VwGH Ra 2016/08/0050

VwGHRa 2016/08/005019.11.2019

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Bachler sowie die Hofräte Dr. Strohmayer und Mag. Berger als Richter, unter Mitwirkung der Schriftführerin Klima LL.M., über die Revision des Arbeitsmarktservice Horn in 3580 Horn, Prager Straße 32 (als belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht), gegen das Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom 14. Jänner 2016, W121 2104262-1/10E, betreffend Zuerkennung von Arbeitslosengeld (mitbeteiligte Partei: A M in H), den Beschluss gefasst:

Normen

B-VG Art133 Abs4
VwGG §28 Abs3
VwGG §34 Abs1
32004R0883 Koordinierung Soziale Sicherheit Art1 litf
32004R0883 Koordinierung Soziale Sicherheit Art1 litj
32004R0883 Koordinierung Soziale Sicherheit Art11 Abs1
32004R0883 Koordinierung Soziale Sicherheit Art11 Abs3 lita
32004R0883 Koordinierung Soziale Sicherheit Art11 Abs3 litc
32004R0883 Koordinierung Soziale Sicherheit Art64
32004R0883 Koordinierung Soziale Sicherheit Art65
32004R0883 Koordinierung Soziale Sicherheit Art65 Abs2
32004R0883 Koordinierung Soziale Sicherheit Art65 Abs3
32004R0883 Koordinierung Soziale Sicherheit Art65 Abs5 lita
32004R0883 Koordinierung Soziale Sicherheit Art65 Abs5 litb
32009R0987 Koordinierung Soziale Sicherheit DV Art11 Abs1
61994CJ0308 Office national de l'emploi / Naruschawicus VORAB

European Case Law Identifier: ECLI:AT:VWGH:2019:RA2016080050.L00

 

Spruch:

Die Revision wird zurückgewiesen.

Begründung

1. Nach Art. 133 Abs. 4 B-VG ist gegen ein Erkenntnis des Verwaltungsgerichts die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofs abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung nicht einheitlich beantwortet wird.

Gemäß § 34 Abs. 1 VwGG sind Revisionen, die sich wegen Nichtvorliegens der Voraussetzungen des Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zur Behandlung eignen, ohne weiteres Verfahren in

nichtöffentlicher Sitzung mit Beschluss zurückzuweisen.

Gemäß § 34 Abs. 1a VwGG ist die Zulässigkeit einer außerordentlichen Revision nach Art. 133 Abs. 4 B-VG im Rahmen der dafür in der Revision vorgebrachten Gründe (§ 28 Abs. 3 VwGG) zu überprüfen.

2. Die revisionswerbende regionale Geschäftsstelle des Arbeitsmarktservice (im Folgenden: Revisionswerberin) wies mit Bescheid vom 10. November 2014 den Antrag der Mitbeteiligten vom 8. Oktober 2014 auf Zuerkennung von Arbeitslosengeld gemäß �� 44 iVm § 46 Abs. 1 AlVG sowie Art. 1 lit. f iVm Art. 65 Abs. 2 Verordnung (EG) Nr. 883/2004 (im Folgenden: VO 883/2004 ) mangels Zuständigkeit zurück.

Die gegen diesen Bescheid erhobene Beschwerde der Mitbeteiligten wies die Revisionswerberin mit Beschwerdevorentscheidung vom 18. Februar 2015 als unbegründet ab. Die Revisionswerberin führte im Wesentlichen aus, die Mitbeteiligte habe während ihrer letzten Beschäftigung in Deutschland vom 27. Mai bis zum 14. September 2014 ihren Wohnort nicht in Österreich sondern in Deutschland gehabt. Sie sei daher nicht als Grenzgängerin und Österreich nicht als Wohnmitgliedstaat im Sinn der Bestimmungen der VO 883/2004 zu erachten. Folglich sei Österreich für die Zuerkennung von Arbeitslosengeld nicht zuständig.

3.1. Mit dem - nach einem Vorlageantrag der Mitbeteiligten ergangenen - angefochtenen Erkenntnis gab das Verwaltungsgericht der Beschwerde statt, indem es den bekämpften Bescheid ersatzlos aufhob und damit zum Ausdruck brachte, dass die österreichischen Behörden zuständig sind.

Das Verwaltungsgericht führte begründend im Wesentlichen aus, die im Jahr 1990 geborene Mitbeteiligte sei deutsche Staatsangehörige und bereits mit 17 Jahren bei ihren Eltern in Deutschland ausgezogen. Nach der Ausbildung zur Restaurantfachfrau sei sie in diversen Hotels in Österreich und in Deutschland ausschließlich saisonal beschäftigt gewesen. Nach dem Jahr 2012 sei sie nur mehr im geringen Umfang in Deutschland beschäftigt gewesen, zuletzt habe sie dort vom 27. Mai bis zum 14. September 2014 gemeinsam mit ihrem österreichischen Lebensgefährten gearbeitet. Dabei habe sie zwar ihren Wohnsitz an der Anschrift ihrer Eltern in Deutschland gemeldet gehabt, dies aber nur zur Gewährleistung einer Zustelladresse. Tatsächlich habe sie sich durchgehend an ihrer Arbeitsstätte aufgehalten, ohne zwischenzeitig nach Österreich zurückzukehren. Nach Beendigung der Beschäftigung habe sie zunächst in Deutschland am 17. September 2014 Arbeitslosengeld beantragt; da sie jedoch bereits am nächsten Tag nach Österreich fahren und sich fortan dort aufhalten wollte, habe sie "keine Leistung bezogen" (tatsächlich wurde ihr nach der Aktenlage eine Leistung wegen Vorliegens einer Sperrfrist infolge verspäteter Arbeitssuchendmeldung versagt). In Österreich habe sie dann am 8. Oktober 2014 den hier gegenständlichen Antrag auf Arbeitslosengeld gestellt. In der Folge habe sie eine weitere Ausbildung in Österreich absolviert und im Februar 2015 eine Beschäftigung aufgenommen, die sie nach wie vor ausübe. Was ihre Lebensgemeinschaft betreffe, so sei sie an der Anschrift der Eltern ihres Lebensgefährten in Horn ab dem 15. Juli 2013 mit Nebenwohnsitz und ab dem 8. Oktober 2014 mit Hauptwohnsitz gemeldet (gewesen). Sie habe sich an jener Anschrift schon im Jahr 2013 für längere Zeit aufgehalten und sei auch weiterhin dort wohnhaft. Ferner unterhalte sie soziale Kontakte in Österreich, etwa mit den Eltern ihres Lebensgefährten und mit Arbeitskollegen.

In Gesamtbetrachtung sei daher der Mittelpunkt der Lebensinteressen und damit der Wohnort der Mitbeteiligten im relevanten Zeitraum (während ihrer letzten Beschäftigung in Deutschland) eindeutig in Österreich gelegen. Die Annahme der Revisionswerberin, sie hätte in dem betreffenden Zeitraum noch bei ihren Eltern in Deutschland gewohnt, sei nicht nachvollziehbar. Vielmehr habe eine dauerhafte und stärkere Bindung an ihren Lebensgefährten und dessen Familie in Österreich bestanden, wo ihr überwiegender Aufenthalt gelegen sei und wo sie auch weiterhin wohne und ihren Lebensmittelpunkt habe. Sie habe daher im relevanten Zeitraum ihren Wohnort in Österreich gehabt und sei als "unechte Grenzgängerin" zu erachten. Folglich sei nach Art. 65 Abs. 2 iVm Abs. 5 lit. a VO 883/2004 Österreich für die Zuerkennung von Arbeitslosengeld zuständig.

3.2. Das Verwaltungsgericht sprach ferner aus, dass die Revision gemäß § 25a Abs. 1 VwGG nicht zulässig sei.

4. Gegen dieses Erkenntnis wendet sich die - Rechtswidrigkeit des Inhalts geltend machende - außerordentliche Revision, deren Zulässigkeit mit einem Abweichen von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofs begründet wird.

5. Voranzustellen ist, dass die Revision aus folgenden Gründen keine gesonderte Ausführung der Revisionsgründe enthält und schon deshalb nicht zulässig ist.

Die Revision weist zunächst in einem mehrseitigen Abschnitt Ausführungen zur "Zulässigkeit der außerordentlichen Revision" (vgl. Abschnitt III., S 2 ff der Revisionsschrift) auf. Indessen enthalten die nachfolgenden - für sich inhaltsleer gestalteten - "Revisionsgründe" (vgl. Abschnitt V., S 5 der Revisionsschrift) neben der Überschrift und der Zitierung des § 42 Abs. 1 und Abs. 2 Z 1 und 3 VwGG lediglich einen Verweis auf die zuvor erstatteten Zulässigkeitsausführungen nach § 28 Abs. 3 VwGG.

Der Verwaltungsgerichtshof hat jedoch schon klargestellt (vgl. etwa VwGH 30.3.2017, Ra 2017/07/0006; 23.4.2018, Ra 2018/08/0068), dass mit einem solchen Vorgehen, bei dem letztlich das Revisionsvorbringen ausschließlich als Zulässigkeitsvorbringen unterbreitet wird, dem Erfordernis des § 28 Abs. 3 VwGG - wonach die Gründe, aus denen entgegen dem Ausspruch des Verwaltungsgerichts die Revision für zulässig erachtet wird, gesondert darzulegen sind - nicht entsprochen wird.

6. Wie im Folgenden zu zeigen sein wird, vermag die Revisionswerberin aber auch mit ihren inhaltlichen Ausführungen keine Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung im Sinn des Art. 133 Abs. 4 B-VG darzutun, sodass die Revision auch deshalb nicht zulässig ist.

7.1. Die Revisionswerberin releviert, Personen, für die die VO 883/2004 gelte, unterlägen den Rechtsvorschriften nur eines Mitgliedstaats, wobei dies grundsätzlich der Beschäftigungsmitgliedstaat sei; eine Ausnahme bestehe für Grenzgänger, für die der Wohnmitgliedstaat zuständig sei. Die Mitbeteiligte habe nach ihrer letzten Beschäftigung in Deutschland dort einen Antrag auf Arbeitslosengeld gestellt, wobei eine Leistung nur wegen des Vorliegens einer Sperrzeit versagt worden sei. Nach dem Erkenntnis EuGH 27.5.1982, Aubin, 227/81, bestehe ein Anspruch auf Leistungen bei Arbeitslosigkeit aber nur in jenem Mitgliedstaat, in dem sich der Anspruchswerber als

Arbeitssuchender gemeldet habe, dies unabhängig davon, ob er Grenzgänger sei oder nicht; er könne nicht das Arbeitslosengeld mehrerer Mitgliedstaaten kumulieren. Vorliegend sei daher Deutschland der zuständige Mitgliedstaat.

7.2. Zutreffend ist, dass Personen, für die die VO 883/2004 gilt, den Rechtsvorschriften nur eines Mitgliedstaats unterliegen (Art. 11 Abs. 1 VO 883/2004 ). Dies ist - für die hier im Blick stehenden Leistungen bei Arbeitslosigkeit - grundsätzlich der Mitgliedstaat, in dem zuletzt eine Beschäftigung ausgeübt wurde (Beschäftigungsmitgliedstaat) (vgl. Art. 11 Abs. 3 lit. a VO 883/2004 ). Allerdings sieht Art. 65 VO 883/2004 (iVm Art. 11 Abs. 3 lit. c VO 883/2004 ) unter den dort genannten Voraussetzungen einen Zuständigkeitsübergang (Statutenwechsel) auf den Wohnmitgliedstaat bei einem arbeitslosen Grenzgänger (einer Person, die in der Regel täglich, mindestens jedoch einmal wöchentlich in den Wohnmitgliedstaat zurückgekehrt ist; vgl. Art. 1 lit. f VO 883/2004 ) wie auch bei einem "Nicht-Grenzgänger" (einer Person, die nicht mindestens einmal wöchentlich in ihren Wohnmitgliedstaat zurückgekehrt ist) vor (vgl. zum Ganzen VwGH 2.6.2016, Ra 2016/08/0047; 19.12.2017, Ra 2017/08/0027).

Zutreffend ist ferner, dass eine vollarbeitslose Person (gleichgültig ob Grenzgänger oder "Nicht-Grenzgänger") nur dann Anspruch auf Leistungen bei Arbeitslosigkeit hat, wenn sie sich der Arbeitsverwaltung des für sie zuständigen Mitgliedstaats zur Verfügung stellt (vgl. insbesondere Art. 65 Abs. 2 VO 883/2004 ), wobei die Verfügbarkeit dann vorliegt, wenn die Person sich bei den zuständigen Stellen dieses Staats als Arbeitssuchender meldet und sich deren Kontrolle unterwirft (vgl. auch Art. 65 Abs. 3 VO 883/2004 ; EuGH 1.2.1996, Naruschawicus, C-308/94 ). Zuständiger Mitgliedstaat im vorgenannten Sinn ist für einen vollarbeitslosen "Nicht-Grenzgänger", wenn er vorerst nicht in den Wohnmitgliedstaat zurückkehrt, ausschließlich der (ehemalige) Beschäftigungsmitgliedstaat (vgl. Art. 65 Abs. 2 dritter Satz, Abs. 5 lit. b VO 883/2004 ), wenn er zurückkehrt, hingegen ausschließlich der Wohnmitgliedstaat (vgl. Art. 65 Abs. 2 erster Satz, Abs. 5 lit. a VO 883/2004 ). Zwar kann er sich im zuletzt genannten Fall zusätzlich der Arbeitsverwaltung des (letzten) Beschäftigungsmitgliedstaats zur Verfügung stellen, was aber an der exklusiven Zuständigkeit des Wohnmitgliedstaats zur Leistung der Arbeitslosenunterstützung nichts ändert (vgl. Art. 65 Abs. 2 zweiter Satz, Abs. 5 lit. a VO 883/2004 ; siehe VwGH 27.11.2017, Ra 2015/08/0141; neuerlich Ra 2017/08/0027).

Folglich tritt ein Übergang der Zuständigkeit zur Leistung der Arbeitslosenunterstützung vom Beschäftigungsmitgliedstaat auf den Wohnmitgliedstaat ein, sobald der vollarbeitslose "Nicht-Grenzgänger" in den Wohnmitgliedstaat zurückkehrt (zum Begriff der Rückkehr als Rückverlagerung der betreffenden Interessen siehe neuerlich VwGH Ra 2016/08/0047). Dies gilt freilich dann nicht, wenn dem "Nicht-Grenzgänger" vom Beschäftigungsmitgliedstaat bereits Leistungen gewährt wurden; in einem solchen Fall kommt es -

im Sinn des Art. 65 Abs. 5 lit b iVm Art. 64 VO 883/2004 - zu einer zeitweisen Perpetuierung der Zuständigkeit des Beschäftigungsmitgliedstaats (auf drei bis höchstens sechs Monate) dergestalt, dass dieser die Leistungen auch weiterhin auf seine Rechnung zu erbringen (in den Wohnmitgliedstaat zu "exportieren") hat, wohingegen in jener Zeit die Leistungen durch den Wohnmitgliedstaat ausgesetzt sind (vgl. VwGH 1.6.2017, Ra 2014/08/0042).

7.3. Bei Anwendung der dargestellten Grundsätze auf den gegenständlichen Fall ergibt sich Folgendes:

Die Mitbeteiligte als "Nicht-Grenzgängerin" - sie begab sich während ihrer letzten Beschäftigung nicht zumindest einmal wöchentlich nach Österreich zurück - kehrte nach der Beendigung ihrer saisonellen Tätigkeit in Deutschland (mit 14. September 2014) vorerst nicht in den Wohnmitgliedstaat Österreich zurück. Dies zeigt sich insbesondere darin, dass sie sich nach der Beendigung ihrer Beschäftigung nicht nach Österreich zurückbegab, sondern zunächst in Deutschland blieb und sich der dortigen Arbeitsverwaltung zur Verfügung stellte, indem sie sich am 17. September 2014 bei der Agentur für Arbeit arbeitslos meldete und die Gewährung von Arbeitslosenunterstützung beantragte. Folglich trat aber vorerst kein Statutenwechsel ein, sondern blieb Deutschland der leistungszuständige Mitgliedstaat.

Erst mit der erfolgten Rückkehr, die sich darin zeigte, dass sich die Mitbeteiligte nach Österreich zurückbegab und sich fortan der österreichischen Arbeitsverwaltung zur Verfügung stellte (indem sie sich am 8. Oktober 2014 bei der Revisionswerberin arbeitslos meldete und die Gewährung von Arbeitslosengeld beantragte), trat ein Statutenwechsel ein und wurde Österreich der für die Leistung des Arbeitslosengelds zuständige Mitgliedstaat. Dabei kam es auch zu keiner zeitweisen Perpetuierung der Zuständigkeit des ehemaligen Beschäftigungsmitgliedstaats im Sinn eines befristeten Leistungsexports, zumal die deutsche Agentur für Arbeit keine Arbeitslosenunterstützung gewährt hatte, sondern den am 17. September 2014 geltend gemachten Anspruch wegen Vorliegens einer Sperrfrist infolge verspäteter Arbeitssuchendmeldung abgewiesen hatte (vgl. neuerlich VwGH Ra 2014/08/0042).

Demnach ist aber - wie das Verwaltungsgericht ohne Rechtsirrtum erkannte - Österreich als Wohnmitgliedstaat zur Entscheidung über den Antrag der Mitbeteiligten vom 8. Oktober 2014 auf Zuerkennung von Arbeitslosengeld zuständig.

7.4. Soweit die Revisionswerberin davon auszugehen scheint, dass der am 17. September 2014 in Deutschland gestellte Antrag gleichsam zu einer Versteinerung der Zuständigkeit Deutschlands geführt habe, kann dem - mit Blick auf die obigen Ausführungen - nicht gefolgt werden. Wenn sich die Revisionswerberin ferner auf das Erkenntnis des EuGH Aubin bezieht, so ergibt sich auch daraus kein (hier relevanter) Widerspruch.

8.1. Die Revisionswerberin macht geltend, nach Ansicht des Verwaltungsgerichts liege der Mittelpunkt der beruflichen und privaten Lebensinteressen der Mitbeteiligten derzeit in Österreich. Für die Zuständigkeit eines Mitgliedstaats nach Art. 65 VO 883/2004 komme es aber darauf an, wo der Arbeitssuchende während der letzten Beschäftigung seinen Aufenthalt hatte.

8.2. Zutreffend ist, dass für die Anspruchsbegründung nach Art. 65 VO 883/2004 in erster Linie entscheidend ist, wo die betreffende Person während ihrer letzten Beschäftigung ihren Wohnort (siehe dazu noch näher Punkt 9.) hatte. Auf die allfällige Änderung der Verhältnisse nach der Beendigung der Beschäftigung bzw. nach dem Eintritt der Arbeitslosigkeit kommt es nicht entscheidend an (vgl. in dem Sinn VwGH 28.1.2015, 2013/08/0074; erneut Ra 2016/08/0047).

Die Revisionswerberin lässt aber die Maßgeblichkeit einer Rückkehr nach Art. 65 Abs. 2 dritter Satz VO 883/2004 außer Betracht (vgl. dazu Punkt 7.2.).

9.1. Die Revisionswerberin releviert, die Mitbeteiligte habe während ihrer letzten Beschäftigung in Deutschland auch dort gewohnt. Der Beschäftigungs- und der Wohnmitgliedstaat seien ident gewesen, sie sei keine "unechte Grenzgängerin" gewesen, sodass die Sondervorschriften des Art. 65 VO 883/2004 nicht zur Anwendung kämen. Gegen das Vorliegen des Wohnorts in Österreich sprächen diverse berufliche und familiäre Gründe (vgl. dazu näher Punkt 9.4.).

9.2. Gemäß Art. 1 lit. j VO 883/2004 gilt als Wohnort der Ort des gewöhnlichen Aufenthalts. Eine Person kann nur einen Wohnort haben, wobei es sich um jenen Ort handelt, an dem sich der gewöhnliche Mittelpunkt ihrer Interessen befindet (vgl. VwGH 28.1.2015, 2013/08/0056; abermals 2013/08/0074).

Der Verwaltungsgerichtshof hat sich bereits wiederholt mit den für die Annahme des Wohnorts bzw. des gewöhnlichen Mittelpunkts der Interessen einer Person beachtlichen Kriterien und deren Gewichtung auseinandergesetzt. Demnach sind die im Rahmen einer Gesamtbetrachtung nach einem beweglichen System zu berücksichtigenden Kriterien - in Anlehnung an die Regelung des Art. 11 Abs. 1 Verordnung (EG) Nr. 987/2009 - insbesondere die familiären Verhältnisse (etwa der Wohnort der Familie), die Qualität und die Kontinuität des Wohnens und der sonstigen Lebensumstände im präsumtiven Wohnmitgliedstaat bis zur Abwanderung, die Gründe für die Abwanderung, die Art und die Dauer der Tätigkeit (etwa Saisonarbeit, befristete Beschäftigung) sowie die Wohn- und Lebensverhältnisse der betreffenden Person im Beschäftigungsmitgliedstaat (vgl. erneut VwGH Ra 2016/08/0047; Ra 2017/08/0027).

9.3. Vorliegend setzte sich das Verwaltungsgericht mit den nach dem Vorgesagten beachtlichen Kriterien eingehend auseinander und gelangte auf Basis der getroffenen Feststellungen im Rahmen einer Gesamtbetrachtung aller maßgeblichen Umstände auf fallbezogen jedenfalls nicht unvertretbare Weise zum Ergebnis, dass sich der gewöhnliche Mittelpunkt der Interessen und damit der Wohnort der Mitbeteiligten im maßgeblichen Zeitraum (während ihrer letzten Beschäftigung in Deutschland) durchgehend in Österreich befunden hat.

9.4. Den diesbezüglichen Ausführungen vermag die Revisionswerberin in ihrem Zulässigkeitsvorbringen nichts Stichhältiges entgegenzusetzen:

So ist ohne Bedeutung, dass die Eltern der Mitbeteiligten weiterhin in Deutschland leben, ist die Mitbeteiligte doch nach den getroffenen Feststellungen bereits mit 17 Jahren bei den Eltern ausgezogen (und nie wieder eingezogen). Die fortbestehende Meldung mit Hauptwohnsitz an der Anschrift der Eltern erfolgte nach den Feststellungen bloß zur Gewährleistung einer (deutschen) Zustelladresse. Im Übrigen kommt den Eintragungen im Melderegister auch keine maßgebliche Bedeutung zu (vgl. abermals VwGH Ra 2017/08/0027). Dass die Mitbeteiligte noch Sachen bei ihren Eltern hat, ist gleichfalls ohne Bedeutung, handelt es sich dabei doch - wie die Mitbeteiligte in der mündlichen Verhandlung aussagte - um nicht benötigte Dinge.

Nach den getroffenen Feststellungen war die Mitbeteiligte jedenfalls nach dem Jahr 2012 im Rahmen ihrer saisonalen Beschäftigungen nur mehr im geringen Umfang in Deutschland und ganz überwiegend in Österreich - wenn auch zum Teil mit Aufenthalt an ihren jeweiligen Arbeitsstätten, was aber im gegebenen Zusammenhang unerheblich ist - tätig. Sie unterhielt eine Lebensgemeinschaft mit ihrem österreichischen Lebensgefährten und war bereits im Jahr 2013 für längere Zeit sowie auch seit ihrer Rückkehr aus Deutschland an der Anschrift der Eltern ihres Lebensgefährten in Horn wohnhaft. Sie hatte an jener Anschrift - wie die Revisionswerberin zugesteht - auch ihre persönlichen Sachen, ferner unterhielt sie diverse soziale Kontakte, so unter anderem zu den Eltern ihres Lebensgefährten. Im Hinblick darauf kann aber dem Verwaltungsgericht nicht entgegengetreten werden, wenn es davon ausging, dass sich im maßgeblichen Zeitraum der Mittelpunkt ihrer Lebensinteressen an der Anschrift der Eltern ihres Lebensgefährten befand. Dem steht auch nicht entgegen, dass sie an jener Anschrift über keinen eigenen Wohnbereich verfügte, sondern mit dem Lebensgefährten dessen Zimmer teilte.

Soweit die Mitbeteiligte - in der Niederschrift vom 7. November 2014 - ihre Meldung mit Nebenwohnsitz an der Anschrift der Eltern ihres Lebensgefährten "eher" als "Scheinwohnsitz" bezeichnete, wollte sie damit erkennbar zum Ausdruck bringen, dass sie sich während ihrer letzten Beschäftigung in Deutschland aufhielt und nicht zwischenzeitig nach Österreich heimkehrte. Daraus kann aber nicht geschlossen werden, dass der Mittelpunkt ihrer Lebensinteressen in Deutschland gelegen wäre, weil gegen eine solche Annahme vor allem die Ausübung einer Saisonarbeit mit kurzer Befristung spricht. Auch der Umstand, dass sie ihre letzte Beschäftigung in Deutschland gemeinsam mit ihrem Lebensgefährten ausübte und sich gemeinsam mit diesem an der dortigen Arbeitsstätte vorübergehend aufhielt, steht einer Verortung des Mittelpunkts ihrer Lebensinteressen in Österreich nicht entscheidend entgegen.

Die Mitbeteiligte hatte - entgegen der Ansicht der Revisionswerberin - vor dem Antritt ihrer letzten Beschäftigung in Deutschland jedenfalls die Absicht, den Mittelpunkt ihrer Lebensinteressen weiterhin in Österreich zu belassen. Wie aus dem Akt hervorgeht, meldete sie sich schon vor dem Arbeitsantritt zu einem mehrmonatigen Ausbildungskurs in Wien ab Oktober 2014 verbindlich an, den sie im Anschluss an ihre letzte Beschäftigung auch tatsächlich antrat und nach dessen Absolvierung sie schließlich eine - bis auf Weiteres ausgeübte - dauernde Beschäftigung in Wien aufnahm.

9.5. Davon ausgehend begegnet jedoch die Würdigung des Verwaltungsgerichts, wonach die Mitbeteiligte (auch) während ihrer letzten Beschäftigung in Deutschland ihren Wohnort in Österreich hatte, keinen Bedenken.

10. Insgesamt vermochte die Revisionswerberin daher keinen dem angefochtenen Erkenntnis anhaftenden - als Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung im Sinn des Art. 133 Abs. 4 B-VG aufzugreifenden - Fehler aufzuzeigen. Die Revision war deshalb gemäß § 34 Abs. 1 VwGG zurückzuweisen.

Wien, am 19. November 2019

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