VwGH 90/12/0238

VwGH90/12/023822.10.1990

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Seiler und die Hofräte Dr. Herberth, Dr. Knell, Dr. Germ und Dr. Höß als Richter, im Beisein der Schriftführerin Dr. Wildmann, über den Antrag des N auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wegen Versäumung einer gemäß § 34 Abs. 2 VwGG gesetzten Frist im hg. Verfahren Zl. 90/12/0155, den Beschluß gefaßt:

Normen

AVG §71 Abs1 lita;
VwGG §46 Abs1;
VwRallg;
AVG §71 Abs1 lita;
VwGG §46 Abs1;
VwRallg;

 

Spruch:

Der Antrag wird als unbegründet abgewiesen.

Begründung

Mit dem hg. Beschluß vom 21. Juni 1990, Zl. 90/12/0155, wurde das Verfahren über die vom nunmehrigen Wiedereinsetzungswerber erhobene Beschwerde gegen den Bescheid des Bundesministers für Wissenschaft und Forschung vom 27. Februar 1990 betreffend Umwandlung des zeitlich befristeten Dienstverhältnisses als Universitätsassistent in ein provisorisches Dienstverhältnis gemäß den §§ 34 Abs. 2 und 33 Abs. 1 VwGG eingestellt, weil der Beschwerdeführer der am 26. April 1990 an ihn ergangenen Aufforderung, die Mängel der gegen den vorbezeichneten Verwaltungsakt eingebrachten Beschwerde zu beheben, dadurch nicht fristgerecht nachgekommen war, daß er dem Gerichtshof die zurückgestellte Beschwerde samt Beilage entgegen der im Verbesserungsauftrag erteilten Belehrung nicht wieder vorgelegt hatte.

Im vorliegenden, rechtzeitigen Wiedereinsetzungsantrag wird vorgebracht, daß in der Kanzlei des Rechtsvertreters der ergänzende Schriftsatz zur Mängelbehebung von einem Rechtsanwaltsanwärter am 28. Mai 1990 diktiert worden sei. Dieser habe auf dem Tonband ausdrücklich den Auftrag erteilt, zusätzlich zur Kopie des angefochtenen Bescheides sowohl die Beschwerde zweifach und die schriftliche Vollmacht (welche Schriftstücke mit der Verfügung des Verwaltungsgerichtshofes vom 26. April 1990 zurückgesandt worden seien) dem Schriftsatz zur Mängelbehebung beizulegen. Der Schriftsatz sei noch am 28. Mai 1990 von Andrea K geschrieben worden. Die Sekretärinnen unterlägen der strengen Anordnung der Rechtsvertreter, die Beilagen, deren Beifügung im Diktat via Tonband angeordnet werde, auch wenn diese Anordnung im Text keinen Niederschlag finde, beizufügen, sowie bei Mängelbehebungen auch selbst die erforderliche Anzahl der beizulegenden Unterlagen zu überprüfen. Gleichzeitig werde vom Rechtsvertreter beim Lesen und Unterschreiben der Schriftsätze die tatsächliche Beifügung der erforderlichen Beilagen überprüft. Im konkreten Fall habe der Rechtsvertreter des Beschwerdeführers den Schriftsatz zur Mängelbehebung am 29. Mai 1990 gelesen. Dabei sei ihm aufgefallen, daß nur die Kopie des angefochtenen Bescheides und nicht die zurückgesandten Beschwerden sowie die Vollmacht dem Schriftsatz beigelegt worden seien, weshalb er auf dem Originalschriftsatz noch den Vermerk "Beilagen" angebracht habe, bevor er den Schriftsatz unterfertigt habe. Beim Kuvertieren sei nun zwar der angefochtene Bescheid in Kopie als Beilage erkannt, jedoch von Frau Susanne A, die an diesem Tag mit der Abfertigung der Post betraut gewesen sei, übersehen worden, daß auch die ursprüngliche Beschwerde seitens des Rechtsvertreters als Beilage apostrophiert worden sei. Durch dieses Mißverständnis sei es geschehen, daß die Originalbeschwerde entgegen dem schriftlichen Vermerk und die Vollmacht, die schon der Originalbeschwerde angeschlossen gewesen sei, nicht in das Kuvert an den Verwaltungsgerichtshof beigegeben worden seien. Dies sei erstmals nach Zustellung des Beschlusses des Verwaltungsgerichtshofes vom 21. Juni 1990 festgestellt worden.

Diese Angaben werden von Susanne A in einer dem Antrag beigelegten "eidesstättigen Erklärung" bestätigt und hinzugefügt, daß soweit ihr erinnerlich sei, ein derartiges Versehen einer Kanzleiangestellten, die mit dem Kuvertieren befaßt sei, noch "niemals vorgekommen" sei.

Gemäß § 46 Abs. 1 VwGG ist einer Partei auf Antrag die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu bewilligen, wenn sie durch ein unvorhergesehenes oder unabwendbares Ereignis eine Frist versäumt und dadurch einen Rechtsnachteil erleidet. Daß der Partei ein Verschulden an der Versäumung zur Last liegt, hindert die Bewilligung der Wiedereinsetzung nicht, wenn es sich nur um einen minderen Grad des Versehens handelt.

Nach der ständigen (auch nach der Neufassung des § 46 Abs. 1 VwGG durch die VwGG-Novelle BGBl. Nr. 564/1985 insofern aufrechterhaltenen) Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes (vgl. u.a. den Beschluß eines verstärkten Senates vom 19. Jänner 1977, Slg. Nr. 9226/A, und aus letzter Zeit die Beschlüsse vom 19. Jänner 1990, Zlen. 89/18/0202, 0203, vom 27. März 1990, Zl. 89/07/0184, und vom 20. Juni 1990, Zl. 90/13/0136, sowie Pichler, Zur Wiedereinsetzungspraxis des Verwaltungsgerichtshofes, Anw. 1990, 178 ff) ist das Verschulden des Vertreters einer Partei an der Fristversäumung dem Verschulden der Partei selbst gleichzuhalten, während jenes eines Kanzleibediensteten eines bevollmächtigten Rechtsanwaltes (auch eines bei einem Rechtsanwalt tätigen Rechtsanwaltsanwärters: vgl. u.a. den Beschluß vom 8. November 1988, Zlen. 88/11/0159, 0236) dem Rechtsanwalt (und damit der Partei) nur dann als Verschulden anzurechnen ist, wenn er die ihm zumutbare und nach der Sachlage gebotene Überwachungspflicht jenem Bediensteten gegenüber unterlassen hat.

Grundsätzlich muß in diesem Zusammenhang davon ausgegangen werden, daß die Organisation des Kanzleibetriebes eines Rechtsanwaltes so einzurichten ist, daß unter anderem auch die vollständige und fristgerechte Erfüllung von Mängelbehebungsaufträgen, die ja bereits das Vorliegen einer zumindest zum Teil nicht den gesetzlichen Vorschriften entsprechenden Eingabe zur Grundlage haben, gesichert erscheint. Die anwaltliche Sorgfaltspflicht umfaßt in einem solchen Fall auch die geeignete Überwachung des Fertigmachens der Postsendung zur Abgabe und die Überprüfung der Vollständigkeit der an den Verwaltungsgerichtshof in Befolgung des Verbesserungsauftrages übermittelten Aktenstücke (vgl. dazu unter anderem den Beschluß vom 22. September 1983, Zl. 83/08/0108). Unterläuft jedoch dem (sonst verläßlichen) Kanzleibediensteten erst nach der Unterfertigung und Kontrolle eines fristgebundenen Schriftsatzes durch den Rechtsanwalt im Zuge der Kuvertierung oder Postaufgabe ein Fehler, so ist dieser, sofern nicht nach der konkreten Fallgestaltung ein eigenes Verschulden des Rechtsanwaltes hinzutritt, nicht dem Rechtsanwalt (und damit der Partei) als Verschulden anzurechnen (vgl. u.a. die Beschlüsse vom 20. Juni 1990, Zl. 90/13/0136, vom 24. April 1990, Zl. 90/08/0047, vom 2. Oktober 1989, Zl. 89/04/0049, und vom 22. November 1988, Zl. 88/04/0183).

Der Begriff des minderen Grades des Versehens in § 46 Abs. 1 VwGG ist grundsätzlich der leichten Fahrlässigkeit gleichzustellen. An einen rechtskundigen Parteienvertreter ist allerdings ein strengerer Maßstab anzulegen als an rechtsunkundige oder bisher nie an gerichtlichen Verfahren beteiligte Personen (vgl. u.a. den Beschluß vom 27. Juni 1990, Zl. 90/18/0077).

Das Vorliegen von Wiedereinsetzungsgründen ist nur in jenem Rahmen zu untersuchen, der durch die Behauptungen des Wiedereinsetzungswerbers (innerhalb der Wiedereinsetzungsfrist) gesteckt ist. Macht er als Wiedereinsetzungsgrund ein Versehen eines Kanzleibediensteten des bevollmächtigten Rechtsanwaltes geltend, so hat er durch konkrete Behauptungen im Wiedereinsetzungsantrag nicht nur darzutun, worin das Versehen bestanden hat, sondern auch darzulegen, daß es zur Fehlleistung des Kanzleibediensteten gekommen ist, obwohl die dem Rechtsanwalt im Sinne der obigen Ausführungen obliegenden Aufsichts- und Kontrollpflichten eingehalten wurden (vgl. u.a. die Beschlüsse vom 22. Oktober 1987, Zl. 87/08/0256, und vom 29. Jänner 1987, Zlen. 86/08/0240, 0241).

Bewertet man das Vorbringen im Wiedereinsetzungsantrag nach diesen rechtlichen Grundsätzen, so ist dem Rechtsvertreter des Beschwerdeführers eine nicht nur einen minderen Grad des Versehens bildende Verletzung der Überwachungspflicht anzulasten. Denn danach hat sich der Rechtsvertreter des Beschwerdeführers nach der Feststellung, daß dem ergänzenden Schriftsatz nur eine Beilage, nämlich die Kopie des angefochtenen Bescheides, nicht aber auch die zurückgestellte Beschwerde samt Beilage angeschlossen war, mit dem bloßen Vermerk "Beilagen" auf dem Originalschriftsatz (offensichtlich gemeint: dem im Handakt verbleibenden Ergänzungsschriftsatz) begnügt, ohne die Befolgung des damit erteilten Auftrages in geeigneter Weise zu überprüfen. Einer solchen Überprüfung hätte es aber im vorliegenden Fall unbedingt bedurft, weil der Rechtsvertreter nicht unbesehen damit rechnen durfte, daß die an diesem Tag mit der Abfertigung der Post betraute Bedienstete (die nicht ident war mit jener, die den Ergänzungsschriftsatz geschrieben hatte, und von der daher auch nicht feststand, daß sie das Diktat des Rechtsanwaltsanwärters mit der Anführung der dem Ergänzungsschriftsatz anzuschließenden Urkunden kannte) aus dem bloßen, angesichts der vom Rechtsanwalt gemeinten Urkunden zumindest mißverständlichen Vermerk "Beilagen" erkennen könne,

daß damit auch "die ursprüngliche Beschwerde ... als Beilage

apostrophiert" worden sei.

Der Wiedereinsetzungsantrag war daher in einem gemäß § 12 Abs. 3 VwGG gebildeten Fünfersenat abzuweisen.

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