European Case Law Identifier: ECLI:AT:VFGH:2016:G248.2016
Spruch:
I. Die Wortfolge "eine Revision beim Verwaltungsgerichtshof gegen das Erkenntnis nicht mehr zulässig ist und" in §32 Abs1 des Bundesgesetzes über das Verfahren der Verwaltungsgerichte (Verwaltungsgerichtsverfahrensgesetz – VwGVG), BGBl I Nr 33/2013, wird als verfassungswidrig aufgehoben.
II. Die aufgehobene Wortfolge ist nicht mehr anzuwenden.
III. Früher gesetzliche Bestimmungen treten nicht wieder in Kraft.
IV. Der Bundeskanzler ist zur unverzüglichen Kundmachung dieser Aussprüche im Bundesgesetzblatt I verpflichtet.
Begründung
Entscheidungsgründe
I. Antrag
Der Verwaltungsgerichtshof beantragte mit Beschlüssen vom 3. Mai 2016 (beim Verfassungsgerichtshof protokolliert zu G248/2016), vom 13. September 2016 (beim Verfassungsgerichtshof protokolliert zu G337/2016) und vom 24. Oktober 2016 (beim Verfassungsgerichtshof protokolliert zu G383/2016),
"die Wortfolge 'eine Revision beim Verwaltungsgerichtshof gegen das Erkenntnis nicht mehr zulässig ist und' in §32 Abs1 VwGVG, BGBl I Nr 33/2013, als verfassungswidrig aufzuheben".
II. Rechtslage
§32 des Bundesgesetzes über das Verfahren der Verwaltungsgerichte (Verwaltungsgerichtsverfahrensgesetz – VwGVG), BGBl I 33/2013, hat folgenden Wortlaut (die angefochtene Wortfolge ist hervorgehoben):
"
Wiederaufnahme des Verfahrens
§32. (1) Dem Antrag einer Partei auf Wiederaufnahme eines durch Erkenntnis des Verwaltungsgerichtes abgeschlossenen Verfahrens ist stattzugeben, wenn eine Revision beim Verwaltungsgerichtshof gegen das Erkenntnis nicht mehr zulässig ist und
1. das Erkenntnis durch Fälschung einer Urkunde, falsches Zeugnis oder eine andere gerichtlich strafbare Handlung herbeigeführt oder sonstwie erschlichen worden ist oder
2. neue Tatsachen oder Beweismittel hervorkommen, die im Verfahren ohne Verschulden der Partei nicht geltend gemacht werden konnten und allein oder in Verbindung mit dem sonstigen Ergebnis des Verfahrens voraussichtlich ein im Hauptinhalt des Spruchs anders lautendes Erkenntnis herbeigeführt hätten, oder
3. das Erkenntnis von Vorfragen (§38 AVG) abhängig war und nachträglich über eine solche Vorfrage von der zuständigen Verwaltungsbehörde bzw. vom zuständigen Gericht in wesentlichen Punkten anders entschieden wurde oder
4. nachträglich ein Bescheid oder eine gerichtliche Entscheidung bekannt wird, der bzw. die einer Aufhebung oder Abänderung auf Antrag einer Partei nicht unterliegt und die im Verfahren des Verwaltungsgerichtes die Einwendung der entschiedenen Sache begründet hätte.
(2) Der Antrag auf Wiederaufnahme ist binnen zwei Wochen beim Verwaltungsgericht einzubringen. Die Frist beginnt mit dem Zeitpunkt, in dem der Antragsteller von dem Wiederaufnahmegrund Kenntnis erlangt hat, wenn dies jedoch nach der Verkündung des mündlichen Erkenntnisses und vor Zustellung der schriftlichen Ausfertigung geschehen ist, erst mit diesem Zeitpunkt. Nach Ablauf von drei Jahren nach Erlassung des Erkenntnisses kann der Antrag auf Wiederaufnahme nicht mehr gestellt werden. Die Umstände, aus welchen sich die Einhaltung der gesetzlichen Frist ergibt, sind vom Antragsteller glaubhaft zu machen.
(3) Unter den Voraussetzungen des Abs1 kann die Wiederaufnahme des Verfahrens auch von Amts wegen verfügt werden. Nach Ablauf von drei Jahren nach Erlassung des Erkenntnisses kann die Wiederaufnahme auch von Amts wegen nur mehr aus den Gründen des Abs1 Z1 stattfinden.
(4) Das Verwaltungsgericht hat die Parteien des abgeschlossenen Verfahrens von der Wiederaufnahme des Verfahrens unverzüglich in Kenntnis zu setzen.
(5) Auf die Beschlüsse des Verwaltungsgerichtes sind die für seine Erkenntnisse geltenden Bestimmungen dieses Paragraphen sinngemäß anzuwenden. Dies gilt nicht für verfahrensleitende Beschlüsse."
III. Antragsvorbringen und Vorverfahren
1. G 248/2016
1.1. Beim Verwaltungsgerichtshof ist eine außerordentliche Revision gegen einen Beschluss des Bundesverwaltungsgerichtes vom 3. Juli 2015 anhängig, mit welchem der Antrag der Revisionswerberin auf Wiederaufnahme ihres Verfahrens als unzulässig zurückgewiesen wurde. Die Revisionswerberin, eine Staatsangehörige der Russischen Föderation, hatte am 12. Juli 2012 einen Antrag auf internationalen Schutz gestellt. Mit Bescheid vom 7. August 2013 wies das Bundesasylamt diesen Antrag sowohl hinsichtlich der Zuerkennung des Status einer Asylberechtigten als auch hinsichtlich der Gewährung subsidiären Schutzes ab (Spruchpunkte I. und II. des Bescheides). Die Revisionswerberin wurde in die Russische Föderation ausgewiesen (Spruchpunkt III. des Bescheides). Mit Erkenntnis vom 12. Mai 2014, das der Revisionswerberin am 20. Mai 2014 zugestellt wurde, wies das Bundesverwaltungsgericht die gegen den Bescheid des Bundesasylamtes erhobene Beschwerde hinsichtlich der Spruchpunkte I. und II. ab, hinsichtlich des Spruchpunktes III. verwies das Bundesverwaltungsgericht das Verfahren an das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl zurück.
1.2. Mit Schriftsatz vom 17. Juni 2014 stellte die Revisionswerberin einen Antrag auf Wiederaufnahme des abgeschlossenen Verfahrens und führte begründend aus, sie sei von ihren Verfolgern in ihrem Heimatstaat vergewaltigt worden. Diesen Sachverhalt habe sie ihrem Vertreter erst am 10. Juni 2014 auf Grund dessen Nachfrage berichtet. Wegen ihres sozialen und kulturellen Umfelds sei die Revisionswerberin nicht in der Lage gewesen, vor Abschluss des Verfahrens ein entsprechendes Vorbringen zu erstatten. Das neue Tatsachenvorbringen hätte in Verbindung mit den übrigen Verfahrensergebnissen zu einer für die Revisionswerberin günstigeren Entscheidung geführt.
1.3. Mit dem beim Verwaltungsgerichtshof mit einer außerordentlichen Revision bekämpften Beschluss vom 3. Juli 2015 wies das Bundesverwaltungsgericht den Antrag auf Wiederaufnahme gemäß §32 Abs1 VwGVG als unzulässig zurück. In der Begründung dieses Beschlusses führte das Bundesverwaltungsgericht aus, der Antrag auf Wiederaufnahme des Verfahrens sei am 24. Juni 2014, sohin noch innerhalb der sechswöchigen Frist zur Erhebung einer außerordentlichen Revision gegen das Erkenntnis vom 12. Mai 2014 beim Bundesverwaltungsgericht eingelangt. In diesem Fall sei ein Antrag auf Wiederaufnahme des Verfahrens an das Bundesverwaltungsgericht gemäß §32 Abs1 VwGVG mangels Vorliegens der gesetzlichen Voraussetzungen unzulässig.
1.4. Aus Anlass dieses Verfahrens stellt der Verwaltungsgerichtshof den angeführten Gesetzesprüfungsantrag und legt seine Bedenken gegen die angefochtene Wortfolge wie folgt dar (ohne die Hervorhebungen im Original):
"[…]
4. Der verfahrensgegenständliche Wiederaufnahmeantrag wurde innerhalb der zweiwöchigen subjektiven Frist des §32 Abs2 VwGVG eingebracht. Die Zurückweisung des Antrages gründete das BVwG gemäß §32 Abs1 zweiter Halbsatz VwGVG auf den Umstand, dass zum Zeitpunkt der Einbringung des Wiederaufnahmeantrages die Frist zur Erhebung der Revision noch nicht abgelaufen gewesen sei. Aus diesem Grund könne nicht davon ausgegangen werden, dass eine Revision beim Verwaltungsgerichtshof nicht mehr zulässig sei.
Die Entscheidung über die Revision hängt daher von der Anwendung der angefochtenen Norm des §32 Abs1 zweiter Halbsatz VwGVG ab.
5. Aus den folgenden Erwägungen hegt der Verwaltungsgerichtshof insbesondere vor dem Hintergrund der Art7 und 18 BVG sowie des rechtsstaatlichen Prinzips Bedenken gegen die Verfassungsmäßigkeit der im Spruch angeführten Wortfolge des §32 Abs1 zweiter Halbsatz VwGVG:
5.1. Zu den Bedenken aufgrund des aus dem Gleichheitsgrundsatz entfließenden Sachlichkeitsgebotes und aufgrund des aus dem rechtsstaatlichen Prinzip ableitbaren Grundsatzes des effektiven Rechtsschutzes:
5.1.1. Der Wortlaut des §32 Abs1 VwGVG stimmt im Wesentlichen mit §69 AVG überein. Den Erläuterungen betreffend §32 VwGVG (RV 2009 BlgNR 24. GP 7) zufolge sollten die Bestimmungen über die Wiederaufnahme des Verfahrens auch weitgehend den §§69 f AVG 'mit den erforderlichen Anpassungen auf Grund der Einführung einer Verwaltungsgerichtsbarkeit erster Instanz' entsprechen. Die in den Gesetzesmaterialien zum Ausdruck kommende Absicht des Gesetzgebers, die Regelung des §69 AVG grundsätzlich fortschreiben zu wollen, legt nahe, der Auslegung von §32 VwGVG jenes Rechtsverständnis zugrunde zu legen, das sich in der Literatur und Rechtsprechung zu §69 AVG entwickelt hat.
5.1.2. Nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zu §69 Abs1 AVG vor Inkrafttreten der Verwaltungsgerichtsbarkeits-Novelle 2012 setzte die Wiederaufnahme des Verfahrens (unter anderem) die formelle Rechtskraft des das wiederaufzunehmende Verfahren abschließenden Bescheides voraus, das heißt, dass gegen diesen ein (ordentliches) Rechtsmittel nicht (mehr) zulässig sein durfte.
Die Bestimmung, dass ein 'Rechtsmittel gegen den Bescheid nicht oder nicht mehr zulässig' sein durfte, wurde als Prozessvoraussetzung verstanden (vgl. etwa VwGH vom 22. Oktober 1991, Zl. 91/11/0136, sowie Walter/Mayer, Verwaltungsverfahrensrecht8, Rz 582, und Hengstschläger/Leeb, AVG, §69 Rz 5). Ein Wiederaufnahmeantrag, der vor rechtskräftigem Abschluss des wiederaufzunehmenden Verfahrens gestellt worden war, wurde als unzulässig erachtet und war daher zurückzuweisen (vgl. Walter/Thienel, Verwaltungsverfahrensgesetze I², E18ff zu §69 AVG, insbes. E21).
Dass gegen den Bescheid noch eine Beschwerde an die Gerichtshöfe öffentlichen Rechts offen stand, hinderte nach dieser Rechtsprechung die Wiederaufnahme nicht. Der Grund für diese - den Begriff des Rechtsmittels in §69 AVG einschränkende - Interpretation war nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes darin zu sehen, dass im Verfahren über ordentliche Rechtsmittel, insbesondere im Berufungsverfahren, kein Neuerungsverbot bestand und daher Mängel des Bescheides in jeder Richtung geltend gemacht werden konnten, ohne dass es einer Wiederaufnahme des Verfahrens bedurft hätte (vgl. VwGH vom 28. Februar 2008, Zl. 2007/06/0276, mit Verweis auf Thienel, Verwaltungsverfahrensrecht4, 310, und Walter/Mayer, Grundriss des Österreichischen Verwaltungsverfahrensrechts8, Rz 582; vgl. zur Möglichkeit der Erhebung der Wiederaufnahmeklage im Zivilprozess vor Rechtskraft der Entscheidung Jelinek in Fasching/Konecny², Kommentar zu den Zivilprozessgesetzen IV/1 §530 ZPO Rz 3). Dies galt auch - wie fallbezogen hinzuzufügen ist - für das Asylverfahren, in dem zwar für das Rechtsmittelverfahren ein Neuerungsverbot vorgesehen war (und noch immer ist), dieses jedoch nach der ständigen Rechtsprechung der Gerichtshöfe öffentlichen Rechts nur für Fälle missbräuchlicher Inanspruchnahme der Neuerungsmöglichkeit galt (vgl. etwa VwGH vom 27. September 2005, Zl. 2005/01/0313).
5.1.3. Werden diese sachlichen Erwägungen, nach denen ein Wiederaufnahmeantrag solange unzulässig war, als für den Antragsteller noch die Möglichkeit der Geltendmachung neuer Tatsachen und Beweise im wiederaufzunehmenden Verfahren bestand, in Betracht gezogen, erscheint es verfassungsrechtlich bedenklich, wenn der Wiederaufnahmeantrag im neuen System der mehrstufigen Verwaltungsgerichtsbarkeit davon abhängig gemacht wird, dass eine Revision an den Verwaltungsgerichtshof nicht mehr zulässig ist.
5.1.4. Es wird im Folgenden noch darzustellen sein, dass die Formulierung des §32 Abs1 zweiter Halbsatz VwGVG, eine Revision dürfe nicht mehr zulässig sein, mehrdeutig ist und insbesondere offen lässt, ob das Gesetz damit nur den Ablauf der Revisionsfrist oder auch das Abwarten eines Revisionsverfahrens vorschreibt. In beiden Fällen wird der effektive Rechtsschutz für den Antragsteller aber unsachlich eingeschränkt, weil - abweichend von der bisherigen Rechtslage - die Möglichkeit, ein Rechtsmittel beim Verwaltungsgerichtshof zu erheben, einen Antrag auf Wiederaufnahme hindert.
Einer Interpretation des §32 Abs1 zweiter Halbsatz VwGVG im Sinne der bisherigen Judikatur, nach der die Möglichkeit der Anrufung der Gerichtshöfe des öffentlichen Rechts den Wiederaufnahmeantrag nicht hinderte, steht dessen Wortlaut entgegen, weil - zumindest in Bezug auf die Revision an den Verwaltungsgerichtshof - ausdrücklich das Gegenteil angeordnet wird; dies ungeachtet des Umstandes, dass die Möglichkeit zur Erhebung einer Revision auch im neuen System nichts an der Rechtskraft der verwaltungsgerichtlichen Entscheidung ändert (vgl. VwGH vom 26. November 2015, Ro 2015/07/0018, und OGH vom 24. November 2015, 1 Ob 127/15f, mit Ausführungen zur Qualifizierung der außerordentlichen Revision beim Verwaltungsgerichtshof als außerordentliches Rechtsmittel).
5.1.5. Die Anpassung des zu §69 AVG entwickelten Rechtsverständnisses an das neue Modell der Verwaltungsgerichtsbarkeit und das Revisionsmodell machen die vom Gesetzgeber in §32 Abs1 zweiter Halbsatz VwGVG vorgenommene Einschränkung des Rechtsschutzes eines Wiederaufnahmewerbers weder erforderlich noch vermögen sie diese nach Auffassung des Verwaltungsgerichtshofes zu rechtfertigen.
Die Revision an den Verwaltungsgerichtshof ist gemäß Art133 Abs4 B‑VG nur zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung abhängt. Neue Tatsachen und Beweismittel, die - wie im vorliegenden Fall - als Grundlage eines Wiederaufnahmeantrages geltend gemacht werden können, erfüllen diese Zulässigkeitsvoraussetzung für eine Revision nicht; sie werden daher für sich betrachtet nicht ausreichen, die Zulässigkeit der Revision zu begründen. Aber selbst wenn die Revision wegen Vorliegens einer Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung zulässig ist, steht der Geltendmachung von neuen Tatsachen oder Beweismitteln, die als Grundlage für einen Wiederaufnahmeantrag geltend gemacht werden, im Revisionsverfahren das (weiterhin geltende) Neuerungsverbot des §41 VwGG entgegen.
Einen Antragsteller, der einen der in §32 Abs1 Z1 bis 4 VwGVG genannten Wiederaufnahmetatbestand erfolgreich vorbringen könnte, zu verpflichten, zunächst die Entscheidung über seine allfällige Revision abwarten zu müssen, obwohl er nach dem soeben Gesagten nicht in der Lage ist, seine Argumente außerhalb des Wiederaufnahmeverfahrens erfolgreich vorzubringen, ist sachlich nicht gerechtfertigt und mit dem Erfordernis eines effektiven Rechtsschutzes nicht vereinbar.
Dem kann auch nicht entgegen gehalten werden, dass das Abwarten der Entscheidung über eine Revision den Wiederaufnahmeantrag in manchen Fällen obsolet machen kann, etwa dann, wenn der Verwaltungsgerichtshof die mit Revision angefochtene Entscheidung behebt. Dies galt auch schon im bisherigen System und war für den Gesetzgeber kein Anlass, die Zulässigkeit der Wiederaufnahme von einem Verstreichen der Beschwerdefrist oder einer abschlägigen Entscheidung der Gerichtshöfe des öffentlichen Rechts im wiederaufzunehmenden Verfahren abhängig zu machen. Dies wäre in vielen Fällen auch sachlich nicht begründbar, müssten im Revisionsverfahren doch vielfach Rechtsfragen geklärt werden, die bei einer Wiederaufnahme des Verfahrens aufgrund neuer Tatsachen oder Beweise im konkreten Fall keine Bedeutung mehr hätten und deren Klärung daher aus Sicht der Verfahrensparteien zu einer unnötigen Verfahrensverzögerung führten.
5.1.6. Wird §32 Abs1 zweiter Halbsatz VwGVG im Sinne der bisherigen Rechtsprechung als Prozessvoraussetzung verstanden, so steht dies - unter rechtsstaatlichen Gesichtspunkten - überdies in unauflöslichem Widerspruch zu §32 Abs2 VwGVG, der bestimmt, dass die zweiwöchige subjektive Frist zur Einbringung eines Wiederaufnahmeantrages 'mit dem Zeitpunkt [beginnt], in dem der Antragsteller von dem Wiederaufnahmegrund Kenntnis erlangt hat, wenn dies jedoch nach der Verkündung des mündlichen Erkenntnisses und vor Zustellung der schriftlichen Ausfertigung geschehen ist, erst mit diesem Zeitpunkt'. Dem Antragsteller wird es nämlich vielfach nicht möglich sein, die zweiwöchige Frist einzuhalten, wenn er gleichzeitig das Verstreichen der Revisionsfrist oder die Entscheidung des Verwaltungsgerichtshofes über eine anhängige Revision abzuwarten hätte. Die erfolgreiche Geltendmachung eines Wiederaufnahmegrundes wäre nur möglich, wenn dieser dem Antragsteller in den letzten vierzehn Tagen vor ungenutztem Ablauf der Revisionsfrist bzw. im Fall der Revisionserhebung in den letzten vierzehn Tagen vor der Zustellung des Erkenntnisses des Verwaltungsgerichtshofes bekannt wird oder danach hervorkommt, sofern die Dreijahresfrist des §32 Abs2 dritter Satz VwGVG noch nicht verstrichen ist. Gleichzeitig hat der Antragsteller keinen Einfluss auf den Zeitpunkt, zu dem die zweiwöchige Frist ab Kenntnisnahme zu laufen beginnt, sodass der Erfolg der Wiederaufnahme von der zufälligen Chronologie der Ereignisse abhinge.
Dieses Ergebnis kann einer Betrachtung unter dem Gesichtspunkt der erforderlichen Effektivität von Rechtsmitteln nicht standhalten.
5.1.7. Im Erkenntnis vom 28. April 2016, Ro 2016/12/0007, hat der Verwaltungsgerichtshof §32 Abs1 zweiter Satz VwGVG fallbezogen verfassungskonform ausgelegt. Der Gerichtshof kam zu dem Ergebnis, dass eine Antragstellung innerhalb der zweiwöchigen Frist des §32 Abs2 VwGVG jedenfalls zulässig sein müsse, eine Entscheidung über den Wiederaufnahmeantrag aber bis zum 'Eintritt der (...) Bewilligungsvoraussetzung' abzuwarten sei und in dieser Zeit keine Entscheidungspflicht des Verwaltungsgerichts bestehe. Als 'Bewilligungsvoraussetzung' wurde lediglich 'die Einbringung einer Revision durch die Verfahrenspartei' umschrieben.
Diese rechtlichen Überlegungen vermögen im vorliegenden Fall die verfassungsrechtlichen Bedenken des erkennenden Senats in Bezug auf die nunmehr zur Prüfung beantragten Norm nicht zu zerstreuen. Selbst unter der Annahme, dass die Regelung - entgegen der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zu §69 AVG - keine Zulässigkeitsvoraussetzung begründet, die bei Einbringung des Antrages erfüllt sein müsste, und unter der weiteren Prämisse, dass damit nur ein Zuwarten bis zur Einbringung der Revision (allenfalls bis zum ungenützten Ablauf der Revisionsfrist) angeordnet wird, wäre aus den dargelegten Gründen für eine derartige Wartefrist des eingebrachten Wiederaufnahmeantrages keine sachliche Begründung ersichtlich, die eine Beschränkung des Rechtsschutzes des Wiederaufnahmewerbers rechtfertigen könnte.
Gegen ein Zuwarten mit der Entscheidung über den Wiederaufnahmeantrag spricht auch §34 Abs1 erster Satz VwGVG, wonach das Verwaltungsgericht verpflichtet ist, über verfahrenseinleitende Anträge von Parteien ohne unnötigen Aufschub, spätestens aber sechs Monate nach deren Einlangen zu entscheiden. Einer erweiternden Auslegung der in §34 VwGVG normierten Ausnahmen von der Entscheidungspflicht steht der mit dieser Norm angestrebte Säumnisschutz des Rechtsschutzsuchenden entgegen.
5.1.8. Zusammenfassend scheint es nach dem bisher Gesagten weder mit dem aus dem Gleichheitsgrundsatz entfließenden Sachlichkeitsgebot noch mit dem aus dem rechtsstaatlichen Prinzip abzuleitenden Erfordernis der Gewährung effektiven Rechtsschutzes vereinbar, die Zulässigkeit eines Wiederaufnahmeantrages über den Zeitpunkt der Erlassung des verwaltungsgerichtlichen Erkenntnisses hinaus zu beschränken, und zwar insbesondere dahingehend, dass auch die Revision an den Verwaltungsgerichtshof nicht mehr zulässig sein darf (vgl. VfSlg 17.340/2004).
5.2. Darüber hinaus wirft die in Prüfung gezogene Wortfolge der Bestimmung Bedenken hinsichtlich ihrer Bestimmtheit (Art18 B‑VG) auf.
5.2.1. Die Formulierung des §32 Abs1 VwGVG, wonach dem Antrag einer Partei auf Wiederaufnahme eines durch Erkenntnis des Verwaltungsgerichts abgeschlossenen Verfahrens stattzugeben ist, wenn eine Revision beim Verwaltungsgerichtshof gegen das Erkenntnis nicht mehr zulässig ist, ist mehrdeutig; der Inhalt der Norm lässt sich nur zum Teil durch Heranziehung sämtlicher Interpretationsmethoden erschließen.
5.2.2. Der Wortlaut der Norm lässt offen, ob unter einer zulässigen Revision nur eine solche zu verstehen ist, hinsichtlich derer ein Zulässigkeitsausspruch durch das Verwaltungsgericht im Sinne des §25a VwGG vorliegt. Eine solche Sichtweise verbietet sich jedoch unter Berücksichtigung der Entstehungsgeschichte der Norm:
Der Ministerialentwurf (420/ME 24. GP 10) enthielt noch folgende Formulierung:
'Dem Antrag einer Partei auf Wiederaufnahme eines durch Erkenntnis des Verwaltungsgerichtes abgeschlossenen Verfahrens ist stattzugeben, wenn das Verwaltungsgericht ausgesprochen hat, dass eine Revision beim Verwaltungsgerichtshof gegen das Erkenntnis nicht oder nicht mehr zulässig ist (...).'
Im Unterschied dazu stellt das Gesetz auf den (vorläufigen) Zulässigkeitsausspruch des Verwaltungsgerichts gemäß §25a Abs1 VwGG nicht (mehr) ab, sodass er als Anknüpfungspunkt ausscheidet. Dies zumal mangels Bindung des Verwaltungsgerichtshofes an den Ausspruch des Verwaltungsgerichts die Zulässigkeit der Revision durch diesen weder endgültig begründet noch ausgeschlossen wird. Es ist daher davon auszugehen, dass das Gesetz sowohl die Möglichkeit einer vom Verwaltungsgericht für zulässig erklärten, als auch jene einer außerordentlichen Revision einbeziehen wollte (vgl. dazu auch VwGH vom 28. April 2016, Ro 2016/12/0007).
5.2.3. §32 Abs1 zweiter Satz VwGVG lässt offen, ob vor der Wiederaufnahme eines Verfahrens nur das Verstreichen der sechswöchigen Revisionsfrist der antragstellenden Partei, der Ablauf der Revisionsfrist für alle Parteien des Verfahrens oder eine abschlägige Entscheidung des Verwaltungsgerichtshofes über eine anhängig gemachte Revision abzuwarten ist.
Unbestimmt ist auch, ob bei Erhebung einer Beschwerde an den Verfassungsgerichtshof und der damit verbundenen Möglichkeit, nach deren Abweisung oder Ablehnung die Abtretung an den Verwaltungsgerichtshof zu beantragen, wodurch eine Sukzessivrevision ermöglicht wird, auch der Verfahrensausgang beim Verfassungsgerichtshof und die daran anschließende Revisionsfrist (bzw. ein allfälliges Revisionsverfahren) abzuwarten wäre, ehe eine Wiederaufnahme zulässig oder zu bewilligen wäre.
Diese Mehrdeutigkeit der Bestimmung führt nach keiner Interpretationsmethode zu einem eindeutigen Ergebnis und sie begründet Zweifel an einer dem Art18 B‑VG genügenden Bestimmtheit der Norm, weil es dem Rechtsunterworfenen nicht möglich ist, seine Rechtsmittelmöglichkeiten ausreichend genau zu überblicken und sein Vorgehen danach auszurichten. Dies insbesondere unter Bedachtnahme auf den Umstand, dass es sich dabei um eine zentrale Rechtsmittelbestimmung zur Sicherstellung der Richtigkeit von gerichtlichen Entscheidungen handelt, an deren Determinierungsgrad dem Regelungsgegenstand entsprechend hohe Anforderungen zu stellen sind.
6. Diese verfassungsrechtlichen Bedenken können durch die vorgeschlagene Aufhebung der Wortfolge 'eine Revision beim Verwaltungsgerichtshof gegen das Erkenntnis nicht mehr zulässig ist und' in §32 Abs1 VwGVG beseitigt werden. Dadurch erhält der verbleibende Gesetzesteil einen sachlich begründeten und mit dem Erfordernis des effektiven Rechtsschutzes vereinbaren Inhalt, und es geht der Anfechtungsumfang auch nicht über das zur Beseitigung der Verfassungswidrigkeit erforderliche Maß hinaus.
[…]."
1.5. Die Bundesregierung teilte dem Verfassungsgerichtshof mit, von der Erstattung einer meritorischen Äußerung abzusehen. Die Revisionswerberin im Verfahren vor dem Verwaltungsgerichtshof und das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl äußerten sich im verfassungsgerichtlichen Verfahren nicht.
2. G 337/2016
2.1. Beim Verwaltungsgerichtshof ist eine außerordentliche Revision anhängig, die sich gegen einen Beschluss des Verwaltungsgerichtes Wien vom 4. Februar 2016 richtet, mit dem ein Antrag des Revisionswerbers auf Wiederaufnahme eines Verfahrens betreffend die Versagung von Aufenthaltstiteln als unzulässig zurückgewiesen wurde. Dem Revisionswerber waren seit 2011 mehrere Aufenthaltstitel erteilt worden. Mit Bescheid vom 24. April 2015 nahm der Landeshauptmann von Wien als zuständige Behörde sämtliche Verfahren von Amts wegen gemäß §69 Abs1 Z1 iVm §69 Abs3 AVG wieder auf, weil der Revisionswerber ein Aufenthaltsverbot aus Deutschland verschwiegen habe; die Anträge auf Erteilung der Aufenthaltstitel wurden abgewiesen. Die gegen diesen Bescheid erhobene Beschwerde wies das Verwaltungsgericht Wien mit Erkenntnis vom 26. November 2015 ab, die gegen dieses Erkenntnis erhobene außerordentliche Revision wurde vom Verwaltungsgerichtshof mit Beschluss vom 11. Februar 2016 zurückgewiesen.
2.2. Mit einem beim Verwaltungsgericht Wien am 28. Dezember 2015 eingelangten Schreiben beantragte der Revisionswerber die Wiederaufnahme des mit Erkenntnis des Verwaltungsgerichtes Wien vom 26. November 2015 abgeschlossenen Verfahrens gemäß §32 Abs1 und Abs3 VwGVG. Dies begründete der Revisionswerber im Wesentlichen damit, aus einem Schreiben des Landratsamtes München vom 22. Dezember 2015 sei ersichtlich, dass ein Einreiseverbot für den Revisionswerber lediglich bis 31. Dezember 2011 für die Bundesrepublik Deutschland bestanden habe; die Ausschreibung im europäischen Fahndungssystem des Schengener Informationssystems sei bereits mit 29. Mai 2010 gelöscht worden.
2.3. Mit dem beim Verwaltungsgerichtshof mit einer außerordentlichen Revision bekämpften Beschluss vom 4. Februar 2016 wies das Verwaltungsgericht Wien den Antrag auf Wiederaufnahme als unzulässig zurück. Begründend hielt das Verwaltungsgericht fest, dass der Revisionswerber fallbezogen eine Revision gegen das Erkenntnis vom 26. November 2015 eingebracht habe, weshalb der Wiederaufnahmeantrag gemäß §32 Abs1 VwGVG unzulässig sei. Auf eine amtswegige Wiederaufnahme gemäß §32 Abs3 VwGVG hätten die Parteien keinen Rechtsanspruch.
Gegen diesen Beschluss richtet sich die oben erwähnte außerordentliche Revision an den Verwaltungsgerichtshof, aus Anlass derer der Verwaltungsgerichtshof auch in diesem Verfahren den oben angeführten Gesetzesprüfungsantrag stellt. Die vom Verwaltungsgerichtshof dargelegten Bedenken entsprechen jenen, die er auch im zu G248/2016 protokollierten Verfahren vorbringt.
2.4. Die Bundesregierung verzichtete auch in diesem Verfahren auf die Erstattung einer Äußerung. Der Revisionswerber erstattete eine Äußerung, in welcher er sich den Bedenken des Verwaltungsgerichtshofes anschließt.
3. G 383/2016
3.1. Beim Verwaltungsgerichtshof ist eine ordentliche Revision anhängig, die sich gegen einen Beschluss des Landesverwaltungsgerichtes Steiermark vom 11. Dezember 2015 richtet, mit dem ein Antrag des Revisionswerbers auf Wiederaufnahme eines Verfahrens betreffend die Verhängung mehrerer Verwaltungsstrafen nach der Straßenverkehrsordnung 1960, dem Führerscheingesetz und dem Kraftfahrgesetz 1967 als unzulässig zurückgewiesen worden war. Über den Revisionswerber waren mit Straferkenntnis der Bezirkshauptmannschaft Graz‑Umgebung vom 24. Juni 2014 unter gleichzeitigem Kostenausspruch eine Geldstrafe in Höhe von € 1.600,‑ (wegen der angelasteten Übertretung der Straßenverkehrsordnung 1960), von € 40,‑ (wegen der angelasteten Übertretung des Führerscheingesetzes) und von € 30,‑ (wegen der angelasteten Übertretung des Kraftfahrgesetzes 1967), sowie jeweils näher bestimmte Ersatzfreiheitsstrafen verhängt worden. Die gegen dieses Straferkenntnis erhobene Beschwerde wies das Landesverwaltungsgericht Steiermark mit Erkenntnis vom 18. Dezember 2014 ab, die gegen dieses Erkenntnis erhobene (außerordentliche) Revision wies der Verwaltungsgerichtshof mit Beschluss vom 21. April 2015 zurück.
3.2. Mit Schreiben vom 16. März 2015 beantragte der Revisionswerber beim Landesverwaltungsgericht Steiermark die Wiederaufnahme des mit Erkenntnis vom 18. Dezember 2014 abgeschlossenen Verfahrens. Diesen Antrag begründete der Revisionswerber im Wesentlichen mit dem Vorliegen mehrerer eidesstaatlicher Erklärungen betreffend den von den Verwaltungsstrafen umfassten Sachverhalt.
3.3. Mit dem beim Verwaltungsgerichtshof mit einer ordentlichen Revision bekämpften Beschluss wies das Landesverwaltungsgericht Steiermark den Antrag auf Wiederaufnahme als unzulässig zurück. Begründend führte das Landesverwaltungsgericht aus, dass ein Antrag auf Wiederaufnahme des verwaltungsgerichtlichen Verfahrens erst gestellt werden könne, wenn gegen die Entscheidung des Verwaltungsgerichtes eine Revision an den Verwaltungsgerichtshof nicht mehr zulässig sei. Ein Antrag auf Wiederaufnahme könne während eines anhängigen Revisionsverfahrens nicht gestellt werden. Darüber hinaus sprächen auch teleologische Erwägungen gegen die Zulässigkeit der Wiederaufnahme im Falle einer nur außerordentlichen Revision. Dadurch, dass im Falle einer außerordentlichen Revision eine Wiederaufnahme unzulässig und darüber hinaus fallbezogen im Zeitpunkt der Antragstellung ein Revisionsverfahren beim Verwaltungsgerichtshof anhängig gewesen sei, sei der Antrag auf Wiederaufnahme vom 16. März 2015 als unzulässig zurückzuweisen gewesen.
Gegen diesen Beschluss richtet sich die oben erwähnte ordentliche Revision an den Verwaltungsgerichtshof, aus Anlass derer der Verwaltungsgerichtshof auch in diesem Verfahren den oben angeführten Gesetzesprüfungsantrag stellt. Die vom Verwaltungsgerichtshof dargelegten Bedenken entsprechen jenen, die er auch in den zu G248/2016 und G337/2016 protokollierten Verfahren vorbringt.
IV. Erwägungen
Der Verfassungsgerichtshof hat in den in sinngemäßer Anwendung der §§187 und 404 ZPO iVm §35 Abs1 VfGG zur gemeinsamen Beratung und Entscheidung verbundenen Verfahren erwogen:
1. Zur Zulässigkeit der Anträge
1.1. Der Verfassungsgerichtshof ist nicht berechtigt, durch seine Präjudizialitätsentscheidung das antragstellende Gericht an eine bestimmte Rechtsauslegung zu binden, weil er damit indirekt der Entscheidung dieses Gerichtes in der Hauptsache vorgreifen würde. Gemäß der ständigen Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes darf daher ein Antrag iSd Art140 Abs1 Z1 lita B‑VG nur dann wegen mangelnder Präjudizialität zurückgewiesen werden, wenn es offenkundig unrichtig (denkunmöglich) ist, dass die – angefochtene – generelle Norm eine Voraussetzung der Entscheidung des antragstellenden Gerichtes im Anlassfall bildet (vgl. etwa VfSlg 10.640/1985, 12.189/1989, 15.237/1998, 16.245/2001 und 16.927/2003).
1.2. Die Verwaltungsgerichte, gegen deren Beschlüsse Revisionen an den Verwaltungsgerichtshof erhoben wurden, hatten bei der Beurteilung der bei ihnen eingebrachten Wiederaufnahmeanträge die Bestimmung des §32 Abs1 VwGVG anzuwenden. Folglich ist diese Bestimmung auch im Verfahren vor dem Verwaltungsgerichtshof, der die Rechtmäßigkeit der diese Anträge zurückweisenden Beschlüsse zu überprüfen hat, präjudiziell.
1.3. Da auch sonst keine Prozesshindernisse hervorgekommen sind, erweisen sich die Anträge als zulässig.
2. In der Sache
Der Verfassungsgerichtshof hat sich in einem auf Antrag eingeleiteten Verfahren zur Prüfung der Verfassungsmäßigkeit eines Gesetzes gemäß Art140 B‑VG auf die Erörterung der aufgeworfenen Fragen zu beschränken (vgl. VfSlg 12.691/1991, 13.471/1993, 14.895/1997, 16.824/2003). Er hat sohin ausschließlich zu beurteilen, ob die angefochtene Bestimmung aus den in der Begründung des Antrages dargelegten Gründen verfassungswidrig ist (VfSlg 15.193/1998, 16.374/2001, 16.538/2002, 16.929/2003).
Der Verwaltungsgerichtshof macht in seinen Anträgen geltend, dass die angefochtene Wortfolge in §32 Abs1 VwGVG gegen den Gleichheitssatz gemäß Art7 B‑VG, das Rechtsstaatsprinzip und das Bestimmtheitsgebot gemäß Art18 B‑VG verstoße.
Die Anträge sind begründet.
2.1. Der Verfassungsgerichtshof stimmt dem Verwaltungsgerichtshof zu, dass der Gesetzgeber bei der Regelung der (Prozess-)Voraussetzungen für die Wiederaufnahme eines Verfahrens nicht unsachlich vorgehen darf und dabei auch die sich aus dem Rechtsstaatsprinzip ergebenden Anforderungen zu beachten hat. Dies bedeutet unter anderem, dass der Gesetzgeber, soweit er die Wiederaufnahme eines Verfahrens vorsieht, diese nicht von vornherein verunmöglichen darf. Eben dies bewirkt allerdings die angefochtene Wortfolge in §32 Abs1 VwGVG iVm der subjektiven Frist für den Wiederaufnahmeantrag gemäß §32 Abs2 erster Satz leg.cit.:
2.1.1. Geht man davon aus, dass die angefochtene Wortfolge in §32 Abs1 VwGVG eine Prozessvoraussetzung für einen Antrag auf Wiederaufnahme eines Verfahrens statuiert, steht diese Regelung – wie der Verwaltungsgerichtshof in seinen Anträgen zutreffend ausführt – in einem nicht auflösbaren Konflikt mit der in §32 Abs2 erster Satz VwGVG festgelegten Frist für die Stellung eines Wiederaufnahmeantrages. Hat der Wiederaufnahmswerber das Verstreichen der Revisionsfrist oder die Entscheidung des Verwaltungsgerichtshofes über die Revision abzuwarten, wird in vielen Fällen die – gemäß §32 Abs2 VwGVG als Prozessvoraussetzung normierte – zweiwöchige (subjektive) Frist für die Einbringung eines Wiederaufnahmsantrages bereits abgelaufen sein (vgl. überdies die absolute Frist von drei Jahren gemäß §32 Abs2 dritter Satz VwGVG).
Dies hat zur Folge, dass in all jenen Fällen eine Wiederaufnahme des Verfahrens von vornherein nicht möglich ist und die angefochtene Wortfolge in §32 Abs1 VwGVG gegen den Gleichheitssatz und das Rechtsstaatsprinzip verstößt.
2.1.2. Wie der Verwaltungsgerichtshof in seinen Anträgen richtig dartut, scheidet auch die vom Verwaltungsgerichtshof in seinen Erkenntnissen vom 28. April 2016, Ro 2016/12/0007, und vom 3. August 2016, Ra 2016/12/0059, 0068, vorgenommene Auslegung des §32 Abs1 iVm §32 Abs2 VwGVG, wonach das Verwaltungsgericht den Eintritt der Bewilligungsvoraussetzung des §32 Abs1 zweiter Halbsatz VwGVG abzuwarten habe, aus. Es ist nämlich unsachlich und auch nicht mit dem Grundsatz eines effektiven Rechtsschutzes vereinbar, mit der Entscheidung über den Wiederaufnahmeantrag solange zuwarten zu müssen, bis der Verwaltungsgerichtshof über die Revision entschieden hat, zumal diese Entscheidung im Regelfall erst nach längerer Zeit ergehen wird.
2.2. Die angefochtene Wortfolge in §32 Abs1 VwGVG erweist sich aber auch als solche (dh. unabhängig von der Regelung der [subjektiven] Frist des §32 Abs2 VwGVG) als unsachlich und in Widerspruch zum Rechtsstaatsprinzip:
Es ist nicht sachlich begründbar, dass einem Wiederaufnahmeantrag unter anderem nur dann stattgegeben werden kann, wenn "eine Revision beim Verwaltungsgerichtshof gegen das Erkenntnis nicht mehr zulässig ist". Wie der Verwaltungsgerichtshof in seinen Anträgen zutreffend ausführt, ist der Ausschluss der Wiederaufnahme eines Verfahrens (insbesondere beim Wiederaufnahmetatbestand des §32 Abs1 Z2 VwGVG) nur dann und solange gerechtfertigt, wenn bzw. bis der Wiederaufnahmswerber neue Tatsachen oder neue Beweise im laufenden Verfahren (mit welchem Rechtsmittel auch immer) noch geltend machen kann. Da zum Ersten eine Revision an den Verwaltungsgerichtshof nicht in jedem Fall, sondern nur in näher geregelten Fällen zulässig ist (vgl. Art133 Abs4 B‑VG), und zum Zweiten im Verfahren vor dem Verwaltungsgerichtshof grundsätzlich ein Neuerungsverbot (§41 VwGG) gilt, womit die Geltendmachung neuer Tatsachen und Beweise im Verfahren vor dem Verwaltungsgerichtshof weitgehend ausscheidet, ist es verfassungswidrig, die Wiederaufnahme gemäß §32 Abs1 VwGVG davon abhängig zu machen, dass eine Revision beim Verwaltungsgerichtshof gegen das Erkenntnis des Verwaltungsgerichtes nicht mehr zulässig ist.
2.3. Da die angefochtene Wortfolge in §32 Abs1 VwGVG aus den genannten Gründen gegen den Gleichheitssatz und das Rechtsstaatsprinzip verstößt, erübrigt sich eine Auseinandersetzung mit der vom Verwaltungsgerichtshof ebenfalls aufgeworfenen Frage, ob die angefochtene Wortfolge in §32 Abs1 VwGVG (auch) mit dem Bestimmtheitsgebot gemäß Art18 B‑VG in Widerspruch steht.
V. Ergebnis
1. Die Wortfolge "eine Revision beim Verwaltungsgerichtshof gegen das Erkenntnis nicht mehr zulässig ist und" in §32 Abs1 VwGVG, BGBl I 33/2013, ist daher wegen Verstoßes gegen den auch den Gesetzgeber bindenden Gleichheitssatz und das Rechtsstaatsprinzip als verfassungswidrig aufzuheben. Bei diesem Ergebnis erübrigt sich ein Eingehen auf die weiteren in den Anträgen dargelegten Bedenken.
2. Der Verfassungsgerichtshof sieht sich veranlasst, von der ihm durch Art140 Abs7 zweiter Satz B‑VG eingeräumten Ermächtigung Gebrauch zu machen und auszusprechen, dass die aufgehobene Bestimmung nicht mehr anzuwenden ist.
3. Der Ausspruch, dass frühere gesetzliche Bestimmungen nicht wieder in Kraft treten, beruht auf Art140 Abs6 erster Satz B‑VG.
4. Die Verpflichtung des Bundeskanzlerszur unverzüglichen Kundmachung der Aufhebung und der damit im Zusammenhang stehenden sonstigen Aussprüche erfließt aus Art140 Abs5 erster Satz B‑VG und §64 Abs2 VfGG iVm §3 Z3 BGBlG.
5. Diese Entscheidung konnte gemäß §19 Abs4 VfGG ohne mündliche Verhandlung in nichtöffentlicher Sitzung getroffen werden.
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