VwGH 89/18/0202

VwGH89/18/020219.1.1990

Antrag des N auf Bewilligung der Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Frist zur Befolgung des Verbesserungsauftrages des Verwaltungsgerichtshofes vom 4. Juli 1989 in der Beschwerdesache des N gegen

1) Landeshauptmann von Wien vom 16. Februar 1989, Zl. MA 70-10/2024/88/Str, betreffend Übertretung des Kraftfahrgesetzes 1967, 2) Wiener Landesregierung vom 16. Februar 1989, Zl. MA 70-10/2023/88/Str, betreffend Übertretungen der Straßenverkehrsordnung 1960,

Zlen. 89/18/0062, 0063

Normen

AVG §13 Abs3;
AVG §71 Abs1 lita;
AVG §71 Abs1 Z1 impl;
VwGG §46 Abs1 idF 1985/564;
VwGG §46 Abs1;
AVG §13 Abs3;
AVG §71 Abs1 lita;
AVG §71 Abs1 Z1 impl;
VwGG §46 Abs1 idF 1985/564;
VwGG §46 Abs1;

 

Spruch:

Die Wiedereinsetzung wird nicht bewilligt.

Begründung

Mit Verfügung vom 4. Juli 1989 ordnete der Verwaltungsgerichtshof folgende Verbesserung der zu den Zlen. 89/18/0062, 0063 erhobenen Beschwerde des Beschwerdeführers an:

"1. Es ist der Sachverhalt in einer zeitlich geordneten Darstellung des Verwaltungsgeschehens wiederzugeben (§ 28 Abs. 1 Z. 3 VwGG).

2. Es ist ein bestimmtes Begehren (§ 28 Abs. 1 Z. 6 in Verbindung mit § 42 Abs. 2 VwGG) zu stellen.

3. Es ist das Recht, in dem die beschwerdeführende Partei verletzt zu sein behauptet (Beschwerdepunkte, § 28 Abs. 1 Z. 4 VwGG), bestimmt zu bezeichnen, und es sind die Gründe, auf die sich die Behauptung der Rechtswidrigkeit stützt, anzuführen (§ 28 Abs. 1 Z. 5 VwGG).

4. Es ist die Beschwerde mit der Unterschrift eines Rechtsanwaltes zu versehen (§ 24 Abs. 2 VwGG).

5. Es sind zwei weitere Ausfertigungen der Beschwerde für die belangte Behörde und den Bundesminister für öffentliche Wirtschaft und Verkehr beizubringen (§§ 24 Abs. 1 und 29 VwGG).

Zur Behebung dieser Mängel wird eine Frist von vier Wochen, vom Tage der Zustellung dieses Auftrages an gerechnet, bestimmt.

Ein ergänzender Schriftsatz ist in dreifacher Ausfertigung vorzulegen.

Die zurückgestellte Beschwerde (einschließlich der angeschlossen gewesenen, gesetzlich vorgeschriebenen Beilagen) ist auch dann wieder vorzulegen, wenn zur Ergänzung ein neuer Schriftsatz eingebracht wird.

Die Versäumung der Frist gilt als Zurückziehung der Beschwerde."

 

Innerhalb gesetzter Frist brachte der Substitut des Verfahrenshelfers des Beschwerdeführers eine Beschwerdeschrift in dreifacher Ausfertigung mit einer Halbschrift ein.

Mit Beschluß vom 10. November 1989, Zlen. 89/18/0062, 0063-13, stellte der Verwaltungsgerichtshof das Verfahren gemäß § 34 Abs. 2 und 33 Abs. 1 VwGG ein, weil mit der Beschwerdeschrift außer einer Substitutionsvollmacht keine Beilagen vorgelegt wurden; insbesondere fehle die ursprüngliche Beschwerde und die Ausfertigungen der beiden angefochtenen Bescheide. Der Einstellungsbeschluß wurde dem substituierten Rechtsanwalt am 30. November 1989 zugestellt.

Mit Postaufgabedatum vom 14. Dezember 1989 stellte der Beschwerdeführer den Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die versäumte Verbesserungsfrist und legte unter einem die ursprüngliche Beschwerde des Beschwerdeführers, einen weiteren Schriftsatz des Beschwerdeführers sowie die angefochtenen Bescheide im Original und in zwei Fotokopien vor.

Im Wiedereinsetzungsantrag wurde folgendes vorgebracht:

Am 21. September 1989 habe der Rechtsanwalt - in der Folge wird unter dem Rechtsanwalt allein der Substitut Dr. B verstanden - den (neuen) Beschwerdeschriftsatz seiner Angestellten G auf Tonband diktiert und zur Herstellung des Schriftsatzes übergeben. Nach Schreiben dieses Schriftsatzes (drei Ausfertigungen) habe der Rechtsanwalt der Angestellten aufgetragen, die Eingaben des Beschwerdeführers zuzüglich zweier weiterer Fotokopien sowie die Originale der Berufungsbescheide samt zwei weiteren Kopien dem neuen Beschwerdeschriftsatz beizulegen. Frau G habe sich bisher als durchaus verläßlich erwiesen. In diesem Fall habe aber Frau G vergessen, die Eingaben des Beschwerdeführers und die Berufungsbescheide dem Verbesserungsschriftsatz anzuschließen. Am 22. September 1989 sei eine gewisse, unter Sachwalterschaft stehende Frau R in der Kanzlei des Rechtsanwaltes erschienen und habe dort gestikuliert und herumgebrüllt. Nur mit Mühe sei es gelungen, Frau R aus der Kanzlei zu weisen. Das Verhalten der Frau R habe an diesem Tag den geordneten und sorgfältigen Kanzleibetrieb gestört und sei belastend für den einschreitenden Rechtsanwalt gewesen. Nur aus diesem Grund habe es geschehen können, daß der Rechtsanwalt bei Fertigung des Beschwerdeschriftsatzes im Glauben gewesen sei, daß die erforderlichen Eingaben des Beschwerdeführers und die angefochtenen Bescheide angeschlossen gewesen seien. Nur deshalb habe es geschehen können, daß der Rechtsanwalt sich auf die Erfüllung des Auftrages durch seine Angestellte verlassen habe, ohne selbst nachzusehen. Das sei ein minderer Grad des Versehens, weshalb die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand bewilligt werden möge.

Die belangten Behörden haben zum Wiedereinsetzungsantrag inhaltlich nicht Stellung genommen.

Der Verwaltungsgerichtshof hat Frau G und Rechtsanwalt Dr. B als Zeugen vernommen und auf Grund dieser Zeugenaussagen im Zusammenhalt mit dem Vorbringen des Wiedereinsetzungsantrages und dem Inhalt des hiergerichtlichen Aktes Zlen. 89/18/0062, 0063 folgenden Sachverhalt festgestellt:

Die derzeit 45-jährige Frau G ist seit 1. September 1986 bei Rechtsanwalt Dr. B angestellt, vorher hatte sie einen Monat auf Grund eines Werkvertrages dort gearbeitet. Dies war ihre erste Tätigkeit in einer Rechtsanwaltskanzlei. Sie arbeitet dort ganztags; dreimal wöchentlich arbeitet eine weitere Angestellte dort ungefähr je einen halben Tag mit. Diese andere Angestellte erledigt grundsätzlich die Tonbanddiktate des Rechtsanwaltes; Frau G hilft nur in dringenden Fällen aus. Sie macht die Buchhaltung, bedient das Telefon und arbeitet ziemlich selbständig in den zahlreichen Sachwalterschaften, für die Dr. B bestellt wurde. Das Kuvertieren der Post und auch die Postaufgabe besorgt meistens Dr. B selbst. Frau G verrichtet auch Behördenwege und hat eine Beglaubigungsurkunde vom 31. Mai 1988.

Infolge Zustellung des verwaltungsgerichtlichen Verbesserungsauftrages am 28. August 1989 lief die vierwöchige Frist am 25. September 1989 ab. Rechtsanwalt Dr. B diktierte bereits am 21. September 1989 den (neuen) Beschwerdeschriftsatz auf Tonband und übergab die Tonbänder am 22. September 1989 an Frau G mit dem Bemerken, sie möge die Schriftsätze des Beschwerdeführers sowie die angefochtenen Bescheide je im Original und in je zwei Kopien beilegen. Dr. B hatte auf Seite 1 des (neuen) Beschwerdeschriftsatzes rechts unten allerdings nur diktiert "dreifach 1 HS"; Beilagen hatte er in diesem Vermerk nicht erwähnt.

Am 22. September 1989 schrieb Frau G das Tonbanddiktat. Während sie noch schrieb, kam eine Kurandin des Rechtsanwaltes in seiner Eigenschaft als Sachwalter und hielt Frau G bei der Arbeit auf und von der Arbeit ab; die Kurandin brüllte und wollte die Kanzlei nicht verlassen. Dadurch kam Frau G in einen konfusen Zustand. Sie wußte auch bei ihrer Vernehmung nicht, ob sie die ihr mündlich aufgetragenen Kopien überhaupt anfertigte und verlegte oder ob sie sie gar nicht anfertigte. Sie legte also den Beschwerdeschriftsatz ohne die ihr mündlich aufgetragenen Beilagen in die Mappe und hatte von da an mit dieser Sache nichts mehr zu tun.

Der Rechtsanwalt unterschrieb, aus der Unterschriftsmappe entnommen, den Beschwerdeschriftsatz, kuvertierte ihn selbst, war aber mit seinen Gedanken noch bei dem Vorfall R, der ihn einigermaßen aufgeregt hatte. Es fiel ihm nicht auf, daß die mündlich aufgetragenen Beilagen nicht dabei waren. Er brachte den von ihm selbst kuvertierten Schriftsatz selbst zur Post.

Der Rechtsanwalt diktiert gewöhnlich auch das Rubrum der Schriftsätze und führt darin die Anzahl der Gleichschriften und Halbschriften, aber nur manchmal die Art und Anzahl der Beilagen an. Wenn er dies nicht tut, muß sich Frau G aus dem Inhalt des Schriftsatzes, z.B. aus dem Beweisanbot, die Beilagen heraussuchen. Frau G hat vom Rechtsanwalt keine allgemeine Information darüber erhalten, wann sie aus eigenem Beilagen auf Seite 1 von Schriftsätzen anführen soll und wann nicht. Diese Übung sieht vom Standpunkt des Rechtsanwaltes laut seiner Zeugenaussage so aus, daß er ganz allgemein die Beilagen im Rubrum seiner Schriftsätze nicht erwähnt, dies auch deshalb, weil ihm oft erst beim Text der Schriftsätze vorzulegende Beilagen einfallen und er diese dort, also im Schriftsatz, erwähnt. Eine allgemeine Weisung an die Kanzlei, insbesondere an Frau G, sie solle sich aus dem Text der Schriftsätze die vorzulegenden Beilagen heraussuchen und diese dann nachträglich auf Seite 1 anführen, besteht nicht. Der Rechtsanwalt hat Frau G keine speziellen Instruktionen über Behandlung von Beschwerden an den Verwaltungsgerichtshof erteilt. Solche Beschwerden kommen in seiner Kanzlei relativ selten vor. In Grundbuchssachen, die ebenfalls dort relativ selten vorkommen, werden die Beilagen nach dem Vorbild der Musterbücher für solche Sachen angeführt.

Frau G hat sich in der Kanzlei des Rechtsanwaltes Dr. B bisher immer als verläßlich erwiesen.

Diese Feststellungen werden in rechtlicher Hinsicht wie folgt gewürdigt:

Gemäß § 46 Abs. 1 VwGG ist einer Partei, wenn sie durch ein unvorhergesehenes oder unabwendbares Ereignis eine Frist versäumt und dadurch einen Rechtsnachteil erleidet, auf Antrag die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu bewilligen. Daß der Partei ein Verschulden an der Versäumung zur Last liegt, hindert die Bewilligung der Wiedereinsetzung nicht, wenn es sich nur um einen minderen Grad des Versehens handelt.

Nach dem Beschluß eines verstärkten Senates vom 21. Juni 1988, Zl. 87/07/0049, ist die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand auch gegen die unvollständige Erfüllung eines verwaltungsgerichtlichen Verbesserungsauftrages zulässig.

Nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes trifft ein Verschulden eines Angestellten eines Rechtsanwaltes allein nicht die sonst unschuldige Partei (Beschluß eines verstärkten Senates vom 25. März 1976, Slg. N.F. Nr. 9024/A); hingegen trifft das Verschulden des Parteienvertreters selbst auch die Partei (Beschluß eines verstärkten Senates vom 19. Jänner 1977, Slg. N.F. Nr. 9226/A).

Demnach erübrigen sich Erörterungen darüber, ob und in welchem Ausmaß die Angestellte G ein Verschulden an der Versäumung trifft.

Zu beurteilen ist vielmehr das Verhalten des Rechtsanwaltes selbst:

Es konnte nicht festgestellt werden, daß Rechtsanwalt Dr. B seiner Angestellten G, die vorher nie in einer Rechtsanwaltskanzlei tätig war, präzise Weisungen darüber gegeben hat, ob und in welchem Umfang Beilagen zu Schriftsätzen anzuschließen sind. Insbesondere wurde keine allgemeine Weisung erteilt, Frau G solle sich die notwendigen Beilagen aus dem Text der Schriftsätze heraussuchen und diese dann nachträglich auf Seite 1 anführen - denn beim diktierenden Rechtsanwalt selbst ist die Anführung von Beilagen im sogenannten Rubrum eher zufällig; er erwähnt im allgemeinen solche vorzulegenden Beilagen dort nicht, weil er sich darauf verläßt, daß ihm die Beilagen erst bei Textierung des Schriftsatzes einfallen und er sie dort, also im Schriftsatz, erwähnt.

Nach Ansicht des Verwaltungsgerichtshofes widerspricht es den rechtsanwaltlichen Pflichten, sich um die mit einem Schriftsatz vorzulegenden Beilagen nur kursorisch oder überhaupt nicht zu kümmern und sich nur bei Sachen, die durch besondere Formstrenge ausgezeichnet sind, wie z.B. bei Grundbuchssachen, auf Formularienbücher zu verlassen. Es konnte im vorliegenden Fall nicht festgestellt werden, daß der Rechtsanwalt dem Wortlaut des verwaltungsgerichtlichen Verbesserungsauftrages besondere Aufmerksamkeit geschenkt hätte, insbesondere dem oben zitierten vorletzten Absatz dieses Verbesserungsauftrages. Daraus ist erklärlich, daß die Frage der vorzulegenden und wieder vorzulegenden Beilagen offensichtlich vom Rechtsanwalt vernachlässigt wurde. Dies ergibt sich insbesondere daraus, daß er diesbezüglich an seine offenbar in solchen Sachen nicht besonders versierte Kanzleikraft nur einen mündlichen Auftrag erteilte, obwohl er wissen mußte, daß dieser mündliche Auftrag im Text seines Diktates nicht gedeckt war. Daß in der Folge Frau G infolge des Auftretens der Kurandin R den ihr mündlich erteilten Auftrag vergaß, ist ihr, weil rechtlich unentscheidend, nicht vorzuhalten; wohl aber dem Rechtsanwalt, daß er es, wie es schon aus Gründen der Selbstkontrolle geboten gewesen wäre, unterließ, die - bei der Einstellungspraxis des Verwaltungsgerichtshofes obligatorische - Vorlage und Wiedervorlage der Beilagen entweder im Diktat schriftlich anzuordnen oder selbst zu kontrollieren. Er hat weder das eine noch das andere getan; ihm unterlief hiemit ein Versehen, das nicht minderen Grades ist. Es kann diesbezüglich auf die Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes hingewiesen werden, wonach ein Rechtsanwalt sich bei der Unterfertigung von Schriftsätzen zu vergewissern hat, was er unterschreibt und ob er damit einem Verbesserungsauftrag auch vollständig nachkommt (vgl. Beschluß vom 27. Mai 1988, Zl. 88/18/0085).

Der vom Wiedereinsetzungsantrag zitierte hg. Beschluß vom 15. Oktober 1987, AnwBL 1988, 290, unterscheidet sich seinem zugrundeliegenden Sachverhalt nach ganz erheblich vom vorliegenden Fall: Dort handelte es sich darum, daß eine an sich verläßliche Kanzleikraft die ihr erteilte Weisung, ein Poststück an einem bestimmten Tag zur Post zu geben, mißachtete, somit um ausgesprochen weisungswidriges Verhalten in einem Bereich, der grundsätzlich der alleinigen Erledigung der Kanzlei (nämlich die Postaufgabe) überlassen werden kann. In DIESEM Zusammenhang prägte der Verwaltungsgerichtshof den Satz, das Institut der Wiedereinsetzung solle verhindern, daß einer Partei, die gegen ein unverschuldet und unvorhergesehen eintretendes Ereignis persönlich nichts unternehmen könne, wegen der prozessualen Folgen dieses Ereignisses die Prüfung ihres materiellen Anspruches verweigert wird. Daß aber die Wiedereinsetzung aus diesen Erwägungen auch bei einem mehr als minderen Versehen des Rechtsanwaltes zu bewilligen sei, wurde dort nicht ausgesprochen.

Die Voraussetzungen des § 46 Abs. 1 VwGG lagen im vorliegenden Falle nicht vor, so daß die begehrte Wiedereinsetzung nicht zu bewilligen war.

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