Normen
AsylG 2005 §3 Abs1
FlKonv Art1 AbschnA Z2
European Case Law Identifier: ECLI:AT:VWGH:2021:RA2021180164.L00
Spruch:
Die Revision wird zurückgewiesen.
Begründung
1 Der Revisionswerber, ein aus Kunduz stammender Staatsangehöriger Afghanistans, stellte am 3. Februar 2016 einen Antrag auf internationalen Schutz, den er im Wesentlichen damit begründete, von den Taliban zur Teilnahme am Dschihad aufgefordert worden zu sein. In seiner Heimatregion herrsche Krieg.
2 Mit Bescheid vom 28. September 2017 wies das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (BFA) diesen Antrag zur Gänze ab, erteilte dem Revisionswerber keinen Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen, erließ eine Rückkehrentscheidung gegen ihn und stellte fest, dass seine Abschiebung nach Afghanistan zulässig sei. Die Frist für die freiwillige Ausreise legte das BFA mit vierzehn Tagen ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung fest.
3 Die dagegen erhobene Beschwerde des Revisionswerbers wies das Bundesverwaltungsgericht (BVwG) nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung mit dem angefochtenen Erkenntnis als unbegründet ab und erklärte die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B‑VG für nicht zulässig.
4 Begründend führte das BVwG zusammengefasst aus, der Revisionswerber habe aufgrund näher dargestellter Widersprüche und Steigerungen innerhalb seiner Aussagen eine gezielt ihn betreffende Bedrohung durch die Taliban nicht glaubhaft machen können. Es seien keine Handlungen oder Maßnahmen seitens regierungsfeindlicher Truppen gegen ihn gesetzt worden. Aufgrund der volatilen Sicherheitslage sei dem Revisionswerber eine Rückkehr in seine Heimatprovinz zwar nicht möglich; möglich und zumutbar sei ihm aber die Inanspruchnahme einer innerstaatlichen Fluchtalternative in Kabul, Herat oder Mazar-e Sharif. Im Rahmen der Rückkehrentscheidung hielt das BVwG nach Durchführung einer Interessenabwägung im Sinne des Art. 8 EMRK fest, dass die öffentlichen Interessen die privaten Interessen des Revisionswerbers überwögen.
5 Gegen dieses Erkenntnis brachte der Revisionswerber zunächst eine Beschwerde an den Verfassungsgerichtshof ein, der deren Behandlung mit Beschluss vom 29. April 2021, E 1511/2021‑8, ablehnte.
6 Die vorliegende außerordentliche Revision bringt zu ihrer Zulässigkeit zusammengefasst vor, dass das BVwG seine Ermittlungspflicht hinsichtlich der Zwangsrekrutierung Minderjähriger durch die Taliban verletzt und dem Revisionswerber deshalb die Glaubwürdigkeit abgesprochen habe. Das BVwG habe es verabsäumt, sich mit der vorgebrachten Zugehörigkeit des Revisionswerbers zur Risikogruppe der Männer im wehrfähigen Alter unter Heranziehung der UNHCR‑Richtlinien zur Feststellung des internationalen Schutzbedarfs afghanischer Asylsuchender vom 30. August 2018 (im Folgenden: UNHCR‑Richtlinien) auseinanderzusetzen. Auch im Hinblick auf die Annahme einer innerstaatlichen Fluchtalternative seien die UNHCR‑Richtlinien, aus welchen der breite Wirkungskreis der Taliban hervorgehe, nicht berücksichtigt worden. Schließlich sei das Verfahren mit grober Mangelhaftigkeit belastet, weil die Sicherheitslage in Kabul aktenwidrig dargestellt worden sei. Die Auffassung des BVwG, dass die Gefahr von Anschlägen nur ausländische Einrichtungen betreffe, sodass kein reales Risiko einer Verletzung der Art. 2 und 3 EMRK zu befürchten sei, sei mit den zuvor getroffenen Feststellungen über zivile Opfer in Kabul unvereinbar.
7 Mit diesem Vorbringen wird die Zulässigkeit der Revision nicht dargetan.
8 Nach Art. 133 Abs. 4 B‑VG ist gegen ein Erkenntnis des Verwaltungsgerichtes die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.
9 Nach § 34 Abs. 1 VwGG sind Revisionen, die sich wegen Nichtvorliegens der Voraussetzungen des Art. 133 Abs. 4 B‑VG nicht zur Behandlung eignen, ohne weiteres Verfahren in nichtöffentlicher Sitzung mit Beschluss zurückzuweisen.
10 Nach § 34 Abs. 1a VwGG ist der Verwaltungsgerichtshof bei der Beurteilung der Zulässigkeit der Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B‑VG an den Ausspruch des Verwaltungsgerichtes gemäß § 25a Abs. 1 VwGG nicht gebunden. Die Zulässigkeit einer außerordentlichen Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B‑VG hat der Verwaltungsgerichtshof im Rahmen der dafür in der Revision vorgebrachten Gründe (§ 28 Abs. 3 VwGG) zu überprüfen.
11 Wenn die Revision zu ihrer Zulässigkeit zunächst vorbringt, das BVwG habe die Verpflichtung zur amtswegigen Erforschung des maßgeblichen Sachverhalts missachtet, ist auf die Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zu verweisen, wonach die Frage, ob das Verwaltungsgericht im Rahmen seiner amtswegigen Ermittlungspflicht weitere Ermittlungsschritte setzen muss, einer einzelfallbezogenen Beurteilung unterliegt. Eine Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung läge insoweit nur dann vor, wenn diese Beurteilung grob fehlerhaft erfolgt wäre (vgl. VwGH 17.12.2020, Ra 2020/18/0480, mwN).
12 Dass dies vorliegend der Fall wäre, zeigt die Revision jedoch nicht auf. Insbesondere trifft der in der Revision erhobene Vorwurf, ein Ermittlungsfehler sei darin zu erblicken, dass das BVwG es unterlassen habe, Ermittlungen hinsichtlich der Rekrutierung von Minderjährigen durch die Taliban, anzustellen, nicht zu. Abgesehen davon, dass der Revisionswerber zum Zeitpunkt der Entscheidung nicht mehr minderjährig war, legte das BVwG seinem Erkenntnis aktuelle Länderberichte verschiedenster Quellen zur Rekrutierungspraxis der Taliban zugrunde und berücksichtigte diese in seiner Beweiswürdigung. Das Gericht kam jedoch vor deren Hintergrund vertretbar zu dem Ergebnis, dass Zwangsrekrutierungen durch die Taliban zwar vorkämen, jedoch die Ausnahme bildeten und der Revisionswerber keine speziellen Qualifikationen aufweise, welche für die Taliban vorteilhaft sein könnten. Der Vollständigkeit halber ist in diesem Zusammenhang auch auf die Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes hinzuweisen, wonach die Feststellung allgemeiner Umstände im Herkunftsstaat die Glaubhaftmachung der Gefahr einer konkreten, individuell gegen den Revisionswerber gerichteten Verfolgung nicht ersetzen kann (vgl. VwGH 31.8.2020, Ra 2020/19/0232).
13 Entgegen dem Revisionsvorbringen setzte sich das BVwG im angefochtenen Erkenntnis umfassend und unter Berücksichtigung einschlägiger und aktueller Länderberichte mit dem Vorbringen des Revisionswerbers auseinander, sah nachvollziehbar keine Anhaltspunkte für weitere Ermittlungen und kam vertretbar zu dem Ergebnis, dass das Fluchtvorbringen des Revisionswerbers nicht glaubhaft sei.
14 Sofern die Revision moniert, das BVwG hätte für einen Abgleich der Aussagen des Revisionswerbers mit den realen Begebenheiten in seiner Herkunftsprovinz Berichte aus dem Jahr 2015 heranziehen müssen, übersieht sie, dass nach ständiger Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes es für die Asylgewährung auf die Flüchtlingseigenschaft im Sinn der GFK zum Zeitpunkt der Entscheidung ankommt. Entscheidend ist nämlich, ob die betroffene Person vor dem Hintergrund der zu treffenden aktuellen Länderfeststellungen im Zeitpunkt der Entscheidung des Verwaltungsgerichts bei Rückkehr in ihren Herkunftsstaat mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit mit Verfolgungshandlungen rechnen müsste (vgl. etwa VwGH 26.11.2020, Ra 2020/18/0384, mwN). Zudem übersieht die Revision, dass das BVwG dem Vorbringen bereits aufgrund von Widersprüchen, klar erkennbarer Steigerungen und mangelnder Details die Glaubwürdigkeit absprach.
15 Des Weiteren bringt die Revision vor, das BVwG habe es verabsäumt, sich mit den UNHCR-Richtlinien zu befassen, obwohl der Revisionswerber als Mann im wehrfähigen Alter in ein darin enthaltenes Risikoprofil falle und aus den UNHCR-Richtlinien der große Wirkungsbereich der Taliban hervorgehe, weswegen eine innerstaatliche Fluchtalternative nicht in Frage komme.
16 Dem ist zunächst entgegen zu halten, dass das BVwG im angefochtenen Erkenntnis die UNHCR-Richtlinien sehr wohl sowohl im Hinblick auf das Fluchtvorbringen betreffend Rekrutierungen durch die Taliban als auch des Bestehens einer innerstaatlichen Fluchtalternative in afghanischen Städten (einschließlich Kabul) in seine Länderfeststellungen einbezog.
17 Darüber hinaus ist jedoch darauf zu verweisen, dass nach ständiger Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes es nicht ausreicht, die Außerachtlassung von Verfahrensvorschriften zu behaupten, ohne die Relevanz der genannten Verfahrensmängel - in konkreter Weise - darzulegen (vgl. VwGH 18.3.2021, Ra 2021/18/0091). Mit dem bloßen Verweis auf das in den UNHCR-Richtlinien genannte Risikoprofil gelingt es der Revision sohin nicht, die Beurteilung des BVwG, wonach dem Revisionswerber aktuell keine Verfolgungsgefahr in seinem Herkunftsstaat drohe, zu entkräften. Den UNHCR-Richtlinien ist nämlich nicht zu entnehmen, dass gleichsam jeder Mann im wehrfähigen Alter im gesamten afghanischen Staatsgebiet eine Verfolgung durch die Taliban zu befürchten habe.
18 Wenn die Revision schließlich die vom BVwG vorgenommene Darstellung der Sicherheitslage in Kabul beanstandet, wird eine Rechtsfrage grundsätzlicher Bedeutung damit schon deshalb nicht aufgezeigt, weil das BVwG alternativ und tragfähig die Möglichkeit der Inanspruchnahme einer innerstaatlichen Fluchtalternative in Mazar-e Sharif oder in Herat angenommen hat. Dieser Annahme setzt die Revision nichts entgegen.
19 Die Revision hängt somit von dem auf die innerstaatliche Fluchtalternative bezogenen Vorbringen nicht ab (vgl. VwGH 5.3.2021, Ra 2021/19/0049, mwN).
20 In der Revision werden sohin keine Rechtsfragen aufgeworfen, denen im Sinne des Art. 133 Abs. 4 B‑VG grundsätzliche Bedeutung zukäme. Die Revision war daher zurückzuweisen.
Wien, am 23. Juni 2021
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