VwGH Ra 2021/19/0049

VwGHRa 2021/19/00495.3.2021

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch die Vorsitzende Senatspräsidentin Dr. Büsser sowie die Hofräte Mag. Stickler und Dr. Faber als Richter, unter Mitwirkung des Schriftführers Mag. Schara, in der Revisionssache des J Z, vertreten durch Mag.a Nadja Lorenz, Rechtsanwältin in 1070 Wien, Burggasse 116, gegen das Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom 14. Oktober 2020, W177 2204566‑1/16E, betreffend Angelegenheiten nach dem AsylG 2005 und dem FPG (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl), den Beschluss gefasst:

Normen

BFA-VG 2014 §9 Abs2
BFA-VG 2014 §9 Abs2 Z8
BFA-VG 2014 §9 Abs3
B-VG Art133 Abs4
MRK Art8
VwGG §28 Abs3
VwGG §34 Abs1

European Case Law Identifier: ECLI:AT:VWGH:2021:RA2021190049.L00

 

Spruch:

Die Revision wird zurückgewiesen.

Begründung

1 Der Revisionswerber, ein Staatsangehöriger Afghanistans, stellte am 22. Februar 2016 einen Antrag auf internationalen Schutz. Begründend brachte er vor, aufgrund seiner Zugehörigkeit zur Volksgruppe der Hazara sowie seiner schiitischen Glaubensrichtung von den Taliban verfolgt zu werden.

2 Mit Bescheid vom 1. August 2018 wies das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl den Antrag des Revisionswerbers ab, erteilte ihm keinen Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen, erließ gegen ihn eine Rückkehrentscheidung, stellte fest, dass seine Abschiebung nach Afghanistan zulässig sei, und legte eine Frist für die freiwillige Ausreise fest.

3 Mit dem angefochtenen Erkenntnis wies das Bundesverwaltungsgericht (BVwG) die dagegen erhobene Beschwerde des Revisionswerbers nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung als unbegründet ab und sprach aus, dass die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B‑VG nicht zulässig sei.

4 Gegen dieses Erkenntnis erhob der Revisionswerber zunächst Beschwerde an den Verfassungsgerichtshof, der die Behandlung der Beschwerde mit Beschluss vom 9. Dezember 2020, E 4099/2020‑5, ablehnte und die Beschwerde mit Beschluss vom 28. Dezember 2020, E 4099/2020‑7, dem Verwaltungsgerichtshof zur Entscheidung abtrat.

5 Nach Art. 133 Abs. 4 B‑VG ist gegen ein Erkenntnis des Verwaltungsgerichtes die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.

6 Nach § 34 Abs. 1 VwGG sind Revisionen, die sich wegen Nichtvorliegens der Voraussetzungen des Art. 133 Abs. 4 B‑VG nicht zur Behandlung eignen, ohne weiteres Verfahren in nichtöffentlicher Sitzung mit Beschluss zurückzuweisen.

7 Nach § 34 Abs. 1a VwGG ist der Verwaltungsgerichtshof bei der Beurteilung der Zulässigkeit der Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B‑VG an den Ausspruch des Verwaltungsgerichtes gemäß § 25a Abs. 1 VwGG nicht gebunden. Die Zulässigkeit einer außerordentlichen Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B‑VG hat der Verwaltungsgerichtshof im Rahmen der dafür in der Revision vorgebrachten Gründe (§ 28 Abs. 3 VwGG) zu überprüfen.

8 Die Revision wendet sich in ihrem Zulässigkeitsvorbringen zunächst gegen die Nichtzuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten und bringt dazu vor, das BVwG habe sich bei der Annahme einer innerstaatlichen Fluchtalternative in den Städten Mazar‑e Sharif und Herat nicht mit den Auswirkungen der COVID‑19‑Pandemie auseinandergesetzt und auch keine aktuellen Länderberichte zur dortigen Sicherheitslage herangezogen.

9 Dem ist entgegenzuhalten, dass es sich bei der Annahme einer innerstaatlichen Fluchtalternative lediglich um eine Alternativbegründung handelt. Das BVwG begründete die Nichtzuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten nämlich vorrangig damit, der Revisionswerber könne in seine festgestellte Herkunftsregion (Kabul) zurückkehren. Gegen diese, für sich tragfähige Begründung wendet sich die Revision aber nicht.

10 Die Revision hängt somit von dem auf die innerstaatliche Fluchtalternative bezogenen Vorbringen nicht ab (vgl. VwGH 6.11.2018, Ra 2018/18/0536; 1.10.2020, Ra 2020/19/0181, mwN).

11 Die Revision wendet sich zu ihrer Zulässigkeit weiters gegen die Rückkehrentscheidung und bringt dazu vor, das BVwG habe nicht alle relevanten Aspekte in die Interessenabwägung nach Art. 8 EMRK einbezogen, zu Gunsten des Revisionswerbers sprechende Sachverhaltselemente nicht berücksichtigt oder falsch gewichtet und den entgegenstehenden öffentlichen Interessen zu Unrecht ein erhöhtes Gewicht beigemessen.

12 Die Beurteilung, ob die Erlassung einer Rückkehrentscheidung einen unverhältnismäßigen Eingriff in die nach Art. 8 EMRK geschützten Rechte eines Fremden darstellt, hat unter Bedachtnahme auf alle Umstände des Einzelfalles stattzufinden. Dabei muss eine gewichtende Abwägung des öffentlichen Interesses an einer Aufenthaltsbeendigung mit den gegenläufigen privaten und familiären Interessen des Fremden, insbesondere unter Berücksichtigung der in § 9 Abs. 2 BFA‑VG genannten Kriterien und unter Einbeziehung der sich aus § 9 Abs. 3 BFA‑VG ergebenden Wertungen, in Form einer Gesamtbetrachtung vorgenommen werden (vgl. VwGH 23.10.2019, Ra 2019/19/0289, mwN).

13 Nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ist eine unter Bedachtnahme auf die jeweiligen Umstände des Einzelfalls in Form einer Gesamtbetrachtung durchgeführte Interessenabwägung nach Art. 8 EMRK im Allgemeinen - wenn kein revisibler Verfahrensmangel vorliegt und sie in vertretbarer Weise im Rahmen der von der Rechtsprechung entwickelten Grundsätze vorgenommen wurde - nicht revisibel (vgl. etwa VwGH 12.10.2020, Ra 2020/19/0136, mwN).

14 Der Verwaltungsgerichtshof vertritt in ständiger Rechtsprechung zudem die Auffassung, dass einer Aufenthaltsdauer von weniger als fünf Jahren für sich betrachtet noch keine maßgebliche Bedeutung für die nach Art. 8 EMRK durchzuführende Interessenabwägung zukommt. Es kann jedoch auch nicht gesagt werden, dass eine in drei Jahren erlangte Integration keine außergewöhnliche, die Erteilung eines Aufenthaltstitels rechtfertigende Konstellation begründen „kann“ und somit schon allein auf Grund eines Aufenthaltes von weniger als drei Jahren von einem deutlichen Überwiegen der öffentlichen gegenüber den privaten Interessen auszugehen wäre (vgl. VwGH 23.10.2019, Ra 2019/19/0413, mwN).

15 Der Verwaltungsgerichtshof hat zudem mehrfach darauf hingewiesen, dass es im Sinne des § 9 Abs. 2 Z 8 BFA-VG maßgeblich relativierend ist, wenn integrationsbegründende Schritte in einem Zeitpunkt gesetzt wurden, in dem sich der Fremde seines unsicheren Aufenthaltsstatus bewusst sein musste (vgl. VwGH 28.2.2019, Ro 2019/01/0003, mwN).

16 Das BVwG hat ‑ nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung ‑ die Aufenthaltsdauer des Revisionswerbers von unter fünf Jahren, den Umstand, dass der Revisionswerber noch über Bindungen zu seinem Herkunftsstaat verfügt sowie dass seine integrationsbegründenden Schritte gesetzt wurden, als er sich seines unsicheren Aufenthaltsstatus bewusst sein musste, aber auch seine Deutschkenntnisse, seine gemeinnützige Tätigkeit und seine Selbsterhaltungsfähigkeit in die Interessenabwägung einbezogen. Die Revision zeigt vor dem Hintergrund der dargestellten Rechtsprechung nicht auf, dass diese Interessenabwägung fallbezogen unvertretbar wäre.

17 In der Revision werden keine Rechtsfragen aufgeworfen, denen im Sinne des Art. 133 Abs. 4 B‑VG grundsätzliche Bedeutung zukäme. Die Revision war daher gemäß § 34 Abs. 1 VwGG ohne weiteres Verfahren zurückzuweisen.

Wien, am 5. März 2021

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