UFS RV/1294-W/06

UFSRV/1294-W/0628.9.2006

Erhöhte Familienbeihilfe - ist die dauernde Unfähigkeit, sich selbst den Unterhalt zu verschaffen, vor Vollendung des 21. Lebensjahres eingetreten?

 

Beachte:
VwGH-Beschwerde zur Zl. 2009/16/0090 (früher 2007/15/0020) eingebracht. Mit Erk. v. 21.9.2009 wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben. Fortgesetztes Verfahren mit BE zur Zl. RV/3984-W/09 erledigt.

Entscheidungstext

Der unabhängige Finanzsenat hat über die Berufung des F. H., R, vertreten durch Sachwalter, gegen den Bescheid des Finanzamtes Waldviertel betreffend Gewährung der Familienbeihilfe und des Erhöhungsbetrages ab 1. Juni 2000 entschieden:

Der angefochtene Bescheid wird insoweit abgeändert, als der Antrag auf Gewährung der Familienbeihilfe und des Erhöhungsbetrages ab Jänner 2005 abgewiesen wird.

Entscheidungsgründe

Der Berufungswerber (Bw.), geb. am 30.9.1930, ist besachwaltet und wohnt seit 1975 in einem Pflegeheim.

Die Sachwalterin beantragte erstmals am 30. Juli 2004 die Gewährung der erhöhten Familienbeihilfe rückwirkend ab Juli 1999.

Über Aufforderung des Finanzamtes wurde der Bw. seitens des Bundessozialamtes am 29. Oktober 2004 untersucht und folgendes fachärztliche Sachverständigengutachten erstellt:

Untersuchung am: 2004-10-29 14:00 Ordination

Identität nachgewiesen durch: Führerschein

Anamnese:

soweit erhebbar seit 1972 psychische Probleme; mehrere stationäre Aufenthalte im KH Mauer; seit vielen Jahren im Pflegeheim R.; Betreuung durch Psychiater

Behandlung/Therapie (Medikamente, Therapien - Frequenz): Risperdal

Untersuchungsbefund:

74 jähriger Mann, ca 170 cm, 70 kg, Zähne kariös und z.T. fehlend, Cor/Pulmo auskultatorisch unauffällig, Abdomen weich, Extremitäten frei beweglich, Gangbild: fehlendes Mitschwingen der Arme

Status psychicus / Entwicklungsstand:

schizophrener Defektzustand

Relevante vorgelegte Befunde:

1972-01-20 PSYCHIATRISCHES KH MAUER

Schizophrenie

Diagnose(n):

schizophrener Defektzustand

Richtsatzposition: 585 Gdb: 050% ICD: F20.-

Rahmensatzbegründung:

5 Stufen unter oberem RS bei psychiatrisch stabilem Zustand

Gesamtgrad der Behinderung: 50 vH voraussichtlich mehr als 3 Jahre anhaltend.

Eine Nachuntersuchung ist nicht erforderlich - Dauerzustand.

Die rückwirkende Anerkennung der Einschätzung des Grades d. Behinderung ist ab 1995-08-01 aufgrund der vorgelegten relevanten Befunde möglich.

Der(Die) Untersuchte ist voraussichtlich dauernd außerstande, sich selbst den Unterhalt zu verschaffen.

Aufnahmedatum im Pflegeheim

erstellt am 2004-12-01 von EM.

Arzt für Allgemeinmedizin

zugestimmt am 2004-12-09

Leitender Arzt: S-G.G.

Das Finanzamt wies diesen ersten Antrag mit Bescheid vom 14. Jänner 2005 unter Anführung des § 2 Abs. 1 lit. c FLAG mit der Begründung ab, dass laut ärztlichem Sachverständigengutachten vom 9. Dezember 2004 die Einschätzung des Grades der Behinderung auf Grund der vorgelegten Befunde erst ab 1. August 1995 möglich gewesen sei.

Dieser Bescheid ist in Rechtskraft erwachsen.

Am 2. Juni 2005 stellte die Sachwalterin neuerlich einen Antrag auf erhöhte Familienbeihilfe, und zwar nunmehr für die Zeit ab Juni 2000. Als Begründung führte sie an, dem Bw. sei nunmehr von der SVA der gewerblichen Wirtschaft die Waisenpension zuerkannt worden.

Das Finanzamt holte beim Bundessozialamt neuerlich ein fachärztliches Sachverständigengutachten ein, welches wie folgt lautet:

Untersuchung am: 2005-08-11 10:00 im Bundessozialamt Niederösterreich

Anamnese:

Es besteht seit Jahren eine Schizophrenie mit paranoiden Symptomen. Es erfolgten über diese Zeit wiederholte stationäre Aufenthalte im KH Mauer und KH Waidhofen/T..In der Zeit traten auch Krampfanfälle auf. Seit einigen Jahren ist der Zustand unter Risperdal stabil, es traten auch keine epileptischen Anfälle mehr auf. Herr H. lebt seit dem Tod seiner Mutter vor 10 Jahren im Landespflegeheim R./T.. Seit 1978 besteht eine Sachwalterschaft.

Behandlung/Therapie (Medikamente, Therapien - Frequenz): Risperdal 1-0-1

Untersuchungsbefund:

Größe:170cm, Gewicht 75kg. Augen: Ptose bds., re. mehr als li., Pupillen isocor, mittelweit, etwas verlangsamte Lichtreaktion. Zähne fehlen teilweise. Collum: Schilddrüse nicht vergrößert tastbar. Thorax: blande Narbe unter li. Rippenbogen nach Pneumonie als Kind, Skelett unauffällig, vesikuläre Atmung, normaler Klopfschall. Herztöne rein, rhythmisch. Abdomen: im Thoraxniveau, innere Organe nicht vergrößert tastbar, keine Resistenzen. Extremitäten: keine Einschränkung der Beweglichkeit, periphere Pulse tastbar. Wirbelsäule: achsengerecht, nicht druckempfindlich, feinschlägiger Tremor. RR 130/80, Puls 68/min.

Status psychicus / Entwicklungsstand: wirkt im Gedankengang allgemein verlangsamt, ist zeitlich, räumlich und zu seiner Person orientiert.

Relevante vorgelegte Befunde:

1971-08-30 KH MAUER, I. PSYCHIATRISCHE ABTEILUNG

Entlassungsbrief: neuerlicher Schub einer seit Jahren bland verlaufenden Schizophrenie, Aufnahme wegen paranoidem Zustandsbild

1972-09-26 KH MAUER

Entlassungsbrief: Aufnahme mit amtsärztlicher Parere wegen eines Erregungszustandes

1978-09-28 KH MAUER

Entlassungsbrief: neuerliche Exacerbation der Schizophrenie, Intelligenzuntersuchung: Hirnleistungsschwäche leichten bis mittleren Grades. Verdacht auf cerebrales Anfallsgeschehen

1981-02-13 KH MAUER

Entlassungsbrief: Exacerbation einer paranoiden Schizophenie

2005-01-26 DR. S.S (GEMEINDEARZT)

Brief an Sachwalterin: seit seinem Praxisbeginn 1982 Schizophrenie von Herrn H. bekannt.

Diagnose(n): Schizophrenie

Richtsatzposition: 585 Gdb: 080% ICD: F20.9

Rahmensatzbegründung:

8 Stufen über unterem Rahmensatz, da sehr langes Bestehen der Erkrankung und medikamentöse Dauertherapie

Gesamtgrad der Behinderung: 80 vH voraussichtlich mehr als 3 Jahre anhaltend.

Eine Nachuntersuchung ist nicht erforderlich - Dauerzustand.

Die rückwirkende Anerkennung der Einschätzung des Grades d. Behinderung ist ab 1971-08-01 aufgrund der vorgelegten relevanten Befunde möglich.

Der(Die) Untersuchte ist voraussichtlich dauernd außerstande, sich selbst den Unterhalt zu verschaffen.

Der genaue Beginn der Erkrankung kann aus den vorliegenden Befunden nicht festgestellt werden (Entlassungsbefund 1971 Kh Mauer)

erstellt am 2005-08-19 von T-F.K.

Arzt für Allgemeinmedizin

zugestimmt am 2005-08-23

Leitender Arzt: S-G.G.

Das Finanzamt wies den (neuerlichen) Antrag vom 2. Juni 2005 betreffend Gewährung der Familienbeihilfe ab Juni 2000 mit Bescheid vom 31. August 2005 mit folgender Begründung ab:

"Gemäß § 6 Abs. 2 lit. d des Familienlastenausgleichsgesetzes (FLAG) 1967 haben volljährige Vollwaisen Anspruch auf Familienbeihilfe, wenn sie wegen einer vor Vollendung des 21. Lebensjahres oder während einer späteren Berufsausbildung, jedoch vor Vollendung des 27. Lebensjahres, eingetretenen körperlichen oder geistigen Behinderung dauernd außerstande sind, sich selbst den Unterhalt zu verschaffen und sich in keiner Anstaltspflege befinden...

Als erheblich behindert gilt ein Kind gemäß § 8 Abs. 5 FLAG 1967, bei dem eine nicht nur vorübergehende Funktionsbeeinträchtigung im körperlichen, geistigen oder psychischen Bereich oder in der Sinneswahrnehmung besteht.

Da laut beiliegendem ärztlichen Sachverständigengutachten vom 23.8.2005 die Einschätzung des Grades der Behinderung erst ab 1.8.1971 auf Grund der vorgelegten Befunde möglich ist und Herr H. mehrere Jahre als Arbeiter beschäftigt gewesen ist (...) war Ihr Antrag abzuweisen."

Die Sachwalterin erhob gegen den Bescheid mit Schreiben vom 16. September 2005 fristgerecht Berufung und führte dazu aus:

"Mit beiliegendem Bescheid der SVA der gewerblichen Wirtschaft vom 3.5.2005 wurde Herrn H. eine Waisenpension nach seinem Vater zuerkannt.

Eine Waisenpension über das 18. Lebensjahr hinaus wird dann gewährt, wenn das Kind seit Vollendung des 18. Lebensjahres oder seit dem Ablauf einer darüber hinaus andauernden Schul- oder Berufsausbildung infolge Krankheit oder Gebrechens erwerbsunfähig ist. Nachdem die Voraussetzungen für die Gewährung einer Waisenpension vorliegen, sind daher auch die Voraussetzungen für die Gewährung der erhöhten Familienbeihilfe gegeben.

Bei den in der Bescheidbegründung angegebenen Beschäftigungszeiten handelte es sich um eine Fleischhauerlehre im elterlichen Betrieb. Bereits während dieser Zeit hatte er nach den Angaben seiner Schwester bereits unter Wahnvorstellungen gelitten, er habe ihr immer wieder erzählt, dass er bei seiner Arbeit sehe, wie Menschen umgebracht würden. Auch der Entlassungsbefund der LNK Mauer spricht von einer seit Jahren bestehenden Schizophrenie.

Diese Grundlagen wurden in den SV-Gutachten nicht berücksichtigt, sodass gegebenenfalls eine neuerliche bzw. eine ergänzende Begutachtung erforderlich wäre..."

Der Berufung beigelegt war der Bescheid vom 3.5.2005 der Sozialversicherungsanstalt der gewerblichen Wirtschaft, mit dem die Waisenpension ab 1.8.2004 zuerkannt wurde.

Begründet wurde der Bescheid wie folgt:

"Die Kindeseigenschaft besteht bis zur Vollendung des 18. Lebensjahres. Wenn das Kind jedoch seit Vollendung des 18. Lebensjahres oder seit dem Ablauf einer darüber hinaus andauernden Schul- oder Berufsausbildung infolge Krankheit oder Gebrechens erwerbsunfähig ist, besteht Kindeseigenschaft für die Dauer dieser Erwerbsunfähigkeit auch nach Vollendung des 18. Lebensjahres weiter (§ 128 GSVG)."

Aktenkundig ist ferner folgende "Abänderung des Gutachtens durch den leitenden Arzt"

Diagnose(n): Schizophrenie

Richtsatzposition: 585 Gdb: 080 % ICD: F 20.9

Rahmensatzbegründung:

8 Stufen über unterem Rahmensatz, da chronisch

Gesamtgrad der Behinderung: 80 vH voraussichtlich mehr als 3 Jahre anhaltend.

Eine Nachuntersuchung ist nicht erforderlich - Dauerzustand.

Die rückwirkende Anerkennung der Einschätzung des Grades d. Behinderung ist ab 1930-09-01 aufgrund der vorgelegten relevanten Befunde möglich.

Der (Die) Untersuchte ist voraussichtlich dauernd außerstande, sich selbst den Unterhalt zu verschaffen.

Da Herr H. eine Waisenpension von der SVA der gewerblichen Wirtschaft erhält, ist anzunehmen, dass die Behinderung seit Kindesalter besteht und er für seinen Unterhalt nie selbst sorgen konnte.

erstellt am 2005-11-15 von S-G.G.

Das Finanzamt erließ am 26. Jänner 2006 eine Berufungsvorentscheidung und wies die Berufung vom 16. September 2005 (betreffend Abweisung der erhöhten Familienbeihilfe ab Juni 2000) unter Anführung des § 6 Abs. 2 lit. d FLAG mit folgender Begründung ab:

"Das Finanzamt hat zu überprüfen, ob Sie auf Grund eines ärztlichen Gutachtens und des tatsächlichen Versicherungslaufes dauernd außerstande waren, sich selbst den Unterhalt zu verschaffen.

Das ärztliche Sachverständigengutachten vom 15.11.2005 entspricht zwar den Erfordernissen des Familienlastenausgleichsgesetzes für den Anspruch auf die Familienbeihilfe und die erhöhte Familienbeihilfe.

Laut vorliegendem Datenauszug der Sozialversicherung standen Sie in der Zeit von Oktober 1952 bis Dezember 1955, April bis Juli 1956, Juli 1957 bis September 1958 und Mai bis September 1959 in einer versicherungspflichtigen Beschäftigung als Arbeiter.

Nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes steht eine mehrjährige berufliche Tätigkeit der Annahme entgegen, das Kind sei infolge seiner Behinderung dauernd außerstande gewesen, sich selbst den Unterhalt zu verschaffen (Erkenntnisse vom 25. Februar 1997, 96/14/0088, 24. Oktober 1995, 91/14/0197, vom 21. November 1990, 90/13/0129 und vom 25. Jänner 1984, 82/13/0222).

Sie waren mehrere Jahre hindurch im Stande, sich selbst den Unterhalt zu verschaffen.

Die Berufung musste daher hinsichtlich des Zeitraumes ab 01.06.2000 abgewiesen werden."

Die Sachwalterin stellte fristgerecht den Antrag auf Entscheidung über die Berufung durch die Abgabenbehörde zweiter Instanz und führte unter anderem aus:

"Bereits in der Berufung wurde ausgeführt, dass die im Bescheid bzw. nunmehr in der Berufungsvorentscheidung angeführten Beschäftigungszeiten im elterlichen Betrieb erworben wurden und bereits damals die Erkrankung bestanden hat. Es ist daher davon auszugehen, dass sich Herr H. nicht durch entsprechende Arbeitsleistung seinen Unterhalt verschaffen konnte, was das von der belangten Behörde eingeholte Sachverständigengutachten vom 15.11.2005 auch bestätigt.

Der VwGH hat in seinem Erkenntnis vom 28.1.1997, 95/14/0125, zwar darauf hingewiesen, dass er wiederholt ausgesprochen habe, dass eine mehrjährige berufliche Tätigkeit des Kindes die für den Anspruch auf Familienbeihilfe notwendige Annahme widerlege, dass das Kind infolge seiner Behinderung nicht in der Lage gewesen sei sich selbst den Unterhalt zu verschaffen, allerdings auch in diesem Erkenntnis ausgesprochen, dass von einer beruflichen Tätigkeit dann nicht gesprochen werden kann, wenn der "beruflich Tätige" keine Arbeitsleistung erbringe.

Genau dieser Umstand wird sowohl durch das von der belangten Behörde eingeholte Sachverständigengutachten als auch durch die Zuerkennung der Waisenpension und diesem Verfahren zugrunde liegendem Sachverständigengutachten bestätigt..."

Über die Berufung wurde erwogen:

Gemäß § 2 Abs. 1 lit. c FLAG haben Personen, die im Bundesgebiet einen Wohnsitz oder ihren gewöhnlichen Aufenthalt haben, Anspruch auf Familienbeihilfe für volljährige Kinder, die wegen einer vor Vollendung des 21. Lebensjahres oder während einer späteren Berufsausbildung, jedoch spätestens vor Vollendung des 27. Lebensjahres, eingetretenen körperlichen oder geistigen Behinderung voraussichtlich dauernd außerstande sind, sich selbst den Unterhalt zu verschaffen.

Gemäß § 6 Abs. 2 lit. d iVm Abs. 5 FLAG haben volljährigen Vollwaisen und Kinder, deren Eltern nicht überwiegend Unterhalt leisten, dann Anspruch auf Familienbeihilfe, wenn sie wegen einer grundsätzlich vor Vollendung des 21. Lebensjahres eingetretenen Behinderung voraussichtlich dauernd außerstande sind, sich selbst den Unterhalt zu verschaffen.

Gemäß § 8 Abs 4 FLAG erhöht sich die Familienbeihilfe für jedes erheblich behinderte Kind.

Als erheblich behindert gilt ein Kind gemäß § 8 Abs 5 FLAG, bei dem eine nicht nur vorübergehende Funktionsbeeinträchtigung im körperlichen, geistigen oder psychischen Bereich oder in der Sinneswahrnehmung besteht. Als nicht nur vorübergehend gilt ein Zeitraum von voraussichtlich mehr als drei Jahren.

Nach § 8 Abs. 5 FLAG sind für die Einschätzung des Grades der Behinderung die Vorschriften der §§ 7 und 9 Abs 1 des Kriegsopferversorgungsgesetzes 1957, BGBl. Nr. 152 in der jeweils geltenden Fassung und die diesbezügliche Verordnung des Bundesministeriums für soziale Verwaltung vom 9.6.1965, BGBl. Nr. 150 in der jeweils geltenden Fassung, anzuwenden. Die erhebliche Behinderung ist spätestens nach fünf Jahren neu festzustellen, soweit nicht Art und Umfang eine Änderung ausschließen.

Gemäß § 8 Abs. 6 FLAG in der Fassung BGBl I Nr. 105/2002 ist der Grad der Behinderung oder die voraussichtlich dauernde Unfähigkeit, sich selbst den Unterhalt zu verschaffen, durch eine Bescheinigung des Bundesamtes für Soziales und Behindertenwesen auf Grund eines ärztlichen Sachverständigengutachtens nachzuweisen.

Die Feststellung des Behindertengrades eines Kindes, für das erhöhte Familienbeihilfe nach § 8 Abs 4 FLAG beantragt wurde, hat somit nach den Bestimmungen des § 8 Abs 6 FLAG auf dem Wege der Würdigung ärztlicher Sachverständigengutachten zu erfolgen.

Die Abgabenbehörde hat unter sorgfältiger Berücksichtigung der Ergebnisse des Abgabenverfahrens nach freier Überzeugung zu beurteilen, ob eine Tatsache als erwiesen anzunehmen ist oder nicht (§ 167 Abs 2 BAO).

Nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes (vgl. für viele VwGH 9.9.2004, 99/15/0250) ist von mehreren Möglichkeiten jene als erwiesen anzunehmen, die gegenüber allen anderen Möglichkeiten eine überragende Wahrscheinlichkeit für sich hat und alle anderen Möglichkeiten ausschließt oder zumindest weniger wahrscheinlich erscheinen lässt.

Im vorliegenden Fall liegen folgende ärztliche Sachverständigengutachten vor.

Im Gutachten vom 29. Oktober 2004 wird eine 50%ige Behinderung sowie eine dauernde Erwerbsunfähigkeit rückwirkend ab 1. August 1995 bestätigt.

Im Gutachten vom 15. November 2005 wird eine 80%ige Behinderung sowie eine dauernde Erwerbsunfähigkeit rückwirkend ab 1. August 1971 bestätigt.

Schließlich wurde von der leitenden Ärztin wegen der Zuerkennung einer Waisenpension die rückwirkende Anerkennung der dauernde Erwerbsunfähigkeit ab 1. September 1930 (= Geburtsjahr) abgeändert.

Wenn die Sachwalterin in ihrem Vorlageantrag vom 14. Februar 2006 darauf verweist, dass die Erkrankung bereits während der Beschäftigungszeiten im elterlichen Betrieb (Fleischhauerei) bestanden hätte und daher davon auszugehen sei, dass sich der Bw. nicht durch entsprechende Arbeitsleistung seinen Unterhalt hätte verschaffen können, so ist dazu Folgendes zu bemerken:

Die aktenkundigen Arbeitsverhältnisse haben 1952 begonnen, also zu einem Zeitpunkt, in dem der Bw. bereits 22 Jahre alt war. Hieraus kann keineswegs abgeleitet werden, dass eine dauernde Unfähigkeit, sich selbst den Unterhalt zu verschaffen, bereits vor dem 21. Lebensjahr eingetreten ist. Weiters behauptet die Sachwalterin in ihren Eingaben nicht, der Bw. sei aus therapeutischen oder karitativen Erwägungen ohne Erwartung einer Gegenleistung beschäftigt worden (vgl. zB VwGH 23.2.2005, 2001/14/0172; 27.4.2005, 2003/14/0105). Ein bloßes Entgegenkommen des Arbeitgebers erfüllt diesen Tatbestand nicht.

Somit spricht nur die Zuerkennung einer Waisenpension (seit 1. August 2004) gemäß § 138 des Gewerblichen Sozialversicherungsgesetzes dafür, dass der Bw. bereits vor dem 21. Lebensjahr erwerbsunfähig gewesen sein könnte. Im Zuerkennungsbescheid wurde nämlich davon ausgegangen, dass der Bw. bereits seit der Vollendung des 18. Lebensjahres erwerbsunfähig war und damit seine Kindeseigenschaft iSd § 128 Abs. 2 Z 2 GSVG bejaht.

Fest steht im vorliegenden Fall dennoch, dass seitens der untersuchenden Ärzte eine rückwirkende Einschätzung der Erwerbsunfähigkeit auf Grund der vorliegenden Befunde frühestens im Jahr 1971 (1971-08-30 KH Mauer, I. Psychiatrische Abteilung) vorgenommen hat werden können.

Zu diesem Zeitpunkt war der Bw. aber bereits 41 Jahre alt.

Die leitende Ärztin hat eine Abänderung des maßgeblichen Stichtags ausschließlich auf die Zuerkennung der Waisenpension gestützt, ohne dass ihr sonstige Unterlagen vorgelegen sind, die dies hätten begründen können.

Korrespondierend zu der den Abgabenbehörden durch § 115 BAO auferlegten Pflicht zur Erforschung der materiellen Wahrheit sind auch Mitwirkungspflichten der Partei gegeben. Nach der Judikatur des VwGH bestehen erhöhte Mitwirkungspflichten u.a. bei Begünstigungsvorschriften und in den Fällen, in denen die Ermittlungsmöglichkeiten der Behörde eingeschränkt sind.

Wenn es auch als durchaus positiv anzusehen ist, dass die Sachwalterin alles unternommen hat, was für ihren Schutzbefohlenen von Vorteil ist, so ist doch anzumerken, dass der Bw. zum Zeitpunkt der Stellung des (erstmaligen!) Antrags auf Familienbeihilfe und erhöhte Familienbeihilfe 73 Jahre alt war.

Somit war ein Sachverhalt zu beurteilen, der mehr als 50 Jahre zurückliegt. Das Finanzamt hat dennoch alles ihm Zumutbare unternommen, um den zutreffenden Sachverhalt festzustellen; dass aber die Ermittlungsmöglichkeiten der Behörde wegen des großen zeitlichen Abstandes sehr eingeschränkt waren, liegt auf der Hand. Es wäre somit an der Sachwalterin gelegen, den von ihr behaupteten Sachverhalt, nämlich die bereits vor der Vollendung des 21. Lebensjahres eingetretene dauernden Unfähigkeit des Bw., sich selbst den Unterhalt zu verschaffen, klar und ohne Möglichkeit eines Zweifels nachzuweisen.

Eine Bindungswirkung an den Bescheid über die Gewährung der Waisenpension besteht im Beihilfenverfahren nicht.

Somit liegen die gesetzlichen Anspruchsvoraussetzungen für den Bezug der (erhöhten) Familienbeihilfe nicht vor.

Der angefochtene Bescheid war dennoch insoweit abzuändern, als der Antrag auf Gewährung der Familienbeihilfe und des Erhöhungsbetrages erst ab Jänner 2005 abgewiesen wird.

Wie im Sachverhaltsteil ausgeführt wurde, liegt nämlich für den Zeitraum ab Juli 1999 ein rechtskräftiger Abweisungsbescheid vom 14. Jänner 2005 vor. Der Einbringung eines neuerlichen Antrages für einen (teilweise) identen Zeitraum steht damit das sog. "Wiederholungsverbot" entgegen (sh. Stoll, BAO-Kommentar, 944). Soweit also die Monate Juni 2000 bis Dezember 2004 betroffen sind, hätte das Finanzamt wegen entschiedener Sache den Antrag als unzulässig zurückweisen müssen.

Wien, am 28. September 2006

Zusatzinformationen

Materie:

Steuer, FLAG, Finanzstrafrecht Verfahrensrecht

betroffene Normen:

§ 6 Abs. 2 lit. d FLAG 1967, Familienlastenausgleichsgesetz 1967, BGBl. Nr. 376/1967
§ 6 Abs. 5 FLAG 1967, Familienlastenausgleichsgesetz 1967, BGBl. Nr. 376/1967
§ 8 Abs. 5 FLAG 1967, Familienlastenausgleichsgesetz 1967, BGBl. Nr. 376/1967
§ 8 Abs. 6 FLAG 1967, Familienlastenausgleichsgesetz 1967, BGBl. Nr. 376/1967

Schlagworte:

Gutachten, mehrjährige Beschäftigung

Stichworte