VfGH V30/2018

VfGHV30/201824.9.2018

Gesetzwidrigkeit einer Verordnung betreffend eine 80 km/h-Geschwindigkeitsbeschränkung auf der Ennstal-Bundesstraße mangels ordnungsgemäßer Kundmachung durch Straßenverkehrszeichen bei einer Einmündung in den der Geschwindigkeitsbeschränkung unterliegenden Streckenabschnitt

Normen

B-VG Art139 Abs1 Z1
StVO 1960 §43, §44, §51
GeschwindigkeitsbeschränkungsV der Bezirkshauptmannschaft Liezen vom 04.09.2017 betr eine 80 km/h-Zone auf der Ennstal-Bundesstraße

European Case Law Identifier: ECLI:AT:VFGH:2018:V30.2018

 

Spruch:

I. Die Verordnung der Bezirkshauptmannschaft Liezen vom 4. September 2017, GZ 11.0-10/2008, Teil A: in Fahrtrichtung Graz (von Westen nach Osten) wird in den Punkten 91 und 95 als gesetzwidrig aufgehoben.

II. Die Steiermärkische Landesregierung ist zur unverzüglichen Kundmachung dieses Ausspruches im Landesgesetzblatt verpflichtet.

Begründung

Entscheidungsgründe

I. Antrag

1. Mit dem vorliegenden, auf Art139 Abs1 Z1 B‑VG gestützten Antrag begehrt das Landesverwaltungsgericht Steiermark,

"die Verordnung der Bezirkshauptmannschaft Liezen vom 04.09.2017, GZ: 11.0‑10/2008, Teil A: in Fahrtrichtung Graz (von Westen nach Osten) in den Punkten 91 und 95 als gesetzwidrig aufzuheben."

II. Rechtslage

1. Die Verordnung der Bezirkshauptmannschaft Liezen vom 4. September 2017, GZ 11.0-10/2008 lautet - auszugsweise - wie folgt:

"Verordnung

Gemäß §43 Abs1 litb und 94 Abs1 litb der Straßenverkehrsordnung – StVO – 1960, Nr 159, in der derzeit geltenden Fassung, werden für die Ennstal‑Bundesstraße LB 320 für den Bereich von km 8,518 (Landesgrenze Mandling) bis km 49,334 (Niederstuttern) in Abänderung der Verordnung vom 06.03.2017, GZ.: 11.0-10/2008, nachstehende straßenpolizeiliche Maßnahmen angeordnet:

A: in Fahrtrichtung Graz (von Westen nach Osten):

[…]

91. 'Geschwindigkeitsbeschränkung 80'

mit der Zusatztafel: 'Radarkontrolle'

bei km 43,050 (§52/10a StVO)

[…]

95. 'Ende der Geschwindigkeitsbeschränkung'

bei km 44,670 (§52/10b StVO)

[…]

Diese Verordnung ist gemäß §44 der Straßenverkehrsordnung (STVO) 1960 i.d.g.F. durch entsprechende Straßenverkehrszeichen (für welche in den einzelnen Verordnungspunkten die zuständigen Gesetzesbestimmungen bereits angeführt sind) kundzumachen und tritt mit der Anbringung der Verkehrszeichen in Kraft.

Die Anbringung und Erhaltung der Verkehrszeichen sowie auch der Bodenmarkierungen hat gemäß §32 STVO 1960 i.d.g.F. unter Beachtung der Bestimmungen des §48 STVO 1960 durch den Straßenerhalter zu erfolgen."

2. Die maßgeblichen Bestimmungen des Bundesgesetzes vom 6. Juli 1960, mit dem Vorschriften über die Straßenpolizei erlassen werden (Straßenverkehrsordnung 1960 - StVO 1960) BGBl 159 idF BGBl I 30/2018, lauten - auszugsweise - wie folgt:

"§43. Verkehrsverbote, Verkehrserleichterungen und Hinweise.

(1) Die Behörde hat für bestimmte Straßen oder Straßenstrecken oder für Straßen innerhalb eines bestimmten Gebietes durch Verordnung,

a) […]

b) wenn und insoweit es die Sicherheit, Leichtigkeit oder Flüssigkeit des sich bewegenden oder die Ordnung des ruhenden Verkehrs, die Lage, Widmung, Pflege, Reinigung oder Beschaffenheit der Straße, die Lage, Widmung oder Beschaffenheit eines an der Straße gelegenen Gebäudes oder Gebietes oder wenn und insoweit es die Sicherheit eines Gebäudes oder Gebietes und/oder der Personen, die sich dort aufhalten, erfordert,

1. dauernde oder vorübergehende Verkehrsbeschränkungen oder Verkehrsverbote, insbesondere die Erklärung von Straßen zu Einbahnstraßen, Maß-, Gewichts- oder Geschwindigkeitsbeschränkungen, Halte- oder Parkverbote und dergleichen, zu erlassen,

2. den Straßenbenützern ein bestimmtes Verhalten vorzuschreiben, insbesondere bestimmte Gruppen von der Benützung einer Straße oder eines Straßenteiles auszuschließen oder sie auf besonders bezeichnete Straßenteile zu verweisen;

[c) – d)…]

[(1a) – (11) …]

[…]

§44. Kundmachung der Verordnungen.

(1) Die im §43 bezeichneten Verordnungen sind, sofern sich aus den folgenden Absätzen nichts anderes ergibt, durch Straßenverkehrszeichen oder Bodenmarkierungen kundzumachen und treten mit deren Anbringung in Kraft. Der Zeitpunkt der erfolgten Anbringung ist in einem Aktenvermerk (§16 AVG) festzuhalten. Parteien im Sinne des §8 AVG ist die Einsicht in einen solchen Aktenvermerk und die Abschriftnahme zu gestatten. Als Straßenverkehrszeichen zur Kundmachung von im §43 bezeichneten Verordnungen kommen die Vorschriftszeichen sowie die Hinweiszeichen 'Autobahn', 'Ende der Autobahn', 'Autostraße', 'Ende der Autostraße', 'Einbahnstraße', 'Ortstafel', 'Ortsende', 'Internationaler Hauptverkehrsweg', 'Straße mit Vorrang', 'Straße ohne Vorrang', 'Straße für Omnibusse' und 'Fahrstreifen für Omnibusse' in Betracht. Als Bodenmarkierungen zur Kundmachung von im §43 bezeichneten Verordnungen kommen Markierungen, die ein Verbot oder Gebot bedeuten, wie etwa Sperrlinien, Haltelinien vor Kreuzungen, Richtungspfeile, Sperrflächen, Zickzacklinien, Schutzwegmarkierungen oder Radfahrerüberfahrtmarkierungen in Betracht.

[(1a)-(6) …]

[…]

§52. Die Vorschriftszeichen

Die Vorschriftszeichen sind

a) Verbots- oder Beschränkungszeichen,

b) –c) […]

a) Verbots- oder Beschränkungszeichen

10a. 'GESCHWINDIGKEITSBESCHRÄNKUNG (ERLAUBTE HÖCHSTGESCHWINDIGKEIT)' [Zeichen]

Dieses Zeichen zeigt an, dass das Überschreiten der Fahrgeschwindigkeit, die als Stundenkilometeranzahl im Zeichen angegeben ist, ab dem Standort des Zeichens verboten ist. Ob und in welcher Entfernung es vor schienengleichen Eisenbahnübergängen anzubringen ist, ergibt sich aus den eisenbahnrechtlichen Vorschriften.

10b. 'ENDE DER GESCHWINDIGKEITSBESCHRÄNKUNG' [Zeichen]

Dieses Zeichen zeigt das Ende der Geschwindigkeitsbeschränkung an. Es ist nach jedem Zeichen gemäß Z10a anzubringen und kann auch auf der Rückseite des für die Gegenrichtung geltenden Zeichens angebracht werden. Es kann entfallen, wenn am Ende der Geschwindigkeitsbeschränkung eine neue Geschwindigkeitsbeschränkung, sei es auch nicht aufgrund dieses Bundesgesetzes, beginnt.

[…]

§94b. Zuständigkeit der Bezirksverwaltungsbehörde

(1) Behörde im Sinne dieses Bundesgesetzes ist, sofern der Akt der Vollziehung nur für den betreffenden politischen Bezirk wirksam werden soll und sich nicht die Zuständigkeit der Gemeinde oder – im Gebiet einer Gemeinde, für das die Landespolizeidirektion zugleich Sicherheitsbehörde erster Instanz ist – der Landespolizeidirektion ergibt, die Bezirksverwaltungsbehörde

a) […]

b) für die Erlassung von Verordnungen und Bescheiden,

[c) – h)…]

(2) […]"

III. Antragsvorbringen und Vorverfahren

1. Beim Landesverwaltungsgericht Steiermark ist ein Verfahren über eine Beschwerde gegen ein Straferkenntnis der Bezirkshauptmannschaft Liezen vom 2. Februar 2018 anhängig. Mit dem Straferkenntnis wurde dem Beschwerdeführer im Verfahren vor dem antragstellenden Gericht zur Last gelegt, er habe am 7. Oktober 2017, um 09.35 Uhr, in der Gemeinde Mitterberg‑Sankt Martin, auf der B320, StrKm 44.372, Richtung Trautenfels als Lenker des PKWs mit dem Kennzeichen GB-400BB im angeführten Bereich, welcher außerhalb eines Ortsgebietes liege, die durch Straßenverkehrszeichen in diesem Bereich kundgemachte zulässige Höchstgeschwindigkeit von 80 km/h um 15 km/h überschritten. Die in Betracht kommende Messtoleranz sei bereits zu seinen Gunsten abgezogen worden. Dadurch sei die Rechtsvorschrift des §52 lita Z10a StVO verletzt worden und verhängte die Verwaltungsbehörde gemäß §99 Abs3 lita StVO eine Geldstrafe von € 60,00 (im Fall der Uneinbringlichkeit 1 Tag und 3 Stunden Ersatzfreiheitsstrafe).

In seiner Beschwerde gegen das Straferkenntnis der Bezirkshauptmannschaft Liezen brachte der Beschwerdeführer im Verfahren vor dem antragstellenden Gericht unter anderem vor, dass er vom Ortsgebiet Salza kommend nach links in die B320 Richtung Liezen eingebogen sei, jedoch weder im Kreuzungsbereich noch auf der B320 ein Verkehrszeichen darauf hingewiesen hätte, dass auf der B320 eine Geschwindigkeitsbeschränkung von 80 km/h gegolten hätte.

2. Aus Anlass dieses Verfahrens stellte das Landesverwaltungsgericht Steiermark gemäß Art139 Abs1 Z1 B‑VG den Antrag, die Verordnung der Bezirkshauptmannschaft Liezen vom 04.09.2017, GZ 11.0-10/2008, Teil A: in Fahrtrichtung Graz (von Westen nach Osten) in den Punkten 91 und 95 als gesetzwidrig aufzuheben.

Das Landesverwaltungsgericht Steiermark führte zur Präjudizialität der angefochtenen Verordnung aus, dass es im Beschwerdeverfahren als Rechtsgrundlage die Verordnung der Bezirkshauptmannschaft Liezen vom 04.09.2017, GZ: 11.0-10/2008 A: in Fahrtrichtung Graz (von Westen nach Osten) in den Punkten 91 (Geschwindigkeitsbeschränkung 80 bei km 43,050) und 95 (Ende der Geschwindigkeitsbeschränkung km 44,670) unmittelbar anzuwenden hätte.

Das Landesverwaltungsgericht Steiermark stellte den bisherigen Verfahrensgang sowie die Bedenken hinsichtlich der nicht ordnungsgemäßen Kundmachung der Verordnung wie folgt dar:

"Mit Straferkenntnis der Bezirkshauptmannschaft Liezen vom 02.02.2018, GZ: BHLI-15.1-27056/2017 wurde Herrn […] zur Last gelegt, er habe am 07.10.2017, um 09.35 Uhr, in der Gemeinde Mitterberg‑Sankt Martin, auf der B320, StrKm 44.372, Richtung Trautenfels als Lenker des PKWs mit dem Kennzeichen […] im angeführten Bereich, welcher außerhalb eines Ortsgebietes liege, die durch Straßenverkehrszeichen in diesem Bereich kundgemachte zulässige Höchstgeschwindigkeit von 80 km/h um 15 km/h überschritten. Die in Betracht kommende Messtoleranz sei bereits zu seinen Gunsten abgezogen worden. Dadurch sei die Rechtsvorschrift des §52 lita Z10a StVO verletzt worden und verhängte die Verwaltungsbehörde gemäß §99 Abs3 lita StVO eine Geldstrafe von € 60,00 (im Fall der Uneinbringlichkeit 1 Tag und 3 Stunden Ersatzfreiheitsstrafe).

In seiner Beschwerde brachte Herr […] unter anderem vor, dass er vom Ortsgebiet Salza kommend nach links in die B320 Richtung Liezen eingebogen sei, jedoch weder im Kreuzungsbereich noch auf der B320 ein Verkehrszeichen darauf hingewiesen hätte, dass auf der B320 eine Geschwindigkeitsbeschränkung von 80 km/h gegolten hätte.

[…]

Am 07.05.2018 fand vor dem Landesverwaltungsgericht Steiermark eine öffentliche mündliche Verhandlung statt, an der Herr […] teilnahm und ebenso wie der Zeuge […] Fotoausdrucke des Verlaufs der B320 im Tatortbereich vorlegte. Aufgrund der übereinstimmenden Angaben von […] und der von ihnen vorgelegten Fotoausdrucke (Beilage ./A sowie Beilage ./F, ./G und ./H der Verhandlungsschrift vom 07.05.2018) steht fest, dass, wenn man vom Ortsgebiet Salza kommend zum Kreuzungsbereich mit der B320 fährt und dann nach links Richtung Liezen einbiegt, weder vor bzw im Kreuzungsbereich noch auf der B320 ein Verkehrszeichen darauf hinweist, dass in diesem Bereich der B320 eine Geschwindigkeitsbeschränkung von 80 km/h gilt.

In Entsprechung des §48 Abs1 StVO müssen Straßenverkehrszeichen derart angebracht sein, dass sie leicht und rechtzeitig erkannt werden können. Die gesetzmäßige Anbringung von Verkehrszeichen nach den Vorschriften der §§48 ff. StVO gehört zur ordentlichen Kundmachung von Verordnungen (vgl VwGH 13.02.1985, 85/18/0024; 10.10.2014, 2013/02/0276). Dies bedeutet, dass Lenker auf eine ihnen zumutbare Weise ohne Mühe und damit auch ohne Beeinträchtigung des Verkehrs im Stande sein müssen, den Inhalt der betreffenden Anordnung zu erfassen und sich danach zu richten (VwGH 25.04.1985, 84/02/0267; 26.02.2004, 2003/07/0174). Kann ein Straßenverkehrszeichen von den Lenkern herannahender Fahrzeuge nicht leicht und rechtzeitig erkannt werden, so liegt eine gehörige Kundmachung der zugrundliegenden Verordnung nicht vor (vgl VfGH 24.09.1996, V75/96; VwGH 25.04.1985, 84/02/0267; 23.10.1986, 86/02/0109; 13.09.1985, 85/18/0278; 25.04.1985, 84/02/0267).

Gemäß §51 Abs1 erster Satz StVO sind Vorschriftszeichen 'vor' der Stelle, für die sie gelten, anzubringen. §51 Abs5 StVO bestimmt darüber hinaus für den Fall der Einmündung einer Straße in einen Straßenabschnitt, für den durch Vorschrifts-zeichen Verkehrsbeschränkungen kundgemacht sind, dass ein Beschränkungszeichen auch schon vor der einmündenden Straße durch entsprechende Vorschriftszeichen mit einer Zusatztafel mit Pfeilen angebracht werden kann. §51 Abs5 StVO stellt keine zwingende Kundmachungsanordnung dar, sondern schafft nur die Möglichkeit, durch Anzeige (bereits in der einmündenden Straße) auf die auf einem Straßenabschnitt durch Vorschriftszeichen kundgemachten Verkehrsbeschränkungen aufmerksam zu machen, um so dem einbiegenden Lenker Kenntnis von der Vorschrift zu verschaffen. Beim Fehlen eines Vorschriftszeichens auch nur an einer einzigen einmündenden Straße ist die Verordnung als solche nicht gehörig kundgemacht und kann daher gegenüber niemanden Rechtswirkungen entfalten (vgl VwGH 30.11.2004, 2002/02/0302).

Im Kreuzungsbereich vom Ortsgebiet Salza kommend mit der B320 gibt es weder vor der Einmündung in die B320 noch auf der B320 Verkehrszeichen, die auf die 80 km/h Beschränkung hinweisen. Im Unterschied dazu gibt es bei anderen Einmündungsstellen in die B320 sehr wohl derartige Verkehrszeichen (siehe Beilage ./1 - ./4 sowie ./6 und ./7 der Verhandlungsschrift vom 07.05.2018).

In seiner bisherigen Rechtsprechung legte der Verfassungsgerichtshof Art89 Abs1 B‑VG dahingehend aus, dass nur gesetzmäßig kundgemachte Verordnungen von den ordentlichen Gerichten und den Verwaltungsgerichten (Art135 Abs4 iVm Art89 Abs1 B‑VG) anzuwenden waren. Nicht gesetzmäßig kundgemachte Verordnungen entfalteten hingegen keine Rechtswirkungen und waren daher von den Verwaltungsgerichten nicht anzuwenden (während nach der sogenannten Gehorsamsthese Normunterworfene und Verwaltungsbehörden derartige Verordnungen anzuwenden hatten). Von dieser Rechtsprechung ging der Verfassungsgerichtshof in seinem Erkenntnis vom 28.06.2017, V4/2017, ab. Aus diesem Erkenntnis lässt sich ableiten, dass auch Gerichte nunmehr gesetzwidrig kundgemachte Verordnungen anzuwenden und diese, wenn sie Bedenken gegen die rechtmäßige Kundmachung haben, vor dem Verfassungsgerichtshof anzufechten haben. Bis zur Aufhebung durch den Verfassungsgerichtshof sind nicht rechtmäßige Verordnungen daher für jedermann verbindlich. Eine 'gehörig kundgemachte' generelle Norm, also eine für einen unbestimmten, externen Adressatenkreis verbindliche Anordnung von Staatsorganen, die vom Gericht gemäß Art89 B‑VG anzuwenden ist, liegt dann vor, wenn eine solche Norm ausreichend allgemein kundgemacht wurde, wenn auch nicht in der rechtlich vorgesehenen Weise. Dies bedeutet, dass jeglicher Akt von staatlichen Organen, der einen normativen Inhalt für einen unbestimmten Adressatenkreis aufweist und – in einer zumindest den Adressaten zugänglichen Form – allgemein kundgemacht worden ist, als generelle Norm anzuwenden und gegebenenfalls von den Gerichten gemäß Art139 ff B‑VG vor dem Verfassungsgerichtshof anzufechten ist. Eine generelle Norm ist dann gehörig kundgemacht, wenn sie als Akt eines staatlichen Organs mit normativem Inhalt zumindest den Adressaten (allgemein) zugänglich gemacht worden ist, somit, wenn sie ein Mindestmaß an Publizität aufweist.

Das Landesverwaltungsgericht Steiermark sieht sich daher an die gesetzwidrig kundgemachte Verordnung gebunden und begehrt die Aufhebung der genannten Verordnung der Geschwindigkeitsbeschränkung von 80 km/h zwischen km 43,050 (Punkt 91 der Verordnung) und dem Ende der Geschwindigkeitsbeschränkung bei km 44,670 (Punkt 95 der Verordnung)."

3. Die verordnungserlassende Behörde hat die Akten betreffend das Zustandekommen der angefochtenen Verordnung vorgelegt.

4. Die Steiermärkische Landesregierung, die verordnungserlassende Behörde und der am Verfahren beteiligte Beschwerdeführer des beim Landesverwaltungsgericht Steiermark anhängigen Verfahrens haben von der Erstattung einer Äußerung abgesehen.

IV. Erwägungen

1. Zur Zulässigkeit des Antrags

1.1.  Der Verfassungsgerichtshof vertritt in Abkehr von seiner früheren Rechtsprechung zu Art89 Abs1 B‑VG seit dem Erkenntnis vom 28. Juni 2017, V4/2017, die Auffassung, dass eine "gehörig kundgemachte" generelle Norm – also eine an einen unbestimmten, externen Personenkreis adressierte, verbindliche Anordnung von Staatsorganen – bereits dann vorliegt, wenn eine solche Norm ein Mindestmaß an Publizität und somit rechtliche Existenz erlangt (vgl zB VfSlg 12.382/1990, 16.875/2003, 19.058/2010, 19.072/2010, 19.230/2010 uva.; vgl auch VfGH 18.9.2015, V96/2015, sowie die Rechtsprechung zu nicht ordnungsgemäß kundgemachten Gesetzen VfSlg 16.152/2001, 16.848/2003 und die darin zitierte Vorjudikatur). Es ist nicht notwendig, dass die Kundmachung der Norm in der rechtlich vorgesehenen Weise erfolgt. Demnach haben auch Gerichte gesetzwidrig kundgemachte Verordnungen gemäß Art139 B‑VG anzuwenden und diese, wenn sie Bedenken gegen ihre rechtmäßige Kundmachung haben, vor dem Verfassungsgerichtshof anzufechten. Bis zur Aufhebung durch den Verfassungsgerichtshof sind sie für jedermann verbindlich.

1.2. Die Aufstellung der von der Bezirkshauptmannschaft Liezen mit der angefochtenen Verordnung verfügten Verkehrszeichen erfolgte am 18. September 2017. Gemäß §44 Abs1 StVO 1960 ist die angefochtene Verordnung damit jedenfalls kundgemacht worden, sodass sie mit verbindlicher Wirkung für jedermann zustande gekommen ist und in Geltung steht.

1.3. Die Punkte 91 und 95 des Teiles A der angefochtenen Verordnung sind präjudiziell, weil die Überschreitung der höchstzulässigen Geschwindigkeit durch den Beschwerdeführer auf dem Streckenabschnitt erfolgt sein soll, für den die Punkte 91 und 95 des Teiles A der angefochtenen Verordnung den Beginn und das Ende einer Geschwindigkeitsbegrenzung vorsehen. In diesem Sinne sind die Punkte 91 und 95 auch untrennbar miteinander verbunden.

Der Antrag erweist sich daher als zulässig.

1.4. Da auch die übrigen Prozessvoraussetzungen vorliegen, erweist sich der Antrag betreffend die Rechtswidrigkeit der Kundmachung der Verordnung der Bezirkshauptmannschaft Liezen vom 4. September 2017, GZ 11.0-10/2008, Teil A: in Fahrtrichtung Graz (von Westen nach Osten) in den Punkten 91 und 95 als zulässig.

2. In der Sache

2.1. Der Verfassungsgerichtshof ist in einem auf Antrag eingeleiteten Verfahren zur Prüfung der Gesetzmäßigkeit einer Verordnung gemäß Art139 B‑VG auf die Erörterung der geltend gemachten Bedenken beschränkt (vgl VfSlg 11.580/1987, 14.044/1995, 16.674/2002). Er hat sohin ausschließlich zu beurteilen, ob die angefochtene Verordnung aus den in der Begründung des Antrages dargelegten Gründen gesetzwidrig ist (VfSlg 15.644/1999, 17.222/2004).

2.2. Der Antrag ist begründet.

2.3. Die vorgenommene Kundmachung der Verordnung entspricht nicht den Anforderungen des §44 Abs1 StVO:

Gemäß §44 Abs1 StVO 1960 sind die in §43 StVO 1960 bezeichneten Verordnungen, sofern sich aus den folgenden Absätzen nichts anderes ergibt, durch Straßenverkehrszeichen oder Bodenmarkierungen kundzumachen und treten mit deren Anbringung in Kraft (vgl VfSlg 18.710/2009, 19.409/2011, 19.410/2011).

Der Vorschrift des §44 Abs1 StVO ist immanent, dass die bezüglichen Straßenverkehrszeichen dort angebracht sind, wo der räumliche Geltungsbereich der Verordnung beginnt und endet (vgl VfGH 14.3.2018, V114/2017).

2.4. Das gilt auch für Einmündungen in einen Streckenabschnitt, auf dem eine Geschwindigkeitsbeschränkung gilt. Daher sieht der Gesetzgeber mit §51 Abs5 StVO die Möglichkeit vor, die Beschränkungen schon auf der einmündenden Straße durch die betreffenden Vorschriftszeichen mit einer Zusatztafel mit Pfeilen anzuzeigen. Demnach hat eine ordnungsgemäße Kundmachung der Verordnung iSd §44 Abs1 StVO am Beginn und am Ende des betroffenen Streckenabschnitts sowie bei jeder Einmündung in den betroffenen Streckenabschnitt zu erfolgen.

2.5. Eine Kundmachung, die nicht an allen Örtlichkeiten dem Gesetz entspricht, ist mangelhaft. Eine auf diese Weise kundgemachte Verordnung ist zwar existent, jedoch bis zur Behebung des Mangels mit Gesetzwidrigkeit behaftet (vgl VfSlg 5824/1968, 6346/1970).

2.6. Wie sich aus dem Akteninhalt, insbesondere aus dem vom Beschwerdeführer des Verfahrens vor dem Landesverwaltungsgericht Steiermark vorgelegten – und von der Bezirkshauptmannschaft Liezen unbestritten gebliebenen Bildmaterial –, ergibt, befindet sich in der Einmündung bei Strkm. 43,930 keine Ausschilderung der Geschwindigkeitsbeschränkung.

2.7. Dadurch dass an der Einmündung aus Salza kommend in die B320 bei Strkm. 43,930 kein Verkehrsschild auf die Geschwindigkeitsbeschränkung hinweist, ist die angefochtene Verordnung nicht ordnungsgemäß kundgemacht.

2.8. Auch soweit ein Kundmachungsmangel gegeben ist, wäre gemäß Art139 Abs3 Z3 B‑VG nicht die gesamte Verordnung als gesetzwidrig aufzuheben, weil der Kundmachungsmangel einer Verkehrsbeschränkung keine unmittelbare Auswirkung auf die Verbindlichkeit der anderen, in der Verordnung enthaltenen und kundgemachten Verkehrsbeschränkungen bzw Anordnungen hat (vgl VwGH 21.4.2006, 2005/02/0164 mwN). Der festgestellte Kundmachungsmangel betrifft ausschließlich die – (im Ausgangsverfahren vor dem Landesverwaltungsgericht Steiermark) präjudiziellen – im Spruch genannten Teile der zitierten Verordnung. Da die unter II.1. wiedergegebene Verordnung u.a. weitere Regelungen über Vorschriftszeichen beinhaltet, die auf andere Weise, wie etwa durch anders gestaltete Verkehrszeichen an anderen, näher bezeichneten Orten kundzumachen sind, kommt eine Aufhebung der ganzen Verordnung gemäß Art139 Abs3 Z3 B‑VG im vorliegenden Verfahren nicht in Betracht (vgl VfSlg 19.127/2010, 19.128/2010).

V. Ergebnis

1. Die Verordnung der Bezirkshauptmannschaft Liezen vom 4. September 2017, GZ 11.0-10/2008, Teil A: in Fahrtrichtung Graz (von Westen nach Osten) ist daher in den Punkten 91 und 95 wegen Verstoßes gegen §44 Abs1 StVO als gesetzwidrig aufzuheben.

2. Die Verpflichtung der Landesregierung zur unverzüglichen Kundmachung der Aufhebung erfließt aus Art139 Abs5 erster Satz B‑VG und §59 Abs2 VfGG iVm §2 Abs1 Z7 Steiermärkisches KundmachungsG.

3. Diese Entscheidung konnte gemäß §19 Abs4 VfGG ohne mündliche Verhandlung in nichtöffentlicher Sitzung getroffen werden.

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