Normen
VStG §31 Abs1
VStG §32 Abs2
VStG §44a Z1
VwGVG 2014 §6
European Case Law Identifier: ECLI:AT:VWGH:2021:RA2021030031.L00
Spruch:
Die Revision wird zurückgewiesen.
Begründung
1 Mit Straferkenntnis vom 24. September 2019 legte die Bezirkshauptmannschaft Baden dem Revisionswerber eine Übertretung von § 1 lit. a NÖ Polizeistrafgesetz (ungebührliche Erregung störenden Lärms) zur Last und verhängte eine Geldstrafe von € 100,‑ ‑ (33 Stunden Ersatzfreiheitsstrafe). Dem Revisionswerber wurde vorgeworfen, durch das Arbeiten mit einer Kreissäge am 11. August 2018 in T, Sstraße 10, das oben angeführte Delikt begangen zu haben.
2 Die dagegen erhobene Beschwerde des Revisionswerbers wies das Landesverwaltungsgericht Niederösterreich mit dem angefochtenen Erkenntnis mit der Maßgabe ab, dass der Tatort auf „Ort: Gemeindegebiet T, Sstraße 8“ berichtigt werde. Die Revision erklärte das Verwaltungsgericht für nicht zulässig.
3 Begründend führte das Verwaltungsgericht ‑ zusammengefasst ‑ aus, der Revisionswerber habe am 11. August 2018 (wie auch an anderen Samstagen) ganztags die motorbetriebene Kreissäge in Betrieb genommen, ohne sie in den von ihm auch während der angelasteten Tatzeit gehaltenen, mehrmaligen Arbeitspausen abzuschalten, „um den die Nachbarn störenden Geräuschpegel hoch zu halten“. Schon dieser letztgenannte Umstand begründe eine ungebührliche störende Lärmerregung.
4 Dagegen wendet sich die vorliegende außerordentliche Revision, die zur Zulässigkeit geltend macht, das Verwaltungsgericht sei von der höchstgerichtlichen Rechtsprechung zur Verfolgungsverjährung, zur Auswechslung des Tatortes, zur Ortsüblichkeit von Lärm, und zu der Verfahrensvorschrift der Unmittelbarkeit abgewichen. Darüber hinaus liege Befangenheit des Richters wegen Verletzung tragender Verfahrensgrundsätze vor.
5 Im Einzelnen führt die Revision aus, das Verwaltungsgericht habe den Tatvorwurf ausgetauscht, indem es dem Revisionswerber zum Vorwurf mache, er habe die Kreissäge während der Arbeitspausen weitlaufen lassen, während ihm im verwaltungsbehördlichen Verfahren vorgeworfen worden sei, durch das Arbeiten an einer Kreissäge ungebührlicherweise störenden Lärm erregt zu haben. Dadurch sei Verfolgungsverjährung eingetreten. Außerdem habe das Verwaltungsgericht unzulässigerweise den Tatort ausgetauscht. Beachtlich sei weiters, dass das Verwaltungsgericht keine Feststellungen zur Ortsüblichkeit der verursachten Geräusche getroffen habe. Die Verletzung des Unmittelbarkeitsgrundsatzes erkennt die Revision in dem Umstand, dass im angefochtenen Erkenntnis von einem Ortsaugenschein des Gerichts und der Einschau in aufgenommene Videosequenzen gesprochen werde, an denen der Revisionswerber nicht teilgenommen habe. In antizipierender Beweiswürdigung habe es das Verwaltungsgericht auch unterlassen, als Zeugen beantragte Polizeibeamte einzuvernehmen. Alle diese Verfahrensverstöße begründeten die Annahme der Befangenheit des entscheidenden Richters.
6 Mit diesem Vorbringen wird die Zulässigkeit der Revision nicht dargetan:
Nach Art. 133 Abs. 4 B‑VG ist gegen ein Erkenntnis des Verwaltungsgerichts die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.
Hat das Verwaltungsgericht ‑ wie im vorliegenden Fall ‑ im Erkenntnis ausgesprochen, dass die Revision nicht zulässig ist, muss die Revision gemäß § 28 Abs. 3 VwGG auch gesondert die Gründe enthalten, aus denen entgegen dem Ausspruch des Verwaltungsgerichts die Revision für zulässig erachtet wird.
Der Verwaltungsgerichtshof ist bei der Beurteilung der Zulässigkeit der Revision an den Ausspruch des Verwaltungsgerichts nicht gebunden. Er hat die Zulässigkeit einer außerordentlichen Revision gemäß § 34 Abs. 1a VwGG im Rahmen der dafür in der Revision vorgebrachten Gründe zu überprüfen. Liegt eine Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung im Sinne des Art. 133 Abs. 4 B‑VG danach nicht vor, ist die Revision gemäß § 34 Abs. 1 VwGG zurückzuweisen.
7 Gemäß § 1 lit a NÖ Polizeistrafgesetz begeht eine Verwaltungsübertretung, wer ungebührlicherweise störenden Lärm erregt. Unter „störendem Lärm“ im Sinne dieser Norm sind nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes Geräusche zu verstehen, die wegen ihrer Lautstärke für das menschliche Empfindungsvermögen unangenehm in Erscheinung treten. Lärm ist dann störend, wenn er wegen seiner Art und/oder seiner Intensität geeignet ist, das Wohlbefinden normal empfindender Menschen zu stören, wobei die Erfahrungen des täglichen Lebens ausreichen, dies zu beurteilen. Nicht schon die Erregung von störendem Lärm ist aber strafbar, sondern es muss als zweites Tatbestandsmerkmal hinzukommen, dass der störende Lärm ungebührlicherweise erregt wurde. Davon ist auszugehen, wenn das Tun oder Unterlassen, das zur Erregung des Lärms führt, gegen ein Verhalten verstößt, wie es im Zusammenleben mit anderen verlangt werden muss, das heißt, es muss jene Rücksichten vermissen lassen, die die Umwelt verlangen kann.
8 Die Strafbarkeit der ungebührlichen Erregung störenden Lärms ist bereits dann gegeben, wenn die Lärmerregung nach einem objektiven Maßstab geeignet erscheint, von anderen nichtbeteiligten Personen als ungebührlich und störend empfunden zu werden. Ob diese Voraussetzungen zur Beurteilung eines Geräuschs als ungebührlicherweise störender Lärm in einem konkreten Fall erfüllt sind, ist daher in jedem einzelnen Fall nach seinen konkreten Begleitumständen zu beurteilen (vgl. etwa VwGH 18.2.2015, Ra 2015/03/0013; VwGH 22.6.2016, Ra 2016/03/0062).
9 Soweit die Revision dem Verwaltungsgericht einen Austausch der vorgeworfenen Tat (einschließlich des Tatorts) zum Vorwurf macht, ist ihr Folgendes zu erwidern: Nach § 44a Z 1 VStG hat der Spruch, wenn er nicht auf Einstellung lautet, „die als erwiesen angenommene Tat“ zu enthalten. Nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes kommt es zur Erfüllung dieses Erfordernisses darauf an, dem Beschuldigten die Tat in so konkretisierter Umschreibung vorzuwerfen, dass dieser in die Lage versetzt ist, auf den konkreten Tatvorwurf bezogene Beweise anzubieten, um eben diesen Tatvorwurf zu widerlegen, und ihn rechtlich davor zu schützen, wegen desselben Verhaltens nochmals zur Verantwortung gezogen zu werden. Das an Tatort- und Tatzeitumschreibung zu stellende Erfordernis wird daher nicht nur von Delikt zu Delikt, sondern auch nach den jeweils gegebenen Begleitumständen in jedem einzelnen Fall ein verschiedenes, weil an den erwähnten Rechtschutzüberlegungen zu messendes sein. Diese Rechtschutzüberlegungen sind auch bei der Prüfung der Frage anzustellen, ob innerhalb der Verjährungsfrist des § 31 Abs. 1 VStG eine taugliche Verfolgungshandlung im Sinn des § 32 Abs. 2 VStG vorliegt oder nicht. Das bedeutet, dass die dem Beschuldigten vorgeworfene Tat lediglich insoweit unverwechselbar konkretisiert sein muss, dass dieser in die Lage versetzt wird, auf den Vorwurf zu reagieren und damit sein Rechtsschutzinteresse zu wahren (vgl. etwa VwGH 25.9.2017, Ra 2017/02/0101, mwN).
10 Im vorliegenden Fall konnte dem Revisionswerber als Beschuldigter nicht zweifelhaft sein, welche konkrete Tat ihm vorgeworfen wurde und auch die Gefahr einer Doppelbestrafung bestand nicht: Schon in der Aufforderung zur Rechtfertigung wurde ihm vorgehalten, an einem näher umschriebenen Tag durch den mit seiner Kreissäge erzeugten Lärm die angelastete Verwaltungsübertretung begangenen zu haben. Dass dabei als Tatort die Liegenschaft „Sstraße 10“ genannt und diese Adresse später auf die unmittelbar angegrenzende und ebenfalls im Eigentum des Revisionswerbers stehende Liegenschaft „Sstraße 8“ korrigiert wurde, schadet nicht, weil der Revisionswerber selbst angab, „mit rund 98 %iger Wahrscheinlichkeit“ auf der letztgenannten Liegenschaft mit seiner Kreissäge gearbeitet zu haben, wo sich seine Werkstatt befinde. Auch die Tatsache, dass das Verwaltungsgericht die ungebührliche Lärmerregung im grundlosen (schikanösen) Weiterlaufenlassen der Kreissäge während der Arbeitspausen erblickte, kann nicht als Austausch, sondern bloß als Präzisierung des (ursprünglichen) Tatvorwurfes betrachtet werden. Eine Verfolgungsverjährung ist daher nicht eingetreten und es liegt auch kein im Revisionsverfahren wahrzunehmender Verstoß gegen § 44a Z 1 VStG vor.
11 Im Hinblick auf den präzisierten Tatvorwurf, demzufolge die Ungebührlichkeit der Lärmerregung in der sachlich nicht begründeten Lärmerregung zum Nachteil der Nachbarn erblickt wurde, erübrigten sich auch weitere Feststellungen des Verwaltungsgerichts zu der Frage, ob die Sägearbeiten des Revisionswerbers grundsätzlich ortsüblich waren. Auch die Einvernahme der beantragten Zeugen konnte unterbleiben, zumal der Revisionswerber nicht darzulegen vermag, zu welchem relevanten Beweisthema diese Zeugen Auskunft hätten geben können.
12 Dass das Verwaltungsgericht in seiner Entscheidung auf einen Ortsaugenschein und die Einschau in Videosequenzen Bezug nimmt, die offenbar in Abwesenheit der Parteien durchgeführten wurden, ist zugegebenermaßen als Verfahrensmangel zu werten. Allerdings legt die Revision nicht einmal ansatzweise dar, welche gegenteiligen Schlüsse bei Beiziehung der Parteien möglich gewesen wären, weshalb die Relevanz der Verfahrensmängel nicht aufgezeigt wird.
13 Nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes bildet der bloße Vorwurf von Verfahrensfehlern - ohne Hinzutreten weiterer begründeter Umstände - keinen Anlass, die Befangenheit des Richters anzunehmen (vgl. etwa VwGH 15.11.2017, Ra 2016/08/0184; VwGH 19.12.2019, Ra 2019/11/0079). Derartige begründete Umstände, die neben den oben angesprochenen Verfahrensfehlern die Annahme gerechtfertigt hätten, der Richter sei gegenüber dem Revisionswerber voreingenommen gewesen, legt die Revision nicht dar.
14 In der Revision werden somit keine Rechtsfragen aufgeworfen, denen im Sinne des Art. 133 Abs. 4 B‑VG grundsätzliche Bedeutung zukäme. Die Revision war daher zurückzuweisen.
Wien, am 3. März 2021
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