Normen
BFA-VG 2014 §9 Abs2 Z8
MRK Art8
European Case Law Identifier: ECLI:AT:VWGH:2022:RA2021200486.L00
Spruch:
Die Revision wird zurückgewiesen.
Begründung
1 Der aus dem Iran stammende Revisionswerber stellte am 16. September 2015 einen Antrag auf internationalen Schutz nach dem Asylgesetz 2005.
2 Mit Bescheid vom 31. Mai 2017 wies das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl den Antrag ab, erteilte dem Revisionswerber keinen Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen, erließ gegen ihn eine Rückkehrentscheidung, stellte fest, dass seine Abschiebung in den Iran zulässig sei, und legte eine Frist für die freiwillige Ausreise fest.
3 Die dagegen erhobene Beschwerde wies das Bundesverwaltungsgericht nach Durchführung einer Verhandlung als unbegründet ab und erklärte die Revision nach Art. 133 Abs. 4 B‑VG für nicht zulässig.
4 Nach Art. 133 Abs. 4 B‑VG ist gegen ein Erkenntnis des Verwaltungsgerichtes die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.
5 Nach § 34 Abs. 1 VwGG sind Revisionen, die sich wegen Nichtvorliegen der Voraussetzungen des Art. 133 Abs. 4 B‑VG nicht zur Behandlung eignen, ohne weiteres Verfahren mit Beschluss zurückzuweisen.
6 Nach § 34 Abs. 1a VwGG ist der Verwaltungsgerichtshof bei der Beurteilung der Zulässigkeit der Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B‑VG an den Ausspruch des Verwaltungsgerichtes gemäß § 25a Abs. 1 VwGG nicht gebunden. Die Zulässigkeit einer außerordentlichen Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B‑VG hat der Verwaltungsgerichtshof im Rahmen der dafür in der Revision vorgebrachten Gründe (§ 28 Abs. 3 VwGG) zu überprüfen.
7 Zunächst bringt der Revisionswerber vor, das Bundesverwaltungsgericht habe die beantragte Einvernahme mehrerer Zeugen, insbesondere des Pastors, der den Revisionswerber getauft habe und der die Kirchengemeinde, die der Revisionswerber besuche, leite, sowie der Lebensgefährtin des Revisionswerbers unterlassen.
8 Werden Verfahrensmängel ‑ wie hier die unterbliebene Vernehmung von Zeugen ‑ als Zulassungsgründe ins Treffen geführt, muss auch schon in der abgesonderten Zulässigkeitsbegründung die Relevanz dieser Verfahrensmängel, weshalb also bei Vermeidung des Verfahrensmangels in der Sache ein anderes, für den Revisionswerber günstigeres Ergebnis hätte erzielt werden können, dargetan werden. Dies setzt voraus, dass ‑ auch in der gesonderten Begründung für die Zulässigkeit der Revision zumindest auf das Wesentliche zusammengefasst ‑ jene Tatsachen dargestellt werden, die sich bei Vermeidung des Verfahrensmangels als erwiesen ergeben hätten (vgl. VwGH 3.12.2021, Ra 2021/20/0434, mwN). Im Fall einer unterbliebenen Vernehmung ist ‑ um die Relevanz des behaupteten Verfahrensfehlers darzulegen ‑ in der Revision konkret darzulegen, was die betreffende Person im Fall ihrer Vernehmung hätte aussagen können und welche anderen oder zusätzlichen Feststellungen auf Grund dessen zu treffen gewesen wären (vgl. VwGH 24.11.2021, Ra 2021/14/0315, mwN).
Diesen Anforderungen wird das Vorbringen in der Revision zu keinem der beantragten Zeugen gerecht. Wenn der Revisionswerber die Relevanz der unterbliebenen Vernehmung des Pastors damit begründet, dass dieser angeben hätte können, dass der Revisionswerber tatsächlich Christ sei und das Christentum eine sehr wichtige Rolle in seinem Leben spiele, bezieht er sich damit nicht auf vom Pastor gemachte Wahrnehmungen, sondern auf dessen Bewertung. So verkennt der Revisionswerber auch mit dem Vorbringen, der Pastor sei zur Beurteilung der Ernsthaftigkeit der Konversion besser in der Lage als die erkennende Richterin, dass die Beurteilung der Glaubwürdigkeit der Angaben des Revisionswerbers zu den Gründen seiner Flucht ‑ hier: Verfolgung wegen einer aktuell bestehenden Glaubensüberzeugung ‑ nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes dem Kernbereich der richterlichen Beweiswürdigung zuzurechnen ist (vgl. VwGH 22.4.2021, Ra 2021/20/0108; 23.3.2020, Ra 2020/14/0084, jeweils mwN, im zuletzt genannten Fall ebenfalls in Bezug auf die Glaubwürdigkeit eines Vorbringens zu einer Konversion mit dem Hinweis, dass diese Beurteilung nicht in das Aufgabengebiet eines Sachverständigen fällt).
9 Nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ist dieser als Rechtsinstanz tätig und im Allgemeinen nicht zur Überprüfung der Beweiswürdigung im Einzelfall berufen. Im Zusammenhang mit der Beweiswürdigung liegt eine Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung nur dann vor, wenn das Verwaltungsgericht die Beweiswürdigung in einer die Rechtssicherheit beeinträchtigenden, unvertretbaren Weise vorgenommen hat. Der ‑ zur Rechtskontrolle berufene ‑ Verwaltungsgerichtshof ist nicht berechtigt, eine Beweiswürdigung des Verwaltungsgerichtes mit der Begründung zu verwerfen, dass auch ein anderer Sachverhalt schlüssig begründbar wäre (vgl. VwGH 30.11.2021, Ra 2021/20/0350, mwN).
10 Das Bundesverwaltungsgericht setzte sich nach Durchführung einer Verhandlung unter anderem mit den religiösen Aktivitäten des Revisionswerbers, dessen Wissen zum Christentum, den vorgelegten Fotos, den Facebook‑Postings, dessen Taufe und dessen Angaben zur Motivation zum Glaubenswechsel auseinander. Es kam anhand nicht unschlüssiger Erwägungen zum Ergebnis, dass der Revisionswerber bloß zum Schein und nicht aus innerer Überzeugung konvertiert sei. Mit den vom Revisionswerber angestellten beweiswürdigenden Überlegungen zeigt dieser keine Unvertretbarkeit der vom Bundesverwaltungsgericht vorgenommenen Beweiswürdigung auf. Dass den etwaigen für eine „echte“ Konversion sprechenden Indizien vom Bundesverwaltungsgericht nicht jene Bedeutung beigemessen wurde, die sich der Revisionswerber erhofft hatte, führt nicht dazu, dass davon gesprochen werden könnte, die Beweiswürdigung wäre mit einem vom Verwaltungsgerichtshof aufzugreifenden Mangel behaftet. Darauf, dass auch ein anderer Sachverhalt hätte schlüssig begründet werden können, kommt es nach dem oben dargestellten, im Revisionsverfahren anzuwendenden Prüfungsmaßstab nicht an.
11 Schließlich macht der Revisionswerber geltend, dass eine Rückkehrentscheidung nicht zuletzt wegen der Verfahrensdauer von sechs Jahren unzulässig sei.
12 Nach der ständigen Rechtsprechung ist eine unter Bedachtnahme auf die jeweiligen Umstände des Einzelfalls in Form einer Gesamtbetrachtung durchgeführte Interessenabwägung im Sinn des Art. 8 EMRK im Allgemeinen ‑ wenn sie auf einer verfahrensrechtlich einwandfreien Grundlage erfolgte und in vertretbarer Weise im Rahmen der von der Rechtsprechung entwickelten Grundsätze vorgenommen wurde ‑ nicht revisibel im Sinn des Art. 133 Abs. 4 B‑VG (vgl. VwGH 1.12.2021, Ra 2021/20/0268, mwN).
13 Das Bundesverwaltungsgericht berücksichtigte bei der Interessenabwägung insbesondere die Dauer des Aufenthalts des Revisionswerbers im Bundesgebiet, dessen Deutschkenntnisse auf dem Niveau B1, dessen selbständige Erwerbstätigkeit und dessen Lebensgemeinschaft zu seiner als Studentin aufenthaltsberechtigten Partnerin.
14 Es ging aber zutreffend davon aus, dass es bei der Beurteilung des Privat- und Familienlebens des Fremden im Sinn des § 9 Abs. 2 Z 8 BFA‑VG maßgeblich relativierend ist, wenn integrationsbegründende Schritte in einem Zeitpunkt gesetzt wurden, in dem sich der Fremde seines unsicheren Aufenthaltsstatus bewusst sein musste. Diese Überlegungen gelten insbesondere auch für eine Eheschließung mit einer in Österreich aufenthaltsberechtigten Person, wenn dem Fremden zum Zeitpunkt des Eingehens der Ehe die Unsicherheit eines gemeinsamen Familienlebens in Österreich in evidenter Weise klar sein musste und daher umso mehr für eine in einer solchen Situation begründete Lebensgemeinschaft (vgl. VwGH 10.3.2021, Ra 2021/19/0060, mwN).
15 Die Revision zeigt nicht auf, dass das Bundesverwaltungsgericht dies unverhältnismäßig in den Vordergrund gestellt oder die Interessenabwägung aus sonstigen Gründen in einer unvertretbaren Weise vorgenommen hätte.
16 Soweit die Revision die lange Verfahrensdauer ins Treffen führt, ist darauf zu verweisen, dass es sich dabei nur um einen von mehreren Aspekten handelt, der bei der Interessenabwägung des Art. 8 Abs. 2 EMRK zu berücksichtigen ist. Dass dieser Umstand fallbezogen entscheidend ins Gewicht fiele, vermag die Revision nicht darzulegen (vgl. VwGH 10.9.2021, Ra 2021/18/0201, mwN).
17 In der Revision werden sohin keine Rechtsfragen aufgeworfen, denen im Sinn des Art. 133 Abs. 4 B‑VG grundsätzliche Bedeutung zukäme. Die Revision war daher gemäß § 34 Abs. 1 VwGG ohne weiteres Verfahren zurückzuweisen.
Wien, am 31. Jänner 2022
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