VwGH 90/18/0077

VwGH90/18/007727.6.1990

Antrag des N auf Bewilligung der Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Frist zur Erhebung einer Beschwerde an den Verwaltungsgerichtshof gegen den Bescheid der Wiener Landesregierung vom 3. November 1989, Zl. MA 14-N 2/86 betreffend Pflegegebühren nach dem Wiener Krankenanstaltengesetz

Normen

AVG §71 Abs1 lita;
VwGG §46 Abs1;
VwRallg;
AVG §71 Abs1 lita;
VwGG §46 Abs1;
VwRallg;

 

Spruch:

Die Wiedereinsetzung wird bewilligt.

Begründung

Mit Beschluß des Verwaltungsgerichtshofes vom 23. Februar 1990, Zlen. 90/18/0016, AW 90/18/0004, wurde die Beschwerde der Beschwerdeführerin gegen den Bescheid der Wiener Landesregierung vom 3. November 1989, Zl. MA 14-N/2/86, betreffend Pflegegebühren nach dem Wiener Krankenanstaltengesetz, als verspätet zurückgewiesen, da der angefochtene Bescheid am 20. Dezember 1989 zugestellt, die Beschwerde dagegen aber erst am 1. Februar 1990 zur Post gegeben wurde. Dieser Beschluß wurde dem gesetzlichen Vertreter der Beschwerdeführerin - dem gerichtlich für alle Angelegenheiten bestellten Sachwalter Rechtsanwalt Dr. D -, am 22. März 1990 zugestellt.

Mit Postaufgabedatum vom 5. April 1990 beantragte die Beschwerdeführerin die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Beschwerdefrist. Ihr Sachwalter habe die Fristeintragung selbst vorgenommen und hiebei aus unerklärlichen Gründen irrtümlich als letzten Fristtag den 1. Februar 1990 eingetragen; wahrscheinlich sei der Irrtum deshalb eingetreten, weil infolge des Jahreswechsels zwei Kalender hätten verwendet werden müssen. Dem Sachwalter sei in seiner Eigenschaft als Rechtsanwalt ein solcher Fristirrtum noch nie unterlaufen.

Die belangte Behörde hat in einem Schriftsatz vom 18. Juni 1990 erklärt, daß sie zu den Tatsachenbehauptungen des Wiedereinsetzungsantrages mangels Kenntnis der Umstände nicht Stellung nehmen könne.

Der Verwaltungsgerichtshof hat den Sachwalter Rechtsanwalt Dr. D als Beteiligten im Sinne des § 51 AVG 1950 vernommen und in die Fotokopie des Vormerkkalenders dieses Rechtsanwaltes, betreffend die Woche vom 29. Jänner bis 4. Februar 1990, Einsicht genommen. Auf Grund dieser Ermittlungsergebnisse wurde im Zusammenhalt mit dem Inhalt des hg. Aktes Zlen. 90/18/0016, AW 90/18/0004 unter Bedachtnahme auf das Vorbringen im Wiedereinsetzungsantrag festgestellt:

Dem Rechtsanwalt Dr. D ist in seiner Praxis als selbständiger Rechtsanwalt seit 1974 ein solcher Terminirrtum, wie im Wiedereinsetzungsantrag vorgebracht, noch nie unterlaufen. Der Rechtsanwalt nahm und nimmt die Termineintragungen in seiner Kanzlei immer selbst und allein vor, weil dies heikle Sachen sind. Die Post wird ihm täglich vorgelegt, während des Lesens trägt er sogleich allfällige Termine ein und paraphiert die Ladungen oder die Ausfertigungen, ab deren Zustellung eine Frist läuft. Er nimmt einen Kalender zur Hand, auf dessen je zwei Seiten die Tage von Montag bis Samstag aufscheinen, und geht vom Tag z.B. der Zustellung um soviele Wochen weiter, als die konkrete Frist beträgt und trägt dementsprechend den letzten Fristtag ein mit der Bemerkung "fix".

Im vorliegenden Fall ging er ebenso vor, doch mußte er, weil der Fristenlauf am Mittwoch, dem 20. Dezember 1989 begann, zwei Kalender zur Hand nehmen, nämlich den für 1989 und den für 1990. Er ging vom genannten Mittwoch aus und kam bei der Eintragung des letzten Fristtages aus ihm unerklärlichen Gründen auf Donnerstag, den 1. Februar 1990. Er konnte es nicht erklären, warum er den letzten Tag falsch eingetragen hatte; er nahm an, daß ihn die Notwendigkeit, zwei Kalender heranzuziehen, irritiert habe. Im Kalender für 1990 scheint für Mittwoch, den 31. Jänner, keine Eintragung auf, für Donnerstag, den 1. Februar, mehrere, darunter die Bemerkung "Verwaltungsgerichtshof N fix".

Diese Feststellungen werden in rechtlicher Hinsicht wie folgt gewürdigt:

Gemäß § 46 Abs. 1 VwGG ist einer Partei, wenn sie durch ein unvorhergesehenes oder unabwendbares Ereignis eine Frist versäumt und dadurch einen Rechtsnachteil erleidet, auf Antrag die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu bewilligen. Daß der Partei ein Verschulden an der Versäumung zur Last liegt, hindert die Bewilligung der Wiedereinsetzung nicht, wenn es sich nur um einen minderen Grad des Versehens handelt.

Nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes (Beschluß eines verstärkten Senates vom 19. Jänner 1977, Slg. N.F. Nr. 9226/A, und die darauf folgende Rechtsprechung) trifft das Verschulden des Parteienvertreters selbst auch die Partei.

Demnach ist zu beurteilen, ob es sich im vorliegenden Fall bei der Fehlleistung des Rechtsanwaltes um einen minderen Grad des Versehens handelt. Hinsichtlich dieses Begriffes schloß sich der Verwaltungsgerichtshof im wesentlichen der Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofes und Fasching an, wonach der Begriff grundsätzlich der leichten Fahrlässigkeit gleichzustellen sei. Bei einem rechtskundigen Parteienvertreter sei aber ein strengerer Maßstab anzulegen als an rechtsunkundige oder bisher nie an gerichtlichen Verfahren beteiligte Personen (EvBl 1987/94; Fasching, Lehrbuch des Zivilprozeßrechts2, Rz 580).

Im vorliegenden Fall ist kein Organisationsverschulden des Rechtsanwaltes zu prüfen, da dieser grundsätzlich die Termineintragungen selbst vornahm und vornimmt. In seiner 16-jährigen Praxis als selbständiger Rechtsanwalt ist ihm ein solches Terminversehen, wie im vorliegenden Fall, noch nie unterlaufen. Der Irrtum bei der Eintragung von nach Wochen zu berechnenden Fristen ist, insbesondere, wenn, wie im vorliegenden Fall, zufolge des Jahreswechsels zwei Kalender zur Hand genommen werden müssen, ein im täglichen Leben vorkommender Vorgang, der, wenn er sich nicht häuft, auf keine habituelle Untüchtigkeit des Irrenden schließen läßt. Daher liegt in einem solchen einmaligen Vorgang nach Ansicht des Verwaltungsgerichtshofes ein Versehen minderen Grades.

Der Wiedereinsetzungsantrag war daher zu bewilligen.

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