VfGH G206/2015

VfGHG206/20151.10.2015

Zurückweisung des Parteiantrags im Anlassfall mangels Angabe der Fassung der angefochtenen Bestimmung des Mietrechtsgesetzes

Normen

B-VG Art140 Abs1 Z1 litd
VfGG §62 Abs1
MRG §16
B-VG Art140 Abs1 Z1 litd
VfGG §62 Abs1
MRG §16

 

Spruch:

Der Antrag wird zurückgewiesen.

Begründung

Begründung

I. Sachverhalt, Antrag und Vorverfahren

1. Die antragstellende Gesellschaft stellt aus Anlass eines Rekurses gegen den Sachbeschluss "in sonstigen MRG-Sachen" des Bezirksgerichtes Leopoldstadt vom 27. März 2015, Z33 MSch 2/14a-14, beim Verfassungsgerichtshof den vorliegenden, auf Art140 Abs1 Z1 litd B‑VG gestützten Antrag, mit dem aus näher genannten Gründen die Aufhebung des §16 des Bundesgesetzes vom 12. November 1981 über das Mietrecht (Mietrechtsgesetz – MRG), BGBl 520/1981, begehrt wird.

2. Die antragstellende Gesellschaft sei Vermieterin einer Wohnung im zweiten Wiener Gemeindebezirk. Am 23. Oktober 2013 habe der Mieter dieser Wohnung bei der Schlichtungsstelle für wohnrechtliche Angelegenheiten der Stadt Wien (§§39, 50 MRG; Kundmachung des Bundesministers für Justiz und für Inneres vom 25. Juni 1979, mit der die zur Entscheidung im Sinn des §36 des Mietengesetzes berufenen Gemeinden festgestellt werden, BGBl 299/1979, idF BGBl 131/1981) einen Antrag auf Überprüfung der Angemessenheit des vereinbarten Hauptmietzinses gestellt (§37 Abs1 Z8 MRG). In der Folge sei das Verfahren bei Gericht anhängig gemacht worden (§40 MRG iVm §37 Abs1 MRG).

Aus Anlass des Rekurses gegen den Sachbeschluss des Bezirksgerichtes Leopoldstadt als das für Zivilrechtssachen zuständige Bezirksgericht, in dessen Sprengel das Miethaus gelegen ist (§37 Abs1 MRG), stellte die antragstellende Gesellschaft ihren Antrag nach Art140 Abs1 Z1 litd B‑VG.

3. Ausweislich der Angaben im Sachbeschluss des Bezirksgerichtes Leopoldstadt wurde die zwischen der antragstellenden Gesellschaft als Vermieterin und dem Mieter geltende Hauptmietzinsvereinbarung, die Gegenstand des Verfahrens nach §37 Abs1 Z8 MRG ist, im Mietvertrag vom 26. Juli 2011 getroffen.

Im Sachbeschluss wird des Weiteren festgehalten, dass der Antragsteller im Verfahren vor dem ordentlichen Gericht (= der Mieter) seit 1. August 2011 Mieter der im Eigentum der beim Verfassungsgerichtshof antragstellenden Gesellschaft stehenden Wohnung sei.

4. Die Bundesregierung erstattete eine Äußerung zum Antrag, in der sie vorbrachte, dieser sei in einem Verfahren nach §37 Abs1 Z8 MRG gestellt worden. Er erweise sich daher gemäß §62a Abs1 Z4 VfGG als unzulässig und sei zurückzuweisen.

5. Bei Behandlung des Antrages sind im Verfassungsgerichtshof Bedenken ob der Verfassungsmäßigkeit der Wortfolge "§37 Abs1 MRG," in §62a Abs1 Z4 VfGG, BGBl 85/1953, idF BGBl I 92/2014, entstanden. Mit Beschluss vom 2. Juli 2015 leitete der Verfassungsgerichtshof daher von Amts wegen ein Verfahren zur Prüfung der Verfassungsmäßigkeit der genannten Wortfolge ein.

Mit Erkenntnis des Verfassungsgerichtshofes vom 1. Oktober 2015, G346/2015-15, wurde die Wortfolge "§37 Abs1 MRG," in §62a Abs1 Z4 VfGG, BGBl 85/1953, idF BGBl I 92/2014, wegen Verstoßes gegen Art140 Abs1a B‑VG aufgehoben.

II. Erwägungen

1. Der Antrag ist unzulässig.

2. Gemäß §62 Abs1 erster Satz VfGG muss ein Gesetzesprüfungsantrag das Begehren enthalten, das – nach Auffassung des Antragstellers verfassungswidrige – Gesetz seinem gesamten Inhalt oder in bestimmten Stellen aufzuheben.

Um das strenge Formerfordernis des ersten Satzes des §62 Abs1 VfGG zu erfüllen, muss – wie der Verfassungsgerichtshof in vielen Beschlüssen (zB VfSlg 11.888/1988, 12.062/1989, 12.263/1990, 14.040/1995, 14.634/1996) entschieden hat – die bekämpfte Gesetzesstelle genau und eindeutig bezeichnet werden. Es darf nicht offen bleiben, welche Gesetzesvorschrift oder welcher Teil einer Vorschrift nach Auffassung des Antragstellers tatsächlich aufgehoben werden soll (VfSlg 12.062/1989, 12.487/1990, 14.040/1995, 16.340/2001). Ein Antrag, der die konkrete Fassung der zur Aufhebung begehrten Norm nicht nennt, erfüllt das strenge Formerfordernis des ersten Satzes des §62 Abs1 VfGG nicht. Es ist dem Verfassungsgerichtshof nämlich verwehrt, Gesetzesbestimmungen aufgrund bloßer Vermutungen, in welcher Fassung ihre Aufhebung begehrt wird, zu prüfen und im Fall des Zutreffens der geltend gemachten Bedenken aufzuheben (vgl. dazu VfSlg 11.802/1988, 14.261/1995, 14.634/1996, 15.962/2000, 17.570/2005).

In seinem Beschluss vom 2. Juli 2015 zu G227/2015 ua. hat der Verfassungsgerichtshof klargestellt, dass dieses strenge Formerfordernis auch für Anträge nach Art140 Abs1 Z1 litd B‑VG gilt.

3. Die antragstellende Gesellschaft begehrt, der Verfassungsgerichtshof möge "gemäß Art140 Abs1 Z1 litd B‑VG iVm §64 Abs1 VfGG die Bestimmung des §16 MRG zur Gänze als verfassungswidrig aufheben[,] in eventu gemäß Art140 Abs1 Z1 litd B‑VG iVm §64 Abs1 VfGG die Bestimmung des §16 MRG hinsichtlich folgender Zeichen, Wörter respektive Wortfolgen als verfassungswidrig aufheben: In Abs1 die Zeichenfolge '(1)', sowie die Wortfolge 'ohne Beschränkungen der Abs2 bis 5 bis zu dem für den Mietgegenstand im Zeitpunkt des Abschlusses des Mietvertrages nach Größe, Art, Beschaffenheit, Lage, Ausstattungs- und Erhaltungszustand angemessenen Betrag', sodann das Zeichen ',' und das Wort 'wenn', sodann die Bestimmung des Abs1 Z1 bis 5 zur Gänze, sodann die Bestimmungen der Absätze 2 bis 12 zur Gänze mit Ausnahme des Zeichens '.' am Ende von Abs12."

Im Antrag wird die Fassung der Bestimmung, deren Aufhebung begehrt wird, nicht angegeben. Diese lässt sich auch nicht mittelbar aus dem Zusammenhang des Antragsvorbringens erschließen.

Es bleibt daher unklar, auf welche Fassung des §16 MRG sich der Antrag bezieht.

4. Maßgebend für die Beurteilung der Zulässigkeit des Mietzinses nach §16 MRG ist stets der Zeitpunkt des Abschlusses der Mietzinsvereinbarung beziehungsweise – soweit §16a MRG nicht Gegenteiliges normiert – das Wirksamwerden der Vereinbarung (RIS-Justiz

RS0070132).

Es erscheint naheliegend, dass die antragstellende Gesellschaft beabsichtigte, jene Fassung des §16 MRG anzufechten, die im Zeitpunkt des Abschlusses der Mietzinsvereinbarung oder des Wirksamwerdens dieser Vereinbarung anzuwenden war. Aus dem Antrag ergeben sich schon diese Zeitpunkte nicht. Der Zeitpunkt des Abschlusses der Mietzinsvereinbarung ist zwar dem Sachbeschluss des Bezirksgerichtes Leopoldstadt (siehe auch oben I.3) zu entnehmen, nicht aber dem Antrag. Auf Grund der Angaben im Sachbeschluss kann auch vermutet werden, dass die Vereinbarung mit 1. August 2011 wirksam wurde (siehe wiederum oben I.3).

Am 26. Juli 2011 (jenem Tag, an dem die Mietzinsvereinbarung ausweislich der Angaben im Sachbeschluss des Bezirksgerichtes Josefstadt getroffen wurde) stand §16 MRG in der mit BGBl II 295/2008 geänderten Fassung in Geltung. Diese Fassung trat mit Ablauf des 30. Juli 2011 außer Kraft. Vom 1. August 2011 bis zum 31. März 2014 galt §16 MRG in der Fassung des BGBl II 218/2011. Zwischen 1. April 2014 und 31. Dezember 2014 stand die Bestimmung in der durch BGBl II 62/2014 geänderten Fassung in Geltung. Mit 1. Jänner 2015 trat schließlich die geltende Fassung des §16 MRG in Kraft, die mit BGBl I 100/2014 kundgemacht worden war.

Es ist eine bloße Vermutung, dass die antragstellende Gesellschaft die Anfechtung des §16 MRG in der zum Zeitpunkt des Abschlusses der Mietzinsvereinbarung (26. Juli 2011) oder aber in der zum (angenommenen) Zeitpunkt des Wirksamwerdens der Vereinbarung (1. August 2011) geltenden Fassung begehrt. Schon zwischen diesen beiden Zeitpunkten wurde eine Novellierung des §16 MRG wirksam (Änderung der in §16 Abs5 MRG genannten Beträge auf Grund der Bestimmung des §16 Abs6 MRG durch die Kundmachung BGBl II 218/2011 mit Wirksamkeit ab 1. August 2011).

Entgegen dieser Vermutung lässt sich überdies der Äußerung der Bundesregierung entnehmen, dass diese offenbar der Ansicht ist, es werde §16 MRG in der geltenden Fassung angefochten, da diese auf "§16 MRG, BGBl Nr 520/1981 in der (zum Zeitpunkt des Beschlusses des Bezirksgerichts Leopoldstadt sowie der Stellung des vorliegenden Antrages) geltenden Fassung BGBl I Nr 100/2014" eingeht.

5. Da es dem Verfassungsgerichtshof verwehrt ist, Gesetzesbestimmungen auf Grund bloßer Vermutungen, in welcher Fassung ihre Aufhebung begehrt wird, zu prüfen und im Fall des Zutreffens der geltend gemachten Bedenken aufzuheben, sowie das Fehlen eines spezifizierten Aufhebungsbegehrens nach der Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes einer Verbesserung nicht zugänglich ist – es handelt sich dabei nicht um ein bloßes Formgebrechen iSd §18 VfGG, sondern um einen inhaltlichen Mangel –, erweist sich der Antrag als unzulässig (zB VfSlg 12.487/1990, 15.962/2000, 17.570/2005).

III. Ergebnis

1. Der Antrag ist zurückzuweisen.

2. Diese Entscheidung konnte gemäß §19 Abs3 Z2 lite VfGG ohne mündliche Verhandlung in nichtöffentlicher Sitzung getroffen werden.

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