OGH 12Os40/16y

OGH12Os40/16y16.6.2016

Der Oberste Gerichtshof hat am 16. Juni 2016 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Hon.‑Prof. Dr. Schroll als Vorsitzenden sowie durch die Hofräte und die Hofrätinnen des Obersten Gerichtshofs Dr. T. Solé, Dr. Oshidari, Dr. Michel‑Kwapinski und Dr. Brenner in Gegenwart der Richteramtsanwärterin Mag. Janisch als Schriftführerin in der Strafsache gegen Morris B***** wegen des Verbrechens der geschlechtlichen Nötigung nach § 202 Abs 1 StGB und weiterer strafbarer Handlungen über die Nichtigkeitsbeschwerde und die Berufung der Staatsanwaltschaft gegen das Urteil des Landesgerichts Klagenfurt als Schöffengericht vom 10. November 2015, GZ 17 Hv 40/15f‑65a, nach öffentlicher Verhandlung in Anwesenheit der Vertreterin der Generalprokuratur, Staatsanwältin Dr. Wallner zu Recht erkannt:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2016:0120OS00040.16Y.0616.000

 

Spruch:

In teilweiser Stattgebung der Nichtigkeitsbeschwerde wird das angefochtene Urteil, das im Übrigen unberührt bleibt, im Freispruch B./I./1./ und im Strafausspruch aufgehoben, eine neue Hauptverhandlung angeordnet und die Sache im Umfang der Aufhebung an das Landesgericht Klagenfurt verwiesen.

Im Übrigen wird die Nichtigkeitsbeschwerde verworfen.

Mit ihrer Berufung wird die Staatsanwaltschaft auf die Urteilsaufhebung verwiesen.

Gründe:

Mit dem angefochtenen, auch einen Schuldspruch (A./) und weitere Freisprüche (B./I./2. und II./) enthaltenden Urteil wurde Morris B***** von der Anklage, er habe zwischen 4. und 7. Jänner 2011 in K***** (zu ergänzen:) einer anderen, die seiner Fürsorge oder Obhut unterstand und die das achtzehnte Lebensjahr noch nicht vollendet hat, nämlich seiner am 6. August 2010 geborenen Tochter Sharleen B*****, körperliche und seelische Qualen zugefügt, indem er sie durch erhebliche Gewaltanwendung misshandelte, was einen Wulstbruch des rechten Oberschenkels zur Folge hatte (B./I./1./), gemäß § 259 Z 3 StPO freigesprochen.

Rechtliche Beurteilung

Die gegen diesen Freispruch aus Z 5 und 9 lit a des § 281 Abs 1 StPO ergriffene Nichtigkeitsbeschwerde der Staatsanwaltschaft ist im Recht.

Das Schöffengericht konnte die Täterschaft des Angeklagten nicht feststellen und kam auch zum Ergebnis, dass Sharleen B***** weder körperliche noch seelische Qualen habe erleiden müssen (US 3, 5).

Nach Auffassung des Schöffengerichts (US 6 f) waren insoweit die Angaben der zu den möglichen Tatzeiten ständig anwesenden Lebensgefährtin des Angeklagten, Lucy A*****, von wesentlicher Bedeutung ( Ratz , WK‑StPO § 281 Rz 410). Diese Zeugin habe ausgesagt, dass weder sie noch der Angeklagte Verursacher der Verletzungen der Sharleen B***** gewesen seien.

Das Erleiden körperlicher und seelischer Qualen sei im Hinblick darauf, dass Sharleen B***** zeitnah zur Verletzungsentstehung eine rasche „Therapie“ erhielt, und auch keine posttraumatische Belastungsstörung diagnostiziert werden konnte, zu verneinen (US 5, 10).

Die Mängelrüge (Z 5 zweiter Fall) kritisiert zutreffend, dass der Schöffensenat erhebliche (RIS-Justiz RS0116877; Ratz , WK‑StPO § 281 Rz 409, 421), in der Hauptverhandlung vorgekommene Verfahrensergebnisse unberücksichtigt ließ.

Die Tatrichter haben sich nämlich nicht mit den – in der Hauptverhandlung aufrecht erhaltenen (ON 58 AS 15 f) – Angaben der Zeugin Lucy A***** vor der Polizei (ON 2 AS 20) auseinandergesetzt. Danach habe Sharleen B***** im relevanten Tatzeitpunkt in einem Gitterbett im gemeinsamen Schlafzimmer geschlafen. Als das Kind gegen 03:00 Uhr nachts zu weinen begonnen habe, sei der Angeklagte aufgestanden und habe „dann“ die Zeugin aufgefordert, nachzusehen. Dabei habe sie gesehen, dass das Baby sein Bein zwischen die Gitterstäbe hinausgestreckt habe. Ihr sei gleich aufgefallen, dass der Fuß „ein bisschen schräg“ gestanden sei, wobei sie davon ausgegangen sei, dass sich das Kind selbst den Fuß gebrochen haben dürfte.

Dieses Beweisergebnis durfte mit Blick auf die vom Schöffensenat referierte Expertise der Sachverständigen Dr. G*****, wonach Kinder im (damaligen) Alter der Sharleen B***** sofort nach Erleiden eines solchen Bruchs zu weinen beginnen und der vorliegende Wulstbruch des rechten Oberschenkels durch erhebliche fremde und stumpfe Gewalteinwirkung und keinesfalls durch das Kind selbst oder durch eine dritte, am zwischen den Stäben des Gitterbetts herausgestreckten Bein des Opfers im Vorbeigehen anstoßende Person verursacht wurde (ON 65 AS 17 ff), nicht unerörtert bleiben.

In Bezug auf die Feststellung, wonach Sharleen B***** keine körperlichen Qualen – im Sinn von Schmerzen, Leiden oder Angstzuständen, die wegen ihrer beträchtlichen Intensität oder weil sie einen gewissen Zeitraum andauern oder sich wiederholen, mit einer erheblichen Beeinträchtigung des psychischen oder physischen Wohlbefindens des Betroffenen verbunden sind (RIS-Justiz RS0093099; Kienapfel/Schroll , BT I 5 § 92 Rz 15) – erlitten habe (US 3, 5), vermisst die weitere Mängelrüge (Z 5 zweiter Fall) zutreffend eine Auseinandersetzung mit den Ausführungen der Sachverständigen Dr. G***** zu den Schmerzperioden (vgl ON 12 AS 15, ON 65 AS 19: zwei Tage mittelschwere und sechs Tage leichte Schmerzen).

Indem die Beschwerde hinsichtlich sämtlicher Tatbestandselemente, zu denen der Schöffensenat im Hinblick auf die eingangs referierten (den Freispruch begründenden) Urteilsannahmen keine Aussage getroffen hat, unter Berufung auf derartige Feststellungen indizierende und in der Hauptverhandlung vorgekommene Verfahrensergebnisse Feststellungsmängel (§ 281 Abs 1 Z 9 lit a StPO) geltend macht, entspricht sie auch den Kriterien erfolgreicher Freispruchsanfechtung (RIS‑Justiz RS0127315).

Die aufgezeigten Begründungs‑ und Feststellungsmängel erfordern – in Übereinstimmung mit der Stellungnahme der Generalprokuratur – in Bezug auf den angefochtenen Freispruch die Urteilsaufhebung (§ 288 Abs 2 Z 1 StPO), womit sich ein Eingehen auf die weitere Beschwerdeargumentation der Staatsanwaltschaft erübrigt.

Im zweiten Rechtsgang wird – worauf die Staatsanwaltschaft zutreffend hinweist – der Anklagesachverhalt auch unter dem Aspekt der §§ 83 ff StGB zu prüfen sein.

Soweit sich die uneingeschränkt angemeldete Nichtigkeitsbeschwerde auch gegen den Schuldspruch A./ und die Freisprüche B./I./2./ und II./ richtet, wurden weder in der Rechtsmittelanmeldung noch in der Rechtsmittelschrift Nichtigkeitsgründe deutlich und bestimmt bezeichnet. Insoweit war die Nichtigkeitsbeschwerde zu verwerfen (§ 288 Abs 1 StPO).

Mit ihrer (bloß angemeldeten) Berufung war die Staatsanwaltschaft auf die Urteilsaufhebung zu verweisen.

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