VwGH Ra 2022/20/0166

VwGHRa 2022/20/016625.7.2022

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch die Vorsitzende Senatspräsidentin Mag. Dr. Zehetner sowie die Hofräte Mag. Eder und Dr. Horvath als Richter, unter Mitwirkung des Schriftführers Mag. Herrmann‑Preschnofsky, in den Rechtssachen der Revisionen 1. des T H und 2. der M N, beide vertreten durch Mag. Dr. Helmut Blum, Rechtsanwalt in 4020 Linz, Mozartstraße 11/6, gegen die Erkenntnisse des Bundesverwaltungsgerichts je vom 11. April 2022, 1. L527 2198013‑1/36E und 2. L527 2196716‑1/40E, jeweils betreffend Angelegenheiten nach dem AsylG 2005 und dem FPG (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl), den Beschluss gefasst:

Normen

BFA-VG 2014 §9 Abs2
BFA-VG 2014 §9 Abs3
B-VG Art133 Abs4
MRK Art8
VwGG §28 Abs3
VwGG §34 Abs1

European Case Law Identifier: ECLI:AT:VWGH:2022:RA2022200166.L00

 

Spruch:

Die Revisionen werden zurückgewiesen.

Begründung

1 Die revisionswerbenden Parteien sind miteinander verheiratet und Staatsangehörige des Iran. Sie stellten nach unrechtmäßiger Einreise in das Bundesgebiet am 8. November 2015 Anträge auf internationalen Schutz nach dem Asylgesetz 2005.

2 Mit den Bescheiden des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 16. April 2018 und vom 8. Mai 2018 wurden diese Anträge abgewiesen. Weiters wurden den revisionswerbenden Parteien keine Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen erteilt, gegen sie Rückkehrentscheidungen erlassen und festgestellt, dass ihre Abschiebung in den Iran zulässig sei. Die Frist für die freiwillige Ausreise legte die Behörde jeweils mit 14 Tagen ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung fest.

3 Die dagegen von den revisionswerbenden Parteien erhobenen Beschwerden wies das Bundesverwaltungsgericht nach Durchführung einer Verhandlung mit den angefochtenen Erkenntnissen je vom 11. April 2022 als unbegründet ab. Unter einem wies das Bundesverwaltungsgericht den erstmals in der Beschwerde gestellten Antrag der Zweitrevisionswerberin auf Erteilung eines Aufenthaltstitels mit Beschluss als unzulässig zurück. Ferner sprach das Verwaltungsgericht jeweils aus, dass die Erhebung einer Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B‑VG nicht zulässig sei.

4 Nach Art. 133 Abs. 4 B‑VG ist gegen ein Erkenntnis des Verwaltungsgerichtes die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.

5 Nach § 34 Abs. 1 VwGG sind Revisionen, die sich wegen Nichtvorliegen der Voraussetzungen des Art. 133 Abs. 4 B‑VG nicht zur Behandlung eignen, ohne weiteres Verfahren mit Beschluss zurückzuweisen.

6 Nach § 34 Abs. 1a VwGG ist der Verwaltungsgerichtshof bei der Beurteilung der Zulässigkeit der Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B‑VG an den Ausspruch des Verwaltungsgerichtes gemäß § 25a Abs. 1 VwGG nicht gebunden. Die Zulässigkeit einer außerordentlichen Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B‑VG hat der Verwaltungsgerichtshof im Rahmen der dafür in der Revision vorgebrachten Gründe (§ 28 Abs. 3 VwGG) zu überprüfen.

7 Zur Zulässigkeit der Revisionen bringen die revisionswerbenden Parteien vor, das Bundesverwaltungsgericht sei für die Annahme einer bloßen Scheinkonversion „eine nachvollziehbare Begründung schuldig“ geblieben und habe einen „Maßstab für die Beurteilung der Ernsthaftigkeit der Konversion“ angelegt, der nicht nachvollziehbar sei. Den kirchlichen Taufen den revisionswerbenden Parteien in Österreich sei eine lange und intensive Taufvorbereitung vorausgegangen. Es seien auch Bestätigungen von Geistlichen vorgelegt worden, die die Authentizität des Religionswechsels bestätigten. Weshalb dessen ungeachtet von einer „zweckorientierten Konversion“ ausgegangen werde, habe das Bundesverwaltungsgericht nicht ausreichend begründet. Wenn aufgrund äußerer Tatsachen ein Wechsel der Religion aus innerer Überzeugung nicht unwahrscheinlich sei, seien weitere Zeugen zu befragen. Überdies habe das Bundesverwaltungsgericht gegen den Grundsatz der materiellen Wahrheit und gegen die Offizialmaxime verstoßen. Es hätte sich mit dem Vorbringen auseinandersetzen, amtswegige Erhebungen im Herkunftsstaat durchführen und näher prüfen müssen, ob für die revisionswerbenden Parteien im Iran Lebensgefahr bestehe.

8 Nach der Rechtsprechung kommt es bei der Beurteilung eines behaupteten Religionswechsels und der Prüfung einer Scheinkonversion auf die aktuell bestehende Glaubensüberzeugung des Konvertiten an, die im Rahmen einer Gesamtbetrachtung anhand einer näheren Beurteilung der vorliegenden Beweismittel, etwa von Zeugenaussagen und einer konkreten Befragung des Asylwerbers zu seinen religiösen Aktivitäten, zu ermitteln ist. In Bezug auf die asylrechtliche Relevanz einer Konversion zum Christentum ist nicht entscheidend, ob der Religionswechsel durch die Taufe erfolgte oder bloß beabsichtigt ist. Wesentlich ist vielmehr, ob der Fremde bei weiterer Ausübung seines (behaupteten) inneren Entschlusses, nach dem christlichen Glauben zu leben, im Falle seiner Rückkehr in seinen Herkunftsstaat mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit damit rechnen müsste, aus diesem Grund mit die Intensität von Verfolgung erreichenden Sanktionen belegt zu werden (vgl. VwGH 4.8.2021, Ra 2021/20/0243, mwN).

9 Nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ist dieser als Rechtsinstanz tätig und im Allgemeinen nicht zur Überprüfung der Beweiswürdigung im Einzelfall berufen. Im Zusammenhang mit der Beweiswürdigung liegt eine Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung nur dann vor, wenn das Verwaltungsgericht die Beweiswürdigung in einer die Rechtssicherheit beeinträchtigenden, unvertretbaren Weise vorgenommen hat. (vgl. VwGH 31.1.2022, Ra 2021/20/0486, mwN).

10 Das Bundesverwaltungsgericht führte eine Verhandlung durch, in der es sich einen persönlichen Eindruck von den revisionswerbenden Parteien verschaffte, sie näher zu den Verfolgungsgründen befragte und einen Pastor als Zeugen vernahm. Das Bundesverwaltungsgericht ging auf das Vorbringen der revisionswerbenden Parteien ein und setzte sich in seiner Beweiswürdigung umfassend mit den für die Beurteilung einer Konversion maßgeblichen Aspekten auseinander. Das Bundesverwaltungsgericht gelangte nach einer ausführlichen und nicht unschlüssigen Beweiswürdigung zu dem Schluss, dass sich die revisionswerbenden Parteien nicht ernsthaft und nachhaltig dem Christentum zugewendet hätten. Das Bundesverwaltungsgericht setzte sich dabei auch mit der Aussage und den Schreiben des Pastors ausreichend auseinander. In der Revision wird nicht aufgezeigt, dass die Beweiswürdigung unvertretbar wäre.

11 Die Frage, ob das Verwaltungsgericht im Rahmen seiner amtswegigen Ermittlungspflichten weitere Ermittlungsschritte setzen muss, unterliegt einer einzelfallbezogenen Beurteilung. Eine Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung läge insoweit nur dann vor, wenn die Beurteilung grob fehlerhaft erfolgt wäre (vgl. VwGH 28.5.2021, Ra 2021/20/0070, mwN).

12 Aufgrund welcher konkreten Umstände das Bundesverwaltungsgericht in den vorliegenden Fällen gehalten gewesen wäre, von der Notwendigkeit weiterer amtswegiger Erhebungen, auch im Herkunftsstaat, auszugehen, wird von den revisionswerbenden Parteien nicht dargetan. Zudem ist darauf hinzuweisen, dass ein allgemeines Recht auf eine fallbezogene Überprüfung des Vorbringens eines Asylwerbers durch Recherche im Herkunftsstaat nicht besteht (vgl. VwGH 23.6.2020, Ra 2020/20/0189 bis 0191, mwN).

13 Die revisionswerbenden Parteien bringen zur Zulässigkeit der Revisionen in Bezug auf die Erlassung von Rückkehrentscheidungen weiters vor, es fehle gesicherte Rechtsprechung zur Frage, wann von einer derart herausragenden Integration eines Asylwerbers auszugehen sei, dass eine Rückkehrentscheidung unzulässig und ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen zu erteilen wäre.

14 Nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ist die bei Erlassung einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme unter Bedachtnahme auf die jeweiligen Umstände des Einzelfalls in Form einer Gesamtbetrachtung durchgeführte Interessenabwägung im Sinn des Art. 8 EMRK im Allgemeinen ‑ wenn sie auf einer verfahrensrechtlich einwandfreien Grundlage erfolgte und in vertretbarer Weise im Rahmen der von der Rechtsprechung entwickelten Grundsätze vorgenommen wurde ‑ nicht revisibel im Sinn des Art. 133 Abs. 4 B‑VG (vgl. auch dazu VwGH 23.6.2020, Ra 2020/20/0189 bis 0191, mwN).

15 Die Beurteilung, ob die Erlassung einer Rückkehrentscheidung einen unverhältnismäßigen Eingriff in die nach Art. 8 EMRK geschützten Rechte eines Fremden darstellt, hat nach der ständigen Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes unter Bedachtnahme auf alle Umstände des Einzelfalles stattzufinden. Dabei muss eine gewichtende Abwägung des öffentlichen Interesses an einer Aufenthaltsbeendigung mit den gegenläufigen privaten und familiären Interessen des Fremden, insbesondere unter Berücksichtigung der in § 9 Abs. 2 BFA‑Verfahrensgesetz (BFA‑VG) genannten Kriterien und unter Einbeziehung der sich aus § 9 Abs. 3 BFA‑VG ergebenden Wertungen, in Form einer Gesamtbetrachtung vorgenommen werden.

16 Bei dieser Beurteilung ist somit stets auf die den konkreten Einzelfall betreffenden Aspekte abzustellen, weshalb schon von daher der in der Revision angesprochene Klärungsbedarf nicht besteht (vgl. wieder VwGH 23.6.2020, Ra 2020/20/0189 bis 0191, mwN).

17 Das Bundesverwaltungsgericht hat bei den die revisionswerbenden Parteien betreffenden Interessenabwägungen nach § 9 BFA‑VG auf die fallbezogen entscheidungswesentlichen Umstände Bedacht genommen. Dass sich das Bundesverwaltungsgericht bei der Gewichtung dieser Umstände von den in der Rechtsprechung aufgestellten Leitlinien entfernt oder diese in unvertretbarer Weise zur Anwendung gebracht hätte, ist nicht zu sehen.

18 Von den revisionswerbenden Parteien werden sohin keine Rechtsfragen aufgeworfen, denen im Sinn des Art. 133 Abs. 4 B‑VG grundsätzliche Bedeutung zukäme. Die Revisionen waren daher gemäß § 34 Abs. 1 VwGG ohne weiteres Verfahren zurückzuweisen.

Wien, am 25. Juli 2022

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