VwGH Ra 2017/02/0043

VwGHRa 2017/02/004319.4.2017

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Beck sowie den Hofrat Mag. Dr. Köller und die Hofrätin Mag. Dr. Maurer-Kober als Richter, unter Mitwirkung der Schriftführerin Mag. Harrer, über die Revision der Bezirkshauptmannschaft Graz-Umgebung gegen das Erkenntnis des Landesverwaltungsgerichts Steiermark vom 23. Dezember 2016, Zl. LVwG 30.33-2589/2016-16, betreffend Übertretungen der StVO (Partei gemäß § 21 Abs. 1 Z 2 VwGG: BH Graz-Umgebung; mitbeteiligte Partei: P in S, vertreten durch die Achhammer und Mennel Rechtsanwälte OG in 6800 Feldkirch, Schlossgraben 10), zu Recht erkannt:

Normen

AVG §45 Abs2;
B-VG Art133 Abs6;
B-VG Art133 Abs9;
StVO 1960 §20 Abs2;
StVO 1960 §52 lita Z10a;
StVO 1960 §99 Abs3 lita;
VStG §45 Abs1;
VwGG §25a Abs4;
VwGG §42 Abs2 Z1;
VwGVG 2014 §38;
VwRallg;
AVG §45 Abs2;
B-VG Art133 Abs6;
B-VG Art133 Abs9;
StVO 1960 §20 Abs2;
StVO 1960 §52 lita Z10a;
StVO 1960 §99 Abs3 lita;
VStG §45 Abs1;
VwGG §25a Abs4;
VwGG §42 Abs2 Z1;
VwGVG 2014 §38;
VwRallg;

 

Spruch:

Das angefochtene Erkenntnis wird im Umfang der Anfechtung (Verfahrenseinstellung hinsichtlich der Spruchpunkte 1.) und 3.)) wegen Rechtswidrigkeit des Inhaltes aufgehoben.

Begründung

1 Mit Straferkenntnis der BH Graz-Umgebung vom 11. August 2016 wurde dem Mitbeteiligten vorgeworfen, er habe - jeweils auf verschiedenen Abschnitten der A 2 - die auf Autobahnen zulässige Höchstgeschwindigkeit von 130 km/h um 15 km/h überschritten (1. Übertretung), weiters die durch Straßenverkehrszeichen kundgemachte zulässige Höchstgeschwindigkeit von 100 km/h um 47 km/h überschritten (2. Übertretung) sowie neuerlich die auf Autobahnen zulässige Höchstgeschwindigkeit von 130 km/h um 15 km/h überschritten (3. Übertretung). Dadurch habe er zu 1. und 3. jeweils § 20 Abs. 2 StVO verletzt, weshalb über ihn gemäß § 99 Abs. 3 lit. a StVO Geldstrafen von jeweils EUR 60,-- verhängt wurden. Zu 2. habe der Mitbeteiligte § 52 lit. a Z 10a StVO übertreten, weshalb gemäß § 99 Abs. 2d StVO eine Geldstrafe von EUR 200,-- verhängt wurde.

2 Nach der Begründung habe die Geschwindigkeit des vom Mitbeteiligten gelenkten Fahrzeuges auf der Autobahn in dem mit 130 km/h beschränkten Bereich zweimal 155 km/h, in dem mit 100 km/h beschränkten Bereich 157 km/h betragen. Die Geschwindigkeiten seien vom nicht geeichten Tachometer eines polizeilichen Dienstkraftfahrzeuges durch Nachfahren abgelesen und so festgestellt worden.

3 Der gegen dieses Straferkenntnis erhobenen Beschwerde des Mitbeteiligten hat das Verwaltungsgericht mit dem angefochtenen Erkenntnis hinsichtlich der ersten und der dritten Übertretung Folge gegeben und das Verfahren gemäß § 45 Abs. 1 VStG eingestellt. Hinsichtlich der zweiten Übertretung hat es die Beschwerde mit einer hier nicht wesentlichen Maßgabe abgewiesen und die Strafe neu bemessen.

4 Begründet hat das Verwaltungsgericht die Verfahrenseinstellungen mit einem Hinweis auf VwGH vom 3. September 2003, 2001/03/0172, wonach für die Feststellung einer Geschwindigkeitsüberschreitung durch Ablesen von einem ungeeichten Tachometer eines Dienstkraftfahrzeuges eine erhebliche Geschwindigkeitsüberschreitung gefordert werde, die - Verweis auf VwGH vom 28. März 1990, 89/03/0261 - jedenfalls bei 20 km/h bis 40 km/h liegen müsse. Bei einer Geschwindigkeit von zumindest 100 km/h sei bei einer Feststellung einer Geschwindigkeitsüberschreitung mittels ungeeichtem Tachometer ein Toleranzabzug von 10% vorzunehmen, woraus sich in beiden (eingestellten) Fällen eine Fahrgeschwindigkeit des Mitbeteiligten von 140 km/h ergebe. Somit sei dem Mitbeteiligten nach Abzug der erforderlichen Messtoleranzen in beiden Fällen eine Geschwindigkeitsüberschreitung von 10 km/h vorzuwerfen. Die Rechtsprechung fordere im Falle der Feststellung der Geschwindigkeitsüberschreitung durch Nachfahren mit einem Dienstfahrzeug und Ablesen vom ungeeichten Tachometer eine erhebliche Geschwindigkeitsüberschreitung von 20 km/h bis 30 km/h. Da vorliegend in beiden Fällen nach Abzug der Messtoleranzen von keinen solchen erheblichen Geschwindigkeitsüberschreitungen auszugehen sei, sei das Verfahren in diesen Punkten (Punkte 1. und 3.) einzustellen gewesen.

5 Nur gegen die Einstellung des Verfahrens hinsichtlich der ersten und dritten Übertretung richtet sich die vorliegende Revision wegen Rechtswidrigkeit des Inhaltes und Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften.

6 Der Mitbeteiligte hat die Revision beantwortet und die kostenpflichtige Zurück- bzw. Abweisung der Revision beantragt.

 

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

7 Die revisionswerbende Partei erachtet für das vorliegende Verfahren als wesentlich, dass das Verwaltungsgericht entgegen der von ihm zitierten Entscheidungen des VwGH vom 3. September 2003, 2001/03/0172, und vom 28. März 1990, 89/03/0261, bei der Beurteilung, ob eine erhebliche Geschwindigkeitsüberschreitung vorliege, die Messtoleranz abgezogen habe. Tatsächlich sei diese nicht abzuziehen, was vorliegend Geschwindigkeitsüberschreitungen von mehr als 20 km/h ergäbe, die somit wesentlich seien.

8 Die Revision ist zulässig und auch berechtigt. 9 Zunächst ist der Mitbeteiligte mit seiner Behauptung in der Revisionsbeantwortung, § 25a Abs. 4 VwGG sei dahingehend auszulegen, dass bei Vorliegen der Tatbestandsvoraussetzungen hinsichtlich der Geldstrafe sämtliche Revisionen gemäß Art. 133 Abs. 6 B-VG, sohin auch die gegenständliche Revision der belangten Behörde, jedenfalls unzulässig sein müsse, auf das Erkenntnis vom 15. April 2016, Ra 2014/02/0058, zu verweisen, wonach es - nach näherer Begründung - sachgerecht erscheint, dass eine Amtsrevision zur Sicherung der Einheit und Gesetzmäßigkeit der Vollziehung unabhängig von der Höhe der verhängten Strafe oder des Strafrahmens möglich ist.

10 In der Sache ist zur Frage der "erheblichen Geschwindigkeitsüberschreitung" aus dem mehrfach zitierten Erkenntnis vom 3. September 2003 Folgendes hervorzuheben:

"Dem ist zunächst in Bezug auf die herangezogenen Beweismittel betreffend die Geschwindigkeitsüberschreitung entgegenzuhalten, dass gemäß der hg. Judikatur (vgl. u.a. das Erkenntnis vom 19. Dezember 1990, Zl. 90/02/0153) das Nachfahren mit dem Dienstfahrzeug und das Ablesen des damit ausgestatteten Tachometers grundsätzlich ein taugliches und zulässiges Beweismittel zur Feststellung einer von einem Fahrzeug eingehaltenen Fahrgeschwindigkeit darstellt. Bei entsprechendem Ausmaß der festgestellten Geschwindigkeitsüberschreitung kommt nach diesem Erkenntnis dem Umstand, dass der Tachometer des Dienstfahrzeuges nicht geeicht war, keine Bedeutung zu. Dem Umstand, dass ein Tachometer eines Dienstfahrzeuges nicht geeicht ist, wird dadurch Rechnung getragen, dass im Hinblick auf die übliche Toleranz für ungeeichte Tachometer für Messungen mit einem solchen eine ‚erhebliche' Geschwindigkeitsüberschreitung gefordert wird. Das Ablesen des Tachometers des in einem - allenfalls auch zwischen 80 m und 100 m schwankenden - Abstand nachfahrenden Dienstfahrzeuges durch einen Gendarmeriebeamten ist eine zulässige und grundsätzlich zuverlässige Methode zur Schätzung von Fahrgeschwindigkeit und damit zur Feststellung erheblicher Geschwindigkeitsüberschreitungen...."

11 In dem zitierten Erkenntnis des VwGH vom 28. März 1990, 89/03/0261, heißt es zur "erheblichen Geschwindigkeitsüberschreitung" wörtlich:

"Aus der Aktenlage ergeben sich auch keine Anhaltspunkte dafür, noch wurden sie vom Beschwerdeführer mit stichhaltigen Argumenten aufgezeigt, daß mit einem ungeeichten Tachometer immerhin erhebliche Geschwindigkeitsüberschreitungen von 20 bis 40 km/h, wie im gegenständlichen Fall, nicht festgestellt werden können (vgl. z. B. das hg. Erkenntnis vom 24. Februar 1988, Zl. 87/03/0095), zumal selbst unter Einrechnung einer allgemein üblichen Toleranz für ungeeichte Tachometer, wie dies die belangte Behörde zutreffend aufgezeigt hat, dennoch Überschreitungen der zulässigen Höchstgeschwindigkeiten durch den Beschwerdeführer gegeben sind".

12 Aus beiden Erkenntnissen ergibt sich, dass mit der "Erheblichkeit" der Geschwindigkeitsüberschreitung die durch Ablesen des ungeeichten Tachometers festgestellte Fahrgeschwindigkeit, also das Ausmaß der vom Beamten durch Ablesen festgestellten Geschwindigkeitsüberschreitung gemeint ist. Deutlich macht dies insbesondere der zuletzt zitierte Satz, wonach ungeachtet der mit dem ungeeichten Tachometer festgestellten erheblichen Geschwindigkeitsüberschreitungen von 20 bis 40 km/h "selbst unter Einrechnung einer allgemein üblichen Toleranz für ungeeichte Tachometer...dennoch Überschreitungen der zulässigen Höchstgeschwindigkeiten durch den Beschwerdeführer gegeben sind."

13 Anders als das Verwaltungsgericht meint, kommt es bei der Erheblichkeit der Geschwindigkeitsüberschreitung beim Nachfahren mit dem Dienstfahrzeug und Ablesen des damit ausgestatteten Tachometers somit nicht auf jene nach Abzug der Messtoleranz, sondern auf die tatsächlich vom ungeeichten Tachometer des Dienstfahrzeuges abgelesene Geschwindigkeit an.

14 Das angefochtene Erkenntnis war daher hinsichtlich der Einstellungen der Verwaltungsstrafverfahren gemäß § 45 Abs. 1 VStG (somit hinsichtlich der ersten und dritten Übertretung) wegen Rechtswidrigkeit des Inhaltes gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG aufzuheben.

Wien, am 19. April 2017

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