (Artico vs Italien vom 13. 5. 1980, Bsw Nr 6694/4 [eine deutsche Übersetzung der Entscheidung findet sich in der HUDOC unter folgendem Link: https://hudoc.echr.coe.int/app/conversion/pdf?library=ECHR&id=001-188098&filename=CASE%20OF%20ARTICO%20v.%20ITALY%20-%20 [German%20Translation]%20summary%20by%20N.%20P.%20Engel%20Verlag.pdf]). Der EGMR hat ausdrücklich festgehalten, dass die durch die Konvention garantierten Rechte nicht bloss theoretisch oder gar illusorisch sein dürfen, sondern konkret und wirksam sein müssen.

 

122. Es gibt keinen sachlichen Grund, voll geschäftsfähigen Betroffenen den Zugang zu einer letalen Dosis Natriumpentobarbital bzw die ärztliche Assistenz, und daher in zahlreichen Fällen auch einen würdigen und selbstbestimmten Tod zu verweigern, solches in das Belieben anderer Menschen zu stellen und damit ihrer eigenen Entscheidungsmacht zu entziehen. Dies führt bei den Betroffenen unweigerlich zu Gefühlen der Ohnmacht und des Ausgeliefertseins. [vgl Rz 66 iS Gross gg. Schweiz: 'The Court considers that the uncertainty as to the outcome of her request in a situation concerning a particularly important aspect of her life must have caused the applicant a considerable degree of anguish. The Court concludes that the applicant must have found herself in a state of anguish and uncertainty regarding the extent of her right to end her life which would not have occurred if there had been clear, State-approved guidelines defining the circumstances under which medical practitioners are authorised to issue the requested prescription in cases where an individual has come to a serious decision, in the exercise of his or her free will, to end his or her life, but where death is not imminent as a result of a specific medical condition. The Court acknowledges that there may be difficulties in finding the necessary political consensus on such controversial questions with a profound ethical and moral impact. However, these difficulties are inherent in any democratic process and cannot absolve the authorities from fulfilling their task therein.' http://hudoc.echr.coe.int/eng?i=001-119703 ]

 

123. Die Weigerung des österreichischen Gesetzgebers, eine Suizidhilfe zu gestatten, verletzt Art3 EMRK und Art4 GRC.

 

4.7. Zur Verletzung des Rechts auf Achtung des Privat- und Familienlebens

 

4.7.1. Allgemeines

 

124. §§77 und 78 StGB widersprechen auch Art8 EMRK und Art7 GRC.

 

125. Der EGMR hat ebenfalls in der Sache Haas vs Schweiz, Beschwerde Nr 31322/07, mit Urteil vom 20. 1. 2011 (aufbauend auf der Entscheidung des Schweizerischen Bundesgerichts BGE 138 I 58) klar und unmissverständlich ein Menschenrecht auf Suizid anerkannt (vgl dort insb Rz 51), solange jemand in der Lage ist, seinen Willen frei zu bilden und danach zu handeln:

 

'51. In the light of this case-law, the Court considers that an individual’s right to decide by what means and at what point his or her life will end, provided he or she is capable of freely reaching a decision on this question and acting in consequence, is one of the aspects of the right to respect for private life within the meaning of Article 8 of the Convention.'

 

126. In der Sache Gross vs Schweiz (Kammerurteil vom 30.09.2014; Beschwerde Nr 67810/10) ging der EGMR noch darüber hinaus, indem er verlangte, dass ein Staat den Ärzten klar sagen muss, wie weit sie bei der Beihilfe zum Suizid gehen dürfen, wenn sie Natriumpentobarbital verschreiben, weil sonst zufolge des durch Rechtsunsicherheit ausgelösten 'chilling effect' es Individuen, die ein Recht auf Durchführung eines Suizids haben, unmöglich gemacht wird, dafür die Beihilfe eines Arztes erhalten zu können.

 

127. Die vor bald vier Jahren ergangene Entscheidung des EGMR, Beschwerde Nr 46043, Lambert ua vs Frankreich, vom 5. 6. 2015, stellt dies noch weiter klar, wenn es darin (sinngemäß) heißt, dass Art2 EMRK zwar von den Vertragsstaaten verlangt, das Leben der ihrer Hoheitsgewalt unterstehenden Personen zu schützen. Sofern es um medizinische Maßnahmen geht, ist dabei aber das Selbstbestimmungsrecht des Einzelnen aus Art8 EMRK zu berücksichtigen, welches auch das Recht schütze, zu entscheiden, wann und wie das eigene Leben enden soll.

 

128. In Einklang mit den oben zitierten Entscheidungen des EGMR hat das deutsche Bundesverwaltungsgericht in seiner Entscheidung vom 2. 3. 2017, BVerwG 3 C 19.15, zutreffend ausgesprochen, dass ein fehlender Zugang zu einem Betäubungsmittel, dessen Wirkung eine schmerzlose und sichere Selbsttötung erlaubt, mittelbar in ihrem Grundrecht auf Selbstbestimmung gemäß Art8 EMRK verletzt, wenn die Betroffenen dadurch ihren Sterbewunsch nicht oder nur unter unzumutbaren Bedingungen realisieren können. Es hat weiter ausgesprochen, dass der Erwerb von Betäubungsmitteln für eine Selbsttötung ausnahmsweise mit dem Zweck des (deutschen) Betäubungsmittelgesetzes vereinbar ist, wenn sich der suizidwillige Erwerber wegen einer schweren und unheilbaren Erkrankung in einer extremen Notlage befindet. Ob diese Einschränkung auf eine 'extreme Notlage' gerechtfertigt, respektive grundrechtlich haltbar ist, mag hier dahingestellt bleiben.

 

129. Bei dem Zusammenspiel der Schutzpflicht des Staates mit dem grundrechtlich geschützten Selbstbestimmungsrecht ist auch zu beachten, dass in manchen Fällen das Selbstbestimmungsrecht des Betroffenen der Schutzpflicht vorgeht. Zutreffend führt das deutsche Bundesverwaltungsgericht in der bereits zitierten Entscheidung BVerwG 3 C19.15 mit Verweis auf einen Beschluss des deutschen BGH Folgendes aus:

 

33. Dass die Schutzpflicht des Staates für das Leben hinter dem grundrechtlich geschützten Selbstbestimmungsrecht des Betroffenen unter bestimmten Voraussetzungen zurückzutreten hat, ist für die Situation des Behandlungsabbruchs im Übrigen inzwischen sogar für Fälle anerkannt, in denen sich der Betroffene nicht in einer extremen Notlage befindet. Der Betroffene kann den Abbruch lebenserhaltender und -verlängernder Maßnahmen selbst dann verlangen, wenn der Behandlungsabbruch darauf zielt, das Leben trotz vorhandener Lebensperspektive zu beenden (BGH, Beschluss vom 17. September 2014 - XII ZB 202/13 - BGHZ 202, 226 Rn. 22).

 

130. Die Ausübung dieses geschützten Rechts wird – soweit dabei Hilfe in Anspruch genommen wird bzw genommen werden muss – durch §§77 und 78 StGB zu Unrecht ausnahmslos und uneingeschränkt unter Strafe gestellt. Das Selbstbestimmungsrecht des Einzelnen, das ihm durch Art8 EMRK zuerkannt wird, erfährt durch §§77 und 78 StGB eine massive und grundrechtswidrige Einschränkung.

 

131. Eine Einschränkung des Grundrechts gemäß Art8 Abs2 EMRK ist aber nach stRsp nur möglich, soweit der Eingriff gesetzlich vorgesehen ist und in einer demokratischen Gesellschaft notwendig ist, für

 

 die nationale oder öffentliche Sicherheit

 das wirtschaftliche Wohl des Landes

 die Aufrechterhaltung der Ordnung und die Verhütung von Straftaten

 dem Schutz der Gesundheit und der Moral oder

 dem Schutz der Rechte und Freiheiten anderer.

132. Aus Sicht der Antragsteller ist keiner der genannten Punkte des Art8 Abs2 EMRK geeignet, ein uneingeschränktes Verbot gemäß §§77 und 78 StGB zu rechtfertigen. Im Detail wird dazu ausgeführt:

 

133. Ein generelles Verbot der Aktiven Sterbehilfe (Tötung auf Verlangen) und der Suizidhilfe lässt sich mit einem Schutz der nationalen oder öffentlichen Sicherheit nicht begründen. In einer Reihe europäischer Länder ist zumindest di[e] Suizidhilfe, teilweise auch die ärztliche Tötung auf Verlangen, zulässig, und es konnte in keinem dieser Länder eine dadurch erzeugte Störung der öffentlichen Ordnung oder Sicherheit festgestellt werden, geschweige denn eine von – meist religiösen – Gegnern der Sterbehilfe behauptete Erosion der Achtung vor dem Wert des Lebens.

 

134. Ebenso wenig sind die angefochtenen generellen Verbote geeignet, das wirtschaftliche Wohl des Landes zu sichern oder einen Beitrag zur Ordnung und Verbrechensverhütung zu leisten. Gesetzlich ermöglichte Suizidhilfe dient vielmehr dem Schutz der Gesundheit, weil Menschen, die sich aufgrund einer schweren und/oder unheilbaren Erkrankung mit einem für sie persönlich unzumutbaren Leben konfrontiert sehen, nicht mehr gezwungen wären, inhumane Suizidmethoden mit ungewissem Ausgang heranzuziehen, um ein selbstbestimmtes Lebensende herbeizuführen. Es zeigt sich im Übrigen, dass die sorgfältige Beratung Suizidwilliger durch entsprechende Vereine die Wirkung hat, dass ein großer Teil von ihnen auf Suizidhilfe verzichtet, auf palliative Behandlung ausweicht und/oder später eines natürlichen Todes verstirbt, weil wichtiger Teil dieser Beratung die Erörterung von alternativen Wegen ist. Das Wissen um einen legalen, professionell unterstützten 'Notausgang' ist ganz besonders für Menschen in gesundheitlich schwer belasteten Umständen eine Entlastung, ein Ventil, welches den Druck und Verzweiflung durch das Gefühl der Ausweglosigkeit abbaut. Insofern wirken diese Vereine präventiv sowohl im Bereich von Suiziden als auch von Suizidversuchen.

 

135. Ein Verbot des §78 StGB dient auch nicht dem Schutz der Gesundheit anderer. Vielmehr führt das Verbot dazu, dass durch inhumane Suizidmethoden auch Dritte erheblich gefährdet werden. Selbstverständlich müssen im Bereich einer eingeschränkt zulässigen Tötung auf Verlangen oder einer Suizidhilfe auch geeignete Maßnahmen zu dessen Umsetzung und adäquate Vorkehrungen gegen Missbrauch bestehen. Ein generelles Verbot, wie es die Bestimmungen der §§77 und 78 StGB normieren, stellt jedoch keinesfalls eine verhältnismäßige oder gar notwendige Maßnahme dar, um einen Beitrag zur Ordnung und Verbrechensverhütung zu leisten. In diesem Zusammenhang hat auch bereits der EGMR ausgesprochen, dass die nationale Rechtslage eine für den Einzelfall gerechte Lösung ermöglichen muss. Durch ein absolutes Verbot – wie in den §§77 und 78 StGB vorgesehen – kann eine Einzelfalllösung nicht gewährleistet werden. Zudem: Derartige Verbote stärken, ja zementieren das Suizidtabu und verstärken dadurch die Tendenz, sich beim Vorhandensein von Suizidideen weniger an Dritte um Hilfe zu wenden, aus Furcht, das Gesicht (Stigmatisierung) oder die Freiheit ('Psychiatrisierung') zu verlieren. Genau dies führt nicht nur zu zahlreichen klandestinen Suiziden, die sonst nicht geschehen würden, und zu einer Vielzahl von gescheiterten Suizidversuchen, auch solchen im Sinne von averbalen 'Hilferufen'.

 

136. Dies alles hat auch volkswirtschaftlich enorm ins Gewicht fallende Konsequenzen, die durch eine offene Haltung gegenüber dem Suizid und eine Auffassung, die gerechtfertigte Suizide akzeptiert und sich bemüht, nicht wohlüberlegte dadurch zu verhindern, indem ergebnisoffene und unvoreingenommene Gespräche geführt und Lösungsmöglichkeiten für Probleme aufgezeigt werden, vermieden werden können [Welch gewaltiges Ausmaß nur schon Kosten und Auslagen des Suizidgeschehens in einem Lande erreichen, hat ************* in seiner Untersuchung 'Der Preis der Verzweiflung – Über die Kostenfolgen des Suizidgeschehens in der Schweiz, Forch-Zürich 2003, eindrücklich dargestellt; siehe http://www.dignitas.ch/images/stories/pdf/studie-ph-der-preis-der-verzweiflung.pdf ]. Insofern lässt sich eben auch zeigen, dass ein Verzicht auf derartige Verbote in viel umfassenderem Ausmaß Leben schützt, als dies Verbote je leisten können. Ein direkter Vergleich kann zur Legalisierung des Schwangerschaftsabbruchs gezogen werden: Das pauschale Verbot hatte zu viel emotionalem und physischem Leid geführt, insbesondere auch zu großen gesundheitlichen Risiken. Die tabubefreite, vernunftbasierte Debatte und eine positivrechtliche Regelung brachten schließlich die unerlässliche Verbesserung der öffentlichen Gesundheit und der Sicherheit für betroffene Schwangere.

 

137. Das Verbot des §78 StGB ist zum Schutz der Rechte und Freiheiten anderer ebenfalls nicht erforderlich, weil der Suizid, per definitionem, ausschließlich den Suizidalen betrifft und dieser im Rahmen eines assistierten Suizids stets den Tod herbeiführende Handlungen nur bezüglich seiner selbst setzt, ohne dabei andere Personen zu gefährden. Bei nicht assistierten Suiziden geschieht dies hingegen häufig, ua, wenn Suizidale mangels entsprechender Hilfeleistung sich mitunter in 'Methoden' flüchten, die Dritte erheblich gefährden (zB 'Gasherd aufdrehen'; 'Sich-von-der-Autobahnbrücke-oder-vom-Hochhaus-stürzen' oder 'Vor-den-Zug-gehen'). Die geltende und bekämpfte Rechtslage führt somit viel eher zu einer Gefährdung der Rechte und Freiheiten anderer, als die von den Antragstellern angestrebte. [Da heute nicht mehr Kochgas mit hohem Anteil von Kohlenmonoxid, sondern Erdgas verwendet wird, wirkt Gas nicht mehr erstickend (durch Anlagerung an die roten Blutkörperchen, wodurch die Sauerstoffaufnahme verhindert wird). Die Verwendung von Gas aus dem Gasherd oder der Gas-Therme birgt heutzutage hingegen ein gewaltiges Explosionsrisiko; ein kleiner Funke kann ganze Gebäude zusammenbrechen lassen, wie dies etwa auch in Wien-Rudolfsheim 2014 und bei zahlreichen anderen ähnlichen Explosionen der Fall war: https://www.heute.at/oesterreich/wien/story/Haus-Explosion-in-Wien--Es-war-Selbstmord-15461113 ]

 

138. Gleichfalls kann das Verbot des §78 StGB nicht zum Schutz der Moral argumentiert werden. Per definitionem wird bei der 'Moral' von einem von kultureller und religiöser Erfahrung gebildeten Wertesystem gesprochen. Besonders in Österreich ist die 'Moral' sehr klerikal geprägt. Dem gegenüber steht eine kulturelle und religionsfreie bzw religionsindifferent geprägte Moral. Daher kann ein Verbot nicht nur auf Grundlage spezifisch religiöser Moralvorstellungen gerechtfertigt werden, sondern sind auch die Moralvorstellungen aller in Betracht zu ziehen.

 

139. Im Hinblick auf die oben zitierte jüngste Rechtsprechung des EGMR lässt sich die Rechtsansicht, §78 StGB wäre verfassungskonform, keinesfalls weiter aufrechterhalten. §78 StGB verletzt vielmehr das Recht auf Achtung des Privatlebens bzw das davon umfasste Selbstbestimmungsrecht hinsichtlich des eigenen Todes, in concreto über Art und Zeitpunkt des eigenen Lebensendes zu entscheiden. Ein voll geschäftsfähiger Mensch, der in Ausübung seines Selbstbestimmungsrechtes eindeutig zum Ausdruck bringt, wann und wie sein Leben enden soll, ist bei grundrechtsrichtiger Auffassung somit jedenfalls durch Art8 EMRK geschützt.

 

140. Für das – im Kern gleiche – Recht auf Achtung des Privat- und Familienlebens nach Art7 der EU-Grundrechtscharta kann nichts anderes gelten. Art7 EU-Grundrechte-Charta enthält anders als Art8 EMRK keine Schrankenregelung. Einschränkungen der in Art7 EU-Grundrechte-Charta verankerten Rechte sind nur zulässig, sofern diese Einschränkungen

 

 gesetzlich vorgesehen sind,

 den Wesensgehalt dieser Rechte und Freiheiten achten und

 unter Wahrung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit erforderlich sind und

 den von der Union anerkannten dem Gemeinwohl dienenden Zielsetzungen oder

 den Erfordernissen des Schutzes der Rechte und Freiheiten anderer tatsächlich entsprechen. [EuGH 9. 11. 2010, verb C-92/09 und C-93/09 , Schecke und Eifert, Rn 65]

 

141. Die Einschränkung eines Grundrechts muss daher gemäß Art52 Abs1 S 2 Grundrechte-Charta 'tatsächlich' dem verfolgten Einschränkungsgrund 'entsprechen', dh ihm dienen müssen. Es bedarf der drei Teilelemente des Verhältnismäßigkeitsprinzips: Geeignetheit, Erforderlichkeit und Angemessenheit (vgl Jarass, Charta der Grundrechte der Europäischen Union. Kommentar (2010) Art52 Rn 35; ebenso Kühling, Grundrechte, in von Bogdandy/Bast, Europäisches Verfassungsrecht, 2. Auflage (2009) 693.).

 

142. Aufgrund der nötigen Geeignetheit ist es auch erforderlich, gerichtlich zu überprüfen, ob und inwieweit die vorgebrachten Ziele durch die konkrete Form der vorgesehenen Grundrechtsbeschränkung gefördert werden (Kadelbach/Petersen, Europäische Grundrechte als Schranken der Grundfreiheiten, EuGRZ 2003, 698). Der Wortlaut dieser Norm stellt gesteigerte Anforderungen an die gerichtliche Überprüfung dar, und zwar durch die oben erwähnte Wortfolge, dass die Einschränkungen den Zielen 'tatsächlich entsprechen' müssen.

 

143. Diese Voraussetzung liegt jedoch im konkreten Fall nicht vor: Durch die Bestimmung des §78 StGB werden überhaupt keine anderen geschützt. Selbst wenn man – irrig – davon ausginge, dass die Suizidenten selbst als schützenswerte 'andere' zu qualifizieren sind, wäre im vorliegenden Fall nichts gewonnen.

 

144. Werden die Verbote der §§77 und 78 StGB beibehalten, wird es weiterhin verzweifelte Suizide von Schwerkranken, zahlreiche gescheiterte Suizidversuche mit schwerwiegenden Folgen und/oder 'die Reise in die Schweiz' zu einer legalen Suizidhilfe, zu einer Freitodbegleitung bei ************* geben, sodass die Einschränkung die Erreichung des gesetzlichen Ziels – nämlich die Wahrung des Schutzes der Rechte anderer – nicht tatsächlich befördert.

 

145. Ein voll geschäftsfähiger Mensch, der in Ausübung seines Selbstbestimmungsrechtes eindeutig und belegbar zum Ausdruck bringt, wann und wie durch Handlung oder Hilfeleistung eines Dritten sein Leben enden soll, ist somit durch Art8 EMRK und Art7 GRC geschützt.

 

146. In der Sterbehilfe-Debatte wird von Gegnern der Suizidhilfe und der Aktiven Sterbehilfe stets auf die Möglichkeiten der modernen Palliativmedizin hingewiesen. Dabei wird jedoch übersehen, dass es nicht an ihnen ist, einem Menschen vorzuschreiben, nur einen bestimmten Weg einschlagen zu dürfen, und andere – aus persönlichen religiösen oder ideologischen Gründen abgelehnte andere Möglichkeiten wie konkret die Suizidhilfe uneingeschränkt zu verweigern. Es wäre nicht zu rechtfertigender Paternalismus und Bevormundung. Darüber hinaus entstünde mit einer pauschalen Gutheißung des Arguments der Gegner eine nicht zu rechtfertigende Diskriminierung: Jemand, der nach Krankheitsverlauf und Prognose in wenigen Tagen versterben wird, darf Hilfe zu einem erleichterten Sterben im Rahmen der 'passiven Sterbehilfe' erhalten, während einer Person, bei der noch ein paar Tage mehr Lebenserwartung vermutet werden, ihr Recht über Art und Zeitpunkt des eigenen Lebensendes zu entscheiden, verwehrt wird. Insofern muss eben die gefestigte Ansicht des EGMR, wonach voll geschäftsfähige Personen das Recht haben, selber zu entscheiden, wann und vor allem auch wie sie sterben wollen, ernst genommen werden.

 

147. Auch das weitere Argument von Gegnern der Sterbehilfe, wonach es Organisationen wie den Schweizer Vereinen D******* oder E*** doch nur um eine 'Geschäftemacherei mit dem Tod' gehe, verfängt nicht, wenn man den Wunsch der Betroffenen bedenkt und ernst nimmt. Hingegen sollte in diesem Zusammenhang nicht ausgeblendet werden, dass gerade bei der kostenintensiven Pflege von sch[w]erkranken Personen, die sich auf mehrere tausend Euro pro Tag belaufen kann, wirtschaftliche Interessen der – mitunter von Großkirchen betriebenen Krankenhäuser[n] und Pflegeeinrichtungen – eine Rolle spielen mögen. Der ordentliche Professor für Palliativmedizin an der Universität Lausanne, ****************************, stellt fest: 'Dort, wo sie erlaubt ist, wie in der Schweiz, spielt die Suizidhilfe in weniger als 0,5 Prozent der Todesfälle eine Rolle. Die medizinische Übertherapie am Lebensende (bei gleichzeitiger pflegerischer Unterversorgung!) betrifft hingegen mindestens die Hälfte der Sterbenden, ein Unterschied um den Faktor 100. Die Übertherapie am Lebensende verschlingt nicht nur enorm viel Geld; sie verhindert leider oft, dass Menschen ihre letzte Lebensphase im Einklang mit ihren Wünschen und Prioritäten und am Ort ihrer Wahl verbringen.' [vgl https://www.sueddeutsche.de/gesundheit/sterbehilfe-gut-dass-dieses-gesetz-gescheitert-ist-1.1692473 ] ***********************, Facharzt für Anästhesiologie, Notfall-, Schmerz- und Palliativmedizin, stellt fest: 'Die meisten Menschen sagen, dass sie sich kein Ende wünschen, bei dem sie an Maschinen angeschlossen sterben. Eine Umfrage unter Ärzten hat ergeben, dass 90 Prozent für sich selbst eine aggressive Therapie am Lebensende ablehnen. Und dennoch verordnen sie es ihren Patienten massenweise. Nicht einmal 25 Prozent der Chefärzte finden einer anderen Umfrage zufolge den Willen der Patienten überhaupt maßgeblich . . . Die Pharmaindustrie hat den geschickten Schachzug gemacht, dass sie uns Ärzte quasi am Umsatz beteiligt. Wenn man bestimmte teure Medikamente verschreibt, ist der Patient oft Teilnehmer einer Studie der Firma. Der Arzt muss dazu nur regelmäßig ein paar Bögen ausfüllen, das macht seine Arzthelferin, das dauert zehn Minuten. Er bekommt dafür im Schnitt pro Patient 670 Euro. Im Schnitt wohlgemerkt, es gibt Therapien, da werden 7000 Euro bezahlt. Wenn Sie als Arzt zehn solche Patienten haben, bekommen Sie eine kleine Wohnung dafür. . . . Chefärzte werden finanziell an Eingriffen beteiligt, an Herzoperationen, an Dialysen. Etwa 40 Prozent von ihnen geben sogar zu, hier und da mal zu operieren, wo es gar nicht nötig ist.' [in: 'Sie verdienen am Sterben' Spiegel; 27. August 2016, Ausgabe Nr 35, S 34, http://www.spiegel.de/gesundheit/diagnose/palliativmediziner-beklagt-geldgier-seiner-kollegen-a-1109662.html#ref=rss ] Mit dieser Kritik sollen jedoch in keiner Weise die Leistungen der Ärzte und Pflegkräfte in solchen Einrichtungen geschmälert werden.

 

148. In der bereits zitierten Entscheidung des deutschen Bundesverwaltungsgerichtes, BVerwG 3 C19.15, geht dieses noch einen Schritt weiter, wonach sich aus Art2 Abs2 Satz 1 GG (deutsches Grundgesetz) der Einzelne zwar grundsätzlich vom Staat keine Rahmenbedingungen oder Schaffung von Strukturen zur Selbsttötung erwarten darf; jedoch besteht eine konkrete Schutzpflicht des Staates hinsichtlich der Selbstbestimmung des Einzelnen: Besonders schwer unheilbar Kranke, die sich auf Grund der Erkrankung in einer extremen Notlage befinden, aus der kein Ausweg gefunden wird, darf die staatliche Gemeinschaft nicht sich selbst überlassen. Vielmehr ist der Einzelne insbesondere am Lebensende und bei schwerer Krankheit auf die Achtung und den Schutz der persönlichen Autonomie angewiesen. Durch die angefochtenen Bestimmungen wird neben demjenigen, der sein Leben selbstbestimmt beenden möchte, auch derjenige mittelbar verletzt, der die Autonomie des sterbewilligen Anderen wahren möchte. Der Staat darf nichts unternehmen, was es dem Einzelnen schwierig oder unmöglich macht, sich von Menschen, die dazu bereit sind, beraten und helfen zu lassen, weil solche Eingriffe die Umsetzung des Menschenrechts auf Beendigung des eigenen Lebens in unzulässiger Weise beeinträchtigt.

 

149. Dieses – durch Art8 EMRK und Art7 GRC zuerkannte – Recht erfährt durch §§77 und 78 StGB eine massive und unzulässige Einschränkung: Derartige Einschränkungen sind iSv Art8 Abs2 EMRK aber nur zulässig, wenn sie in einer demokratischen Gesellschaft notwendig sind. Von einer Notwendigkeit kann jedoch keine Rede sein, wenn man – im Umkehrschluss – nicht gleichzeitig unterstellen möchte, dass etwa die Schweiz oder die BENELUX-Länder, in welchen die Suizidhilfe und/oder die Aktive Sterbehilfe erlaubt sind, keine Demokratien wären.

 

150. Das von Sterbehilfegegnern häufig geführte Argument, dass der 'Selbstmörder' ja gemäß §78 StGB ohnedies 'straffrei' bleibe, ist nicht nur angesichts der hohen Zahl an Todesfällen durch Suizid und, wie schon ausgeführt, noch viel höheren Zahl der gescheiteren Suizidversuche mit all ihren tragischen Folgen in Österreich, sondern auch im Hinblick darauf, dass der Suizident durch seinen Wunsch sterben zu wollen und sein diesbezügliches Ansuchen an einen Dritten Letzteren zur Straftat verleiten müsste, nachgerade menschenverachtend und völlig absurd.

 

4.7.2. Recht auf Beistand und Hilfe der Angehörigen

 

151. Wie schon unter RRzz 35ff aufgezeigt kommen die angefochtenen Bestimmungen für österreichische Sterbewillige, wie auch für ihre Familienangehörigen und sonstigen zur Begleitung und Unterstützung bereiten Freunde einem faktischen Reiseverbot gleich.

 

152. Der Begriff des 'Familienlebens' in Art8 EMRK umfasst nach stRsp nicht nur die Kleinfamilie von Eltern und (minderjährigen) Kindern und Ehegatten, sondern auch entferntere verwandtschaftliche Beziehungen, sofern diese Beziehungen eine gewisse Intensität aufweisen, etwa ein gemeinsamer Haushalt vorliegt (vgl dazu EKMR 19. 7. 1968, 3110/67, Yb 11, 494 (518); EKMR 28. 2. 1979, 7912/77, EuGRZ 1981/118; Frowein - Peukert, Europäische Menschenrechtskonvention, EMRK-Kommentar, 2. Auflage (1996) Rz 16 zu Art8; Baumgartner, Welche Formen des Zusammenlebens schützt die Verfassung? ÖJZ1998, 761; vgl auch Rosenmayer, Aufenthaltsverbot, Schubhaft und Abschiebung, ZfV 1988, 1).

 

153. In der bisherigen Spruchpraxis der Straßburger Instanzen wurden als unter dem Blickwinkel des Art8 EMRK zu schützende Beziehungen bereits solche zwischen Enkel und Großeltern (EGMR 13. 6. 1979, Marckx, EuGRZ 1979, 458; s. auch EKMR 7.12.1981, B9071/80, X-Schweiz, EuGRZ 1983, 19), zwischen Geschwistern (EKMR 14.3.1980, B8986/80, EuGRZ 1982, 311) und zwischen Onkel bzw Tante und Neffen bzw Nichten (EKMR 19.7.1968, 3110/67, Yb 11, 494 (518); EKMR 28.2.1979, 7912/77, EuGRZ 1981/118; EKMR 5.7.1979, B8353/78, EuGRZ 1981, 120) anerkannt, sofern eine gewisse Beziehungsintensität vorliegt (vgl Baumgartner, ÖJZ1998, 761; Rosenmayer, ZfV 1988, 1).

 

154. Wie auch schon aufgezeigt zwingen die angefochtenen Regelungen sterbewillige Personen nicht nur, zur würdigen und selbstbestimmten Beendigung ihres Lebens Österreich zu verlassen, sondern auch dazu, die Ausreise und letztendlich auch den Suizid in Widerspruch zu Art8 EMRK und Art7 GRC alleine – nämlich ohne die zum Beistand, zur Hilfe oder Unterstützung bereiten Familienangehörigen oder weiteren ihnen nahestehenden Personen – vorzunehmen, was für sich genommen wiederum entwürdigend ist.

 

155. Die angefochtenen Normen der §§77 und 78 StGB idgF verletzen das Recht auf Achtung des Familienlebens des Erst- bis Drittantragstellers. Sie machen es den Antragstellern unmöglich, würdig und selbstbestimmt im Kreis ihrer Familienangehörigen sterben zu können.

 

156. Die Rechtslage verletzt umgekehrt auch das Recht der Angehörigen und weiteren Nahestehenden, in diesen Stunden beim Sterbewilligen zu sein, und diesem Beistand zu leisten: Bereits das Mitreisen oder die Mit-Organisation einer Ausreise eines Sterbewilligen in die Schweiz oder in ein anderes Mitgliedsland der EU, in welchem die Suizidhilfe oder Aktive Sterbehilfe erlaubt ist, würde einen Angehörigen eines Sterbewilligen (und auch jeden sonst helfenden Drittenden) dem Risiko einer strafrechtlichen Verfolgung und Verurteilung nach §§77 und/oder 78 StGB aussetzen.

 

4.7.3. Zur Verhältnismäßigkeit

 

157. Gemäß Art52 Abs1 S 2 GRC dürfen nach geltender Rechtslage Einschränkungen bzw Eingriffe in die Grundrechte auch nur noch vorgenommen werden, wenn sie im Sinn des Normwortlauts 'erforderlich' sind (Jarass, Charta der Grundrechte der Europäischen Union. Kommentar (2010) Art52 Rn 38). Es ist daher das Gebot des mildesten Mittels zu beachten.

 

158. Dies erfordert die gerichtliche Feststellung, dass es kein alternatives Mittel gibt, mit dem das verfolgte Ziel ebenso gut erreicht werden kann und das weniger in die Grundrechte eingreift (EuGH 11.7.1989, Rs 265/87 , Schräder, Rn 21; EuGH 12.9.1996, C-254/94 . APTI, Rn 55). Es kann wohl keine Rede davon sein, dass die Schaffung bzw Beibehaltung eines Straftatbestandes das mildeste Mittel darstellt, um in einer demokratischen Gesellschaft den Schutz der Rechte anderer zu gewährleisten. Die Bioethikkommission hat bereits wiederholt alternative Mittel aufgezeigt, mit denen das verfolgte Ziel ebenso gut erreicht werden kann und die weniger in die Grundrechte eingreifen.

 

159. Ein gutes Beispiel dafür ist Art115 des schweizerischen StGB, welcher 'Verleitung und Beihilfe zum Selbstmord' dann unter Strafe stellt, wenn dafür 'selbstsüchtige' Motive vorliegen. Wer immer sich gegen eine solche vernünftige Regelung stellt, verteidigt nicht das abstrakte Recht auf Leben oder biologisches menschliches Leben, sondern will lediglich auf der Basis persönlicher ideologischer und/oder religiöser Wertvorstellungen das sozialschädliche Suizidtabu aufrecht erhalten. Art115 des schweizerischen StGB ist seit dem 1. 1. 1942, also mittlerweile seit 77 Jahren, in Kraft.

 

160. Die durch Art52 Abs1 S 2 GRC vorgesehene gerichtliche Prüfung des Teilelements des Verhältnismäßigkeitsprinzips ist folglich unerlässlich, um feststellen zu können, ob und inwiefern der in legitimer Weise verfolgte Schutz eines Gemeinwohls im konkreten Anlassfall zu einer unangemessenen Grundrechtsbeschränkung führen kann und demgemäß aufgegeben werden muss (vgl Danwitz in Tettinger/Stern, Gemeinschaftsrechtskommentar, Art52 Rn 42).

 

161. Die Anwendung von ordre public-Vorbehalten und insbesondere Art8 Abs2, Art9 Abs2 sowie Art11 Abs2 EMRK darf auch nicht dazu dienen, dass Grundrechte lediglich infolge einer Wertedebatte ohne sachliche Rechtfertigung ausgehöhlt werden. In keinem der Staaten, die die Suizidhilfe oder gar die ärztliche Tötung auf Verlangen (Aktive Sterbehilfe) zulassen bzw nicht verbieten, kam es bisher zu einer systematischen Verletzung der Rechte von Personen, die nicht in der Lage sind, eine freie und unbeeinflusste Entscheidung über ihr Lebensende zu treffen. Abgesehen davon ist die schwere Nötigung gem. §106 Abs2 StGB (also mit Suizidfolgen) in Österreich ohnehin – ausreichend – strafrechtlich sanktioniert und geregelt.

 

162. Auch dazu ist die Schweiz […] ein gutes Beispiel: Im Jänner 1982 wurden dort der Verein 'E**************************************************** *****************) in Genf und im April 1982 in Zürich der Verein E*** (Deutsche Schweiz) gegründet und kurz danach die ersten durch ein ärztlich verschriebenes Medikament ermöglichte professionell begleitete Suizidhilfe durchgeführt. Die beiden Organisationen verzeichnen zusammen aktuell gegen 150.000 Mitglieder. Obschon also dieser Nachbarstaat Österreichs seit etwa 1985 über eine würdige Kultur der ärztlich unterstützten, professionell begleiteten Suizidhilfe verfügt, ohne dass seither dafür ein Spezialgesetz geschaffen worden wäre, und obschon sich mittlerweile weitere gemeinnützige Vereine darum kümmern, sind sowohl der Schweizerische Bundesrat (die Bundesregierung der Schweiz) als auch die Bundesversammlung in beiden Kammern – Nationalrat und Ständerat – seit dem 30. Juni 2009 der Auffassung, die bestehende allgemeine Gesetzgebung genüge vollständig, um etwaige Missbräuche im Bereich der Sterbehilfe kontrollieren zu können. Tatsächlich gibt es in diesem Bereich in der Schweiz seit Inkrafttreten des dortigen StGB am 1. 1. 1942 kaum Entscheidungen zu Art115 des schweizerischen StGB.

 

163. Die Schattenseite des status quo, nämlich die hohe Anzahl der Suizide in Österreich und die schwerwiegenden Folgen zigtausender gescheiterter Suizidversuche ignoriert hingegen der österreichische Gesetzgeber beharrlich. Ebenso ignoriert er das vom EGMR statuierte Selbstbestimmungsrecht, über Art und Zeitpunkt des eigenen Lebensendes entscheiden zu dürfen. Und noch viel mehr ignoriert er das Leid derjenigen Österreicherinnen und Österreicher, welche aus Mitmenschlichkeit und zur Wahrung der Würde eines ihnen Nahestehenden schwer leidenden Menschen diese Zuwendung unter Strafandrohung tun müssen. Gepaart mit einem seit Jahren unterlassenen Ausbau der Suizidprävention macht er sich dadurch auch für die hohe Zahl der Suizidversuche und der Suizide in Österreich mit-verantwortlich, weil er damit das Suizid-Tabu, anstatt es zu beseitigen, verstärkt. Das ist dem Ziel, Leben zu schützen, entgegengerichtet.

 

4.8. Zur Verletzung der Gedanken-, Gewissens- und Religionsfreiheit

 

164. Die liberal-demokratischen Rechtsordnungen Europas sind gehalten, insbesondere in Bereichen, welche auf Grund der Weltanschauung ganz unterschiedlich gesehen werden können, in Gesetzen weltanschaulich Neutralität zu bewahren.

 

165. Auch die Bestimmungen Art9 EMRK und Art10 Abs1 GRC sichern nicht nur das Recht der Privatpersonen, sondern verpflichten den Staat, dafür zu sorgen, dass die mit den genannten Bestimmungen gewährleisteten Rechte im Rahmen der öffentlichen Ordnung tatsächlich ausgeübt werden können.

 

166. Es ist hier insbesondere auf Jürgen Habermas zu verweisen: [zitiert nach Horst Dreier, Staat ohne Gott, Religion in der säkularen Moderne, Beck, München 2018, S 106f]

 

'Das Grundrecht der Gewissens- und Religionsfreiheit ist die angemessene Antwort auf die Herausforderungen des religiösen Pluralismus. So kann nämlich auf der Ebene des sozialen Umgangs der Staatsbürger das Konfliktpotential entschärft werden, das auf der kognitiven Ebene zwischen den existentiell relevanten Überzeugungen von Gläubigen, Andersgläubigen und Ungläubigen uneingeschränkt fortbesteht. Für eine gleichmäßige Gewährleistung der Religionsfreiheit ist nun der säkulare Charakter des Staates zwar eine notwendige, aber keine zureichende Bedingung. [... ] Wenn sich das Prinzip der Toleranz vom Verdacht einer repressiven Festlegung der Grenzen der Toleranz befreien soll, verlangt die Definition dessen, was noch und was nicht mehr toleriert werden kann, einleuchtende Gründe, die von allen Seiten gleichermaßen akzeptiert werden können. Faire Regelungen können nur zustande kommen, wenn die Beteiligten lernen, auch die Perspektiven der jeweils anderen zu übernehmen. Insofern bietet sich die deliberativ verfasste demokratische Willensbildung als geeignetes Verfahren an. [...] Die Bedingungen für die gelingende Teilnahme an der gemeinsam ausgeübten Praxis der Selbstbestimmung definieren die Staatsbürgerrolle: Die Bürger sollen sich, trotz ihres fortdauernden Dissenses in Fragen der Weltanschauung und der religiösen Überzeugung, als gleichberechtigte Mitglieder ihres politischen Gemeinwesens gegenseitig respektieren; und auf dieser Basis staatsbürgerschaftlicher Solidarität sollen sie in Streitfragen eine rational motivierte Verständigung suchen – sie schulden einander gute Gründe. [...] Bürger eines demokratischen Gemeinwesens schulden sich reziprok Gründe, weil nur dadurch politische Herrschaft ihren repressiven Charakter verlieren kann.'

 

167. Nun verwendet schon die Überschrift der angefochtenen Bestimmung §78 StGB mit dem Wort 'Selbstmord' einen Begriff, der einer spezifisch weltanschaulichen Beurteilung folgt und die gebotenen Neutralität vermissen lässt: Der Begriff 'Selbstmord' geht etymologisch auf die von Martin Luther in diesem Zusammenhang verwendete Formulierung 'sein selbs morden' zurück, die bewusst die in der Regel nicht auf verabscheuenswürdige Motive zurückzuführende Selbsttötung dem schweren – idR aus niedrigsten Beweggründen begangenen – Delikt des Mordes zugesellte.

 

168. Die in Österreich angefochtenen Bestimmungen der §§77 und 78 StG[B] sowie die fehlende positivrechtliche Regelung zur selbstbestimmten, legalen, würdigen und assistierten Beendigung des eigenen Lebens hindern die Erst- bis Drittantragsteller an der effektiven Ausübung des Selbstbestimmungsrechtes nach Art8 Abs1 EMRK und 7 GRC.

 

169. Sie zwingen allen Antragstellern (auch dem Viertantragsteller) in dieser Hinsicht faktisch eine spezifische Weltanschauung bezüglich der Sterbehilfe auf.

 

170. Die Bestimmungen der §§77 und 78 StGB stellen daher auch einen gravierenden Verstoß gegen Art9 EMRK wie auch Art10 Abs1 GRC dar.

 

4.9. Zur Verletzung des Diskriminierungsverbots

 

171. Die Bestimmungen der §§77 und 78 StGB stellen auch einen Verstoß gegen das Diskriminierungsverbot des Art14 EMRK und Art21 GRC dar:

 

172. Art21 GRC verbietet Diskriminierungen, insbesondere wegen des Geschlechts, der Rasse, der Hautfarbe, der ethnischen oder sozialen Herkunft, der genetischen Merkmale, der Sprache, der Religion oder der Weltanschauung, der politischen oder sonstigen Anschauung, der Zugehörigkeit zu einer nationalen Minderheit, des Vermögens, der Geburt, einer Behinderung, des Alters oder der sexuellen Ausrichtung.

 

173. Eine Legaldefinition für Behinderung besteht nicht. Nach dem Übereinkommen zum Schutz der Rechte von Menschen mit Behinderung (ÜBK) versteht man darunter 'Menschen, die langfristige, körperliche, seelische, geistige oder Sinnesbeeinträchtigungen haben, welche sie in Wechselwirkung mit verschiedenen Barrieren an der vollen, wirksamen und gleichberechtigten Teilhabe an der Gesellschaft hindern können.'

 

174. Ist nun der Suizid(-versuch) einer nicht behinderten Person straffrei, der Suizid(-versuch) einer von genetisch-, krankheits- oder unfallbedingt behinderten Person, die aufgrund ihrer Behinderung dafür allenfalls eine Handlung oder Hilfeleistung eines Dritten in Anspruch nehmen muss, jedoch mit einer Strafe für die hilfeleistende Person verbunden, so handelt es sich dabei um einen Verstoß gegen Art14 EMRK sowie Art21 der EU-Grundrechtecharta und damit um eine weitere Grundrechts- und Verfassungswidrigkeit dieser Bestimmung.

 

175. Die Möglichkeit, einen sicheren, quallosen und würdigen Tod selbstbestimmt herbeizuführen, hängt nämlich gerade infolge des undifferenzierten Verbots der Tötung auf Verlangen und der Suizidhilfe, den §§77 und 78 StGB verkörpern, primär von der körperlichen Verfassung des Sterbewilligen sowie von seinem finanziellen Spielraum ab.

 

176. Es versteht sich von selbst, dass einem körperlich behinderten bzw beeinträchtigten Sterbewilligen in der Regel weit weniger Suizidmethoden zur Verfügung stehen, als einem Nichtbehinderten. Es darf jedoch darauf hingewiesen werden, dass auch jedes andere (hypothetische) Hilfeverbot, das keine Ausnahmen kennt, grundsätzlich dazu geeignet wäre, behinderte Personen zu benachteiligen. Der diskriminierende Charakter der §§77 und 78 StGB gegenüber behinderten Personen ergibt sich nämlich schon alleine aufgrund der mangelnden Akzessorietät dieser Bestimmung. §§77 und 78 StGB stellen zudem die einzigen Bestimmungen der österreichischen Rechtsordnung dar, die es ausschließlich behinderten Personen erschweren, eine straflose Tat zu begehen.

 

177. Vor dem Hintergrund des (international eingeschränkten) Anwendungsbereiches des StGB ergibt sich eine weitere – ebenfalls verfassungsrechtlich bedenkliche – Unterscheidung, die §78 StGB vornimmt: Während in Österreich einem Suizidenten jegliche Hilfeleistung gem §78 StGB verwehrt wird, besteht für sterbewillige Bürger Österreichs die Möglichkeit, zumindest legale Suizidhilfe im Ausland zu erhalten, soweit sie wiederum nicht durch einen (in Österreich wohnhaften) österreichischen Staatsbürger erfolgt. Österreichische Staatsbürger sind insofern idR gezwungen, alleine – ohne ihre Familienangehörigen oder sonstige Vertrauenspersonen – ins Ausland zu reisen, wenn sie dort Suizidhilfe in Anspruch nehmen wollen, um die (österreichischen) Angehörigen nicht der Gefahr einer Strafverfolgung auszusetzen. Das deutsche Bundesverwaltungsgericht führt in der bereits zitierten Entscheidung vom 2. 3. 2017, BVerwG 3 C 19.15 OVG 13 A1299/14 unter Rz 36 dazu Folgendes aus:

 

'Auf die Möglichkeit, die angestrebte Selbsttötung mit dem gewünschten Betäubungsmittel im Ausland vorzunehmen, darf die staatliche Gemeinschaft den Betroffenen ebenfalls nicht verweisen. Art1 Abs3 GG verpflichtet den Staat, den erforderlichen Grundrechtsschutz innerhalb der eigenen Rechtsordnung zu gewährleisten.'

 

178. Ob ein Österreicher die Strafbarkeit der Auslandstat dadurch zu beseitigen vermag, indem er sich vor seiner Reise in die Schweiz an seinem österreichischen Wohnsitz ins Ausland abmeldet und so eine der Strafbarkeitsbedingungen des §64 Abs1 Z7 zu beseitigen versucht, kann hier dahingestellt bleiben.

 

179. §78 StGB führt aufgrund seiner undifferenzierten Geltung auch zur Bildung einer 'Suizid-Zweiklassengesellschaft', die weder verfassungsrechtlich noch ethisch vertretbar sein kann. Personen, die für die notwendigen Reise- und Aufenthaltskosten für sich sowie für etwaige Begleiter, Ärztegutachtenkosten, Suizid-Hilfekosten sowie Rückholkosten des eigenen Leichnams aufkommen können, dürfen und können selbstbestimmt, professionell begleitet und würdevoll sterben. Weniger vermögende Betroffene, welche die für einen assistierten Suizid im Ausland notwendigen ca EUR 10.000,-- nicht aufbringen können, sind in Österreich sich selbst überlassen. [Hier sei allerdings angemerkt, dass insb etwa die Statuten des Vereins D******* es in Art9 Abs6 vorsehen, Mitgliedern, die in bescheidenen wirtschaftlichen Verhältnissen leben, Reduktionen oder gar Erlass von Mitgliederbeiträgen (und damit auch von zusätzlichen Mitgliederbeiträgen für Vorbereitung und Durchführung von Freitodbegleitungen [assistierten Suiziden / Suizidhilfe]) vorsehen, diesem Argument nicht im Wege stehen: Die Aufwendungen, die für Vorbereitung einer solchen Reise und die Reise selbst können ebenfalls sehr ins Gewicht fallen. Vgl zum Ganzen auch die Studie 'The True Cost – How the UK outsources death to D*******': https://features.dignityindying.org.uk/true-cost-dignitas ] Aber auch wenn die finanziell verfügbaren Mittel einer Person keine Rolle spielen würden, bleibt die Diskriminierung bestehen: Personen, welche aufgrund ihres gesundheitlichen Zustandes schlicht nicht mehr reisefähig sind, ein mehrmonatiges Vorbereitungsprozedere hin zu einer Suizidhilfe in der Schweiz und mehrere Tage Aufenthalt dort nicht mehr durchstehen können, sind gegenüber Personen, die solches noch können, benachteiligt.

 

180. Es handelt sich im konkreten Fall um eine mittelbare Diskriminierung, bei der eine nur scheinbar neutral wirkende Maßnahme typischerweise die Benachteiligung einer Gruppe zur Konsequenz hat. Im konkreten Fall benachteiligt §78 StGB jedenfalls den Kreis der behinderten Personen, die nämlich einen Suizid nicht mehr alleine durchführen kann und daher der Assistenz einer dritten Person bedarf, welche (Letztere) dadurch wieder – völlig zu Unrecht – mit strafrechtlichen Folgen rechnen muss, und sie begünstigt den Kreis der vermögenden gegenüber dem Kreis der nicht so vermögenden Suizidenten.

 

181. Zumindest §78 StGB stellt somit eine diskriminierende Rechtsnorm dar, die sowohl hinsichtlich ihrer Bandbreite (Weltanschauungs- und Religionsfreiheit, Behinderung, Vermögen), als auch hinsichtlich ihrer Reichweite (Eingriff in die denkbar privateste Sphäre einer Person) in der gesamten österreichischen Rechtsordnung vergeblich ihresgleichen sucht.

 

182. Es ist sachlich auch nicht begründbar, weshalb ein Mensch, der sich selbst das Leben nehmen kann, das straffrei tun kann und ein anderer Mensch, der sich aufgrund von Einschränkungen (Behinderungen) nicht mehr selbst das Leben nehmen kann, das nicht tun können soll, ohne einen Dritten einer Strafbarkeit auszusetzen.

 

183. Diese Strafbarkeit des Dritten beginnt strenggenommen wohl schon dort, wo der Dritte dem Sterbewilligen auf dessen Ersuchen dabei hilft, etwa eine 'Anmeldung' und 'Reise' zu einer Suizidhilfeorganisation ins Ausland zu organisieren oder mit diesem mitreist, und ihm alleine dadurch bei der Umsetzung seines Vorhabens behilflich ist.

 

184. Nach der Rsp des OGH ist es 'für den Begriff einer Mitwirkung am Selbstmord durch Hilfeleistung in der Bedeutung des §139 b StG (nunmehr §78 StGB) entsprechend den Grundsätzen der Beihilfe im Sinne des §5 StG (nunmehr §12 StGB) nicht erforderlich, daß ohne die betreffende Hilfeleistung die Ausführung des Vorhabens etwa überhaupt unmöglich gewesen wäre.' (vgl RIS-Justiz RS0092196).

 

185. Auch dies ist aber in Anbetracht des umfassenden grundrechtlich gewährleisteten Schutzes vor Diskriminierung nicht mehr haltbar.

 

4.10. Zur Praktikabilität und Effizienz des Grundrechtsschutzes

 

186. Wie schon vorne in Rz 120 ausgeführt, sind nach der Artico-Rechtsprechung des EGMR die Rechte und Freiheiten, die in der EMRK enthalten sind, jedenfalls als praktisch und effizient gedacht, und nicht als theoretisch oder gar illusorisch. [vgl den Volltext der Entscheidung unter http://hudoc.echr.coe.int/eng?i=001-57424 , Zf 33]

 

187. Wie der EGMR gerade in der Sache Haas gg die Schweiz (Beschwerde Nr 31322/07), unter Verweis auf diese Rechtsprechung ausgesprochen hat, darf auch das Recht auf Suizid nicht nur in theoretischer und illusorischer Weise bestehen.

 

188. Wie bereits vorne dargestellt bedeutet das 'nackte' Recht, über Art und Zeitpunkt des eigenen Lebensendes zu entscheiden, letztlich, dass eine suizidwillige Person sich einem hohen Risiko des Scheiterns aussetzen muss, weil sie in Österreich ihren Wunsch de facto alleine und ohne professionelle Unterstützung umsetzen muss. Das ist weder praktisch noch effizient. Vielmehr muss die Rechtslage dahingehend angepasst werden, dass es einem österreichischen Arzt – wie einem Arzt in der Schweiz, in Belgien, in den Niederlanden, in Luxemburg oder im US-Bundesstaat Oregon, usw – möglich ist, ein zum Zwecke der Suizidhilfe oder Aktiven Sterbehilfe geeignetes Medikament zu verschreiben. In der Schweiz wird hierfür Natrium-Pentobarbital verwendet. Dementsprechend wäre auch das Bundesgesetz vom 2. März 1983 über die Herstellung und das Inverkehrbringen von Arzneimitteln (Arzneimittelgesetz) wie auch das Bundesgesetz über Suchtgifte, psychotrope Stoffe und Drogenausgangsstoffe (Suchtmittelgesetz) wo nötig entsprechend zu ergänzen. Insgesamt ist Rechtssicherheit für alle an einer praktischen und effizienten Umsetzung des Rechts auf Selbstbestimmung über Art und Zeitpunkt des eigenen Lebensendes involvierten Personen und Institutionen herzustellen: dem Patienten, seinen ihm Nahestehenden (Angehörige und Freunde), dem unterstützenden Arzt, der das Medikament verschreibt, und der das Medikament zur Verfügung stellenden Apotheke und dem Hersteller desselben. Andernfalls bleibt das Recht auf Suizid theoretisch und illusorisch. Es bliebe schlicht 'toter Buchstabe', nur ein Lippenbekenntnis.

 

4.11. Zur Verletzung des Bestimmtheitsgebots

 

189. §78 StGB normiert: 'Wer einen anderen dazu verleitet, sich selbst zu töten, oder ihm dazu Hilfe leistet, ist mit Freiheitsstrafe von sechs Monaten bis zu fünf Jahren zu bestrafen.' Die Rspr hat dazu folgenden Leitsatz (OGH 11Os83/98) entwickelt: 'Selbstmord' iSd §78 StGB setzt zum Unterschied von 'Fremdtötung' voraus, dass der zur Selbsttötung Entschlossene selbst Hand an sich legt, mithin die den Tod auslösende Handlung unmittelbar an sich vornimmt.'

 

190. Dazu steht wohl das strafrechtliche Verständnis von 'Verleiten' im Widerspruch, das bedeutet, dass eine bestimmte Handlung für den Suizid nicht nur kausal geworden sein muss, sondern dass eine psychische Beeinflussung des Suizidenten erforderlich ist, die in ihm den Selbsttötungsentschluss erweckt (Moos in WK2 §78 Rz 25). Wie soll nun bei einem Entschlossenen ein Entschluss geweckt werden?

 

191. Die zweite alternative Tathandlung ist die Hilfeleistung beim 'Selbstmord', wobei darunter jeder psychische oder auch physische Beitrag iSv §12 3. Fall StGB zu verstehen ist. Dadurch reicht der Radius dieses Delikts sehr weit. Die Tathandlung des unmittelbaren Täters muss lediglich in irgendeiner Art und Weise gefördert worden sein (Moos in WK2 §78 Rz 28). Zusätzlich sei auch hier angemerkt: Ein Suizid wird, wenn überhaupt je, nicht 'aus Mordlust, zur Befriedigung des Geschlechtstriebs, aus Habgier oder sonst aus niedrigen Beweggründen', ausgeführt, um Dritte zu schädigen (wie das beim Mord der Fall ist [vgl §211 DE-StGB https://dejure.org/gesetze/StGB/211.html ]); deshalb ist das von Luther geprägte Wort eine religiös bedingte Pejorisierung einer in aller Regel durchaus verständlichen menschlichen Handlung. Wer heute noch den Begriff des Selbstmords verwendet – und dies sind meist kirchlich Gesinnte – tut dies in der Absicht, einen Menschen, der eine solche Handlung vorgenommen hat oder beabsichtigt, gewissermassen verbal in die Hölle zu schicken, wohin man eben Mörder schickt.

 

192. Dieser Tatbestand ist jedenfalls zu umfassend; so ist Hollaender darin zu folgen, wenn er schreibt, 'dem Bestimmtheitsgebot entsprechender ist es, nur derart hinreichend bestimmt formulierte Gesetze zur Maxime des Handelns der Rechtsunterworfenen zu machen, aufgrund derer die Rechtsfolgen dieses Handelns auch ohne allzu große Wertungsspielräume bei der Rechtsanwendung (sei es auf Seiten des handelnden Rechtssubjektes, sei es auf Seiten des beurteilenden Rechtspflegeorgans) klar und deutlich sind und somit unmittelbar aus den – aus diesem Grunde notwendigerweise bereits im Gesetz möglichst präzise und nicht zu weit zu fassenden – Formulierungen der gesetzlichen Tatbestände begrifflich trennscharf hervorgehen'. [Hollaender, Gerechtigkeit und Rechtsanwendung - der Gerechtigkeitsauftrag an den Gesetzesanwender, in: Scientia Nova 2004/1 (Düsseldorf[)]]

 

193. Die in §78 StGB verwendeten Begriffe 'verleiten' und 'dazu Hilfe leistet' sind daher zu unpräzise. Diese Tatsache zeigt sich auch in der untragbaren Unsicherheit in der Erfüllung dieser Strafnorm bei der zulässigen sog 'passiven Sterbehilfe' oder auch der Abgrenzung zum (straffreien) Suizid und Suizidversuch.

 

194. Dazu hat Alois Birklbauer in RdM 2016/62 bereits zutreffend Folgendes aufgezeigt: 'Da der Suizid nicht kriminalisiert ist, können die allgemeinen Beteiligungsregelungen der §§12 ff StGB nicht greifen. Insofern ist es für eine strafbare Suizidbeihilfe erforderlich, in der Strafnorm selbst das tatbestandsmäßige Verhalten zu beschreiben. Damit wird letztlich auch die Diskussion, ob als Folge einer 'akzessorischen Beteiligungsregelung' überhaupt eine Legitimation für eine Unterstützung beim Suizid bestehen kann, umgangen. §78 StGB ist – im Unterschied zur Tötung auf Verlangen (§77 StGB) – keine Privilegierung des Mordes (§75 StGB), sondern ein eigenständig vertyptes Unrecht (delictum sui generis). Von den Tathandlungen her erfordert das Verleiten zum Suizid (§78 1. Alt StGB) ein Hervorrufen des Entschlusses zum Suizid bei einem anderen und ist insofern mit der Bestimmungstäterschaft iSv §12 2. Fall StGB vergleichbar. Die Tatvariante der Hilfeleistung beim Suizid (§78 2. Alt StGB) erfasst jegliches Ermöglichen, Unterstützen oder Erleichtern des Suizids und entspricht der Beitragstäterschaft iSv §12 3. Fall StGB. Weil es sich bei §78 StGB um ein Erfolgsdelikt handelt, kann die Hilfeleistung auch durch ein Unterlassen geschehen, sofern jemand zum Handeln als 'Folge einer ihn im besonderen treffenden Verpflichtung durch die Rechtsordnung [...] verhalten ist' (vgl §2 StGB). Eine solche 'Garantenstellung' kann sich nach hM aus Gesetz, Vertrag oder freiwilliger Pflichtenübernahme (Ingerenz) ergeben. Es gibt sie bspw bei bestimmten nahen Angehörigen wie Ehepartnern (vgl §90 Abs1 ABGB) oder wechselseitig bei Eltern gegenüber ihren Kindern (vgl §137 Abs1 ABGB). Im medizinischen Bereich begründet regelmäßig der Behandlungs- bzw Betreuungsvertrag eine Garantenstellung. Nun enthält §2 StGB zwar noch insofern eine Unrechtsbegrenzung, als 'die Unterlassung der Erfolgsabwendung einer Verwirklichung des gesetzlichen Tatbildes durch ein Tun gleichzuhalten' sein muss (sog Gleichwertigkeitskorrektiv). Die dogmatische Struktur dieses Korrektivs ist aber umstritten und deren Bedeutung somit begrenzt.' [Alois Birklbauer, in RdM 2016/62, Heft 3/2016, S 84] […]

 

195. Auch Birklbauer plädiert zusammenfassend für ein[e] Novellierung zumindest der Bestimmung des §78 StGB und einen hinreichend determinierten Spielraum für Ausnahmen von der Strafbarkeit, die zum einen zwischen Verleitung zum Suizid und Hilfeleistung beim Suizid differenziert: 'Für letztere Variante ist überdies eine Straffreiheit für Angehörige und persönlich nahestehende Personen naheliegend, wenn die hinter der Unterstützung liegenden Motive für einen rechtstreuen Dritten verständlich sind. Ärztliche Unterstützung soll nach Aufklärung über palliativmedizinische Möglichkeiten, Einholung einer zweiten Meinung und Einhaltung einer bestimmten Frist zwischen Aufklärung und Unterstützung gerechtfertigt sein und das Unrecht der Tat entfallen lassen. So kann letztlich auch erreicht werden, dass Patienten gegenüber ihrem Vertrauensarzt offen über Behandlungen, die Leiden lindern, sprechen können. Ein umfassender Diskriminierungsschutz für Ärzte, die eine Unterstützung leisten oder eine solche verweigern, soll sicherstellen, dass niemand zu einer Suizidassistenz gedrängt wird. All diese Maßnahmen würden in hinreichend bestimmter Weise eine straffreie Suizidassistenz für jene Einzelfälle ermöglichen, in denen sich ein Suizid einer eindeutigen ethischen Bewertung jedenfalls entzieht.' […]

 

196. Der Gesetzgeber wäre jedenfalls verpflichtet gewesen, die Voraussetzungen der Strafbarkeit so konkret zu umschreiben, dass der Normadressat erkennen kann, welches Verhalten der Gesetzgeber sanktioniert. Letztlich ist zumindest der Straftatbestand des §78 StGB idgF auch nicht ausreichend bestimmt.

 

5. Rechtsvergleichung

 

197. Die Praxis des EGMR zeigt, dass es bei der Beurteilung menschenrechtlicher Fragen stets angezeigt ist, den Blick des Betrachters nicht nur auf das jeweilige Mitgliedsland zu richten, gegen welches die Beschwerde erhoben wird, sondern ihn auch über das Gebiet und das Recht anderer Staaten schweifen zu lassen.

 

198. So darf darauf hingewiesen werden, dass der Verfassungsgerichtshof Italiens am 24. 10. 2018 festgestellt hat, die italienische Rechtslage, welche in Art580 des italienischen Strafgesetzbuches Beihilfe zum Suizid umfassend verbiete, beachte wesentliche Rechte von Bürgern nicht ausreichend. Deshalb setzte er dem Parlament eine Frist bis zum 23. 9. 2019, um diese Rechtslage zu bereinigen; [vgl dazu den unter nachstehendem Link abrufbaren Entscheidungstext: https://www.cortecostituzionale.it/actionSchedaPronuncia.do?anno=2018&numero=207 ] der italienische Verfassungsgerichtshof hat damit in der Tendenz ähnlich entschieden, wie dies bereits das deutsche Bundesverwaltungsgericht mit seinem Urteil vom 2. März 2017, 3 C 19.15, ECLI: DE:BVerwG:2017:020317U3C19.15.0, in Bezug auf die Ermöglichung des Zugangs zu Natrium-Pentobarbital getan hat: Der Weg zum Recht über Art und Zeitpunkt des eigenen Lebensendes zu entscheiden, dies praktisch und effizient umsetzen zu können und somit dafür auch Hilfe Dritte[r] in Anspruch nehmen zu dürfen – kurz: der Weg zu vernünftiger Sterbehilfe – muss aus verfassungsrechtlichen Gründen geöffnet werden."

 

2. Die Bundesregierung erstattete eine Äußerung, in der sie zur Zulässigkeit des Antrages und zu den darin erhobenen Bedenken Folgendes ausführt:

"II. Zur Zulässigkeit:

 

1. Zur Antragslegitimation des Zweitantragstellers

 

1.1. Der Zweitantragsteller ist von den §§77 und 78 StGB aktuell weder passiv noch aktiv betroffen. In Rz 58 des Antrags wird ausgeführt, dass der Zweitantragsteller völlig gesund sei, jedoch, sollte er in Zukunft an einer schweren und/oder unheilbaren Krankheit leiden und sollten damit verbundene schwere Leidenszustände eintreten, die nur mit Schmerzmitteln und hoher Medikamentendosierung erträglich sind, selbstbestimmt und frei bestimmt entscheiden möchte, wann und auf welche Weise sein Leben endet. Die Intention des Antrages scheint daher in Bezug auf den Zweitantragsteller in einer abstrakten Überprüfung der Verfassungsmäßigkeit der angefochtenen Bestimmungen zu liegen. Damit wird aber ein aktueller Eingriff in die Rechtssphäre des Zweitantragstellers, der ihm eine Anfechtungsbefugnis nach Art140 Abs1 Z1 litc B[-]VG verliehe, nicht begründet. Ein Antrag gemäß Art140 Abs1 Z1 litc B‑VG ist nämlich nur dann zulässig, wenn der Antragsteller die Antragsvoraussetzungen im Zeitpunkt der Antragstellung erfüllt (vgl iZm der Erfüllung von Leistungsvoraussetzungen VfSlg 16.661/2002, 17.652/2005).

 

1.2. Überdies stand dem Zweitantragsteller im Hinblick auf §78 StGB ein zumutbarer Umweg offen, um seine verfassungsrechtlichen Bedenken an den Verfassungsgerichtshof heranzutragen. Der Zweitantragsteller wurde nämlich mit Urteil des Landesgerichts Wiener Neustadt vom 16. Juli 2018 wegen des Verbrechens der Mitwirkung am Selbstmord nach §78 StGB verurteilt. Er hätte daher aus Anlass eines Rechtsmittels gegen dieses Urteil einen auf Art140 Abs1 Z1 litd B‑VG gestützten Parteiantrag auf Normenkontrolle stellen können (vgl auch VfGH 24.9.2018, G244/2018, zur Zumutbarkeit, im Gerichtsverfahren die Stellung eines Antrags gemäß Art89 B‑VG beim Verfassungsgerichtshof anzuregen). Dieser Umweg wäre dem Antragsteller jedenfalls zumutbar gewesen, zumal er die strafbare Handlung bereits begangen hatte und somit ein Strafverfahren nicht mehr hätte provozieren müssen.

 

1.3. Dem Zweitantragsteller mangelt es daher an der Antragslegitimation.

 

2. Zur Antragslegitimation des Viertantragstellers

 

2.1. Der Viertantragsteller leitet seine Antragslegitimation daraus ab, dass es ihm durch die §§77 und 78 StGB verboten sei, sterbewilligen Patienten aktiv Suizidhilfe zu leisten oder sie auf deren Verlangen zu töten. Würde er dem Wunsch eines Patienten nach Suizidhilfe oder aktiver Sterbehilfe nachgehen, so würde er sich jedenfalls strafbar machen (s Rz 80 f des Antrags).

 

2.2. Die Bundesregierung stellt zur Erwägung, dass der Viertantragsteller damit keinen Eingriff in rechtlich geschützte Interessen behauptet, zumal an der Mitwirkung am Tod eines Menschen durch Mitwirkung am Selbstmord oder durch Tötung auf Verlangen von vornherein – und umso mehr in Ausübung einer wirtschaftlichen Tätigkeit, wie dies beim Viertantragsteller der Fall ist – kein legitimes rechtliches Interesse zu erkennen ist (vgl in diesem Zusammenhang das Missbrauchsverbot nach Art17 EMRK).

 

Der Viertantragsteller begründet seine unmittelbare Betroffenheit auch damit, dass ihn die angefochtenen Bestimmungen dazu zwingen würden, geschäftsfähige Sterbewillige durch lebenserhaltende Maßnahmen gegen ihren Willen weiter am Leben zu erhalten. Derartige Verpflichtungen können sich jedoch erst im Wege von – hier nicht mitangefochtenen – materiengesetzlichen und berufsrechtlichen Vorschriften aus dem Gesundheitsbereich ergeben. Nur derartige Verpflichtungen können eine Garantenstellung des Arztes begründen und damit eine Strafbarkeit nach den §§77 und 78 StGB wegen Unterlassung zur Folge haben. Auch im Zusammenhang mit allfälligen Verstößen gegen das Verbot eigenmächtiger Heilbehandlung oder der Verletzung von Standespflichten kommt ein Eingriff in die Rechtssphäre des Viertantragstellers nur aufgrund des §110 StGB bzw einschlägiger beruflicher Standespflichten in Betracht; diese Bestimmungen werden mit dem vorliegenden Antrag jedoch nicht angefochten. Durch die §§77 und 78 StGB alleine ist der Viertantragsteller als Arzt nicht verpflichtet, lebenserhaltende Maßnahmen zu setzen, sodass es ihm insoweit an der unmittelbaren Betroffenheit fehlt.

 

2.3. Aus diesen Gründen mangelt es auch dem Viertantragsteller an der Antragslegitimation.

 

3. Zum Anfechtungsumfang

 

3.1. Nach ständiger Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes soll ein Gesetzesprüfungsverfahren dazu dienen, die behauptete Verfassungswidrigkeit – wenn sie tatsächlich vorläge – zu beseitigen. Unzulässig ist ein Antrag daher dann, wenn die Aufhebung einer Bestimmung beantragt wird, welche die angenommene Verfassungswidrigkeit gar nicht beseitigen würde (VfSlg 16.191/2001, 18.397/2008, 18.891/2009, 19.178/2010, 19.674/2012; VfGH 26.11.2015, G179/2015; 14.12.2016, G573/2015 ua; jeweils mwN).

 

3.2. Ein solcher Fall liegt hier im Hinblick auf §77 StGB vor: Da es sich bei der Tötung auf Verlangen um eine gegenüber dem Mord privilegierte Form der Fremdtötung handelt […], wäre die Tötung eines Menschen auf dessen Verlangen im Falle einer Aufhebung des §77 StGB nicht straflos, sondern nach §75 StGB als Mord (mit einer Strafdrohung von zehn bis zu zwanzig Jahren oder lebenslanger Freiheitsstrafe) bzw allenfalls – bei Vorliegen der Voraussetzungen […] – nach §76 StGB als Totschlag (mit einer Strafdrohung von fünf bis zu zehn Jahren Freiheitsstrafe), also sogar strenger zu ahnden. Durch die Aufhebung des §77 StGB würde daher keine Rechtslage hergestellt, auf die die von den Antragstellern vorgebrachten Bedenken nicht mehr zuträfen. Die Antragsteller haben daher insofern den Anfechtungsumfang zu eng gewählt.

 

3.3. Aus diesem Grund ist die Bundesregierung der Auffassung, dass der Antrag hinsichtlich §77 StGB unzulässig ist.

 

4. Im Übrigen sind für die Bundesregierung keine Anhaltspunkte erkennbar, die gegen die Zulässigkeit des Antrages sprechen würden.

 

III. In der Sache:

 

1. Allgemeines

 

1.1. Die Bundesregierung verweist einleitend auf die ständige Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes, wonach dieser in einem auf Antrag eingeleiteten Verfahren zur Prüfung der Verfassungsmäßigkeit eines Gesetzes gemäß Art140 B‑VG auf die Erörterung der aufgeworfenen Fragen beschränkt ist und ausschließlich beurteilt, ob die angefochtene Bestimmung aus den in der Begründung des Antrages dargelegten Gründen verfassungswidrig ist (vgl zB VfSlg 19.160/2010, 19.281/2010, 19.532/2011, 19.653/2012). Die Bundesregierung beschränkt sich daher im Folgenden auf die Erörterung der im Antrag dargelegten Bedenken.

 

1.2. Die Rz 90-104 des Antrags enthalten grundsätzliche Ausführungen und allgemeine gesellschaftspolitische Erwägungen der Antragsteller zum Thema Sterbehilfe. Auf das Wesentliche zusammengefasst vertreten die Antragsteller die Auffassung, dass das Verbot der Sterbehilfe in Österreich religiösen Wertvorstellungen entspringe und nicht den Vorstellungen der Mehrheitsbevölkerung entspreche. In der 'Sterbehilfedebatte' würden die Autonomie im Sinne des Selbstbestimmungsrechts voll geschäftsfähiger Menschen und die Würde der Betroffenen missachtet und Fakten und Zahlen ausgeblendet. Die §§77 und 78 StGB seien zur Suizidprävention ungeeignet. Sie würden die legale Abgabe des –in der Schweiz seit 20 Jahren bei assistierten Suiziden eingesetzten –Medikaments Natrium-Pentobarbital bzw die ärztliche Assistenz und daher in zahlreichen Fällen auch einen würdigen und selbstbestimmten Tod verhindern. Die Gesetzgebung weigere sich jedoch, eine sachliche Regelung (beispielsweise nach der Gesetzeslage in der Schweiz oder dem 'Oregon-Modell') zu erlassen, obwohl sich auch schon die Bioethikkommission klar für eine Entkriminalisierung des assistierten Suizids ausgesprochen habe. Vor diesem Hintergrund erscheine es an der Zeit, sich ernsthaft mit der Frage auseinanderzusetzen, ob ein uneingeschränktes und ausnahmsloses Verbot der Suizidhilfe und der aktiven Sterbehilfe aus grund- und menschenrechtlicher Sicht und auch in Anbetracht der Fakten und Zahlen noch haltbar sei.

 

1.3. Nach Auffassung der Bundesregierung legen die Antragsteller mit diesem Vorbringen weder formal noch dem Inhalt nach verfassungsrechtliche Bedenken gegen die angefochtenen Bestimmungen dar. Sie zielen vielmehr darauf ab, eine gesellschaftspolitische Debatte über die Sterbehilfe zu führen. Die politische Auseinandersetzung mit dem Thema Sterbehilfe als solche ist jedoch nicht Gegenstand des verfassungsgerichtlichen Verfahrens gemäß Art140 B‑VG. Der Verfassungsgerichtshof hat in diesem Verfahren lediglich die Prüfung der Verfassungsmäßigkeit der angefochtenen Bestimmungen – mit denen die Tötung auf Verlangen und die Mitwirkung am Selbstmord unter Strafe gestellt werden – vor dem Hintergrund der im Antrag geäußerten verfassungsrechtlichen Bedenken zu beurteilen. Die Ausgestaltung einer Regelung, mit der Sterbehilfe in bestimmten Formen bzw unter bestimmten Voraussetzungen ermöglicht wird, ist Aufgabe der Gesetzgebung. Dies gilt insbesondere für Anpassungen der Rechtslage, wie sie die Antragsteller in Z188 des Antrags – in Form von Ergänzungen des Arzneimittelgesetzes und des Suchtmittelgesetzes – fordern.

 

Lediglich der Vollständigkeit halber weist die Bundesregierung darauf hin, dass die Frage der Sterbehilfe sehr wohl Gegenstand politischer Debatte ist. So hat sich etwa in den Jahren 2014-2015 eine parlamentarischen Enquete-Kommission mit diesbezüglichen Fragen auseinandergesetzt (vgl den Bericht der parlamentarischen Enquete-Kommission zum Thema 'Würde am Ende des Lebens', abrufbar unter https://www.parlament.gv.at/PAKT/VHG/XXV/I/I_00491/index.shtml [10.7.2019]). Aus dem Umstand, dass es in der Folge nicht zu einer Lockerung des Sterbehilfeverbots gekommen ist, können keine Rückschlüsse auf die Verfassungsmäßigkeit der Rechtslage gezogen werden. Im Übrigen dürfen die §§77 und 78 StGB nicht als isolierte Maßnahmen der Suizidprävention betrachtet werden (vgl etwa zu weiteren Aktivitäten in der Suizidprävention den Bericht 2018 des Bundesministeriums für Arbeit, Soziales, Gesundheit und Konsumentenschutz zu Suizid und Suizidprävention in Österreich, abrufbar unter https://www.sozialministerium.at/cms/site/attachments/2/3/9/CH4000/CMS1392806075313/suizidbericht_2018_korr2019.pdf [10.7.2019]).

 

1.4. Zum behaupteten Verstoß gegen die Art1, 2, 4, 7, 10 Abs1 und 21 GRC weist die Bundesregierung zunächst darauf hin, dass die Charta der Grundrechte der Europäischen Union gemäß ihrem Art51 Abs1 für die Mitgliedstaaten ausschließlich bei der Durchführung, dh im Anwendungsbereich des Unionsrechts gilt (VfSlg 19.492/2011). Dieser ist hier allerdings nicht eröffnet, zumal die §§77 und 78 StGB nicht in Umsetzung einer Richtlinie ergangen sind und sich auch sonst keine Anknüpfungspunkte ergeben, die den Anwendungsbereich des Unionsrechts eröffnen würden: Die Antragsteller begründen die Anwendbarkeit der Grundrechtecharta im Wesentlichen damit, dass sich Angehörige von Sterbewilligen bereits durch das Mitreisen oder die Mitorganisation der Ausreise eines Sterbewilligen zum Zweck der Inanspruchnahme legaler Sterbehilfe in einem anderen Mitgliedstaat der EU dem Risiko einer strafrechtlichen Verfolgung und Verurteilung nach den §§77 und 78 StGB aussetzen würden; die angefochtenen Bestimmungen würden daher in die unionsrechtlich garantierte Reisefreiheit der Antragsteller und ihrer Familienangehörigen eingreifen (s Rz 35 ff des Antrags). In solchen Fällen kommt eine Strafbarkeit nach den §§77 und 78 StGB nach Auffassung der Bundesregierung nur im Wege des §64 Abs1 Z7 StGB (bzw ggf. nach §65 Abs1 Z1 StGB) in Betracht […]. §64 Abs1 Z7 StGB wird mit dem vorliegenden Antrag jedoch nicht angefochten, sodass die ausschließlich gegen §§77 und 78 StGB gerichteten, auf die GRC gestützten Bedenken der Antragsteller von vornherein ins Leere gehen.

 

2. Zu den Bedenken im Hinblick auf die Menschenwürde (Art1 GRC):

 

2.1. Der Antragsteller behauptet einen Verstoß der angefochtenen Bestimmungen gegen Art1 der Grundrechte-Charta (GRC), demzufolge die Würde des Menschen unantastbar und zu achten und zu schützen ist.

 

2.2. Nach der Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes können die von der Grundrechte-Charta garantierten Rechte vor dem Verfassungsgerichtshof als verfassungsgesetzlich gewährleistete Rechte gemäß Art144 bzw Art144a B‑VG geltend gemacht werden und im Anwendungsbereich der Grundrechte-Charta einen Prüfungsmaßstab in Verfahren der generellen Normenkontrolle, insbesondere nach Art139 und Art140 B‑VG bilden. Dies gilt jedenfalls dann, wenn die betreffende Garantie der Grundrechte-Charta in ihrer Formulierung und Bestimmtheit verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechten der österreichischen Bundesverfassung gleicht (s VfSlg 19.632/2012).

 

2.3. Bei Art1 GRC handelt es sich um eine Garantie, die in ihrer Formulierung und Bestimmtheit nicht verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechten der österreichischen Bundesverfassung gleicht (vgl iHa 'Garantien' wie etwa Art22 oder 37 GRC VfSlg 19.632/2012). Insbesondere verbürgt Art1 GRC keine eigenständigen subjektiven Rechte; die Würde des Menschen gehört vielmehr – so die Erläuterungen zu Art1 GRC in den Erläuterungen zur Charta der Grundrechte, ABl. Nr C303/02 vom 14.12.2007 S. 17 (im Folgenden zitiert als Erläuterungen zu Art… GRC) – 'zum Wesensgehalt der in dieser Charta festgelegten Rechte' und darf daher auch bei Einschränkung eines Rechts nicht angetastet werden. Nach Auffassung der Bundesregierung ist Art1 GRC daher zwar im Zusammenhang mit der Prüfung am Maßstab anderer Garantien der Grundrechte-Charta zu beachten, bildet jedoch keinen eigenständigen Prüfungsmaßstab im Verfahren vor dem Verfassungsgerichtshof.

 

2.4. Soweit die Antragsteller eine Verletzung der Menschenwürde behaupten, verweist die Bundesregierung daher auf ihre nachstehenden Ausführungen zu den Art2, 4, 7, 10 Abs1 und 21 GRC.

 

3. Zu den Bedenken im Hinblick auf das Recht auf Leben (Art2 EMRK, Art2 GRC):

 

3.1. Die Antragsteller hegen das Bedenken, dass sich Österreicher, die legale Suizidhilfe im Ausland in Anspruch nehmen wollen, wesentlich früher 'für den Tod' entscheiden müssten, als wenn dieselbe Möglichkeit zu Hause zugänglich wäre. Wer für eine Freitodbegleitung erst ins Ausland reisen müsse, sei auch gezwungen, möglicherweise den eigenen Sterbe- bzw Todestag wesentlich früher anzusetzen, als dies der Fall wäre, wenn er bzw sie daheim in Österreich versterben könnte. Dies treffe insbesondere bei einer 'letzten Reise in die Schweiz' zu, da die dort erlaubte Suizidhilfe bedinge, dass die sterbewillige Person in der Lage sei, den letzten Akt zur Herbeiführung des eigenen Todes selbst auszuführen.

 

3.2. Nach der Rechtsprechung des EGMR kann Art2 EMRK ohne eine Entstellung der Sprache nicht dahingehend interpretiert werden, dass er das diametral entgegengesetzte Recht – nämlich das Recht zu sterben – gewährleistet. Aus Art2 EMRK kann auch kein Recht auf Selbstbestimmung iSd Rechts, zwischen Leben und Tod zu wählen, abgeleitet werden. Art2 EMRK gewährleistet kein Recht zu sterben, weder durch Dritte noch mit Unterstützung der Behörden (s EGMR 29.7.2002, Pretty gegen das Vereinigte Königreich, Appl 2346/02, Rz 39‑41).

 

3.3. Da das Recht auf Leben kein negatives Recht zu sterben beinhaltet, kommt eine Verletzung des Art2 EMRK durch die strafrechtliche Sanktionierung von vornherein nicht in Betracht. Sterbewillige werden durch die angefochtenen §§77 und 78 StGB auch nicht zu einem früheren Tod im Ausland gezwungen, sondern lediglich daran gehindert, Sterbehilfe im Inland (bzw nach Maßgabe der §§63-65 StGB gegebenenfalls auch darüber hinaus) legal in Anspruch zu nehmen. Dass Sterbewillige durch die Rechtsordnung eines anderen Staates dazu veranlasst werden könnten, dort nach Maßgabe der gesetzlichen Vorgaben legale Sterbehilfe in Anspruch zu nehmen, liegt außerhalb der Ingerenz der österreichischen Gesetzgebung. Eine Verpflichtung, Sterbehilfe im Inland unter denselben (oder gar niedrigschwelligeren) Bedingungen zu ermöglichen, wird dadurch nicht begründet.

 

3.4. Die behauptete Verletzung des Art2 EMRK – sowie dem dieser Bestimmung entsprechenden Art2 GRC (vgl die Erläuterungen zu Art2 GRC; VfSlg 19.632/2012) – liegt daher nicht vor.

 

4. Zu den Bedenken im Hinblick auf das Verbot unmenschlicher oder erniedrigender Strafe oder Behandlung (Art3 EMRK, Art4 GRC):

 

4.1. Die Antragsteller behaupten, dass Betroffene einer erniedrigenden Behandlung unterworfen würden, weil die §§77 und 78 StGB die Ausübung des Rechts, über Art und Zeitpunkt des eigenen Lebensendes zu bestimmen, faktisch verhindern würden. Es gebe keinen sachlichen Grund, voll geschäftsfähigen Betroffenen den Zugang zu einer letalen Dosis Natrium-Pentobarbital bzw die ärztliche Assistenz, und daher in zahlreichen Fällen auch einen würdigen und selbstbestimmten Tod, zu verweigern, solches in das Belieben anderer Menschen zu stellen und damit ihrer eigenen Entscheidungsmacht zu entziehen. Dies führe bei den Betroffenen unweigerlich zu Gefühlen der Ohnmacht und des Ausgeliefert-seins. Die Weigerung des österreichischen Gesetzgebers, Suizidhilfe zu gestatten, verletze Art3 EMRK und Art4 GRC.

 

4.2. Art3 EMRK muss nach der Rechtsprechung des EGMR in Einklang mit Art2 EMRK ausgelegt werden, der keinen Anspruch eines Individuums gegen den Staat gewährt, seinen Tod zuzulassen oder zu erleichtern. Aus Art3 EMRK kann keine positive Verpflichtung abgeleitet werden, legale Möglichkeiten für einen assistierten Suizid zur Verfügung zu stellen (vgl EGMR Pretty, Z54-56).

 

4.3. Vor dem Hintergrund dieser Rechtsprechung stellt die strafrechtliche Sanktionierung der Sterbehilfe durch die §§77 und 78 StGB nach Auffassung der Bundesregierung keine unmenschliche Behandlung dar (s auch EGMR Pretty, Z56, zur Strafbarkeit des Ehepartners im Falle eines assistierten Suizids). Entgegen dem Antragsvorbringen wird der Zugang zu Sterbehilfe auch nicht der Entscheidung Dritter überlassen. Für die Rechtsunterworfenen ist aufgrund der §§77 und 78 StGB eindeutig erkennbar, dass die Tötung auf Verlangen und die Mitwirkung am Selbstmord in Österreich (bzw nach Maßgabe der §§63 bis 65 StGB gegebenenfalls auch im Ausland) strafbar sind und Sterbehilfe (mit Ausnahme indirekter aktiver Sterbehilfe und passiver Sterbehilfe; […]) daher nicht beansprucht werden kann. Dieser Umstand mag von Betroffenen zwar als unbefriedigend empfunden werden; eine erniedrigende Behandlung ist darin jedoch nicht zu erblicken, zumal Betroffene in Anbetracht der klaren Rechtslage in die Lage versetzt werden, ihren Vorstellungen entsprechende andere Dispositionen (die – wenngleich dies dem Ziel des Sterbehilfeverbots zuwiderläuft – auch in einem Suizid ohne Fremdhilfe oder einer Inanspruchnahme legaler Sterbehilfe im Ausland bestehen können) zu treffen. Auch sonst bestehen keine Anhaltspunkte dafür, dass das Verbot der Sterbehilfe gegen das Verbot der Folter oder unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung verstieße.

 

4.4. Eine Verletzung von Art3 EMRK – sowie des gleichlautenden Art4 GRC (vgl VfSlg 19.632/2012) – liegt daher nicht vor.

 

5. Zu den Bedenken im Hinblick auf das Recht auf Achtung des Privat-und Familienlebens (Art8 EMRK, Art7 GRC):

 

5.1. Nach Auffassung der Antragsteller wird das im Rahmen des Rechts auf Achtung des Privatlebens geschützte Selbstbestimmungsrecht im Hinblick auf die Beendigung des eigenen Lebens durch die §§77 und 78 StGB in unzulässiger Weise eingeschränkt. Ein uneingeschränktes Verbot der Sterbehilfe sei durch keinen der in Art8 Abs2 EMRK genannten Zwecke gerechtfertigt.

 

5.2. Das Recht auf Achtung des Privatlebens iSd Art8 EMRK umfasst auch das Recht des Einzelnen, zu entscheiden, auf welche Art und zu welchem Zeitpunkt sein Leben endet, vorausgesetzt, dass er oder sie in der Lage ist, in dieser Frage frei eine Entscheidung zu treffen und dementsprechend zu handeln (s EGMR 21.1.2011, Haas gegen die Schweiz, Appl 31322/07, Z51). Gleichzeitig sind Behörden aufgrund des Art2 EMRK dazu verpflichtet, vulnerable Personen auch gegen Handlungen zu schützen, mit denen sie ihr eigenes Leben gefährden; sie sind dazu verpflichtet, eine Person daran zu hindern, sich selbst das Leben zu nehmen, wenn die Entscheidung nicht frei und im vollen Verständnis dessen, was auf dem Spiel steht, getroffen wurde (EGMR Haas, Z54).

 

5.3. Das Bedenken der Antragsteller trifft nach Auffassung der Bundesregierung nicht zu. Das Verbot der Sterbehilfe stellt zwar einen Eingriff in das im Rahmen des Privatlebens geschützte Selbstbestimmungsrecht über Zeitpunkt und Art der Beendigung des eigenen Lebens dar; dieser Eingriff ist jedoch aus Sicht der Bundesregierung zur Erreichung der damit verfolgten Ziele gerechtfertigt:

 

5.3.1. Einleitend ist zu bemerken, dass aus den von den Antragstellern zur Begründung ihres Bedenkens in Rz 126 ff des Antrags zitierten Entscheidungen des EGMR in den Fällen Gross gegen die Schweiz, Appl 67810/10, und Lambert ua gegen Frankreich, Appl 46043/14, sowie des deutschen Bundesverwaltungsgerichts vom 2.3.2017, BVerwG 3 C19.15, für den vorliegenden Fall nichts zu gewinnen ist: Das (in Rz 126 des Antrags unzutreffend mit 30. September 2019 datierte) Kammerurteil des EGMR vom 14. Mai 2013 im Fall Gross hat infolge der Zuweisung an die Große Kammer keine Rechtskraft erlangt. Die Beschwerde wurde in der Folge mit Beschluss der Großen Kammer vom 30. September 2014 wegen Missbrauchs des Beschwerderechts für unzulässig erklärt. Ungeachtet dessen ist aus den in Rz 126 des Antrags zusammenfassend wiedergegebenen Erwägungen aus dem Kammerurteil des EGMR aber auch deshalb nichts zu gewinnen, weil die österreichische Rechtslage mit der dem Fall Gross zugrundeliegende Schweizer Rechtslage – die Sterbehilfe unter bestimmten Voraussetzungen erlaubt – nicht vergleichbar ist. Aus dem Urteil des EGMR [GK] vom 5. Juni 2015 im Fall Lambert ua ist für den vorliegenden Fall ebenfalls nichts zu gewinnen, zumal dieser Fall den Abbruch von Maßnahmen der künstlichen Lebenserhaltung betraf (so auch VfSlg 20.057/2016). Das Urteil des deutschen Bundesverwaltungsgerichts ist zu Art2 Abs1 iVm Art1 Abs1 des (deutschen) Grundgesetzes ergangen, sodass daraus für die österreichische Verfassungsrechtslage nichts abzuleiten ist (s zur Vergleichbarkeit der österreichischen mit anderen Rechtsordnungen auch Pkt. III.10.).

 

5.3.2. Für die Bundesregierung steht außer Frage, dass das Verbot der Sterbehilfe gewichtigen legitimen Interessen – nämlich dem Schutz des Lebens anderer – dient und zur Erreichung dieses Ziels auch geeignet ist. Aufgrund des Art2 EMRK ist der Staat nicht nur berechtigt, sondern – im Hinblick auf vulnerable Personen – auch dazu verpflichtet, Maßnahmen zum Schutz vor Gefährdungen des eigenen Lebens zu ergreifen (vgl EGMR Haas, Z54). Die strafrechtliche Sanktionierung der Tötung auf Verlangen und der Mitwirkung am Selbstmord ist auch geeignet, Rechtsunterworfene davon abzuhalten, auf diese Weise am Tod einer anderen Person mitzuwirken. Der Umstand, dass dadurch möglicherweise nicht jeder Suizid oder die Inanspruchnahme von Sterbehilfe im Ausland verhindert werden kann, oder auch andere Maßnahmen zur Verhinderung von Suiziden geeignet sind, ändert nichts an der grundsätzlichen Eignung der Maßnahme zum Schutz des Lebens.

 

5.3.3. Regelungen im Zusammenhang mit der Frage der Sterbehilfe erfordern eine Abwägung zwischen dem Schutz des Lebens und dem Selbstbestimmungsrecht. Bei der Festlegung, ob und inwieweit aktive Sterbehilfe durch die Rechtsordnung erlaubt oder unter Strafe gestellt wird, handelt es sich um eine höchst sensible rechtspolitische Entscheidung. Der Gesetzgebung kommt dabei – aufgrund der Bedeutung der betroffenen Rechtsgüter, aber auch mit Blick auf die Diversität gesellschaftlicher, religiöser und weltanschaulicher Wertvorstellungen zu dieser Frage – ein weiter rechtspolitischer Gestaltungsspielraum zu. Dies wird auch durch die – zu §78 StGB ergangene – Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes bestätigt, der zufolge der Gesetzgebung bei der Bewertung des Unrechtsgehalts einer Tat und der Festlegung der Strafdrohung ein weiter rechtspolitischer Gestaltungsspielraum zukommt (s VfSlg 20.057/2016 mwH).

 

5.3.4. Aus dem Umstand, dass andere Rechtsordnungen Sterbehilfe in bestimmten Formen erlauben, können keine Rückschlüsse auf die Verfassungsmäßigkeit der österreichischen Rechtslage im Lichte des Art8 EMRK gezogen werden. Der EGMR geht nämlich vor dem Hintergrund des fehlenden Konsenses unter den Vertragsstaaten – die in der Mehrzahl jegliche Form der Suizidbeihilfe verbieten würden – von einem weiten Ermessensspielraum der Vertragsstaaten in dieser Frage aus (s EGMR Haas, Z55; EGMR 19.7.2012, Koch gegen Deutschland, Appl 497/09, Z70). Insbesondere überlässt der EGMR die Regelung von Handlungen, die gegen das Leben und die Sicherheit anderer Personen gerichtet sind, im Wege des Strafrechts den Vertragsstaaten: Es obliege in erster Linie den Staaten, das Risiko und die Wahrscheinlichkeit von Missbräuchen im Falle einer Lockerung des Verbots der Beihilfe zum Selbstmord oder der Zulassung von Ausnahmen zu beurteilen (s EGMR Pretty, Z74).

 

5.3.5. Nach Auffassung der Bundesregierung hat die Gesetzgebung mit den angefochtenen Bestimmungen ihren rechtspolitischen Gestaltungsspielraum nicht überschritten. Das Risiko von Willensmängeln oder Missbrauch im Zusammenhang mit Sterbehilfe kann zwar durch begleitende Maßnahmen erheblich reduziert, jedoch nicht gänzlich beseitigt werden. Gleichzeitig kann ein einmal eingetretener Verlust des Lebens nicht mehr rückgängig gemacht werden. Vor diesem Hintergrund ist es aus Sicht der Bundesregierung nicht unverhältnismäßig, wenn die Gesetzgebung dem Schutz des Lebens größeres Gewicht beimisst als dem Willen eines lebensmüden Menschen, auf unnatürliche Weise aus dem Leben zu scheiden, und deshalb die Tötung auf Verlangen und die Mitwirkung am Selbstmord auch dann unter Strafe stellt, wenn dies im Einzelfall dem Wunsch des Sterbewilligen zuwiderläuft.

 

Überdies wird dem Selbstbestimmungsrecht hinsichtlich des eigenen Todes in der Ausgestaltung der §§77 und 78 StGB in angemessenem Ausmaß Rechnung getragen. Der gegenüber anderen Tötungsdelikten geringere Unrechtsgehalt der Tat, der sich daraus ergibt, dass die Tathandlung einem Wunsch des Opfers entspricht, spiegelt sich im gegenüber anderen Tötungsdelikten deutlich niedrigeren Strafrahmen wider (vgl idZdie ErlRV 30 BlgNR XIII. GP 196 f). Nach Maßgabe der Umstände des Einzelfalls kann überdies die Mindeststrafgrenze auf das Mindestmaß von einem Tag Freiheitsstrafe herabgesetzt (§41 Abs1 Z5 StGB), die Freiheitsstrafe bedingt nachgesehen (§43 StGB) oder eine Geldstrafe anstelle der Freiheitsstrafe verhängt werden (§37 StGB; […]). Im Ergebnis bedeutet das, dass Sterbehilfe als verpönte Handlung zwar strafbar ist, jedoch nur mit einer sehr geringen Strafe geahndet wird, wenn dies aufgrund der Umstände im Einzelfall geboten ist. Von den §§77 und 78 StGB unberührt bleiben der – straflose – Suizid ohne Fremdhilfe sowie die indirekte aktive […] und die passive Sterbehilfe […], durch die Sterbenden erforderlichenfalls auch lebensverkürzende medizinische Schmerzlinderung bzw ein Abbruch lebenserhaltender Behandlung ermöglicht wird. In Bezug auf die Ablehnung medizinischer Behandlungen kann das Selbstbestimmungsrecht mittels Patientenverfügung – auch für die Zukunft – verbindlich ausgeübt werden […]. Aus Sicht der Bundesregierung ist das in den §§77 und 78 StGB verankerte Verbot der Sterbehilfe aus diesen Gründen gerechtfertigt (s zu einem Pauschalverbot der Beihilfe zum Suizid auch EGMR Pretty, Z76).

 

5.3.6. Soweit die Antragsteller in diesem Zusammenhang auch eine Diskriminierung nach der Dauer der verbleibenden Lebenserwartung behaupten, verweist die Bundesregierung auf ihre Ausführungen zum behaupteten Verstoß gegen das Diskriminierungsverbot in Pkt. III.7.3.

 

5.3.7. Die Erst- bis Drittantragsteller behaupten überdies eine Verletzung des Rechts auf Achtung des Familienlebens, weil sterbewillige Personen nicht nur gezwungen würden, zur würdigen und selbstbestimmten Beendigung ihres Lebens Österreich zu verlassen, sondern auch dazu, die Ausreise und letztlich auch den Suizid alleine – nämlich ohne die zum Beistand, zur Hilfe oder zur Unterstützung bereiten Familienangehörigen oder weiteren ihnen nahestehenden Personen – vorzunehmen. Es werde ihnen unmöglich gemacht, würdig und selbstbestimmt im Kreis ihrer Familienangehörigen sterben zu können.

 

5.3.8. Aus Sicht der Bundesregierung ist der Sitz dieses Bedenkens im – nicht mitangefochtenen – §64 Abs1 Z7 StGB gelegen. Erst aufgrund dieser Bestimmung kommt eine Strafbarkeit von Familienangehörigen nach den §§77 und 78 StGB durch Beistand bei oder gar Mitwirkung an (legaler) Sterbehilfe im Ausland überhaupt in Betracht. Ungeachtet dessen sind allfällige Eingriffe in das Recht auf Achtung des Familienlebens, die darin bestehen, dass die Mitwirkung Familienangehöriger auch bei Sterbehilfe im Ausland strafrechtlich sanktioniert wird, nach Auffassung der Bundesregierung bereits aus den im Hinblick auf das Recht auf Achtung des Privatlebens dargelegten Gründen sachlich gerechtfertigt. Wie bereits […] dargelegt, trägt §64 Abs1 Z7 StGB dem Schutzprinzip und dem aktiven Personalitätsprinzip Rechnung. Dadurch wird verhindert, dass Österreicher mit Wohnsitz oder gewöhnlichem Aufenthalt im Inland zur Begehung einer strafbaren Handlung gegen einen anderen Österreicher, der ebenfalls seinen Wohnsitz oder gewöhnlichen Aufenthalt im Inland hat, in das Ausland ausweichen.

 

5.3.9. Soweit die Antragsteller behaupten, dass die Schaffung bzw Beibehaltung eines Straftatbestandes nicht das gelindeste Mittel darstelle, um in einer demokratischen Gesellschaft den Schutz der Rechte anderer zu gewährleisten, verweist die Bundesregierung auf ihre obenstehenden Ausführungen zum rechtspolitischen Gestaltungsspielraum der Gesetzgebung (Pkt. III.5.3.3. ff). Der Umstand, dass ein Schutz der Rechte anderer auch auf andere Weise verfolgt werden könnte, macht die von der Gesetzgebung getroffenen Maßnahmen nicht unverhältnismäßig.

 

5.3.10. Die behauptete Verletzung des Art8 EMRK – sowie des gleichlautenden Art7 GRC (vgl VfSlg 19.632/2012) – liegt daher nicht vor.

 

6. Zu den Bedenken im Hinblick auf die Gedanken-, Gewissens- und Religionsfreiheit (Art9 EMRK, Art10 Abs1 GRC):

 

6.1. Die Antragsteller hegen das Bedenken, dass die §§77 und 78 StGB ihnen eine spezifische Weltanschauung bezüglich der Sterbehilfe aufzwingen und daher Art9 EMRK sowie Art10 Abs1 GRC verletzen würden.

 

6.2. Mit diesem Bedenken zeigen die Antragsteller keinen Eingriff in die Gedanken-, Gewissens- und Religionsfreiheit auf. Die bloße Inanspruchnahme oder Leistung von Sterbehilfe – ohne Zusammenhang mit der Ausübung einer Religion oder Weltanschauung iSd Art9 Abs1 EMRK – stellt für sich genommen keine durch Art9 Abs1 EMRK geschützte Handlung dar (vgl EGMR Pretty, Z82); dass ein Zusammenhang mit einer Religion oder Weltanschauung bestünde, wird im Antrag nicht behauptet und ist auch sonst nicht erkennbar. Auch die Sanktionierung der Tötung auf Verlangen und der Mitwirkung am Selbstmord kann nicht als Zwang zu einer bestimmten Weltanschauung verstanden werden. Sie ist lediglich das Ergebnis der – innerhalb ihres rechtspolitischen Gestaltungsspielraums getroffenen – Abwägungsentscheidung der Gesetzgebung, in Bezug auf Sterbehilfe dem Schutz des Lebens höheres Gewicht einzuräumen als dem Selbstbestimmungsrecht des Einzelnen. Auch aus der Verwendung des Begriffs 'Selbstmord' in §78 StGB kann eine bestimmte weltanschauliche Haltung nicht abgeleitet werden. Ganz im Gegenteil wurden in §78 StGB im Hinblick auf die Straflosigkeit des Selbstmords zur Beschreibung des Tatbestandes anstelle der in §12 StGB verwendeten Begrifflichkeiten – die stets an eine strafbare Handlung anknüpfen – gezielt die Begriffe 'verleiten' und 'Hilfe leisten' gewählt, um den Unterschied gegenüber der allgemeinen Bestimmungs- bzw Beitragstäterschaft zum Ausdruck zu bringen (vgl […] ErlRV 30 BlgNR XIII. GP  196 f).

 

6.3. Die behauptete Verletzung des Art9 EMRK – sowie des gleichlautenden Art10 Abs1 EMRK (vgl VfSlg 19.632/2012) – liegt daher nicht vor.

 

7. Zu den Bedenken im Hinblick auf das Diskriminierungsverbot (Art14 EMRK, Art21 GRC):

 

7.1. Die Antragsteller behaupten, dass die §§77 und 78 StGB gegen das Diskriminierungsverbot verstoßen, weil der Suizid(versuch) einer nicht behinderten Person straffrei, der Suizid(versuch) einer behinderten Person, die aufgrund dieses Umstands dafür allenfalls eine Handlung oder Hilfeleistung eines Dritten in Anspruch nehmen müsse, jedoch mit einer Strafe gegen die hilfeleistende Person verbunden sei. Die Möglichkeit, einen sicheren, quallosen und würdigen Tod selbstbestimmt herbeizuführen, hänge primär von der körperlichen Verfassung des Sterbewilligen und seinem finanziellen Spielraum ab.

 

7.2. Das Diskriminierungsverbot nach Art14 EMRK ist schon dem Wortlaut der Bestimmung nach, wonach der 'Genuß der in der vorliegenden Konvention festgelegten Rechte und Freiheiten […] ohne Benachteiligung zu gewährleisten' ist, auf die Rechte der Konvention bezogen. In Bezug auf diese Rechte und Freiheiten ist jede Diskriminierung untersagt. Nach der Rechtsprechung des EGMR stellt Art14 EMRK somit lediglich eine Ergänzung der übrigen materiellrechtlichen Bestimmungen der EMRK und der Protokolle dazu dar. Die Bestimmung hat keine eigenständige Existenz (vgl EGMR 3.2.2011, Sporer gg. Österreich, Appl 35637/03, Z67 mwN; sowie die Nachweise bei Grabenwarter/Pabel, EMRK6, §26 Rz 4).

 

7.3. Ungeachtet dessen, dass die Antragsteller ihre Diskriminierungsbedenken nur auf Art14 EMRK – ohne Bezugnahme auf ein bestimmtes anderes Konventionsrecht – stützen, bestehen nach Auffassung der Bundesregierung keine Anhaltspunkte für einen Verstoß gegen das Diskriminierungsverbot iVm den übrigen im Antrag geltend gemachten Konventionsrechten. Die §§77 und 78 StGB gelten gleichermaßen für alle Personen, ohne nach den körperlichen oder finanziellen Möglichkeiten des Sterbewilligen zu differenzieren. Es ist aus dem Blickwinkel des Diskriminierungsverbots auch nicht unsachlich, im Zusammenhang mit den §§77 und 78 StGB keine Ausnahme für Personen, die zu einem Suizid ohne fremde Hilfe physisch nicht in der Lage sind, vorzusehen, zumal es sich dabei um eine besonders vulnerable Personengruppe handelt, hinsichtlich derer aufgrund des Art2 EMRK besondere Schutzpflichten bestehen (vgl EGMR Haas, Z54). Eine solche Ausnahme würde den Schutz des Lebens dieser Personengruppe ernsthaft schwächen und das Missbrauchsrisiko erheblich vergrößern. Auch der EGMR geht aus diesem Grund davon aus, dass nach Art14 EMRK zwingende Gründe dafür bestehen, nicht zwischen Personen zu unterscheiden, die in der Lage sind, ohne Hilfe Suizid zu begehen, und solchen, die dazu nicht in der Lage sind (s EGMR Pretty, Z88).

 

7.4. Eine Diskriminierung im Zusammenhang mit den Kosten für einen unterstützten Suizid im Ausland kommt schon deshalb nicht in Betracht, weil Österreich den Zugang zu Sterbehilfe generell nicht ermöglicht und dazu – wie bereits in Pkt. III.3.3. näher dargelegt – auch nicht verpflichtet ist.

 

7.5. Die Antragsteller hegen überdies Bedenken gegen die Unterscheidung zwischen Suizid in Österreich (wo die Mitwirkung am Suizid nach §78 StGB jedenfalls strafbar sei) und Suizid im Ausland (wo sterbewillige Bürger Österreichs legale Suizidhilfe erlangen könnten, soweit sie nicht durch einen in Österreich wohnhaften österreichischen Staatsbürger erfolge). Diesbezüglich ist zunächst zu bemerken, dass sich die unterschiedliche Anwendbarkeit der österreichischen Strafgesetze (einschließlich der §§77 und 78 StGB) auf Inlands- bzw Auslandssachverhalte aus den – hier nicht angefochtenen – §§62 bis 65 StGB ergibt und die diesbezüglichen Bedenken ihren Sitz somit dort und nicht in den angefochtenen §§77 und 78 StGB haben. Ungeachtet dessen ist die Ungleichbehandlung von Inlands- und Auslandstaten im Hinblick auf den Anwendungsbereich der österreichischen Strafgesetze aus Sicht der Bundesregierung jedenfalls sachlich gerechtfertigt. Im Ausland begangene Handlungen unterliegen grundsätzlich den dortigen Strafgesetzen. Eine Strafbarkeit nach österreichischem Recht ist nur bei Vorliegen bestimmter Anknüpfungspunkte, die eine Anwendung der österreichischen Strafgesetze auch auf Auslandstaten rechtfertigen (aktives und passives Personalitätsprinzip; […]), geboten. Die unterschiedliche Behandlung von Inlands- und verschiedenen Auslandssachverhalten ist aus diesem Grund sachlich gerechtfertigt.

 

7.6. Die §§77 und 78 StGB verstoßen daher nicht gegen das Diskriminierungsverbot des Art14 EMRK sowie des daran angelehnten Art21 GRC (vgl die Erläuterungen zu Art21 GRC; VfSlg 19.632/2012).

 

8. Zu den Bedenken im Hinblick auf das Bestimmtheitsgebot (Art18 B‑VG):

 

8.1. Die Antragsteller hegen das Bedenken, dass die in §78 StGB verwendeten Begriffe 'verleitet' und 'dazu Hilfe leistet' zu unpräzise seien und gegen das Bestimmtheitsgebot verstoßen würden.

 

8.2. Nach ständiger Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes muss die Gesetzgebung – im Hinblick auf das in Art18 Abs1 B‑VG verankerte Rechtsstaatsprinzip sowie das aus Art7 EMRK folgende Gebot, Strafvorschriften so klar zu gestalten, dass es dem Einzelnen möglich ist, sein Verhalten am Gesetz zu orientieren – klar und unmissverständlich zum Ausdruck bringen, wo gestraft werden soll, und muss dem Einzelnen damit die Möglichkeit geben, sich dem Recht gemäß zu verhalten (vgl VfSlg 11.520/1987, 11.776/1988, 14.606/1996, 16.926/2012, 20.011/2015 und 20.039/2016 jeweils mwN; vgl auch Rill, Art18 B‑VG in Kneihs/Lienbacher [Hrsg.], Rill-Schäffer-Kommentar Bundesverfassungsrecht [1. Lfg. 2001] Rz 65). Diesem Erfordernis wird Genüge getan, wenn dem Wortlaut und Zweck der betreffenden Vorschrift, soweit erforderlich auch mit Hilfe der Auslegung durch die Gerichte, zu entnehmen ist, für welche Handlungen oder Unterlassungen der Einzelne strafrechtlich zur Verantwortung gezogen werden kann (vgl Grabenwarter/Pabel, EMRK6 [2016] §24 Rz 155; zur Maßgeblichkeit des Zwecks der Vorschrift vgl VfSlg 18.013/2006).

 

8.3. Nach Auffassung der Bundesregierung – und auch nach der Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes (s VfSlg 20.057/2016) – ist §78 StGB einer Interpretation im Sinne der ständigen Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes zugänglich. […] Auch der Verfassungsgerichtshof geht im zitierten Erkenntnis davon aus, dass aus dem Wortlaut des §78 StGB für den Einzelnen jedenfalls unter Heranziehung der Auslegung dieser Bestimmung durch die Strafgerichte erkennbar ist, welches Verhalten ihn strafbar werden lässt.

 

Soweit die Antragsteller den Begriff der Hilfeleistung für zu weit erachten, ist ihnen zu entgegnen, dass mit diesem Begriff nicht nur bestimmte, sondern alle potentiell möglichen Tathandlungen lückenlos erfasst werden sollen; die Verwendung abstrakter Gesetzesbegriffe ist in diesem Zusammenhang erforderlich und steht grundsätzlich im Einklang mit Art18 B‑VG sowie dem – von den Antragstellern nicht geltend gemachten – Art7 EMRK (vgl VfGH 4.10.2018, G48/2018 ua, mwH). Die Bundesregierung sieht diese Auffassung auch durch den rezenten Beschluss des Verfassungsgerichtshofes vom 6. März 2019, G355/2018, bestätigt, mit dem dieser die Behandlung eines auf Art140 Abs1 Z1 litd B‑VG gestützten Antrags auf Aufhebung der Wortfolge 'oder auf andere Weise' in §278 Abs3 StGB mit der Begründung abgelehnt hat, dass das Antragsvorbringen (ua Verstoß gegen das Bestimmtheitsgebot gemäß Art18 B‑VG und Art7 EMRK) die behaupteten Verfassungswidrigkeiten als so wenig wahrscheinlich erkennen lasse, dass er keine hinreichende Aussicht auf Erfolg habe.

 

Soweit die Antragsteller behaupten, dass ein vom Obersten Gerichtshof in seinem Urteil vom 27.10.1998, 11 Os 83/98, entwickelter Leitsatz mit dem strafrechtlichen Verständnis von 'Verleiten' im Widerspruch stehe (s Rz 189 des Antrags), übersehen sie, dass in dieser Entscheidung nur die Tathandlung des Hilfeleistens zu prüfen war (konkret ging es um die Frage, ob der zur Selbsttötung Entschlossene selbst die den Tod auslösende Handlung unmittelbar an sich vornehmen muss oder der Tatbestand des §78 StGB auch erfüllt sein kann, wenn sich die betreffende Person vor ein fremdes Auto wirft). Im Übrigen weist die Bundesregierung darauf hin, dass selbst allfällige Vollziehungsfehler der ordentlichen Gerichte – selbst wenn sie in die Verfassungssphäre reichen sollten – nicht geeignet wären, die Verfassungswidrigkeit der zugrunde liegenden Norm zu begründen.

 

8.4. §78 StGB verstößt daher nicht gegen das Bestimmtheitsgebot.

 

9. Zusammenfassend wird daher festgehalten, dass die angefochtenen Bestimmungen nach Ansicht der Bundesregierung nicht verfassungswidrig sind.

 

10. Aus den in Rz 197 f des Antrags angestellten rechtsvergleichenden Überlegungen ist für das vorliegende Verfahren nichts zu gewinnen. Der bloße Vergleich mit einer anderen – hier: mit der deutschen und der italienischen – Rechtsordnung bzw der Rechtsprechung der dortigen Verfassungsgerichte kann die Verfassungswidrigkeit einer österreichischen Regelung nämlich von vornherein nicht begründen.

 

11. Zur Anregung der Einholung einer Vorabentscheidung des EuGH weist die Bundesregierung darauf hin, dass – wie bereits in Pkt. III.1.4. näher dargelegt – hinsichtlich der Antragsteller und unter Zugrundelegung des Antragsvorbringens der Anwendungsbereich des Unionsrechts erst durch Anwendung des §64 Abs1 Z7 StGB berührt sein könnte. Da diese Bestimmung mit dem vorliegenden Antrag nicht angefochten wird und die innerstaatliche Begehung einer Straftat nach den §§77 und 78 StGB durch einen österreichischen Staatsangehörigen keinen Bezug zum Unionsrecht aufweist, besteht aus Sicht der Bundesregierung schon aus diesem Grund kein Anlass zur Stellung eines Vorabentscheidungsersuchens."

 

3. Die Antragsteller erstatteten eine Replik zur Äußerung der Bundesregierung, in der sie den Ausführungen der Bundesregierung sowohl hinsichtlich der Zulässigkeit des Antrages als auch in der Sache entgegentreten.

4. Der Verfassungsgerichtshof führte am 24. September 2020 eine öffentliche mündliche Verhandlung durch, in der insbesondere Fragen der Verfassungsmäßigkeit des §78 StGB ausführlich erörtert wurden.

5. Im Nachgang zu dieser öffentlichen mündlichen Verhandlung brachten die Antragsteller einen weiteren Schriftsatz ein, in dem sie einige der seitens der Bundesregierung in der öffentlichen mündlichen Verhandlung vorgetragenen Argumente zu entkräften suchen.

IV. Erwägungen

A. Zur Zulässigkeit

1. Gemäß Art140 Abs1 Z1 litc B‐VG erkennt der Verfassungsgerichtshof über die Verfassungswidrigkeit von Gesetzen auf Antrag einer Person, die unmittelbar durch diese Verfassungswidrigkeit in ihren Rechten verletzt zu sein behauptet, wenn das Gesetz ohne Fällung einer gerichtlichen Entscheidung oder ohne Erlassung eines Bescheides für diese Person wirksam geworden ist.

Voraussetzung der Antragslegitimation gemäß Art140 Abs1 Z1 litc B‑VG ist einerseits, dass der Antragsteller behauptet, unmittelbar durch das angefochtene Gesetz – im Hinblick auf dessen Verfassungswidrigkeit – in seinen Rechten verletzt worden zu sein, dann aber auch, dass das Gesetz für den Antragsteller tatsächlich, und zwar ohne Fällung einer gerichtlichen Entscheidung oder ohne Erlassung eines Bescheides wirksam geworden ist. Grundlegende Voraussetzung der Antragslegitimation ist, dass das Gesetz in die Rechtssphäre des Antragstellers nachteilig eingreift und diese – im Falle seiner Verfassungswidrigkeit – verletzt. Hiebei hat der Verfassungsgerichtshof vom Antragsvorbringen auszugehen und lediglich zu prüfen, ob die vom Antragsteller ins Treffen geführten Wirkungen solche sind, wie sie Art140 Abs1 Z1 litc B‑VG als Voraussetzung für die Antragslegitimation fordert (vgl zB VfSlg 11.730/1988, 15.863/2000, 16.088/2001, 16.120/2001).

Es ist darüber hinaus erforderlich, dass das Gesetz selbst tatsächlich in die Rechtssphäre des Antragstellers unmittelbar eingreift. Ein derartiger Eingriff ist nur dann anzunehmen, wenn dieser nach Art und Ausmaß durch das Gesetz selbst eindeutig bestimmt ist, wenn er die (rechtlich geschützten) Interessen des Antragstellers nicht bloß potentiell, sondern aktuell beeinträchtigt und wenn dem Antragsteller kein anderer zumutbarer Weg zur Abwehr des – behaupteterweise – rechtswidrigen Eingriffes zur Verfügung steht (VfSlg 11.868/1988, 15.632/1999, 16.616/2002, 16.891/2003).

2. Der Erst- und der Drittantragsteller begründen ihre Antragslegitimation mit ihren schweren und unheilbaren Krankheiten sowie ihrem daraus resultierenden – freien und auf Grundlage voller Geschäftsfähigkeit gefassten – Entschluss zu einem selbstbestimmten Tod im Wege der Suizidhilfe. Sowohl der Erst- als auch der Drittantragsteller führen hiezu aus, dass sie die Absicht hegen, erlaubte Sterbehilfebegleitung in einem anderen Staat (insbesondere in der Schweiz) in Anspruch zu nehmen, ihnen dies auf Grund fehlender Mobilität aber ohne fremde Hilfe nicht möglich sei (bzw im Fall des Drittantragstellers bei Fortschreiten der Krankheit künftig nicht mehr möglich sein werde).

Der Zweitantragsteller stützt seine Antragslegitimation auf die Befürchtung einer schweren bzw unheilbaren Krankheit in der Zukunft, bei deren Eintreten er selbstbestimmt und frei darüber entscheiden wolle, wann und auf welche Weise sein Leben ende. Ebenso wie der Erst- und der Drittanstagsteller wolle er sich im Falle einer solchen Krankheit nicht bis zu seinem Tod in einem Zustand der Abhängigkeit von der Hilfe Dritter befinden oder sich mit Schmerzmitteln oder anderen Medikamenten in einen geistigen "Dämmerzustand" versetzen lassen. Überdies sei der Zweitantragsteller bereits am 16. Juli 2018 rechtskräftig wegen des Verbrechens der Mitwirkung bei der Selbsttötung gemäß §78 StGB verurteilt worden.

Der Viertantragsteller begründet seine Antragslegitimation mit seiner beruflichen Tätigkeit als Arzt für Allgemeinmedizin und Facharzt für Anästhesiologie und Intensivmedizin, in deren Rahmen er immer wieder mit den Wünschen von Patienten nach Suizidhilfe oder aktiver Sterbehilfe konfrontiert sei, die er nicht erfüllen könne, ohne sich straf-, disziplinar- und standesrechtlichen Konsequenzen auszusetzen. Gleichzeitig stellten sich auch bei der durch Patientenverfügungen, Vorsorgevollmachten uä. veranlassten passiven Sterbehilfe schwierige Fragen hinsichtlich des (mutmaßlichen) Patientenwillens, die ihn als Arzt in einen rechtlichen Graubereich drängten.

3. Zum Individualantrag auf Aufhebung eines Gesetzes hat der Verfassungsgerichtshof in ständiger Rechtsprechung den Standpunkt eingenommen, der Zweck dieses Antrages bestehe darin, dass die behauptete Rechtsverletzung durch Aufhebung der bekämpften Gesetzesstelle beseitigt wird; würde sich also trotz Aufhebung der angefochtenen Gesetzesbestimmung für die Rechtsposition des Antragstellers nichts ändern, komme ihm die Antragslegitimation nicht zu (VfSlg 13.112/1992).

Hinsichtlich der Anfechtung des §77 StGB ist – wie die Bundesregierung zutreffend hervorhebt – zu beachten, dass der Straftatbestand der Tötung auf Verlangen eine gegenüber dem Mord nach §75 StGB geringere Strafdrohung enthält und eine lex specialis zu §75 StGB darstellt. Anders als §78 StGB, der einen selbstständigen Tatbestand bildet, teilen §75 und §77 StGB denselben Grundtatbestand (vgl Erläut zur RV 30 BlgNR 13. GP , 196; Birklbauer, §77 StGB, in: Höpfel/Ratz [Hrsg.], Wiener Kommentar zum StGB2, 216. Lfg. 2019, Rz 1). Hieraus folgt, dass im Fall einer Aufhebung des §77 StGB die Tötung eines anderen im Rahmen der Sterbehilfe weiterhin – gemäß §75 StGB – strafbar bliebe und das von den Antragstellern beabsichtigte Ergebnis – eine Straflosstellung der aktiven Sterbehilfe – folglich nicht erreicht werden könnte. Im Gegenteil hätte die Aufhebung des §77 StGB sogar eine von den Antragstellern keinesfalls gewollte Strafverschärfung zur Folge.

Soweit die Antragsteller die Anfechtung des §77 StGB begehren, erweist sich der Antrag als zu eng gefasst.

4. Auf dem Boden des Antragsvorbringens des Erst-, des Zweit- und des Drittantragstellers hegt der Verfassungsgerichtshof keinen Zweifel daran, dass §78 StGB deren Rechtssphäre unmittelbar und aktuell beeinträchtigt:

4.1. Das in §78 StGB normierte Verbot der Mitwirkung bei der Selbsttötung ist an Dritte – wie etwa an den Viertantragsteller – und nicht an den potenziellen Suizidwilligen gerichtet. Auch der Erst-, Zweit- und Drittantragsteller sind dennoch von der angefochtenen Bestimmung betroffen, weil die angefochtene Bestimmung den Erst-, Zweit- und Drittantragsteller nicht bloß reflexartig, sondern in rechtlich erheblicher Weise berührt. Eine rechtliche Betroffenheit durch eine Verbotsnorm ist gegeben, wenn das an Dritte gerichtete Verbot auch darauf zielt, die Handlungsfreiheit von bestimmten Personen – auch wenn sie nicht unmittelbar Normadressaten sind – einzuschränken. Das an Dritte gerichtete Verbot des §78 StGB macht es dem Erst-, Zweit- und Drittantragsteller unmöglich, die von ihnen gewünschte Mitwirkung Dritter beim Suizid in Anspruch zu nehmen. Der angefochtene §78 StGB wirkt damit wie eine an sie gerichtete Gesetzesanordnung.

4.2. Anders als die Bundesregierung in ihrer Äußerung meint, ist neben dem Erst- und Drittantragsteller auch der Zweitantragsteller von §78 StGB aktuell betroffen:

Der Zweitantragsteller bringt zu seiner Antragslegitimation vor, er sei völlig gesund, sollte er jedoch in Zukunft an einer mit schweren Leidenszuständen verbundenen Krankheit erkranken, wolle er selbstbestimmt entscheiden können, wann und auf welche Weise er sein Leben beende. Der Zweitantragsteller sei zudem bereits am 16. Juli 2018 wegen des Verbrechens der Mitwirkung bei der Selbsttötung seiner an Krebs erkrankten Ehefrau gemäß §78 StGB rechtskräftig verurteilt worden.

Nach Auffassung des Verfassungsgerichtshofes setzt die aktuelle Betroffenheit durch §78 StGB nicht voraus, dass der Zweitantragsteller zum Zeitpunkt der Antragstellung bzw der Entscheidung durch den Verfassungsgerichtshof unheilbar erkrankt ist oder aus anderen Gründen (aktuell) wünscht, durch die Mithilfe Dritter (aktuell) zu sterben. Ausgehend von dem Vorbringen des Zweitantragstellers ist dessen Rechtssphäre durch §78 StGB insoweit auch aktuell beeinträchtigt, als es ihm auf Grund der Strafbestimmung verunmöglicht wird, Vorkehrungen für ein selbstbestimmtes Sterben durch die Mithilfe eines Dritten zu treffen, weil sich dieser dadurch strafbar machen würde.

4.3. Dabei stand dem Erst-, Zweit- und Drittantragsteller auch kein anderer Weg zur Verfügung, die Frage der Verfassungskonformität der bekämpften Bestimmung an den Verfassungsgerichtshof heranzutragen. Im Hinblick auf die strafgerichtliche Verurteilung des Zweitantragstellers wegen Mitwirkung bei der Selbsttötung seiner Ehefrau stellte auch das vor dem Landesgericht Wiener Neustadt geführte Strafverfahren keinen zumutbaren Weg dar, die im vorliegenden Antrag geäußerten Bedenken an den Verfassungsgerichtshof heranzutragen. Der Zweitantragsteller hegt im vorliegenden Antrag Bedenken gegen §78 StGB aus dem Blickwinkel einer Person, die für sich selbst Sterbehilfe in Anspruch nehmen will, sodass das erwähnte Strafverfahren schon aus diesem Grund nicht als zumutbarer Weg angesehen werden kann.

5. In Bezug auf §78 StGB ist darüber hinaus auch die Antragslegitimation des Viertantragstellers zu bejahen.

§78 StGB richtet sich dem Wortlaut nach – wie bereits ausgeführt – nicht an potentielle Suizidwillige, sondern an Dritte wie den Viertantragsteller. Der Verfassungsgerichtshof hegt keine Zweifel, dass die Rechtssphäre des Viertantragstellers durch die Verbotsnorm des §78 StGB berührt wird (vgl etwa VfSlg 8009/1977, 14.321/1995, 15.127/1998, 15.665/1999, 20.002/2015). Im Falle eines Zuwiderhandelns drohte dem Viertantragsteller insbesondere eine strafgerichtliche Verfolgung. Zudem hat die Berufsausübung des Viertantragstellers "unter Einhaltung der bestehenden Vorschriften" (§49 Abs1 ÄrzteG  1998), insbesondere auch der strafrechtlichen Rahmenbedingungen, zu erfolgen.

Darüber hinaus stand dem Viertantragsteller auch kein anderer Weg zur Verfügung, die Frage der Verfassungskonformität des §78 StGB an den Verfassungsgerichtshof heranzutragen. Insbesondere ist es dem Viertantragsteller nicht zumutbar, ein Strafverfahren zu provozieren, um in dessen Rahmen eine Antragstellung gemäß Art140 Abs1 Z1 lita B‑VG anzuregen oder einen Parteiantrag gemäß Art140 Abs1 Z1 litd B‑VG zu stellen (vgl auch VfSlg 14.260/1995, 15.589/1999).

6. Da im Verfahren nichts hervorgekommen ist, was am Vorliegen der sonstigen Prozessvoraussetzungen zweifeln ließe, erweist sich der Antrag auf Aufhebung des §78 StGB als zulässig. Im Übrigen ist der Antrag als unzulässig zurückzuweisen.

B. In der Sache

Der Verfassungsgerichtshof hat sich in einem auf Antrag eingeleiteten Verfahren zur Prüfung der Verfassungsmäßigkeit eines Gesetzes gemäß Art140 B‑VG auf die Erörterung der geltend gemachten Bedenken zu beschränken (vgl VfSlg 12.691/1991, 13.471/1993, 14.895/1997, 16.824/2003). Er hat sohin ausschließlich zu beurteilen, ob die angefochtene Bestimmung aus den in der Begründung des Antrages dargelegten Gründen verfassungswidrig ist (VfSlg 15.193/1998, 16.374/2001, 16.538/2002, 16.929/2003).

Soweit der Antrag zulässig ist, ist er insoweit begründet, als er den zweiten Tatbestand in §78 StGB, dh die Wortfolge "oder ihm dazu Hilfe leistet,", betrifft. Im Übrigen ist er unbegründet:

1. Die Antragsteller begründen die Verfassungswidrigkeit der – zulässigerweise angefochtenen – Bestimmung des §78 StGB mit einem Verstoß gegen die verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechte auf Achtung der Menschenwürde gemäß Art1 GRC, auf Leben gemäß Art2 EMRK und Art2 GRC, auf Achtung des Privat- und Familienlebens gemäß Art8 EMRK und Art7 GRC, auf Gleichheit aller Staatsbürger vor dem Gesetz gemäß Art7 Abs1 B‑VG und Art2 StGG, auf Gedanken-, Gewissens- und Religionsfreiheit gemäß Art9 EMRK und Art10 Abs1 GRC sowie das Recht gemäß Art3 EMRK und Art4 GRC, keiner unmenschlichen oder erniedrigenden Strafe oder Behandlung (Folter) unterworfen zu werden, einem Verstoß gegen das Diskriminierungsverbot gemäß Art14 EMRK und Art21 GRC sowie mit einer Verletzung des Bestimmtheitsgebotes gemäß Art18 B‑VG.

Die Antragsteller verweisen hiezu zunächst auf den Ursprung des angefochtenen §78 StGB in der christlichen Morallehre und die Beeinflussung nationaler Gesetzgebung durch kirchliche bzw kirchennahe Organisationen, den Widerspruch der Bestimmung zur Mehrheitsauffassung der österreichischen Bevölkerung sowie die im internationalen Vergleich hohe Zahl an Suizidtoten und gescheiterten – oft mit schwerwiegenden Folgen verbundenen – Suizidversuchen in Österreich. Da die Europäische Menschenrechtskonvention ein "living instrument" darstelle und der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte auch statistische Daten bei seiner Grundrechtsprüfung berücksichtige, müssten diese (geänderten) Umstände bei der Prüfung der Verfassungsmäßigkeit berücksichtigt werden.

Nach Auffassung der Antragsteller zeige dabei gerade das Ausmaß an Suiziden und Suizidversuchen in Österreich, dass §78 StGB nicht geeignet sei, einen sinnvollen Beitrag zur Suizidverhinderung bzw Suizidprävention zu leisten. Im Gegenteil führe das darin enthaltene undifferenzierte Verbot bloß dazu, dass leidende Menschen genötigt würden, entwürdigende Situationen zu erdulden oder – oftmals unter Strafandrohung für die Helfer – Sterbehilfe im Ausland in Anspruch zu nehmen. Sofern die Reise ins Ausland alleine angetreten werden müsse (und falls dort lediglich die Möglichkeit der Suizidhilfe und nicht der aktiven Sterbehilfe zur Verfügung stehe), sei der Betroffene außerdem gezwungen, seinen Tod zeitlich so vorzuverlegen, dass er noch über die erforderlichen körperlichen Möglichkeiten für dieses Unterfangen verfüge.

§78 StGB erweise sich aber nicht nur als ungeeignet, sondern auch als unverhältnismäßig und könne somit den durch diese Bestimmung bewirkten Eingriff in die grundrechtlichen Positionen der Betroffenen nicht rechtfertigen. Weder schlage das von den Verfechtern eines Verbotes der Sterbehilfe vorgebrachte Missbrauchspotential noch der von diesen vorgetragene Verweis auf die Möglichkeiten der Palliativmedizin oder die Geschäftsmodelle der Sterbehilfevereine durch. In diesem Zusammenhang sei auch zu berücksichtigen, dass es in Form des Medikaments Natrium-Pentobarbital ein bewährtes Arzneimittel gebe, um einen sicheren, schmerzlosen und für den Betroffenen nicht entwürdigenden Suizid zu ermöglichen.

Dabei sei auch zu beachten, dass weder aus Art2 EMRK noch aus Art8 EMRK oder einem anderen Grundrecht eine Verpflichtung des Staates zum Verbot von Sterbehilfe bzw eine Verpflichtung des Einzelnen zum "Leben und Leiden" ableitbar sei; das Selbstbestimmungsrecht des Einzelnen gehe den staatlichen Schutzpflichten in jedem Fall vor. Die Entkriminalisierung der Sterbehilfe sei – wie Beispiele aus anderen Ländern belegten – mehr als deren Verbot geeignet, einen Beitrag zum Rückgang der Suizidrate zu leisten und damit zum Schutz des Lebens beizutragen. Hiebei könne auch ein direkter Vergleich mit der Legalisierung des Schwangerschaftsabbruches gezogen werden, der dabei geholfen habe, emotionales und psychisches Leid sowie gesundheitliche Risiken zu vermeiden.

Schließlich erweise sich der Tatbestand der "Mitwirkung am Selbstmord" gemäß §78 StGB auch als zu unbestimmt, weil die Tatbestandselemente des "Verleitens" und der "Hilfeleistung" im Hinblick auf Maßnahmen der passiven Sterbehilfe sowie auch beim Suizid und Suizidversuch keine klare Abgrenzung des Erlaubten vom Verbotenen erkennen ließen; insbesondere die Tathandlung der "Hilfeleistung" sei hiebei deutlich zu weit gefasst.

2. Die Bundesregierung begegnet diesem Vorbringen – zusammengefasst – damit, dass nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte weder Art2 EMRK noch Art3 EMRK oder den korrespondierenden Rechten der Grundrechte-Charta ein Recht auf Sterbehilfe bzw eine entsprechende positive Schutzpflicht des Staates zu entnehmen sei und das Recht auf Menschenwürde gemäß Art1 GRC kein eigenständiges subjektives Recht verbürge. Hinsichtlich der von den Antragstellern geltend gemachten Rechte der Grundrechte-Charta sei überdies zu beachten, dass die (zulässigerweise) angefochtene Bestimmung des §78 StGB keinen Bezug zum Unionsrecht aufweise und die Grundrechte-Charta folglich gar nicht anzuwenden sei.

Im Hinblick auf das Recht auf Achtung des Privatlebens gemäß Art8 EMRK sei nach Auffassung der Bundesregierung zwar ein Eingriff zu konstatieren. Auf Grund gewichtiger öffentlicher Interessen, in Anbetracht der aus Art2 EMRK entspringenden Schutzpflicht des Staates gegenüber vulnerablen Personen und unter Beachtung des vom Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte anerkannten weiten rechtspolitischen Gestaltungsspielraumes sei dieser Eingriff allerdings gerechtfertigt. Das Verbot der aktiven Sterbehilfe diene hiebei dem Schutz des Lebens anderer und versuche das mit einer Liberalisierung der Sterbehilfe verbundene Missbrauchspotential zu vermeiden. Selbst wenn sich dieses Ergebnis auch durch andere Maßnahmen erreichen ließe, führe dies nicht zur Verfassungswidrigkeit der angefochtenen Bestimmungen.

In diesem Zusammenhang sei auch zu beachten, dass die österreichische Rechtslage mit (§77 und) §78 StGB Maßnahmen der Sterbehilfe gegenüber sonstigen Tötungsdelikten in sachlicher Weise privilegiere und durch die Straffreiheit des Suizides ohne Fremdhilfe, die Zulässigkeit der indirekten aktiven und der passiven Sterbehilfe sowie die Möglichkeit einer Patientenverfügung dem Selbstbestimmungsrecht des Einzelnen hinreichend Rechnung trage. Die von den Antragstellern zur Untermauerung ihrer Position zitierte Judikatur des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte und des deutschen Bundesverwaltungsgerichtes sei zum Teil nicht einschlägig – zumal sie etwa zu Maßnahmen der künstlichen Lebenserhaltung ergangen sei –, zum Teil sei sie zu einer anderen Rechtslage ergangen und lasse damit keine Schlüsse auf die Beurteilung anhand der österreichischen Bundesverfassung zu.

Die von den Antragstellern vorgebrachten Bedenken im Hinblick auf die Religions- und Gewissensfreiheit gemäß Art9 Abs1 EMRK träfen schon deshalb nicht zu, weil im Antrag kein Zusammenhang zwischen der Inanspruchnahme der Sterbehilfe und einer Religion oder einer Weltanschauung hergestellt werde. Ein Verstoß gegen das Diskriminierungsverbot des Art14 EMRK sei zum einen deshalb auszuschließen, weil die Antragsteller Art14 EMRK nicht in Bezug zu einem anderen Konventionsrecht gesetzt hätten und §78 StGB im Übrigen für alle Personen gleichermaßen gelte; Art14 EMRK verlange dabei keinesfalls die Festlegung einer Ausnahme für Personen, die zu einem Suizid ohne fremde Hilfe physisch nicht in der Lage seien. Gleichfalls verstoße §78 StGB auch nicht gegen das Bestimmtheitsgebot, zumal der Bestimmung ein eindeutig bestimmbarer Inhalt entnommen werden könne.

Soweit im Antrag schließlich rechts- und gesellschaftspolitische Aspekte des Verbotes der Sterbehilfe geschildert würden, sei dies für das Verfahren vor dem Verfassungsgerichtshof ebenso ohne Belang wie die im Antrag enthaltenen Ausführungen zur Rechtslage in anderen Staaten. Zum einen könnten aus der Verschiedenheit nationaler Rechtsordnungen keine Rückschlüsse auf die Verfassungskonformität österreichischer Gesetze gezogen werden. Zum anderen lägen gesetzliche Regelungen in anderen Staaten außerhalb der Ingerenz des österreichischen Gesetzgebers. Zum Dritten beziehe sich das Bedenken der Antragsteller hinsichtlich der Strafbarkeit gemäß §78 StGB für Sterbehilfemaßnahmen im Ausland in Wahrheit auf die nicht (mit)angefochtene Bestimmung des §64 Abs1 Z7 StGB.

3. Die maßgebliche Rechtslage stellt sich wie folgt dar:

3.1. Gemäß der unter der Überschrift "Tötung auf Verlangen" stehenden Bestimmung des §77 StGB, BGBl 60/1974, macht sich strafbar, "[w]er einen anderen auf dessen ernstliches und eindringliches Verlangen tötet". Die (Freiheits‑)Strafdrohung ist in diesem Fall mit sechs Monaten bis zu fünf Jahren bemessen. Unmittelbar darauf folgend stellt §78 StGB, BGBl 60/1974, auch die "Mitwirkung am Selbstmord" unter Strafe, wobei sich nach dem Tatbild dieses Deliktes strafbar macht, "[w]er einen anderen dazu verleitet, sich selbst zu töten, oder ihm dazu Hilfe leistet". Auch in diesem Fall ist die (Freiheits-)Strafdrohung mit sechs Monaten bis zu fünf Jahren festgelegt.

Der Straftatbestand der "Tötung auf Verlangen" gemäß §77 StGB wurde bei Erlassung des Strafgesetzbuches 1975 aus §139a StG 1852 übernommen. In der heutigen Fassung geht der Tatbestand des §77 StGB damit auf die Neuordnung der vorsätzlichen Tötungsdelikte mit dem Strafrechtsänderungsgesetz 1934 (BGBl 77/1934) zurück (vgl Erläut zur RV 30 BlgNR 13. GP , 196). Zuvor war die Tötung auf Verlangen nach §4 und §134 StG 1852 (RGBl. 117) als Mord strafbar (Birklbauer, §77 StGB, in: Höpfel/Ratz [Hrsg.], Wiener Kommentar zum StGB2, 216. Lfg. 2019, Rz 10).

Der Tatbestand des §78 StGB, BGBl 60/1974, übernimmt, wie den Materialien zu entnehmen ist, §139b StG 1852, wobei der Gesetzgeber des Strafgesetzbuches 1975 davon ausging, dass sich die Beihilfe zur Selbsttötung und die Anstiftung dazu mitunter nur schwer von der Tötung auf Verlangen abgrenzen ließen. Ebenso wie der Tatbestand der Tötung auf Verlangen geht auch jener der "Mitwirkung am Selbstmord" auf das Strafrechtsänderungsgesetz 1934 (BGBl 77/1934) zurück (Erläut zur RV 30 BlgNR 13. GP , 196). Zuvor wurde die Mitwirkung am Suizid teilweise unter das Lebensgefährdungsdelikt des §335 StG 1852 subsumiert, was allerdings die Strafbarkeit der Haupttat (der Selbsttötung) voraussetzte und damit Kritik begegnete (Birklbauer, §78 StGB, in: Höpfel/Ratz [Hrsg.], Wiener Kommentar zum StGB2, 217. Lfg. 2019, Rz 14).

Im Hinblick auf §64 Abs1 Z7 StGB, BGBl 60/1974, idF BGBl I 105/2019 kommen diese Strafdrohungen auch dann zur Anwendung, wenn das Delikt zwar im Ausland, aber von einem Österreicher an einem anderen Österreicher begangen wird und beide ihren Wohnsitz oder gewöhnlichen Aufenthalt im Inland haben.

Die Abgrenzung zwischen den Straftatbeständen gemäß §77 und §78 StGB erfolgt nach der Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofes in der Weise, dass im Fall der Selbsttötung gemäß §78 StGB der zur Selbsttötung Entschlossene (auf Grund eines freien, im zurechnungsfähigen Zustand und ohne Willensmängel gefassten Entschlusses) die den Tod auslösende Handlung unmittelbar und vorsätzlich an sich selbst vornimmt (vgl OGH 27.10.1998, 11 Os 82/98 ua), wogegen im Fall der Tötung auf Verlangen gemäß §77 StGB eine andere Person (auf Grund eines ernsthaften Verlangens des Opfers, welches über das aus einer Augenblicksstimmung entspringende bloße Einverständnis hinausgeht) jene Handlung unternimmt, die unmittelbar zum Tod führt (vgl OGH 28.8.1973, 12 Os 57/73; 19.2.2008, 14 Os 2/08p). Wenn ein auf die Selbsttötung ausgerichtetes Verhalten mit einer als unmittelbare Täterschaft zu beurteilenden Fremdtötung zusammentrifft, lässt sich die Fremdtötung nicht unter §78 StGB subsumieren (OGH 27.10.1998, 11 Os 82/98 ua).

3.2. Näherhin erklären die Tatbestandselemente des §78 StGB bestimmte Mitwirkungshandlungen (das "Verleiten" entspricht der Bestimmungstäterschaft, die "Hilfeleistung" der Beitragstäterschaft) am – straffreien – Suizid für strafbar; dies ist vor dem Hintergrund zu sehen, dass auf Grund der Straffreiheit der Selbsttötung an sich die Beteiligungsregeln des §12 StGB nicht zur Anwendung kommen (OGH 27.10.1998, 11 Os 82/98 ua; Erläut zur RV 30 BlgNR 13. GP , 196 f.).

Die beiden in §78 StGB enthaltenen Tatbestände ("[w]er einen anderen dazu verleitet, sich selbst zu töten, oder ihm dazu Hilfe leistet") sind voneinander abzugrenzen. Der Begriff des "Verleitens" in §78 StGB (als erster Tatbestand) ist nach der Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofes als Anstiftungsverhalten, jener der "Hilfeleistung" (als zweiter Tatbestand) im Sinne jedes die Selbsttötung fördernden Kausalverhaltens zu verstehen (OGH 27.10.1998, 11 Os 82/98 ua; vgl auch Erläut zur RV 30 BlgNR 13. GP , 196 f.). Beide Tathandlungen haben gemeinsam, dass sie nicht unmittelbar zum Tod führen, sondern der ausschlaggebenden unmittelbaren Tötungshandlung des Sterbewilligen vorgelagert sind (OGH 27.10.1998, 11 Os 82/98 ua; Birklbauer, §78 StGB, in: Höpfel/Ratz [Hrsg.], Wiener Kommentar zum StGB2, 217. Lfg. 2019, Rz 45).

Hinsichtlich der Mitwirkung durch Hilfeleistung ist es dabei nicht erforderlich, dass die Ausführung des Vorhabens ohne die Hilfeleistung unmöglich gewesen wäre (OGH 28.8.1973, 12 Os 57/73), es genügt vielmehr bereits, dass die Selbsttötung in irgendeiner Art und Weise – physisch oder psychisch – erleichtert oder gefördert wird (vgl OGH 21.3.1972, 12 Os 239/71). In subjektiver Hinsicht muss der Täter in diesem Zusammenhang die Bewirkung eines freien Tötungsentschlusses eines anderen bzw die Mitwirkung an einer auf einem solchen Entschluss beruhenden Selbsttötung zumindest ernstlich für möglich halten und sich damit abfinden (OGH 27.10.1998, 11 Os 82/98 ua).

Die vorsätzliche Unterlassung der Verhinderung einer Selbsttötung begründet im Allgemeinen keine strafbare Handlung. Anderes gilt nur dann, wenn die Person, welche die Verhinderung der Selbsttötung unterlässt, nach dem Gesetz oder nach einem Vertrag zur Beaufsichtigung des Suizidwilligen verpflichtet war (OGH 21.3.1972, 12 Os 239/71).

3.3. Gemäß dem – mit der Novelle BGBl I 20/2019 neu eingefügten, unter der Überschrift "Beistand für Sterbende" stehenden – §49a Abs1 ÄrzteG 1998 hat "[d]ie Ärztin/[d]er Arzt […] Sterbenden, die von ihr/ihm in Behandlung übernommen wurden, unter Wahrung ihrer Würde beizustehen". §49a Abs2 leg cit bestimmt anschließend: "Im Sinne des Abs1 ist es bei Sterbenden insbesondere auch zulässig, im Rahmen palliativmedizinischer Indikationen Maßnahmen zu setzen, deren Nutzen zur Linderung schwerster Schmerzen und Qualen im Verhältnis zum Risiko einer Beschleunigung des Verlusts vitaler Lebensfunktionen überwiegt."

3.4. Die Materialien (Erläut zur RV 385 BlgNR 26. GP , 2 ff.) führen zu dieser in das Ärztegesetz 1998 neu eingefügten Regelung Folgendes aus:

"Der demografischen Wandel gibt seit einiger Zeit vermehrt Anlass zu Überlegungen zum Thema Lebensende und den damit verbundenen Fragen der Würde des Menschen und entsprechenden Entwicklungen in der Medizin. Der Bedarf an qualitätsgesicherter Palliativmedizin zeigt sich an der Aufnahme der Palliativmedizin als Spezialisierung in die Spezialisierungsverordnung 2017 (SpezV 2017) der Österreichischen Ärztekammer. Auch das Gesundheits- und Krankenpflegegesetz (GuKG), BGBl I Nr 108/1997, sieht seit der GuKG-Novelle 2016, BGBl I Nr 120, für den gehobenen Dienst für Gesundheits- und Krankenpflege eine Spezialisierung 'Hospiz- und Palliativversorgung' vor.

 

Dass hier ein ethischer Grenzbereich und große Unsicherheit bei Ärztinnen/Ärzten, die auch zum Nachteil der Patientinnen/Patienten gereichen kann, gegeben ist, hat sich zuletzt im Fall eines Arztes in Salzburg gezeigt. Dem Arzt wurde zur Last gelegt, einer 79-jährigen Patientin so viel Morphin verabreicht zu haben, dass sie daran starb. Wenngleich nach dem zunächst erhobenen Mordvorwurf schlussendlich auch ein Freispruch vom Vorwurf der fahrlässigen Tötung erfolgte, blieben gerade auf dem Gebiet der Palliativmedizin Unbehagen und große Verunsicherung zurück.

 

Klarheit besteht dann, wenn in Ausübung seines Selbstbestimmungsrechts die Patientin/der Patient eine oder auch mehrere medizinische Maßnahmen ablehnt. Neben dem strafrechtlichen Verbot der 'eigenmächtigen Heilbehandlung' (siehe §110 StGB und überdies auch §8 Abs3 KAKuG) ist in diesem Zusammenhang auch auf Art8 der Europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK) und dem damit garantierten Recht jedes Menschen auf Selbstbestimmung zu verweisen, sodass Verletzungen des Körpers, die nicht vom Willen der/des Betroffenen getragen sind, sich als Verstoß gegen die genannte Grundrechtsnorm erweisen. Nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte (EGMR) wird die von Art8 EMRK geschützte physische Integrität durch Eingriffe in den Körper ohne Rücksicht darauf berührt, ob es sich um therapeutische oder diagnostische, invasive oder nicht invasive Eingriffe handelt. Dies ist kein Widerspruch zu Art2 EMRK und dem dort statuierten Recht auf Leben, da aus diesem eine grundrechtliche Lebenspflicht nicht abzuleiten ist. Ebenso sollten Klarheit und damit Rechtssicherheit auch beim Vorliegen einer Patientenverfügung, durch die noch im Zustand von Willensbildungs- und Handlungsfähigkeit die Patientin/der Patient für den Fall des Verlusts dieser Fähigkeiten einen derart ablehnenden Willen zum Ausdruck gebracht hat, bestehen (siehe Patientenverfügungsgesetz, BGBl I Nr 55/2006). Gleiches gilt bei entsprechenden Erklärungen der Patientin/des Patienten in einer Vorsorgevollmacht (§240ff ABGB) oder einer Dokumentation im Rahmen eines sogenannten Vorsorgedialogs (§239 ABGB). Mangels Vorliegen jeglicher Äußerung der Patientin/des Patienten, auch bei Fehlen einer für medizinische Entscheidungen bestellten Erwachsenenvertretung, ist schließlich der mutmaßliche Wille der Patientin/des Patienten zu ermitteln.

 

Diese Regelungen erfassen jedoch – wenn überhaupt – nur einen Teil des gestellten Themas, zielen sie doch auf einen von der Patientin/vom Patienten ausdrücklich bzw nach dem ermittelten (auch mutmaßlichen) Willen gewünschten Therapierückzug ab (Ablehnung einer Behandlung), wobei freilich die Entscheidung für palliative Maßnahmen kurative Maßnahmen nicht ausschließt. Willensbildungs- und Handlungsfähigkeit der Patientin/des Patienten vorausgesetzt, ist mit deren/dessen Einwilligung in Maßnahmen der Palliativmedizin als Alternative zur bisherigen Behandlung oder zu dieser hinzutretend auch die gebotene Rechtssicherheit für die Behandlerinnen/Behandler gegeben.

 

Nicht angesprochen sind mit diesem Regime hingegen jene Fallgruppen, in denen eine Entscheidungsfähigkeit der Patientin/des Patienten nicht mehr gegeben ist, auch ein (mutmaßlicher) Wille sich nicht ermitteln lässt und bei einer Therapiezieländerung eine Lebensverkürzung nicht auszuschließen ist. Dem soll nun auf dem Boden des einschlägigen Strafrechts und der berufsrechtlichen Vorgaben für Ärztinnen/Ärzte weiter nachgegangen werden.

 

Aktive Sterbehilfe ist in Österreich jedenfalls strafbar und fällt entweder unter den Tatbestand des Mordes (§75 StGB), der Tötung auf Verlangen (§77 StGB) oder der Mitwirkung am Selbstmord (§78 StGB). Im Hinblick auf den bereits erwähnten Tatbestand der eigenmächtigen Heilbehandlung kommen die §§75, 77 und 78 StGB bei einem Therapieabbruch bzw Therapierückzug hingegen nicht zum Tragen, wenn das Absetzen von Behandlungsmaßnahmen dem Willen der Patientin/des Patienten entspricht, mit anderen Worten ihre Fortsetzung als eigenmächtige Heilbehandlung zu werten wäre. Auch ist die einverständliche Unterlassung von Maßnahmen, die den Sterbevorgang erschweren, zulässig, wenn dabei nicht in erster Linie eine Verkürzung des Lebens bezweckt, sondern diese lediglich als Nebenwirkung zum primär verfolgten Zweck einer Leidensmilderung in Kauf genommen wird. Für das gebotene Vorgehen bei den zuletzt angesprochenen Fallgruppen eines nicht vorliegenden bzw auch nicht ermittelbaren Willens der Patientin/des Patienten bietet es sich an, auf das ärztliche Berufsrecht zu greifen.

 

Es sollte Konsens zwischen Medizin und Rechtswissenschaft bestehen, dass Maßnahmen, die allein den Sterbeprozess verlängern, weder den Vorgaben einer gewissenhaften Betreuung noch der Wahrung des Wohls der Patientin/des Patienten entsprechen. So hat zum Beispiel auch Kopetzki schon vor Jahren darauf hingewiesen, dass eine Behandlung dann nicht begonnen oder fortgesetzt werden muss, wenn sie aus medizinischer Sicht nicht indiziert oder – was auf dasselbe hinausläuft – mangels Wirksamkeit nicht mehr erfolgversprechend oder sogar aussichtslos ist. Dazu zählen gerade auch Konstellationen eines bereits unaufhaltsam eingetretenen Sterbeprozesses, der durch weitere medizinische Interventionen nur in die Länge gezogen werden würde (Kopetzki, Einleitung und Abbruch der medizinischen Behandlung beim einwilligungsunfähigen Patienten, iFamZ2007, 197 (201), mit weiteren Nachweisen).

 

Ganz in diesem Sinne stellt auch die österreichische Bioethikkommission in ihren Empfehlungen zum Sterben in Würde fest, dass medizinische Interventionen, die keinen Nutzen für die Patientin/den Patienten erbringen oder deren Belastung für die Patientin/den Patienten größer ist als ein eventueller Nutzen und die am Lebensende zu einer Verlängerung des Sterbeprozesses führen können, im Hinblick auf die Unverhältnismäßigkeit weder aus ethischer noch aus medizinischer Sicht zu rechtfertigen sind. Bei einem möglichen hypothetischen, zukünftigen Nutzen wird das Kriterium der Verhältnismäßigkeit anzuwenden sein, das heißt, es ist die aktuelle Belastung gegen den hypothetischen, wahrscheinlich zukünftigen Nutzen abzuwägen. Diese Abwägung ist Aufgabe der Ärztin/des Arztes (Stellungnahme der Bioethikkommission, 9.2.2015, Sterben in Würde, Empfehlungen zur Begleitung und Betreuung von Menschen am Lebensende und damit verbundene Fragestellungen, S 30).

 

Nach den vorstehenden Ausführungen könnte der Schluss zu ziehen sein, dass Grundrechte, Strafrecht und ärztliches Berufsrecht ohnehin eine eindeutige Antwort geben und für eine ausreichende Rechtssicherheit bei ärztlichen Entscheidungen am Lebensende einer Patientin/eines Patienten sorgen. Vor dem Hintergrund des eingangs geschilderten Strafverfahrens und der daraus resultierenden Verunsicherung palliativmedizinisch tätiger Ärztinnen/Ärzte stellt sich freilich doch die Frage nach einem allfälligen Handlungsbedarf des Gesetzgebers dahin, nicht erst durch juristische Interpretation, sondern bereits durch den Wortlaut des Gesetzes selbst für Klarheit zu sorgen. Dies insbesondere dann, wenn sich Patientinnen/Patienten in einem nicht mehr aufhaltbaren Sterbeprozess befinden und aus diesem Grund ärztliche Maßnahmen zur Reduzierung von Schmerzen und Qualen in den Mittelpunkt rücken. Auch der Bericht der parlamentarischen Enquete-Kommission, 491 BlgNR 25. GP , betont die Bedeutung der Palliativversorgung (siehe insbesondere die Empfehlungen 23 und 50).

 

Regelungsgegenstand:

 

Mit der neuen Regelung des §49a soll in Anlehnung an die (Muster-)Berufsordnung für die in Deutschland tätigen Ärztinnen und Ärzte (MBO-Ä 1997) eine Beistandspflicht der Ärztin/des Arztes für Sterbende normiert werden.

 

Die Grundsätze der Bundesärztekammer zur ärztlichen Sterbebegleitung besagen, dass die Ärztin/der Arzt verpflichtet ist, Sterbenden, das heißt Kranken oder Verletzten mit irreversiblem Versagen einer oder mehrerer vitaler Funktionen, bei denen der Eintritt des Todes in kurzer Zeit zu erwarten ist, so zu helfen, dass sie menschenwürdig sterben können. Die Hilfe besteht in palliativmedizinischer Versorgung und damit auch in Beistand und Sorge für die Basisbetreuung. Dazu gehören nicht immer Nahrungs- und Flüssigkeitszufuhr, da sie für Sterbende eine schwere Belastung darstellen können. Jedoch müssen Hunger und Durst als subjektive Empfindungen gestillt werden. Maßnahmen, die den Todeseintritt nur verzögern, sollen unterlassen oder beendet werden. Bei Sterbenden kann die Linderung des Leidens so im Vordergrund stehen, dass eine möglicherweise dadurch bedingte unvermeidbare Lebensverkürzung hingenommen werden darf.

 

So regelt §49a Abs1, dass die Ärztin/der Arzt Sterbenden, die von ihr/ihm in Behandlung übernommen wurden, unter Wahrung ihrer Würde beizustehen hat.

 

Für diesbezügliche Behandlungsverträge gelten die allgemeinen Rahmenbedingungen.

 

Bereits §49 Abs1 ÄrzteG 1998 verpflichtet die Ärztin/den Arzt unter anderem dazu, jeden von ihr/ihm in ärztliche Beratung oder Behandlung übernommenen Gesunden und Kranken ohne Unterschied der Person gewissenhaft zu betreuen […] und nach Maßgabe der ärztlichen Wissenschaft und Erfahrung sowie unter Einhaltung der bestehenden Vorschriften und der fachspezifischen Qualitätsstandards […] das Wohl der Kranken […] zu wahren.

 

§49a Abs2 sieht im Kontext der ärztlichen Beistandspflicht gemäß Abs1 und zugleich der Verpflichtung zur Wahrung des Patientenwohls gemäß §49 Abs1 ÄrzteG 1998 eine ergänzende Präzisierung vor, wonach es bei Sterbenden insbesondere auch zulässig ist, im Rahmen qualitätsgesicherter palliativmedizinischer Indikationen Maßnahmen zu setzen, deren Nutzen zur Linderung schwerster Schmerzen und Qualen im Verhältnis zum Risiko überwiegt, dass dadurch eine Beschleunigung des Verlusts vitaler Lebensfunktionen bewirkt werden kann. Selbstredend ergibt sich durch den neuen §49a keinerlei Änderung, dass aktive Sterbehilfe mit den strafrechtlichen Tatbeständen (§§75 77 und 78 StGB) verboten bleibt. §49 Abs1 ÄrzteG 1998, wonach die Berufsausübung unter Einhaltung der bestehenden Vorschriften zu erfolgen hat, trägt dem Gebot der Einheit der Rechtsordnung im Besonderen Rechnung.

 

Mit dem in §49a Abs2 verwendete[n] Begriff 'Qualen' sind Leiden oder Angstzustände gemeint, die wegen ihrer beträchtlichen Intensität oder weil sie einen gewissen Zeitraum andauern oder sich wiederholen, mit einer erheblichen Beeinträchtigung des psychischen oder physischen Wohlbefindens des Betroffenen verbunden sind (vgl z. B. OGH 16.06.2016, 12 Os 40/16y).

 

Durch die Worte 'Beschleunigung des Verlusts vitaler Lebensfunktionen' in §49a Abs2 soll klargestellt sein, dass keinesfalls eine Rechtsgrundlage für Euthanasie geschaffen wird, es sich vielmehr um eine indizierte ärztliche Maßnahme bei einem laufenden Sterbeprozess handelt. Die Beurteilung schwerster Schmerzen und Qualen ist, da es um das Wohl der Patientin/des Patienten geht, immer im konkreten Einzelfall zu tätigen, es erfolgt somit keine Durchschnittsbetrachtung, sondern das Empfinden der konkreten Patientin/des konkreten Patienten ist ausschlaggebend.

 

[…]"

 

3.5. Jede rechtmäßige medizinische Behandlung eines Patienten setzt dessen Einwilligung voraus. §252 Abs1 ABGB bestimmt, dass eine volljährige Person, soweit sie entscheidungsfähig ist, in eine medizinische Behandlung (nur) selbst einwilligen kann. Hat eine ohne Einwilligung oder ohne ausreichende Aufklärung vorgenommene Behandlung des Patienten nachteilige Folgen, haftet der Arzt nach der Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofes, wenn der Patient in die Behandlung ansonsten nicht eingewilligt hätte, selbst wenn ihm bei der Behandlung kein Kunstfehler unterlaufen ist (vgl OGH 7.2.1989, 1 Ob 713/88; 25.1.1990, 7 Ob 727/89; 18.12.2019, 5 Ob 179/19p).

Hält der Arzt eine volljährige Person für nicht entscheidungsfähig, hat er sich nachweislich um die Beiziehung von Angehörigen, anderen nahe stehenden Personen, Vertrauenspersonen und im Umgang mit Menschen in solchen schwierigen Lebenslagen besonders geübten Fachleuten zu bemühen, welche die volljährige Person dabei unterstützen können, ihre Entscheidungsfähigkeit zu erlangen (§252 Abs2 erster Satz ABGB). Eine Ausnahme von dieser Verpflichtung besteht (nur), wenn mit der dadurch einhergehenden Verzögerung eine Gefährdung des Lebens, die Gefahr einer schweren Schädigung der Gesundheit oder starke Schmerzen verbunden wären (§252 Abs4 ABGB).

Darüber hinaus bedarf eine medizinische Behandlung einer nicht entscheidungsfähigen Person der Zustimmung ihres Vertreters (§253 Abs1 ABGB). Gibt eine nicht entscheidungsfähige Person ihrem Vorsorgebevollmächtigten oder Erwachsenenvertreter oder dem Arzt gegenüber zu erkennen, dass sie die medizinische Behandlung oder deren Fortsetzung ablehnt, bedarf die Zustimmung des Vorsorgebevollmächtigten oder Erwachsenenvertreters zur Behandlung der Genehmigung des Gerichtes (§254 Abs1 ABGB). Wenn der Vorsorgebevollmächtigte oder Erwachsenenvertreter der Behandlung einer nicht entscheidungsfähigen Person oder ihrer Fortsetzung nicht zustimmt und dadurch dem Willen der vertretenen Person nicht entspricht, kann das Gericht die Zustimmung des Vertreters ersetzen oder einen anderen Vertreter bestellen (§254 Abs2 ABGB).

Eine Ausnahme von den genannten Regelungen besteht wiederum im Falle einer Gefährdung des Lebens, der Gefahr einer schweren Schädigung der Gesundheit oder starker Schmerzen (§254 Abs3 ABGB).

3.6. §110 StGB enthält den Straftatbestand "Eigenmächtige Heilbehandlung". Die Einwilligung des Patienten, welche die Verwirklichung des objektiven Straftatbestandes des §110 Abs1 StGB ausschließt, ist nur dann wirksam, wenn sie von dem dazu Berechtigten erteilt worden und dieser einwilligungsfähig ist. Die Einwilligung muss ernstlich und frei von Willensmängeln erteilt worden sein; dies setzt insbesondere die notwendige medizinische Aufklärung über die Heilbehandlung voraus (vgl Soyer/Schumann, §110 StGB, in: Höpfel/Ratz [Hrsg.], Wiener Kommentar zum StGB2, 158. Lfg. 2016, Rz 15 ff.).

3.7. Das Patientenverfügungs-Gesetz (PatVG), BGBl I 55/2006, idF BGBl I 12/2019 regelt die Voraussetzungen und die Wirksamkeit einer Willenserklärung, mit der ein Patient eine medizinische Behandlung ablehnt und die dann wirksam werden soll, wenn der Patient im Zeitpunkt der Behandlung nicht entscheidungsfähig ist ("Patientenverfügung").

In einer sogenannten verbindlichen Patientenverfügung müssen die medizinischen Behandlungen, die Gegenstand der Ablehnung sind, konkret beschrieben sein oder eindeutig aus dem Gesamtzusammenhang der Verfügung hervorgehen. Aus der Patientenverfügung muss zudem hervorgehen, dass der Patient die Folgen der Patientenverfügung zutreffend einschätzt (§4 PatVG). Der Errichtung einer sogenannten verbindlichen Patientenverfügung muss eine Aufklärung im Sinne des §5 PatVG vorangehen; §6 PatVG regelt die formalen Voraussetzungen für die Errichtung einer Patientenverfügung. Eine sogenannte verbindliche Patientenverfügung verliert nach Ablauf von acht Jahren ab der Errichtung ihre Verbindlichkeit, sofern der Patient nicht eine kürzere Frist bestimmt hat. Sie kann nach entsprechender Aufklärung erneuert werden, wodurch die Frist von acht Jahren oder eine vom Patienten kürzer bestimmte Frist neu zu laufen beginnt.

Darüber hinaus legt das Patientenverfügungs-Gesetz die Bedeutung sogenannter anderer Patientenverfügungen fest (vgl §§8 f. PatVG).

4. (Zulässiger) Gegenstand dieses Gesetzesprüfungsverfahrens ist ausschließlich die Verfassungsmäßigkeit des (zulässigerweise angefochtenen) §78 StGB, der die Verleitung zur Selbsttötung und die Hilfeleistung bei der Selbsttötung bei Strafe verbietet. Der Verfassungsgerichtshof hat hingegen im vorliegenden Verfahren das (nicht zulässigerweise angefochtene) Verbot auf Tötung eines Menschen auf dessen ernstes und eindringliches Verlangen (§77 StGB) verfassungsrechtlich nicht zu beurteilen.

5. Der demokratische Rechtsstaat, wie ihn die Bundesverfassung konstituiert, setzt Freiheit und Gleichheit aller Menschen voraus. Das bringt unter anderem Art63 Abs1 Staatsvertrag von Saint-Germain, der (seit der Erlassung des Bundes-Verfassungsgesetzes am 1. Oktober 1920) gemäß Art149 B‑VG als Verfassungsgesetz gilt, zum Ausdruck: Der Staat hat die Pflicht, "allen Einwohnern Österreichs ohne Unterschied der Geburt, Staatsangehörigkeit, Sprache, Rasse oder Religion vollen und ganzen Schutz von Leben und Freiheit zu gewähren".

Dies wird durch mehrere grundrechtliche Gewährleistungen konkretisiert, nämlich insbesondere durch das Recht auf Privatleben gemäß Art8 EMRK und das Recht auf Leben gemäß Art2 EMRK sowie den Gleichheitsgrundsatz gemäß Art2 StGG und Art7 Abs1 B‑VG, aus denen auch das verfassungsgesetzlich gewährleistete Recht auf freie Selbstbestimmung folgt. Dieses Recht auf freie Selbstbestimmung umfasst sowohl das Recht auf die Gestaltung des Lebens als auch das Recht auf ein menschenwürdiges Sterben.

5.1. Gemäß Art8 EMRK hat jedermann Anspruch auf Achtung seines Privatlebens. Der Eingriff in die Ausübung dieses Rechtes ist nur statthaft, insoweit dieser Eingriff gesetzlich vorgesehen ist und eine Maßnahme darstellt, die in einer demokratischen Gesellschaft für die nationale Sicherheit, die öffentliche Ruhe und Ordnung, das wirtschaftliche Wohl des Landes, die Verteidigung der Ordnung und zur Verhinderung strafbarer Handlungen, zum Schutz der Gesundheit und der Moral oder zum Schutz der Rechte und Freiheiten anderer notwendig ist.

Nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte (EGMR 29.4.2002, Fall Pretty, Appl 2346/02, ÖJZ2003, 311 [Z61 ff.]) stellt die Verweigerung des vom Suizidwilligen geäußerten Wunsches, ein in seinen Augen zutiefst unwürdiges und mühseliges Leben unter Mitwirkung eines Dritten zu beenden, einen Eingriff in das Recht auf Achtung des Privatlebens gemäß Art8 EMRK dar. Ohne den Grundsatz der Unverletzlichkeit des durch die Konvention geschützten Lebens in irgendeiner Weise zu negieren, würdigte der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte dabei, dass in einer Zeit wachsender medizinischer Komplexität und einer längeren Lebenserwartung viele Menschen befürchteten, im Alter oder in Situationen fortgeschrittener körperlicher oder geistiger Schwäche – die im Widerspruch zu Vorstellungen von sich selbst und ihrer persönlichen Identität stünden – zum Fortleben gezwungen zu sein (EGMR, Fall Pretty, Z65 und 67; vgl auch EGMR 19.7.2012, Fall Koch, Appl 497/09, EuGRZ 2012, 616 [Z51]).

Im Lichte dieses Urteiles im Fall Pretty hielt der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte im Urteil Haas (EGMR 20.1.2011, Appl 31.322/07, NJW 2011, 3773 [Z50 f.]) fest, dass das Recht einer Person selbst zu entscheiden, wann und in welcher Form ihr Leben enden sollte – vorausgesetzt, die Person ist dabei in der Lage, darüber eine freie Entscheidung zu treffen und entsprechend zu handeln – einen Aspekt ihres Rechtes auf Achtung des Privatlebens nach Art8 EMRK darstellt (vgl EGMR, Fall Haas, Z51; Fall Koch, Z52). Dieses Recht darf nach Auffassung des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte nicht bloß theoretisch oder gar illusorisch gewährleistet werden (EGMR, Fall Haas, Z60; vgl auch EGMR 13.5.1980, Fall Artico, Appl 6694/74, EuGRZ 1980, 662 [Z33]).

Gleichzeitig hielt der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte in der Rechtssache Haas aber auch fest, dass bei der Prüfung einer möglichen Verletzung des Art8 EMRK ebenso das Recht auf Leben gemäß Art2 EMRK miteinzubeziehen ist. Diesem zufolge seien die Behörden dazu verpflichtet, vulnerable Personen vor Handlungen zu schützen, mit denen sie ihr eigenes Leben gefährden, und die Selbsttötung eines Individuums zu verhindern, falls seine diesbezügliche Entscheidung weder frei noch in voller Kenntnis der Umstände erfolgt ist (EGMR, Fall Haas, Z54; vgl hiezu auch EGMR 5.6.2015 [GK], Fall Lambert, Appl 46.043/14, NJW 2015, 2715 [Z136 ff.]).

Da die Rechtslage in den Konventionsstaaten diesbezüglich erheblich voneinander abweicht und folglich kein gemeinsamer Konsens erkennbar ist, anerkennt der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte letztlich einen erheblichen staatlichen Gestaltungsspielraum hinsichtlich des Rechtes eines Individuums, selbst über den Zeitpunkt und die Art seines Lebensendes zu bestimmen (EGMR, Fall Haas, Z55; Fall Koch, Z70; Fall Lambert, Z144 f.). Sofern ein Staat auf diesem Gebiet einen liberalen Ansatz verfolgt, muss er nach Auffassung des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte geeignete Maßnahmen zu deren Umsetzung und adäquate Vorkehrungen gegen Missbrauch treffen; insbesondere verpflichtet das von Art2 EMRK geschützte Recht auf Leben die Staaten dazu, Vorkehrungen zu treffen, die gewährleisten, dass die Entscheidung tatsächlich dem freien Willen des Suizidwilligen entspricht (EGMR, Fall Haas, Z56 ff.).

5.2. Art2 Abs1 EMRK, der das Recht jedes Menschen auf sein Leben schützt, verpflichtet den Staat dazu, das Recht auf Leben nicht nur gegenüber Gefährdungen von staatlicher Seite, sondern auch gegenüber Gefährdungen von nicht-staatlicher Seite zu verteidigen. Dazu zählen nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte unter bestimmten qualifizierten Umständen auch Schutzmaßnahmen zu Gunsten von Personen, die durch Suizidgefahr bedroht sind (zB EGMR 22.11.2016, Fall Hiller, Appl 1967/14, NLMR 2016, 503). Es ist allerdings nicht die Aufgabe bzw Schutzpflicht des Staates, vor dem frei gewünschten Suizid zu schützen (vgl Berka/Binder/Kneihs, Die Grundrechte2, 2019, 286).

5.3. Aus dem Gleichheitsgrundsatz gemäß Art2 StGG und Art7 Abs1 B‑VG ergibt sich das Recht des Einzelnen auf freie Selbstbestimmung in Bezug auf die Gestaltung des Lebens und die Entscheidung über (den Zeitpunkt für) ein menschenwürdiges Sterben: Mit seinem elementaren Gehalt, dass alle Menschen vor dem Gesetz gleich sind, setzt der Gleichheitsgrundsatz voraus, dass jeder Mensch als individuelles Wesen per se unterschiedlich ist, aus ihm lässt sich die spezifische Personalität und Individualität des Menschen ableiten (vgl Holoubek, Art7/1 S 1, 2 B‑VG, in: Korinek/Holoubek et al [Hrsg.], Bundesverfassungsrecht, 14. Lfg. 2018, Rz 62 ff.). Die Grundrechtsordnung garantiert die Freiheit des Menschen, er ist in seiner Personalität und Individualität sich selbst verantwortlich.

6. Zur freien Selbstbestimmung gehört zunächst die Entscheidung des Einzelnen, wie er sein Leben gestaltet und führt. Zur freien Selbstbestimmung gehört aber auch die Entscheidung, ob und aus welchen Gründen ein Einzelner sein Leben in Würde beenden will. All dies hängt von den Überzeugungen und Vorstellungen jedes Einzelnen ab und liegt in seiner Autonomie.

Das aus der Bundesverfassung ableitbare Recht auf freie Selbstbestimmung erfasst nicht nur die Entscheidung und das Handeln des Suizidwilligen selbst, sondern auch das Recht des Suizidwilligen auf Inanspruchnahme der Hilfe eines (dazu bereiten) Dritten. Der Suizidwillige kann nämlich vielfach zur tatsächlichen Ausübung seiner selbstbestimmten Entscheidung zur Selbsttötung und deren gewählter Durchführung auf die Hilfe Dritter angewiesen sein. Der Suizidwillige hat dementsprechend das Recht auf selbstbestimmtes Sterben in Würde; dazu muss er die Möglichkeit haben, die Hilfe eines dazu bereiten Dritten in Anspruch zu nehmen.

7. Der Verfassungsgerichtshof setzte sich bereits in seinem Erkenntnis VfSlg 20.057/2016 mit der Bestimmung des §78 StGB auseinander. Anlassgebend war die beabsichtigte Gründung des Vereins "Letzte Hilfe – Verein für selbstbestimmtes Sterben", die von der Vereinsbehörde wegen Widerspruchs zu §78 StGB untersagt wurde. Der Verfassungsgerichtshof erachtete die Regelung des §78 StGB in einem Beschwerdeverfahren gemäß Art144 B‑VG und damit vor dem Hintergrund des spezifischen Falles (und nicht in einem Gesetzesprüfungsverfahren) als verfassungsrechtlich unbedenklich. Er hat daher über die hier zu beurteilenden verfassungsrechtlichen Bedenken gegen §78 StGB nicht in einer den Verfassungsgerichtshof bindenden Weise abgesprochen.

Soweit im Erkenntnis VfSlg 20.057/2016 eine andere Auffassung als in dieser Entscheidung zum Ausdruck kommt, wird diese nicht aufrechterhalten.

Den beiden Tatbeständen des §78 StGB ist gemeinsam, dass sie die Mitwirkung an der Selbsttötung unter Strafe stellen, obwohl die (versuchte) Selbsttötung als solche nicht strafbar ist. §78 erster und zweiter Tatbestand StGB ist ferner gemeinsam, dass die Tötung durch den Suizidwilligen selbst ausgeführt wird.

Nach Auffassung des Verfassungsgerichtshofes ist dessen ungeachtet bei der grundrechtlichen Beurteilung zwischen den beiden Tatbeständen des §78 StGB zu unterscheiden.

Die nachstehenden Ausführungen beziehen sich zunächst ausschließlich auf den zweiten Tatbestand des §78 StGB ("oder ihm dazu Hilfe leistet") und nicht auf den ersten Tatbestand des §78 StGB ("Wer einen anderen dazu verleitet, sich selbst zu töten"). Auf den ersten Tatbestand des §78 StGB wird unter den Punkten 18. und 19. eingegangen.

Nach Auffassung des Verfassungsgerichtshofes kann das Verbot der Selbsttötung mit Hilfe eines Dritten einen besonders intensiven Eingriff in das Recht des Einzelnen darstellen. Da §78 zweiter Tatbestand StGB die Selbsttötung mit Hilfe eines Dritten ausnahmslos verbietet, kann diese Bestimmung unter Umständen den Einzelnen zu einer menschenunwürdigen Form der Selbsttötung veranlassen, wenn er sich kraft freien Entschlusses in einer Situation befindet, die für ihn ein selbstbestimmtes Leben in persönlicher Integrität und Identität und damit in Würde nicht mehr gewährleistet. Daran ändert auch §49a Abs2 ÄrzteG 1998 nichts, weil dieser (erst) bei Sterbenden im Rahmen palliativmedizinischer Maßnahmen anwendbar ist, also zu einem Zeitpunkt, in dem der Prozess des Sterbens im Wesentlichen alleine in der Verantwortung von Ärzten liegt.

Lässt die Rechtsordnung zu, dass ein Betroffener sein Leben mit Hilfe eines Dritten in Würde nach seiner freien Selbstbestimmung zu dem von ihm gewählten Zeitpunkt beenden kann, kann dies dazu führen, dass dadurch dem Betroffenen ein längeres Leben ermöglicht wird und er sich nicht gezwungen sieht, sein Leben vorzeitig in einer menschenunwürdigen Form zu beenden. Der Betroffene kann also dadurch Lebenszeit gewinnen, weil er die Selbsttötung auch erst zu einem späteren Zeitpunkt mit Hilfe eines Dritten vornehmen kann. Indem §78 zweiter Tatbestand StGB die Hilfe eines Dritten beim Suizid ausnahmslos verbietet, verwehrt er im Ergebnis dem Einzelnen, über sein Sterben in Würde selbst zu bestimmen.

8. Der Verfassungsgerichtshof kann in diesem Zusammenhang der Auffassung der Bundesregierung nicht zustimmen, wonach dem Gesetzgeber bei den Regelungen der Sterbehilfe ein weiter rechtspolitischer Gestaltungsspielraum zukomme.

Da die Regelung des §78 (zweiter Tatbestand) StGB die existentielle Entscheidung über die Gestaltung des Lebens und Sterbens und damit ganz wesentlich das Selbstbestimmungsrecht des Einzelnen betrifft, besteht insoweit gerade kein weiter rechtspolitischer Gestaltungsspielraum des Gesetzgebers.

9. Bei der verfassungsrechtlichen Beurteilung des §78 zweiter Tatbestand StGB geht es nicht um eine Abwägung zwischen dem Schutz des Lebens des Suizidwilligen und dessen Selbstbestimmungsrecht. Steht unzweifelhaft fest, dass der Entschluss der Selbsttötung auf einer freien Selbstbestimmung gründet, hat der Gesetzgeber dies zu respektieren. Es ist nämlich schon im Ansatz verfehlt, aus dem in Art2 EMRK verankerten Recht auf Schutz des Lebens eine Pflicht zum Leben abzuleiten und derart den Grundrechtsträger zum Adressaten der Schutzverpflichtung zu machen.

10. Da die Selbsttötung irreversibel ist, muss die entsprechende freie Selbstbestimmung der zur Selbsttötung entschlossenen Person tatsächlich auf einer (nicht bloß vorübergehenden, sondern) dauerhaften Entscheidung beruhen. Sowohl der Schutz des Lebens als auch das Recht auf Selbstbestimmung verpflichten den Gesetzgeber, die Hilfe eines Dritten bei der Selbsttötung zuzulassen, sofern der Entschluss auf einer freien Selbstbestimmung beruht, dem also ein aufgeklärter und informierter Willensentschluss zugrunde liegt. Dabei hat der Gesetzgeber auch zu berücksichtigen, dass der helfende Dritte eine hinreichende Grundlage dafür hat, dass der Suizidwillige tatsächlich eine auf freier Selbstbestimmung gegründete Entscheidung zur Selbsttötung gefasst hat.

11. In diesem Zusammenhang kann der Verfassungsgerichtshof darauf verweisen, dass der Gesetzgeber das Recht des Einzelnen auf freie Selbstbestimmung, in vielfachem Zusammenhang, und zwar auch, wenn es um das Leben und die Gesundheit der betroffenen Person geht, anerkennt und näher regelt:

11.1. So muss jeder Patient in die medizinische Behandlung einwilligen und kann diese Einwilligung auch jederzeit widerrufen (vgl §§252 ff. ABGB). Eine Ausnahme von der Einwilligung besteht (nur), wenn mit der durch die Einholung der Einwilligung einhergehenden Verzögerung eine Gefährdung des Lebens, die Gefahr einer schweren Schädigung der Gesundheit oder starke Schmerzen verbunden wären (§252 Abs4 ABGB).

11.2. Das Recht auf Selbstbestimmung wird auch durch den in §110 StGB geregelten Straftatbestand "Eigenmächtige Heilbehandlung" geschützt. Mit dieser Regelung unterstreicht der Gesetzgeber die Bedeutung der Aufklärung des Patienten vor der Vornahme (auch) einer heilenden medizinischen Behandlung ebenso wie die Letztentscheidungskompetenz des Patienten (vgl Soyer/Schumann, aaO, Rz 1). Die Einwilligung des Patienten, welche die Verwirklichung des objektiven Straftatbestandes des §110 Abs1 StGB ausschließt, ist nur dann wirksam, wenn sie von dem dazu Berechtigten erteilt worden und dieser einwilligungsfähig ist. Die Einwilligung muss ernstlich und frei von Willensmängeln erteilt worden sein; dies setzt insbesondere die notwendige medizinische Aufklärung über die Heilbehandlung voraus (vgl Soyer/Schumann, aaO, Rz 15 ff.).

11.3. Das Recht auf Selbstbestimmung von Patienten liegt auch dem Patientenverfügungs-Gesetz zugrunde (vgl dazu etwa die Erläut zur RV 1299 BlgNR 22. GP , 2 und 4 f.). Die Patientenverfügung soll das Selbstbestimmungsrecht des Patienten auch für den Fall gewährleisten, dass dieser zum relevanten Zeitpunkt nicht mehr in der Lage ist, seine Ablehnung einer medizinischen Behandlung in verbindlicher Weise zu erklären. In einer Patientenverfügung kann dementsprechend die Ablehnung einer medizinischen Behandlung vorab verbindlich festgelegt werden (§1 Abs2 PatVG).

Um zu gewährleisten, dass die Patientenverfügung dem aufgeklärten und informierten Willen – und damit der freien Selbstbestimmung – des Patienten entspricht, müssen strenge Formerfordernisse erfüllt werden (vgl §§4 ff. PatVG).

11.4. All diese Bestimmungen zeigen, dass der Gesetzgeber dem Selbstbestimmungsrecht des Einzelnen im Bereich medizinischer Behandlungen einen zentralen Stellenwert einräumt. Die Patientenverfügung gewährleistet darüber hinaus, dass der behandelnde Arzt dem Willen des Patienten hinsichtlich der Ablehnung einer bestimmten medizinischen Behandlung oder jeglicher medizinischer Behandlung – und damit dem Recht auf Selbstbestimmung des Patienten – nachkommen muss, wenn der Patient dazu im relevanten Zeitpunkt nicht mehr in der Lage ist. Gerade die Regelungen über die Patientenverfügung erweisen, dass der Gesetzgeber auch im Zusammenhang mit der Entscheidung über das Lebensende das Selbstbestimmungsrecht des Einzelnen anerkennt.

11.5. Aus grundrechtlicher Perspektive macht es nach Auffassung des Verfassungsgerichtshofes im Grundsatz keinen Unterschied, ob der Patient im Rahmen seiner Behandlungshoheit bzw im Rahmen der Patientenverfügung in Ausübung seines Selbstbestimmungsrechtes lebensverlängernde oder lebenserhaltende medizinische Maßnahmen ablehnt oder ob ein Suizidwilliger unter Inanspruchnahme eines Dritten in Ausübung seines Selbstbestimmungsrechtes sein Leben beenden will, um ein Sterben in der vom Suizidwilligen angestrebten Würde zu ermöglichen. Entscheidend ist vielmehr in jedem Fall, dass die jeweilige Entscheidung auf der Grundlage einer freien Selbstbestimmung getroffen wird.

12. Ferner hat der Gesetzgeber mit (dem durch die Novelle BGBl I 20/2019 eingefügten) §49a iVm §2 Abs2 Z6a ÄrzteG 1998 eine Regelung geschaffen, wonach in bestimmten, engen Grenzen die aktive (indirekte) Sterbehilfe ausdrücklich für zulässig erklärt wird: Gemäß §49a Abs2 leg cit ist es "bei Sterbenden insbesondere auch zulässig, im Rahmen palliativmedizinischer Indikationen Maßnahmen zu setzen, deren Nutzen zur Linderung schwerster Schmerzen und Qualen im Verhältnis zum Risiko einer Beschleunigung des Verlusts vitaler Lebensfunktionen überwiegt". Bei dieser Form der Sterbehilfe nimmt der Arzt die durch die schmerzlindernden Maßnahmen bewirkte Beschleunigung des Todes als eine unvermeidbare Nebenwirkung seines Handelns in Kauf.

Nach der in Österreich herrschenden Auffassung erfüllt die indirekte aktive Sterbehilfe – ungeachtet des §49a Abs2 ÄrzteG 1998 – nicht den objektiven Tatbestand der Tötungsdelikte; die indirekte aktive Sterbehilfe wird nach der in Österreich herrschenden Lehre nach der ratio der Tötungsdelikte als sozial adäquates Verhalten qualifiziert. Dies wird unter anderem damit begründet, dass das erklärte oder mutmaßliche Interesse des Sterbenden an der Behandlung seiner Schmerzen seine Interessen an der Lebenserhaltung "um jeden Preis" deutlich überwiege.

Die Rechtsordnung erlaubt ferner die Sterbehilfe durch Unterlassung (sogenannte passive Sterbehilfe): Die Durchführung jeder ärztlichen Maßnahme, welche die körperliche Integrität oder Freiheit des Patienten berührt, bedarf der (ausdrücklichen oder mutmaßlichen) Einwilligung des Patienten (vgl zB §§252 ff. ABGB und §110 StGB). Der Patient kann die erteilte Einwilligung auch jederzeit widerrufen. Dabei ist irrelevant, aus welchem Grund ein einwilligungsfähiger Patient seine Einwilligung in eine ärztliche Behandlung – wie zB in eine lebensrettende oder lebensverlängernde Behandlungsmaßnahme – verweigert.

Das Patientenverfügungs-Gesetz trifft in diesem Zusammenhang besondere Regelungen, um Zweifelsfragen über den mutmaßlichen Willen des Patienten von Vornherein auszuschließen. Danach kann ein Patient bestimmte medizinische Behandlungen, insbesondere auch lebensrettende und lebensverlängernde Behandlungsmaßnahmen, ablehnen. Eine solche – bis zu acht Jahren gültige (vgl §7 Abs1 PatVG) – Patientenverfügung soll erst dann wirksam werden, wenn der Patient im Zeitpunkt der Behandlung nicht entscheidungsfähig ist.

Die sogenannte passive Sterbehilfe stellt einen Anwendungsfall des Prinzips der Behandlungshoheit des Patienten dar; die passive Sterbehilfe wird durch die Behandlungshoheit des Patienten gleichsam überlagert. Der behandelnde Arzt muss der aufgeklärten und informierten Entscheidung des Patienten, ob und unter welchen Umständen dieser in eine medizinische Behandlungsmaßnahme einwilligt oder diese ablehnt, in jedem Fall nachkommen; und zwar gleichgültig, ob diese Entscheidung aus medizinischer Sicht zweckmäßig ist oder nicht.

Nach Auffassung des Verfassungsgerichtshofes steht es zu dem einerseits in der (verfassungs-)rechtlich begründeten Behandlungshoheit und andererseits in §49a Abs2 ÄrzteG 1998 – jedenfalls bei Vorliegen einer Patientenverfügung – zum Ausdruck kommenden Stellenwert der freien Selbstbestimmung in Widerspruch, dass §78 zweiter Tatbestand StGB jegliche Hilfe im Zusammenhang mit der Selbsttötung verbietet. Wenn einerseits der Patient (durch Nichteinwilligung oder Widerruf der Einwilligung) darüber entscheiden kann, ob sein Leben durch eine medizinische Behandlung gerettet oder verlängert wird, und andererseits durch §49a Abs2 ÄrzteG 1998 unter den dort festgelegten Voraussetzungen sogar das vorzeitige Ableben eines Patienten im Rahmen einer medizinischen Behandlung in Kauf genommen wird, ist es nicht gerechtfertigt, dem Sterbewilligen die Hilfe durch einen Dritten in welcher Art und Form auch immer im Zusammenhang mit der Selbsttötung zu verbieten und derart das Recht auf Selbstbestimmung ausnahmslos zu verneinen.

13. Der Verfassungsgerichtshof übersieht nicht, dass die freie Selbstbestimmung auch durch vielfältige soziale und ökonomische Umstände beeinflusst wird. Dementsprechend hat der Gesetzgeber (auch) Maßnahmen (Sicherungsinstrumente) zur Verhinderung von Missbrauch vorzusehen, damit die betroffene Person ihre Entscheidung zur Selbsttötung nicht unter dem Einfluss Dritter fasst.

14. Im Zusammenhang mit dem Recht auf Selbstbestimmung in Verbindung mit der Selbsttötung darf keinesfalls übersehen werden, dass angesichts der realen gesellschaftlichen Verhältnisse die tatsächlichen Lebensbedingungen, die zu einer solchen Entscheidung führen, nicht gleich sind.

Bei einem solchen Entschluss können auch Umstände eine entscheidende Rolle spielen, die nicht ausschließlich in der Sphäre bzw Disposition des Suizidwilligen liegen, wie seine Familienverhältnisse, die Einkommens- und Vermögensverhältnisse, die Pflegebedingungen, die Hilfsbedürftigkeit, der eingeschränkte Aktivitätsspielraum, der real zu erwartende Sterbeprozess und dessen Begleitung sowie sonstige Lebensumstände und erwartbare Konsequenzen.

Es sind daher gesetzgeberische und sonstige staatliche Maßnahmen notwendig, um den Unterschieden in den Lebensbedingungen von Betroffenen entgegenzuwirken und allen einen Zugang zu palliativmedizinischer Versorgung zu ermöglichen (vgl dazu den Bericht der parlamentarischen Enquete-Kommission zum Thema "Würde am Ende des Lebens", 491 BlgNR 25. GP ). Dessen ungeachtet darf die Freiheit des Einzelnen, über sein Leben in Integrität und Identität selbst zu bestimmen und damit in diesem Zusammenhang zu entscheiden, dieses auch mit Hilfe Dritter zu beenden, nicht schlechthin verneint werden.

15. Ob der Entschluss eines Suizidwilligen, seinem Leben mit Hilfe eines Dritten ein Ende zu setzen, und die tatsächliche Vornahme der Tötung durch den Suizidwilligen selbst auf einer freien Selbstbestimmung basiert, mag unter bestimmten Umständen schwierig festzustellen sein. Dies darf jedoch nicht als Rechtfertigung dafür genommen werden, durch ein ausnahmsloses Verbot jegliche Hilfeleistung zur Selbsttötung welcher Art und Form auch immer gemäß §78 zweiter Tatbestand StGB zu untersagen und damit das Recht des zur freien Selbstbestimmung und Eigenverantwortung fähigen Menschen, sich das Leben mit Hilfe eines Dritten zu nehmen, unter allen Umständen zu verneinen.

Da §78 zweiter Fall StGB jede Art der Hilfeleistung zur Selbsttötung ausnahmslos verbietet, sohin auch ein Sterben in der vom Suizidwilligen gewollten Würde nicht möglich ist, verstößt diese Regelung gegen das aus der Bundesverfassung ableitbare Recht auf Selbstbestimmung.

16. An der Verfassungswidrigkeit des §78 zweiter Tatbestand StGB vermag auch der Umstand nichts zu ändern, dass der Gesetzgeber mit den Strafzumessungsregeln sowie dem außerordentlichen Milderungsrecht gemäß §41 StGB Instrumente vorgesehen hat, die auf der Ebene der Strafzumessung für eine schuldangemessene Differenzierung bei Vorliegen von (erheblichen) Milderungsgründen sorgen können. Die Strafzumessung im jeweiligen Einzelfall kann nämlich nicht den objektiven Unrechtsvorwurf, den §78 zweiter Fall StGB pauschal und ohne Differenzierung allen denkbaren Hilfestellungen zur Selbsttötung beimisst, beseitigen.

17. Bei diesem Ergebnis erübrigt es sich, auf die sonstigen im Antrag dargelegten Bedenken ob der Verfassungsmäßigkeit des §78 zweiter Fall StGB sowie die Frage der Anwendbarkeit der Grundrechte-Charta einzugehen.

18. Die von den Antragstellern geltend gemachten grundrechtlichen Bedenken treffen nicht auf den ersten Tatbestand des §78 StGB ("Wer einen anderen dazu verleitet, sich selbst zu töten") zu:

Aus den vorstehenden Ausführungen wird deutlich, dass die Entscheidung des Suizidwilligen, sich unter Mitwirkung eines Dritten zu töten, nur dann Grundrechtsschutz genießen kann, wenn diese Entscheidung auf einer freien und unbeeinflussten Entscheidung fußt. Da diese Voraussetzung bei §78 erster Tatbestand StGB von Vornherein nicht erfüllt wird, verstößt diese Regelung weder gegen den Gleichheitsgrundsatz gemäß Art2 StGG und Art7 Abs1 B‑VG noch gegen das Recht auf Privatleben gemäß Art8 EMRK oder gegen ein anderes verfassungsgesetzlich gewährleistetes Recht.

19. Soweit die Antragsteller gegen die (mit)angefochtene Bestimmung des §78 erster Fall StGB ("Wer einen anderen dazu verleitet, sich selbst zu töten") das Bedenken der Unbestimmtheit nach Art18 B‑VG erheben, erweist sich der Antrag auch insoweit als unbegründet:

Die Antragsteller rügen einen Verstoß der Strafbestimmung des §78 erster Fall StGB gegen Art18 B‑VG, weil anhand des Wortlautes der Strafbestimmung nicht erkennbar sei, wann die Tathandlung "verleitet" erfüllt sei.

Das in Art18 Abs1 B‑VG – und auch in Art7 EMRK – verankerte Bestimmtheitsgebot gebietet im Allgemeinen, dass Gesetze einen Inhalt haben, durch den das Verhalten der Behörde oder des Gerichtes vorherbestimmt ist. Es kann allerdings im Hinblick auf den jeweiligen Regelungsgegenstand erforderlich sein, dass der Gesetzgeber bei der Beschreibung und Formulierung der gesetzlichen Kriterien unbestimmte Gesetzesbegriffe verwendet und durch die damit zwangsläufig verbundenen Unschärfen von einer exakten Determinierung des Behördenhandelns Abstand nimmt (vgl VfSlg 20.279/2018, 13.785/1994 mwN; zu Art7 EMRK vgl EGMR 8.1.2007, Fall Witt, Appl 18.397/03, NJW 2008, 2322).

Da es verschiedene, im Vorhinein nur schwer vorauszusehende, aktive Handlungen der psychischen Beeinflussung geben kann, die (vorsätzlich) bei einem anderen den Entschluss des Suizides erwecken, hat der Gesetzgeber bewusst auf eine abschließende Festlegung verzichtet. Damit weist der Tatbestand des "Verleitens" zur Selbsttötung gemäß §78 erster Fall StGB zwar (notwendigerweise) eine bestimmte Offenheit auf; insbesondere im Hinblick auf die zu §78 erster Fall StGB ergangene Rechtsprechung ist der Straftatbestand jedoch einer Auslegung zugänglich: Der Begriff des "Verleitens" in §78 StGB (als erster Tatbestand) ist nach der Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofes als Anstiftungsverhalten zu verstehen (OGH 27.10.1998, 11 Os 82/98 ua; vgl auch Erläut zur RV 30 BlgNR 13. GP , 196 f.). Die von den Antragstellern gegen §78 erster Fall StGB unter dem Blickwinkel des Art18 B‑VG vorgebrachten Bedenken gehen somit ins Leere.

20. Der Verfassungsgerichtshof hat den Umfang der zu prüfenden und allenfalls aufzuhebenden Bestimmungen derart abzugrenzen, dass einerseits nicht mehr aus dem Rechtsbestand ausgeschieden wird, als Voraussetzung für den Anlassfall ist, dass aber andererseits der verbleibende Teil keine Veränderung seiner Bedeutung erfährt; da beide Ziele gleichzeitig niemals vollständig erreicht werden können, ist in jedem Einzelfall abzuwägen, ob und inwieweit diesem oder jenem Ziel der Vorrang vor dem anderen gebührt (VfSlg 7376/1974, 16.929/2003, 16.989/2003, 17.057/2003, 18.227/2007, 19.166/2010, 19.698/2012).

Zur Herstellung eines verfassungskonformen Rechtszustandes genügt es, die Wortfolge "oder ihm dazu Hilfe leistet," in §78 StGB aufzuheben. Der erste und zweite Tatbestand des §78 StGB stehen auch nicht in einem untrennbaren Zusammenhang, der es erforderte, §78 StGB zur Gänze aufzuheben.

21. Abschließend hält der Verfassungsgerichtshof fest, dass die Erwägungen, die zur Aufhebung des §78 zweiter Tatbestand StGB führen, nicht ohne Weiteres auf die Frage der Verfassungsmäßigkeit des – nicht zulässigerweise angefochtenen – §77 StGB übertragbar sind, weil sich diese Bestimmung in wesentlichen Belangen von §78 zweiter Tatbestand StGB unterscheidet.

V. Ergebnis

1. Die Wortfolge "oder ihm dazu Hilfe leistet," in §78 des Bundesgesetzes vom 23. Jänner 1974 über die mit gerichtlicher Strafe bedrohten Handlungen (Strafgesetzbuch – StGB), BGBl 60/1974, ist als verfassungswidrig aufzuheben.

Die Bestimmung einer Frist für das Außerkrafttreten der aufgehobenen Ge-setzesstelle gründet sich auf Art140 Abs5 dritter und vierter Satz B‑VG.

Der Ausspruch, dass frühere gesetzliche Bestimmungen nicht wieder in Kraft treten, beruht auf Art140 Abs6 erster Satz B‑VG.

Die Verpflichtung des Bundeskanzlers zur unverzüglichen Kundmachung der Aufhebung und der damit im Zusammenhang stehenden sonstigen Aussprüche erfließt aus Art140 Abs5 erster Satz B‑VG und §64 Abs2 VfGG iVm §3 Z3 BGBlG.

2. Der Antrag wird, soweit er sich auf §77 StGB bezieht, zurückgewiesen.

3. Im Übrigen wird der Antrag abgewiesen.

4. Die Kostenentscheidung stützt sich auf §65a VfGG. Da die Antragsteller nur mit einem Teil ihres Antrages erfolgreich waren, ist ihnen der Pauschalsatz nur in halber Höhe zuzusprechen (vgl etwa VfGH 13.12.2019, G211/2019 ua). In den zugesprochenen Kosten ist ein Streitgenossenzuschlag in Höhe von € 218,–, Umsatzsteuer in Höhe von € 261,60 sowie der Ersatz der entrichteten Eingabengebühren in Höhe von € 240,– enthalten.

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