VwGH Ra 2021/18/0091

VwGHRa 2021/18/009118.3.2021

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch die Vorsitzende Vizepräsidentin Dr.in Sporrer, den Hofrat Dr. Sutter und die Hofrätin Dr.in Sembacher als Richterinnen und Richter, unter Mitwirkung des Schriftführers Mag. Wuketich, in der Revisionssache des H Z, vertreten durch Mag. Sarah Kumar, Rechtsanwältin in 8010 Graz, Schießstattgasse 30/1, gegen das Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom 3. Februar 2020, W151 2166067‑1/18E, betreffend eine Asylangelegenheit (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl), den Beschluss gefasst:

Normen

B-VG Art133 Abs4
MRK Art8
VwGG §28 Abs3
VwGG §34 Abs1

European Case Law Identifier: ECLI:AT:VWGH:2021:RA2021180091.L00

 

Spruch:

Die Revision wird zurückgewiesen.

Begründung

1 Der Revisionswerber, ein Staatsangehöriger Afghanistans, stellte am 20. Juli 2015 einen Antrag auf internationalen Schutz, den er im Wesentlichen damit begründete, aufgrund seiner Tätigkeit für ein näher bezeichnetes Bauunternehmen von den Taliban gefangen genommen worden zu sein.

2 Mit Bescheid vom 7. Juli 2017 wies das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (BFA) diesen Antrag zur Gänze ab, erteilte dem Revisionswerber keinen Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen, erließ eine Rückkehrentscheidung gegen ihn und stellte fest, dass seine Abschiebung nach Afghanistan zulässig sei. Die Frist für die freiwillige Ausreise legte das BFA mit vierzehn Tagen ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung fest.

3 Die dagegen erhobene Beschwerde des Revisionswerbers wies das Bundesverwaltungsgericht (BVwG) nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung mit dem angefochtenen Erkenntnis als unbegründet ab und erklärte die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B‑VG für nicht zulässig.

4 Begründend führte das BVwG zusammengefasst aus, der Revisionswerber habe als Fahrer für seinen Schwager gearbeitet, der als Subunternehmer für ein Bauunternehmen tätig gewesen sei. Eine damit zusammenhängende Bedrohung durch die Taliban habe er jedoch nicht glaubhaft gemacht. Es sei nicht nachvollziehbar, weshalb diese das Fahrzeug des Revisionswerbers angehalten hätten, obwohl darauf keine Firmenaufschrift zu sehen gewesen sei und weshalb sowohl der Schwager des Revisionswerbers als auch seine übrige Familie nach seiner vermeintlichen Gefangenschaft unbehelligt geblieben seien, obwohl der Revisionswerber nach eigenen Angaben diverse Informationen über die Firma weitergegeben habe und der Schwager eine geforderte Lösegeldzahlung an die Taliban verweigert habe. Eine Rückkehr in seine Heimatprovinz sei dem Revisionswerber aufgrund der volatilen Sicherheitslage nicht möglich, ihm sei aber die Inanspruchnahme einer innerstaatlichen Fluchtalternative in Kabul, Herat oder Mazar‑e Sharif zumutbar, weshalb ihm auch kein subsidiärer Schutzstatus zuzuerkennen sei. In Hinblick auf die Rückkehrentscheidung sei davon auszugehen, dass das öffentliche Interesse an der Beendigung des unrechtmäßigen Aufenthalts des Revisionswerbers im Bundesgebiet sein persönliches Interesse am Verbleib überwiege.

5 Gegen dieses Erkenntnis brachte der Revisionswerber zunächst eine Beschwerde an den Verfassungsgerichtshof ein, der deren Behandlung mit Beschluss vom 24. November 2020, E 952/2020‑11, ablehnte und sie über nachträglichen Antrag mit Beschluss vom 21. Jänner 2021, E 952/2020‑13, dem Verwaltungsgerichtshof zur Entscheidung abtrat.

6 Die vorliegende außerordentliche Revision bringt zu ihrer Zulässigkeit zusammengefasst vor, das BVwG habe nicht nachvollziehbar begründet, weshalb es das Vorbringen des Revisionswerbers zu seiner Gefangenschaft als nicht glaubhaft erachte. Zudem habe das BVwG das beantragte Sachverständigengutachten zu den Narben des Revisionswerbers zu Unrecht nicht eingeholt und sich auch nicht mit den in den UNHCR‑Richtlinien vom 30. August 2018 genannten Risikoprofilen auseinandergesetzt. Auch die im Zuge der Rückkehrentscheidung vorzunehmende Interessenabwägung nach § 9 Abs. 2 BFA‑VG sei nicht in gesetzmäßiger Weise vorgenommen worden, weil das BVwG dem vorläufigen Aufenthalt des Revisionswerbers, seiner illegalen Einreise sowie der bisherigen Aufenthaltsdauer im Vergleich zu seinen Integrationserfolgen einen unverhältnismäßig hohen Stellenwert beigemessen habe.

7 Mit diesem Vorbringen wird die Zulässigkeit der Revision nicht dargetan.

8 Nach Art. 133 Abs. 4 B‑VG ist gegen ein Erkenntnis des Verwaltungsgerichtes die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.

9 Nach § 34 Abs. 1 VwGG sind Revisionen, die sich wegen Nichtvorliegens der Voraussetzungen des Art. 133 Abs. 4 B‑VG nicht zur Behandlung eignen, ohne weiteres Verfahren in nichtöffentlicher Sitzung mit Beschluss zurückzuweisen.

10 Nach § 34 Abs. 1a VwGG ist der Verwaltungsgerichtshof bei der Beurteilung der Zulässigkeit der Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B‑VG an den Ausspruch des Verwaltungsgerichtes gemäß § 25a Abs. 1 VwGG nicht gebunden. Die Zulässigkeit einer außerordentlichen Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B‑VG hat der Verwaltungsgerichtshof im Rahmen der dafür in der Revision vorgebrachten Gründe (§ 28 Abs. 3 VwGG) zu überprüfen.

11 Die Revision wendet sich zunächst erkennbar gegen die Beweiswürdigung des BVwG. Dazu ist auf die ständige Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zu verweisen, wonach dieser zur Überprüfung der Beweiswürdigung im Allgemeinen nicht berufen ist. Eine Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung im Sinn des Art. 133 Abs. 4 B‑VG liegt ‑ als Abweichung von der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ‑ allerdings dann vor, wenn das Verwaltungsgericht die im Einzelfall vorgenommene Beweiswürdigung in einer die Rechtssicherheit beeinträchtigenden, unvertretbaren Weise vorgenommen hat.

12 Die Beweiswürdigung ist damit nur insofern einer Überprüfung durch den Verwaltungsgerichtshof zugänglich, als es sich um die Schlüssigkeit dieses Denkvorganges (nicht aber die konkrete Richtigkeit) handelt bzw. darum, ob die Beweisergebnisse, die in diesem Denkvorgang gewürdigt wurden, in einem ordnungsgemäßen Verfahren ermittelt worden sind. Unter Beachtung dieser Grundsätze hat der Verwaltungsgerichtshof auch zu prüfen, ob das Verwaltungsgericht im Rahmen seiner Beweiswürdigung alle in Betracht kommenden Umstände vollständig berücksichtigt hat (vgl. zum diesbezüglichen Prüfmaßstab VwGH 29.10.2020, Ra 2020/18/0374, mwN).

13 Der Revision gelingt es nicht darzulegen, dass die Beweiswürdigung in einer Gesamtschau an einer vom Verwaltungsgerichtshof aufzugreifenden Mangelhaftigkeit leiden würde. Insbesondere die Schlussfolgerung des BVwG, der Schwager habe das Projekt unbehelligt abschließen können, weil der Revisionswerber trotz laufendem Kontakt mit diesem nichts Gegenteiliges vorgebracht habe, erscheint entgegen dem Vorbringen in der Revision nicht unschlüssig.

14 Betreffend das Vorbringen in der Revision, das BVwG habe zu Unrecht von der Einholung eines fachärztlichen Gutachtens über die Narben des Revisionswerbers abgesehen, ist auf die ständige Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zu verweisen, wonach die Frage, ob amtswegige Erhebungen erforderlich sind, keine Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung darstellt, weil es sich dabei um eine einzelfallbezogene Beurteilung handelt. Eine Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung im Sinn des Art. 133 Abs. 4 B‑VG läge nur dann vor, wenn diese Beurteilung grob fehlerhaft erfolgt wäre und zu einem die Rechtssicherheit beeinträchtigenden unvertretbaren Ergebnis geführt hätte (vgl. VwGH 29.4.2019, Ra 2019/20/0154, mwN).

15 Dies zeigt die Revision nicht auf. Auch wenn die Einholung eines medizinischen Sachverständigengutachtens geeignet sein mag, die Verletzungsursache von vorhandenen Narben zu belegen, ist ein medizinisches Gutachten in einem Fall wie dem vorliegenden nicht geeignet, Aufklärung über die Frage, im Zuge welcher Ereignisse der Revisionswerber die Verletzungen erlitten haben mag und damit über die Nachvollziehbarkeit des Fluchtvorbringens des Revisionswerbers zu geben (vgl. VwGH 22.11.2019, Ra 2019/20/0286, mwN).

16 Soweit die Revision vorbringt, das BVwG habe sich nicht damit auseinandergesetzt, dass der Revisionswerber aufgrund seiner ehemaligen Tätigkeit für ein Bauunternehmen ein in den UNHCR‑Richtlinien zur Feststellung des internationalen Schutzbedarfs afghanischer Asylsuchender vom 30. August 2018 (im Folgenden: UNHCR‑Richtlinien) genanntes Risikoprofil erfülle, macht sie einen Verfahrensmangel geltend. Nach ständiger Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes reicht es nicht aus, die Außerachtlassung von Verfahrensvorschriften zu behaupten, ohne die Relevanz der genannten Verfahrensmängel ‑ in konkreter Weise ‑ darzulegen (vgl. etwa VwGH 21.1.2021, Ra 2020/18/0433, mwN). Diesen Anforderungen wird die Revision nicht gerecht.

17 Den UNHCR‑Richtlinien ist nämlich nicht zu entnehmen, dass jede für ein Bauunternehmen tätig gewesene Person Anspruch auf internationalen Schutz hätte. Zudem hat der Revisionswerber nach den unbestrittenen Feststellungen des BVwG lediglich für seinen Schwager gearbeitet, der wiederum als Subunternehmer an einem Projekt des Bauunternehmens beteiligt gewesen ist. Auch lag diese Tätigkeit zum Entscheidungszeitpunkt bereits mehr als vier Jahre zurück. Der Revision gelingt es mit dem bloßen Verweis auf die in den UNHCR‑Richtlinien genannten Risikoprofile daher nicht, die Beurteilung des BVwG, wonach dem Revisionswerber aktuell keine Verfolgungsgefahr in seinem Herkunftsstaat drohe, zu entkräften.

18 Wenn sich die Revision schließlich gegen die Rückkehrentscheidung wendet, ist auf die ständige Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes hinzuweisen, wonach einer Aufenthaltsdauer von weniger als fünf Jahren für sich betrachtet noch keine maßgebliche Bedeutung für die nach Art. 8 EMRK durchzuführende Interessenabwägung zukommt (vgl. etwa VwGH 21.2.2020, Ra 2020/18/0002, mwN). Liegt ‑ wie im vorliegenden Fall ‑ eine relativ kurze Aufenthaltsdauer des Betroffenen in Österreich vor, so wird nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes regelmäßig vorausgesetzt, dass die in dieser Zeit erlangte Integration außergewöhnlich ist, um die Rückkehrentscheidung auf Dauer für unzulässig zu erklären (vgl. etwa VwGH 4.1.2021, Ra 2020/18/0495, mwN).

19 Das BVwG berücksichtigte die Deutschkenntnisse des Revisionswerbers, den Besuch der Pflichtschule, die Mitgliedschaft in zwei Sportvereinen und entgegen dem Vorwurf der Revision auch die Zusage für die Absolvierung eines Pflichtpraktikums bei einer Steuerberatungskanzlei, sah darin jedoch in vertretbarer (und somit nicht revisibler, vgl. VwGH 9.12.2020, Ra 2020/18/0466, mwN) Weise keine außergewöhnliche Integration im Sinne der oben angeführten Rechtsprechung.

20 In der Revision werden somit keine Rechtsfragen aufgeworfen, denen im Sinne des Art. 133 Abs. 4 B‑VG grundsätzliche Bedeutung zukäme. Die Revision war daher gemäß § 34 Abs. 1 VwGG zurückzuweisen.

Wien, am 18. März 2021

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