Normen
AÜG §17 Abs2
EURallg
31996L0071 Entsende-RL Art1 Abs3
32014L0067 Durchsetzung-RL Entsendung Arbeitnehmern Art4 Abs1
62009CJ0307 Vicoplus VORAB
62013CJ0586 Martin Meat VORAB
European Case Law Identifier: ECLI:AT:VWGH:2018:RA2017110298.L00
Spruch:
Das angefochtene Erkenntnis wird in seinem Spruchpunkt I, soweit es also die Spruchpunkte 3 bis 8 des behördlichen Straferkenntnisses betrifft, wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.
Der Bund hat dem Revisionswerber Aufwendungen in der Höhe von Euro 1.346,40 binnen 14 Tagen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
1 Mit dem angefochtenen Erkenntnis wurde - insoweit in Bestätigung eines entsprechenden Straferkenntnisses der belangten Behörde - dem Revisionswerber als Geschäftsführer der PW, einer Gesellschaft mit Sitz in Deutschland, die ihr von der THDS (einer weiteren Gesellschaft mit Sitz in Deutschland) überlassene sechs näher genannte Arbeitskräfte beschäftigt habe, angelastet, dafür verantwortlich zu sein, dass Unterlagen betreffend die Lohneinstufung dieser Arbeitskräfte anlässlich der finanzpolizeilichen Kontrolle am 26. November 2015 am näher genannten Arbeitsort in G nicht bereitgehalten wurden. Der Revisionswerber habe hiedurch § 7d Abs. 1 und 2 AVRAG verletzt; über ihn wurden gemäß § 7i Abs. 4 Z 3 AVRAG (vom Verwaltungsgericht herabgesetzte) Geld- bzw. Ersatzfreiheitsstrafen
verhängt. Die ordentliche Revision wurde nicht zugelassen.
2 Dem legte das Verwaltungsgericht - auf das Wesentliche zusammengefasst - folgenden Sachverhalt zu Grunde: Die PW habe am 4. Jänner 2013 mit der O eine Rahmenvereinbarung betreffend die Umgestaltung und Einrichtung von Baumärkten nach der Übernahme von Baumax durch O geschlossen. PW habe in Österreich etwa acht bis zehn solcher Projekte betreut. Zum Aufgabenbereich der PW beim Baumarkt in G, in dem die revisionsgegenständliche Kontrolle durchgeführt worden war, habe das "Merchandising" gehört: Es seien auf Basis eines Grundgerüsts bereits bestehende Regale vorzubereiten und auf Paletten lagernde Waren in die Regale einzurichten und einzuordnen gewesen. Die Einordnung sei auf Basis von auf den Regalen stehenden Fotos erfolgt. Zu der Rahmenvereinbarung seien noch Zusatzvereinbarungen und Leistungsbeschreibungen geschlossen worden. Die Leistungsbeschreibung enthalte den Passus: "Der Einsatz von Subunternehmen ist vom Auftragnehmer anzuzeigen und durch den Auftraggeber zu erlauben. Der Auftragnehmer haftet für alle entstandenen Sach- und Vermögensschäden der durch ihn eingesetzten Subunternehmen bzw. dessen Mitarbeiter in gleichem Umfang, wie für Mitarbeiter die beim Auftragnehmer angestellt sind."
3 Die PW habe schon früher mit der deutschen THDS zusammengearbeitet und mit ihr am 28. Oktober 2015 einen Subunternehmervertrag und einen "Dienstleistungsauftrag" geschlossen. Dabei sei die PW als "Generalunternehmer" und die THDS als "Subunternehmer" betitelt worden. Gegenstand des Subunternehmervertrags sei die "Durchführung von Merchandisingtätigkeiten und Warenverräumung" gewesen; als Vergütung seien Tagessätze fixiert worden. Laut diesem Vertrag würden "Stundenlohnarbeiten/Mehrarbeit" nur vergütet, wenn sie vorher vom Generalunternehmer ausdrücklich angeordnet wurden. Ebenfalls vereinbart worden sei "eine Gewährleistungsmöglichkeit" und, dass es dem Subunternehmer gestattet sei, den Auftrag ganz oder teilweise weiterzugeben, wobei der Auftraggeber davon zu informieren sei. Im Dienstleistungsauftrag sei als Arbeitskleidung "PW grau + Namensschild" angeführt worden, als Arbeitszeit 08.00 Uhr bis 20.00 Uhr. Weiters sei vereinbart worden, dass der PW Teamleiter das Team stelle und durch ihn die Arbeitsanweisungen erfolgten. Als Vergütung sei ein Tagessatz von 200,-- Euro angeführt. Die THDS habe in weiterer Folge die CP mit der Durchführung eines Teils ihres Subunternehmervertrages als weiteren Subunternehmer beauftragt, wovon die Geschäftsführer der PW erst nach der revisionsgegenständlichen Kontrolle erfahren hätten.
4 Die Abwicklung des revisionsgegenständlichen Projekts in G sei so erfolgt, dass RJ als Ansprechpartner der PW vor Ort fungiert habe und dafür zuständig gewesen sei, dass alles ordnungs- und auftragsgemäß ablaufe. RJ "dürfte als Selbständiger für die PW tätig gewesen" sein, sei jedoch vom Revisionswerber als "unser Mitarbeiter vor Ort" bezeichnet worden. Der Revisionswerber, der das Projekt der PW in G betreut habe, sei nur zwei- bis dreimal vor Ort gewesen. RJ habe zwischen AK, dem zuständigen Markt-Einrichter bzw. Kategorie-Berater, und den Arbeitern (die von AK der PW zugeordnet worden seien), koordiniert. AK sei sich bewusst gewesen, dass die PW mit anderen Unternehmen zusammenarbeite, um genug Personal zu haben, habe jedoch nicht gewusst mit welchen, und habe Arbeiter von allfälligen Subunternehmen nie angesprochen, sondern seine Wünsche RJ als seinem Ansprechpartner der PW bekanntgegeben. Zu diesem Zweck sei bei morgendlichen Meetings der Tagesablauf besprochen und sodann zwischen AK und RJ festgelegt worden, wo welche Waren welcher Lieferanten unterzubringen seien. RJ habe dafür gesorgt, dass die seitens AK erteilten Aufträge an die Arbeiter "seines" Zuständigkeitsbereiches weitergegeben wurden. Er habe die Arbeiter der THDS und der CP kontrolliert und ihre Pausen festgelegt. Die Arbeitszeiten selbst seien durch die O an einem Aushang genannt worden und es seien durch RJ Zeitlisten für "seine" Arbeiter geführt und an AK weitergegeben worden. Die Abrechnung seitens O sei nach Mann-Tagen erfolgt. Wenn die von AK der PW zugeordneten Arbeiter fehlerhaft gearbeitet hätten, habe RJ für eine Beseitigung der Mängel sorgen müssen. Die einzelnen Arbeiter hätten Handwerkzeug gehabt, Schutzausrüstung wie Handschuhe und Sicherheitsmesser, aber auch Hebebühnen und Stapler seien von O zur Verfügung gestellt worden. Das Material habe ebenfalls der O gehört. Die PW habe kein Werkzeug zur Verfügung gestellt. Alle von AK der PW zugeordneten Arbeiter, also die Arbeiter der THDS wie auch die der CP, hätten im Baumarkt dieselbe Tätigkeit verrichtet und sei es für AK nicht ersichtlich gewesen, welcher der von ihm der PW zugeordneten Arbeiter zu einem anderen Unternehmen gehört habe.
5 Anlässlich der am 26. November 2015 durchgeführten finanzpolizeilichen Kontrolle sei für die Finanzpolizei der Ansprechpartner für den Bereich Merchandising (Einräumen) RJ gewesen. Er sei nach den Angaben des finanzpolizeilichen Meldungslegers "der einzige von der deutschen Firma vor Ort" gewesen; er sei für die Koordination der Arbeiten vor Ort zuständig gewesen und er habe die Regeln seitens AK an die Arbeiter weitergegeben. Anlässlich der Kontrolle habe er alle (insgesamt acht) angetroffenen Arbeitskräfte, die in seinem Einflussbereich gestanden seien, zu einem Ort geführt, damit die Kontrolle durchgeführt werden konnte. Es seien Personenblätter angefertigt und darin ausgeführt worden, dass die Arbeitsanweisungen von RJ erteilt wurden; einige der angetroffenen Arbeitskräfte hätten angegeben, dass sie als Selbständige für die THDS tätig seien. Unterlagen betreffend die Lohneinstufung der Arbeitskräfte seien nicht bereitgehalten worden.
6 Im Rahmen der rechtlichen Beurteilung führte das Verwaltungsgericht einleitend aus, für die Frage, ob das Vertragsverhältnis zwischen PW und THDS als (grenzüberschreitende) Arbeitskräfteüberlassung oder als Werkvertrag zu beurteilen sei, komme es nach ständiger Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofs darauf an, ob auch nur eines der in § 4 Abs. 2 Z 1 bis 4 AÜG genannten Tatbestandsmerkmale vorliege; treffe dies zu, liege jedenfalls dem wirtschaftlichen Gehalt nach Arbeitskräfteüberlassung vor, während es einer Gesamtbeurteilung iSd § 4 Abs. 1 AÜG nur dann bedürfe, wenn der Tatbestand keiner der in Abs. 2 genannten Ziffern zur Gänze erfüllt sei.
7 Im Folgenden legte das Verwaltungsgericht seine Auffassung dar, eine iSd § 4 Abs. 2 Z 1 AÜG ausreichende Unterscheidbarkeit des von TDHS zu erbringenden Werks sei nicht vorgelegen, weil von den Arbeitskräften der THDS die gleiche Tätigkeit verrichtet worden sei, die auch zum Geschäftszweig der PW gehörte. Werkzeug und Material seien - bis auf kleines Handwerkzeug - von O selbst gestellt und von PW an TDHS weitergegeben worden; das Kriterium nach § 4 Abs. 2 Z 2 AÜG sei daher ebenfalls erfüllt. Auch sei die organisatorische Eingliederung in den Betrieb des Werkbestellers iSd. § 4 Abs. 2 Z 3 AÜG gegeben gewesen, weil RJ für die PW Arbeitsanweisungen gegeben, die Arbeiter kontrolliert und ihre Arbeitszeiten aufgeschrieben habe. Hingegen sei das Kriterium nach § 4 Abs. 2 Z 4 AÜG nicht erfüllt, weil entsprechend der zwischen PW und TDHS getroffenen Vereinbarungen letztere für Mängel gehaftet habe. Zusammengefasst sei daher die Tätigkeit der Arbeitskräfte der TDHS als Arbeitskräfteüberlassung von TDHS an PW zu qualifizieren, letztere also als Beschäftiger der Arbeitskräfte iSd AVRAG anzusehen.
8 Der Revisionswerber als Verantwortlicher der PW habe daher die unterbliebene Bereithaltung von Unterlagen betreffend die Lohneinstufung zu verantworten (im Übrigen ging das Verwaltungsgericht - was nicht revisionsgegenständlich ist - davon aus, es fehle hinsichtlich der Spruchpunkte 1 und 2 des behördlichen Straferkenntnisses an einer ausreichenden Konkretisierung des Tatvorwurfs, weshalb insoweit, eine Einstellung des Strafverfahrens erfolgte). Es sei von zumindest fahrlässiger Begehung auszugehen. Daran knüpfen sich Ausführungen zur Strafbemessung.
9 Gegen dieses Erkenntnis richtet sich (erkennbar nur insoweit, als das behördliche Straferkenntnis bestätigt und ein diesbezüglicher Kostenbeitrag vorgeschrieben wurde) die vorliegende - außerordentliche - Revision.
10 Von der belangten Behörde wurde keine Revisionsbeantwortung erstattet.
11 Die Revision ist zulässig und begründet, weil das angefochtene Erkenntnis von der jüngeren hg. Rechtsprechung (vgl. VwGH 22.8.2017, Ra 2017/11/0068, und die daran anknüpfende Folgejudikatur) zu den maßgebenden Kriterien betreffend das Vorliegen von grenzüberschreitender Arbeitskräfteüberlassung in entscheidenden Punkten abweicht.
12 Hinsichtlich der maßgebenden Rechtslage wird auf das eben zitierte Erkenntnis VwGH Ra 2017/11/0068 verwiesen, in dem der Verwaltungsgerichtshof unter Bezugnahme auf das dort auszugsweise zitierte Urteil des EuGH vom 18. Juni 2015, Martin Meat, C-586/13 , wie folgt ausgeführt hat:
"32 Aus dem zitierten Urteil des EuGH, C-586/13 , ergibt sich somit, dass für die Beurteilung, ob ein Sachverhalt als grenzüberschreitende Arbeitskräfteüberlassung zu beurteilen ist (...), aus unionsrechtlicher Sicht ‚jeder Anhaltspunkt' zu berücksichtigen ist und somit unter mehreren Gesichtspunkten (nach dem ‚wahren wirtschaftlichen Gehalt'; vgl. das zitierte hg. Erkenntnis Zl. 2012/09/0130 mit Bezugnahme auf das dem Urteil ‚Martin Meat' vorausgegangene Urteil des EuGH ‚Vicoplus', C-307/09 bis C-309/09 ) zu prüfen ist (vgl. zur ‚Gesamtbeurteilung aller Umstände' auch Art. 4 Abs. 1 der RL 2014/67/EU zur Durchsetzung der Richtlinie 96/71/EG über die Entsendung von Arbeitnehmern im Rahmen der Erbringung von Dienstleistungen, samt dortigem fünften Erwägungsgrund).
33 Im Speziellen sind dabei entsprechend dem Urteil ‚Martin Meat' die Fragen, ob die Vergütung/das Entgelt auch von der Qualität der erbrachten Leistung abhängt bzw. wer die Folgen einer nicht vertragsgemäßen Ausführung der vertraglich festgelegten Leistung trägt (Rn 35 ff des EuGH-Urteils), ob also der für einen Werkvertrag essenzielle ‚gewährleistungstaugliche' Erfolg vereinbart wurde (vgl. abermals das zitierte hg. Erkenntnis Zl. 2012/09/0130, mwN), wer die Zahl der für die Herstellung des Werkes jeweils konkret eingesetzten Arbeitnehmer bestimmt (Rn 38) und von wem die Arbeitnehmer die genauen und individuellen Weisungen für die Ausführung ihrer Tätigkeiten erhalten (Rn 40 des EuGH-Urteils), von entscheidender Bedeutung.
34 Daher sind in einem Fall wie dem Vorliegenden (im Regelfall nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung) eindeutige Sachverhaltsfeststellungen dahin zu treffen, ob und welche der für die Arbeitskräfteüberlassung ausschlaggebenden Kriterien verwirklicht sind, um im Rahmen einer rechtlichen Gesamtbeurteilung fallbezogen das Vorliegen von grenzüberschreitender Arbeitskräfteüberlassung bejahen oder verneinen zu können.
..."
13 An diese Entscheidung anknüpfend hat der Verwaltungsgerichtshof jene Revisionsfälle, in denen bei der Beurteilung des Vorliegens von Arbeitskräfteüberlassung die nach dieser Judikatur maßgebenden Kriterien im Rahmen einer Gesamtbeurteilung herangezogen wurden bzw. in denen das Verwaltungsgericht einzelnen dieser Kriterien ein höheres, anderen aber ein geringeres Gewicht beigemessen hat, wegen ihrer einzelfallbezogenen Bedeutung als nicht revisibel angesehen (vgl. etwa VwGH 20.9.2017, Ra 2017/11/0024 bis 0029 und Ra 2017/11/0016, VwGH 3.1.2018, Ra 2017/11/0207, VwGH 8.2.2018, Ra 2017/11/0206, VwGH 23.4.2018, Ra 2017/11/0221, 0222, 16.5.2018, Ra 2018/11/0088, 20.7.2018, Ra 2018/11/0053, 20.9.2018, Ra 2018/11/0112, 25.9.2018, Ra 2018/11/0174).
14 Anders als in den soeben genannten Fällen und ebenso wie in den den hg. Erkenntnissen vom 22. Februar 2018,
Ra 2018/11/0014, und vom 28. März 2018, Ra 2018/11/0026, zu Grunde liegenden Fällen wurde im vorliegenden Revisionsfall bei der Beurteilung der Frage, ob die Arbeitskräfte grenzüberschreitend überlassen wurden (unbeschadet der vorgenommenen Beurteilung unter mehreren Gesichtspunkten) die nach dem Gesagten auf Basis der neueren Judikatur des Verwaltungsgerichtshofs erforderliche Gesamtbeurteilung unterlassen. Schon deshalb hat das Verwaltungsgericht das angefochtene Erkenntnis mit
Rechtswidrigkeit seines Inhalts belastet.
15 Ergänzend ist Folgendes festzuhalten: Die Begründung für die Annahme des Verwaltungsgerichts, eine Unterscheidbarkeit des von TDHS zu erbringenden Werks sei deshalb nicht vorgelegen, weil von deren Arbeitskräften die gleiche Tätigkeit verrichtet worden sei, die auch zum Geschäftszweig der PW gehörte, ist nicht stichhaltig, sind doch Haupt- und Subunternehmer regelmäßig (anders als bei der Generalunternehmerschaft) im gleichen "Geschäftszweig" tätig und könnte etwa (fallbezogen) eine örtliche Abgrenzung die notwendige Individualisierung bzw. Konkretisierung des Geschuldeten ermöglichen.
16 Das angefochtene Erkenntnis war daher im aus dem Spruch ersichtlichen Umfang wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG aufzuheben.
17 Die Kostenentscheidung gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG iVm der VwGH-Aufwandersatzverordnung.
Wien, am 12. November 2018
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