Normen
12010M004 EUV Art4 Abs3;
31989L0665 Rechtsmittel-RL Art2 Abs6;
31989L0665 Rechtsmittel-RL Art2f Abs1;
62006CJ0409 Winner Wetten VORAB;
62010CJ0606 ANAFE VORAB;
62010CO0476 projektart VORAB;
62014CJ0166 MedEval VORAB;
BVergG 2006 §332 Abs3;
BVergG 2006 §334 Abs2;
BVergG 2006 §334 Abs4;
BVergG 2006 §334 Abs5;
BVergG 2006 §341 Abs2;
EURallg;
VwRallg;
Spruch:
Die Spruchpunkte I und II des angefochtenen Bescheides werden wegen Rechtswidrigkeit des Inhaltes aufgehoben.
Der Bund hat der Beschwerdeführerin Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.326,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
I.
1. Mit dem vor dem Verwaltungsgerichtshof angefochtenen Bescheid des Bundesvergabeamtes (belangte Behörde) vom 13. Mai 2011 wurde - soweit für das vorliegende Verfahren von Relevanz - der Antrag der M GmbH (Beschwerdeführerin) vom 1. März 2011, gemäß § 312 Abs. 3 Z 3 des Bundesvergabegesetzes 2006 (BVergG 2006) festzustellen, dass die Durchführung des Vergabeverfahrens durch den H als öffentlicher Auftraggeber (erstmitbeteiligte Partei) betreffend die Umsetzung des Systems der e-Medikation mit der "P" (zweitmitbeteiligte Partei) ohne vorherige Bekanntmachung wegen eines Verstoßes gegen das BVergG 2006, die hierzu ergangenen Verordnungen oder unmittelbar anwendbares Gemeinschaftsrecht rechtswidrig war, zurückgewiesen (Spruchpunkt I). Der Antrag vom 23. März 2011 auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wurde gemäß § 71 AVG abgewiesen (Spruchpunkt II). Den Anträgen auf Ersatz der entrichteten Pauschalgebühren wurde teilweise stattgegeben (Spruchpunkt VI).
In der Begründung dieses Bescheides stellte die belangte Behörde - betreffend Spruchpunkt I - fest, dass die erstmitbeteiligte Partei am 10. August 2010 einen Vertrag mit der zweitmitbeteiligten Partei über die "Durchführung eines Pilotprojektes für das Projekt e-Medikation in drei Pilotregionen einschließlich der dafür erforderlichen Errichtungs- und Betriebsleistungen" abgeschlossen habe. Der Vertrag sei mit 10. August 2010 unterschrieben worden und an diesem Tag in Kraft getreten. Die erstmitbeteiligte Partei sei ein öffentlicher Auftraggeber im Sinn des § 3 BVergG 2006.
Unter Berufung auf die in § 332 Abs. 3 BVergG 2006 getroffene Regelung der Antragsfrist für Feststellungsanträge wie den hier vorliegenden führte die belangte Behörde aus, dass ein derartiger Antrag binnen sechs Monaten ab dem auf die Zuschlagserteilung folgenden Tag einzubringen sei. Nach den Erläuterungen zu dieser Bestimmung (RV 327 BlgNR 24. GP , 35) werde damit die Grundregel des Art. 2f Abs. 1 lit. b der Richtlinie 89/665/EWG in der Fassung der Richtlinie 2007/66/EG (im Folgenden: Rechtsmittelrichtlinie) umgesetzt, nach der ein auf die Nichtigkeit des Vertrages gerichteter Antrag binnen sechs Monaten einzubringen sei, "gerechnet ab dem Tag, der auf den Tag folgt, an dem der Vertrag geschlossen wurde". Bei der Frist des § 332 Abs. 3 BVergG 2006 handle es sich um eine absolute Frist, die unabhängig davon zu berechnen sei, ob der Antragsteller vom fristauslösenden Ereignis Kenntnis erlangt habe oder hätte erlangen können. Auch Art. 2f Abs. 1 lit. b der Rechtsmittelrichtlinie stelle darauf ab, dass von den Mitgliedstaaten "in jedem Fall" - somit auch ohne diesbezügliche Kenntnis - eine Frist von sechs Monaten vorgesehen werden könne. Weiters verwies die belangte Behörde auf Erwägungsgrund 25 der Richtlinie 2007/66/EG , dem zufolge durch die Festlegung einer angemessenen Mindest-Verjährungsfrist für die Rechtssicherheit hinsichtlich der Entscheidungen der öffentlichen Auftraggeber zu sorgen sei. § 332 Abs. 3 BVergG 2006 entspreche somit dem Ziel und Zweck der Rechtsmittelrichtlinie.
Mit der Unterfertigung des gegenständlichen Vertrages am 10. August 2010 sei der Zuschlag erteilt worden. Die Frist von sechs Monaten sei zum Zeitpunkt des Einlangens des Feststellungsantrags der Beschwerdeführerin am 1. März 2011 somit bereits abgelaufen gewesen, weshalb der Antrag zurückzuweisen gewesen sei.
Die Abweisung des Antrags auf Wiedereinsetzung (Spruchpunkt II) wurde damit begründet, dass es sich bei der Frist des § 332 BVergG 2006 um eine materiell-rechtliche Frist handle, weshalb eine Wiedereinsetzung wegen Versäumung dieser Frist nicht möglich sei.
2. In der gegen die Spruchpunkte I, II und VI dieses Bescheides gerichteten Beschwerde brachte die Beschwerdeführerin unter Verweis auf das Urteil des Gerichtshofes der Europäischen Union (EuGH) vom 28. Jänner 2010 in der Rechtssache C-406/08 , Uniplex, vor, dass Ausschlussfristen für Anträge auf Feststellung von vergaberechtlichen Verstößen und für Schadenersatzklagen mit dem Gebot eines effektiven Rechtsschutzes dann nicht vereinbar seien, wenn der Fristenlauf zu einem Zeitpunkt beginne, bevor der übergangene Bieter vom Rechtsverstoß Kenntnis erlangt habe oder hätte erlangen können. Zur Richtlinie 2007/66/EG führte die Beschwerdeführerin aus, dass die Fristenregelung des Art. 2f Abs. 1 auf Art. 2d dieser Richtlinie verweise, weshalb die Antragsfrist nur für die Erklärung der Unwirksamkeit des Vertrages auf sechs Monate beschränkt werden könne, nicht aber hinsichtlich anderer - im Wege einer Nachprüfung geltend gemachter - Ansprüche. Zwar sei die Festlegung von Fristen in allen anderen Fällen (als den auf die Unwirksamkeit eines Vertrages gerichteten Anträgen) den Mitgliedstaaten überlassen. Diese hätten dabei aber den Grundsätzen der Äquivalenz und der Effektivität Rechnung zu tragen, was bei der in § 332 Abs. 3 BVergG 2006 vorgesehenen Ausschlussfrist von maximal sechs Monaten ab Vertragsschluss nicht der Fall sei.
3. Die beiden mitbeteiligten Parteien erstatteten - ebenso wie die belangte Behörde - jeweils eine Gegenschrift, in der sie unter Verweis auf die Regelung des Art. 2f Abs. 1 lit. b der Rechtsmittelrichtlinie eine Unionsrechtswidrigkeit der nationalen Fristenregelung verneinten. Die Ausführungen des EuGH in seinem Urteil in der Rechtssache C-406/08 könnten auf die hier gegenständliche Konstellation nicht übertragen werden, weil zum einen eine sachverhaltsmäßig anders gelagerte Ausgangssituation vorgelegen sei und zum anderen dieses Urteil zur Richtlinie 89/665/EWG in der Fassung vor der Änderung durch die Richtlinie 2007/66/EG ergangen sei.
II.
1. Vorauszuschicken ist, dass es sich vorliegend nicht um einen Übergangsfall nach dem Verwaltungsgerichtsbarkeits-Übergangsgesetz handelt und somit gemäß § 79 Abs. 11 letzter Satz VwGG die bis zum Ablauf des 31. Dezember 2013 geltenden Bestimmungen des VwGG weiter anzuwenden sind.
2. Aus Anlass des vorliegenden Beschwerdefalls legte der Verwaltungsgerichtshof mit hg. Beschluss vom 25. März 2014, EU 2014/0002 (2011/04/0121), dem EuGH folgende Frage gemäß Art. 267 AEUV zur Vorabentscheidung vor:
"Ist das Unionsrecht - insbesondere die allgemeinen Grundsätze der Äquivalenz und der Effektivität sowie die Richtlinie 89/665/EWG des Rates vom 21. Dezember 1989 zur Koordinierung der Rechts- und Verwaltungsvorschriften für die Anwendung der Nachprüfungsverfahren im Rahmen der Vergabe öffentlicher Liefer- und Bauaufträge in der Fassung der Richtlinie 2007/66/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 11. Dezember 2007 zur Änderung der Richtlinien 89/665/EWG und 92/13/EWG des Rates im Hinblick auf die Verbesserung der Wirksamkeit der Nachprüfungsverfahren bezüglich der Vergabe öffentlicher Aufträge - dahin auszulegen, dass es einer nationalen Rechtslage entgegensteht, nach der ein Antrag auf Feststellung eines vergaberechtlichen Verstoßes binnen sechs Monaten nach Vertragsschluss gestellt werden muss, wenn die Feststellung eines vergaberechtlichen Verstoßes nicht nur Voraussetzung für die Nichtigerklärung des Vertrages, sondern auch für die Geltendmachung eines Schadenersatzanspruches ist?"
3. Mit Urteil vom 26. November 2015 in der Rechtssache C- 166/14 , MedEval - Qualitäts-, Leistungs- und Struktur- Evaluierung im Gesundheitswesen GmbH, beantwortete der EuGH diese Frage wie folgt:
"Das Recht der Europäischen Union, insbesondere der Grundsatz der Effektivität, steht einer nationalen Regelung entgegen, nach der die Erhebung einer Klage auf Schadensersatz wegen eines vergaberechtlichen Verstoßes von der vorherigen Feststellung abhängig gemacht wird, dass das Vergabeverfahren mangels vorheriger Bekanntgabe rechtswidrig war, und der Antrag auf Feststellung der Rechtswidrigkeit binnen einer sechsmonatigen Ausschlussfrist gestellt werden muss, die ab dem auf die Zuschlagserteilung folgenden Tag zu laufen beginnt - und zwar unabhängig davon, ob der Antragsteller von der Rechtswidrigkeit dieser Entscheidung des öffentlichen Auftraggebers Kenntnis haben konnte."
In den Entscheidungsgründen führte der EuGH unter anderem aus:
"30 Was die Fristen für die Nachprüfung betrifft, können die Mitgliedstaaten nach Art. 2f Abs. 1 der Richtlinie 89/665 - in diese eingefügt durch die Richtlinie 2007/66 - Fristen für die Nachprüfung gemäß Art. 2d der Richtlinie 89/665 mit dem Ziel, einen Vertrag für unwirksam erklären zu lassen, und insbesondere eine Ausschlussfrist von mindestens sechs Monaten vorsehen, die ab dem Tag zu laufen beginnt, der auf den Tag folgt, an dem der Vertrag geschlossen wurde.
31 Hierzu geht aus den Erwägungsgründen 25 und 27 der Richtlinie 2007/66 hervor, dass die Beschränkung der Geltendmachung der Unwirksamkeit eines Vertrags auf einen bestimmten Zeitraum durch ‚(d)ie Notwendigkeit (gerechtfertigt ist), für Rechtssicherheit hinsichtlich der Entscheidungen der öffentlichen Auftraggeber und der Auftraggeber zu sorgen', weshalb ‚(d)ie Effektivität dieser (Beschränkung) ... respektiert werden (sollte)'.
32 Hinsichtlich aller anderen Klagen betreffend öffentliche Aufträge einschließlich Klagen auf Schadensersatz führt Art. 2f Abs. 2 der Richtlinie 89/665 aus, dass vorbehaltlich des Art. 2c dieser Richtlinie - der übrigens für die Vorlagefrage nicht relevant ist - ‚die Fristen für die Beantragung einer Nachprüfung ... durch das einzelstaatliche Recht geregelt (werden)'. Folglich ist es Sache der einzelnen Mitgliedstaaten, diese Verfahrensfristen festzulegen.
...
35 Zu den Schadensersatzklagen ist festzustellen, dass die Mitgliedstaaten nach Art. 2 Abs. 6 der Richtlinie 89/665 die Erhebung einer solchen Klage davon abhängig machen können, dass die angefochtene Entscheidung zuvor ‚von einer mit den dafür erforderlichen Befugnissen ausgestatteten Stelle' aufgehoben wurde; diese Bestimmung enthält aber keine Regelung zu Klagefristen oder weiteren Voraussetzungen für die Zulässigkeit solcher Klagen.
36 Im vorliegenden Fall ist im Grundsatz ersichtlich, dass Art. 2 Abs. 6 der Richtlinie 89/665 einer Bestimmung des nationalen Rechts wie § 341 Abs. 2 des Bundesvergabegesetzes, nach dem die Feststellung eines dort erwähnten vergaberechtlichen Verstoßes Voraussetzung für die Erhebung einer Schadensersatzklage ist, nicht entgegensteht. Allerdings führt die Anwendung von § 341 Abs. 2 des Bundesvergabegesetzes in Verbindung mit dessen § 332 Abs. 3 dazu, dass eine Schadensersatzklage unzulässig ist, wenn nicht zuvor eine die Rechtswidrigkeit des betreffenden Vertrags feststellende Entscheidung erwirkt wurde, die in einem Verfahren ergeht, für das eine sechsmonatige Ausschlussfrist gilt, die ab dem auf die betreffende Zuschlagserteilung folgenden Tag zu laufen beginnt - und zwar unabhängig davon, ob der Kläger von der Rechtswidrigkeit dieser Zuschlagsentscheidung Kenntnis haben konnte.
37 Angesichts der Erwägungen in den Rn. 32 und 35 des vorliegenden Urteils ist es Sache der Mitgliedstaaten, die Verfahrensmodalitäten für Schadensersatzklagen festzulegen. Diese Verfahrensmodalitäten dürfen jedoch nicht weniger günstig ausgestaltet sein als die für entsprechende innerstaatliche Rechtsbehelfe (Grundsatz der Äquivalenz) und die Ausübung der durch die Unionsrechtsordnung verliehenen Rechte nicht praktisch unmöglich machen oder übermäßig erschweren (Grundsatz der Effektivität) (vgl. in diesem Sinne Urteile eVigilo, C-538/13 , EU:C:2015:166, Rn. 39, und Orizzonte Salute, C-61/14 , EU:C:2015:655, Rn. 46).
38 Daher ist zu prüfen, ob die Grundsätze der Effektivität und der Äquivalenz einer nationalen Regelung wie der in Rn. 36 des vorliegenden Urteils dargestellten entgegenstehen.
39 Was den Grundsatz der Effektivität betrifft, sind die Anforderungen an die Rechtssicherheit betreffend die Zulässigkeitsvoraussetzungen für Klagen unterschiedlich hoch, je nach dem, ob es sich um Schadensersatzklagen oder um Nachprüfungsverfahren mit dem Ziel handelt, einem Vertrag die Wirksamkeit zu entziehen.
40 Wird nämlich einem Vertrag im Anschluss an ein Verfahren der öffentlichen Auftragsvergabe die Wirksamkeit entzogen, wird dem Bestehen dieses Vertrags und eventuell seiner Durchführung ein Ende gesetzt, was einen wesentlichen Eingriff der Verwaltungsbehörde oder des Gerichts in die vertraglichen Beziehungen zwischen den Einzelnen und den staatlichen Stellen darstellt. Eine solche Entscheidung kann daher zu einer beträchtlichen Störung und zu wirtschaftlichen Verlusten nicht nur auf Seiten des Empfängers des Zuschlags für den betreffenden öffentlichen Auftrag, sondern auch auf Seiten des öffentlichen Auftraggebers und folglich der Öffentlichkeit als dem durch die Erbringung von Bau- oder Dienstleistungen, die Gegenstand des betreffenden öffentlichen Auftrags sind, letztlich Begünstigten führen. Wie aus den Erwägungsgründen 25 und 27 der Richtlinie 2007/66 hervorgeht, hat der Unionsgesetzgeber dem Erfordernis der Rechtssicherheit bei Nachprüfungen mit dem Ziel, einem Vertrag die Wirksamkeit zu entziehen, größere Bedeutung beigemessen als bei Schadensersatzklagen.
41 Das Recht auf Erhebung einer Schadensersatzklage kann praktisch unmöglich gemacht oder übermäßig erschwert werden, falls die Zulässigkeit von Schadensersatzklagen von der vorherigen Feststellung abhängig gemacht wird, dass das Vergabeverfahren mangels vorheriger Bekanntgabe rechtswidrig war, und dieser Feststellungsantrag binnen einer sechsmonatigen Ausschlussfrist gestellt werden muss, ohne dass berücksichtigt wird, ob die geschädigte Person vom Vorliegen eines Rechtsverstoßes Kenntnis hatte.
42 Fehlt es an einer vorherigen Bekanntmachung, birgt eine solche Sechsmonatsfrist nämlich die Gefahr, dass eine geschädigte Person nicht die Möglichkeit hat, die für eine etwaige Klage notwendigen Informationen zu sammeln, und bildet somit ein Hindernis für die Erhebung dieser Klage.
43 Die Gewährung von Schadensersatz an durch einen vergaberechtlichen Verstoß geschädigte Personen stellt nur einen der vom Unionsrecht garantierten Rechtsbehelfe dar. Dementsprechend würden der geschädigten Person unter Umständen wie denen des Ausgangsverfahrens nicht nur die Möglichkeit, die Entscheidung des öffentlichen Auftraggebers aufheben zu lassen, sondern auch sämtliche in Art. 2 Abs. 1 der Richtlinie 89/665 vorgesehenen Rechtsbehelfe genommen.
44 Folglich steht der Grundsatz der Effektivität einer Regelung wie der im Ausgangsverfahren in Rede stehenden entgegen."
4. Die unmittelbare Anwendung und den Vorrang von unionsrechtlichen Bestimmungen haben sowohl die Gerichte als auch die Verwaltungsbehörden der Mitgliedstaaten zu beachten. Nach der ständigen Rechtsprechung des EuGH ist jedes im Rahmen seiner Zuständigkeit angerufene nationale Gericht als Organ eines Mitgliedstaates verpflichtet, in Anwendung des in Art. 4 Abs. 3 EUV niedergelegten Grundsatzes der Zusammenarbeit das unmittelbar geltende Unionsrecht anzuwenden und die Rechte, die es dem Einzelnen verleiht, zu schützen (vgl. das hg. Erkenntnis vom 23. Oktober 2013, 2012/03/0102, 0103, mwN auch zur Rechtsprechung des EuGH).
Nationales Recht, das im Widerspruch zu unmittelbar anwendbarem Unionsrecht steht, ist verdrängt. Die Verdrängungswirkung des Unionsrechts hat zur Folge, dass die nationale Regelung in jener Gestalt anwendbar bleibt, in der sie nicht mehr im Widerspruch zum Unionsrecht steht. Nationales Recht bleibt insoweit unangewendet, als ein Verstoß gegen unmittelbar anwendbares Unionsrecht gegeben ist. Die Verdrängung darf also bloß jenes Ausmaß umfassen, das gerade noch hinreicht, um einen unionsrechtskonformen Zustand herbeizuführen. Dabei sind die unionsrechtlichen Erfordernisse in das nationale Gesetz "hineinzulesen" (siehe das hg. Erkenntnis vom 17. April 2008, 2008/15/0064, mwH).
5. Der EuGH hat im Urteil C-166/14 die innerstaatliche Regelung, nach der die Erhebung einer Klage auf Schadensersatz wegen eines vergaberechtlichen Verstoßes von der vorherigen Feststellung abhängig gemacht wird, dass das Vergabeverfahren mangels vorheriger Bekanntgabe rechtswidrig war, und der Antrag auf Feststellung der Rechtswidrigkeit binnen einer sechsmonatigen, absoluten Ausschlussfrist gestellt werden muss, als mit dem unionsrechtlichen Effektivitätsgrundsatz nicht in Einklang stehend angesehen. Die Unionsrechtswidrigkeit resultiert somit aus der Verknüpfung der Regelung des § 341 Abs. 2 BVergG 2006 mit derjenigen des § 332 Abs. 3 BVergG 2006.
In seiner Begründung verweist der EuGH ausdrücklich darauf, dass Art. 2 Abs. 6 der Rechtsmittelrichtlinie einer Bestimmung des nationalen Rechts wie § 341 Abs. 2 BVergG 2006, nach dem die Feststellung eines dort erwähnten vergaberechtlichen Verstoßes Voraussetzung für die Erhebung einer Schadensersatzklage ist, nicht entgegensteht (Rn. 36). Jedoch birgt die Sechsmonatsfrist - so der EuGH - in Fällen, in denen es an einer ausdrücklichen Bekanntmachung fehlt, die Gefahr, dass eine geschädigte Person nicht die für eine etwaige Klage notwendigen Informationen sammeln kann (Rn. 42). Die Verdrängung dieser Sechsmonatsfrist (als Voraussetzung für die Einbringung eines Feststellungsantrags und damit mittelbar für die Erhebung einer Schadensersatzklage) würde den Verstoß gegen den unionsrechtlichen Effektivitätsgrundsatz jedenfalls beseitigen.
Insoweit im Hinblick auf den Tenor des EuGH-Urteils C-166/14 die Herbeiführung eines unionsrechtkonformen Zustandes auf unterschiedlichem Weg, nämlich nicht nur durch die Verdrängung der Fristenregelung (für Feststellungsanträge) des § 332 Abs. 3 BVergG 2006, sondern alternativ durch die Verdrängung der Zulässigkeitsvoraussetzung (für eine Schadenersatzklage) des § 341 Abs. 2 BVergG 2006 als möglich angesehen wird, ist Folgendes auszuführen:
Verdrängung von nationalem Recht durch unmittelbar anwendbares Unionsrecht so zu verstehen, dass es der Vollziehung offen stünde, nach Belieben eine der mehreren unionskonformen Lösungen zur Anwendung zu bringen, brächte einen Eingriff der Vollziehung in den der Gesetzgebung vorbehaltenen Bereich der rechtspolitischen Gestaltung mit sich. Daher darf im Wege der Verdrängung nur jene von mehreren unionskonformen Lösungen zur Anwendung gelangen, mit welcher die Entscheidung des nationalen Gesetzgebers so weit wie möglich erhalten bleibt (siehe wiederum das bereits zitierte Erkenntnis 2008/15/0064 sowie das hg. Erkenntnis vom 25. Oktober 2011, 2011/15/0070).
Auf der Ebene der Rechtsmittelrichtlinie sehen sowohl Art. 2 Abs. 6 (betreffend die Aufhebung der Entscheidung eines Auftraggebers als Voraussetzung für eine Schadenersatzklage wegen Rechtswidrigkeit dieser Entscheidung) als auch Art. 2f Abs. 1 (betreffend die sechsmonatige Antragsfrist) vor, dass die Mitgliedstaaten derartige Regelungen "vorsehen können".
Im Hinblick auf die dem Bundesvergabegesetz 2006 zugrunde liegenden Wertungsentscheidungen wird nicht übersehen, dass mit § 332 Abs. 3 BVergG 2006 den Erläuterungen zufolge (RV 327 BlgNR 24. GP , 35) die - der Rechtssicherheit dienende - Grundregel des Art. 2f Abs. 1 lit. b der Rechtsmittelrichtlinie bewusst umgesetzt werden sollte. Allerdings steht einer Verdrängung der Zulässigkeitsvoraussetzung des § 341 Abs. 2 BVergG 2006 entgegen, dass mit dieser Bestimmung nach den Erläuterungen nicht nur einer übermäßigen Arbeitsbelastung der ordentlichen Gerichte vorgebeugt (RV 927 BlgNR 18. GP , 71; AB 1118 BlgNR 21. GP , 67), sondern auch - ebenfalls im Interesse der Rechtssicherheit - die Gefahr von einander widersprechenden Entscheidungen hintangehalten werden sollte (so im Zusammenhang mit wettbewerbsrechtlichen Unterlassungsansprüchen RV 1171 BlgNR 22. GP , 146, wo auch von der zwingenden Durchführung eines Feststellungsverfahrens vor der Vergabekontrollbehörde als Voraussetzung für die Zulässigkeit einer Schadenersatzklage die Rede ist).
Ausgehend davon wird nach Auffassung des Verwaltungsgerichtshofes durch eine Verdrängung der in § 332 Abs. 3 BVergG 2006 vorgesehenen sechsmonatigen absoluten Ausschlussfrist als Schranke für die Einbringung eines der dort aufgezählten Feststellungsanträge in das System des Bundesvergabegesetzes 2006 weniger eingegriffen als durch eine Verdrängung der - die Verteilung der Zuständigkeiten zwischen den ordentlichen Gerichten und den Verwaltungsgerichten betreffende - Zulässigkeitsvoraussetzung für Schadenersatzklagen des § 341 Abs. 2 BVergG 2006.
Die belangte Behörde hat im vorliegenden Fall den Feststellungsantrag der Beschwerdeführerin betreffend den hier maßgeblichen Vertragsschluss vom 10. August 2010 zurückgewiesen, weil die absolute Frist von sechs Monaten gemäß § 332 Abs. 3 BVergG 2006 zum Zeitpunkt der Antragstellung bereits abgelaufen gewesen und der Antrags somit verspätet eingebracht worden sei. Entsprechend den obigen Ausführungen hätte die belangte Behörde den zugrunde liegenden Feststellungsantrag aber infolge Verdrängung dieser Antragsfrist durch unmittelbar anwendbares Unionsrecht nicht wegen Fristversäumung zurückweisen dürfen.
6. Für das fortgesetzte Verfahren wird darauf hingewiesen, dass die Unanwendbarkeit der absoluten Sechsmonatsfrist als Zulässigkeitsvoraussetzung für einen Feststellungsantrag nicht dazu führt, dass eine allenfalls getroffene Feststellung jedenfalls die Nichtigerklärung des Vertrages nach § 334 BVergG 2006 nach sich ziehen muss. Der EuGH hat in Rn. 31 des Urteils C-166/14 zum Ausdruck gebracht, dass die Beschränkung der Geltendmachung der Unwirksamkeit eines Vertrages auf einen bestimmten Zeitraum durch die Notwendigkeit gerechtfertigt ist, für Rechtssicherheit zu sorgen, weshalb die Effektivität dieser Beschränkung respektiert werden sollte. Nach den Erläuterungen zu § 332 Abs. 3 BVergG 2006 (RV 327 BlgNR 24. GP 35) soll das Ziel der Rechtssicherheit auch innerstaatlich verfolgt werden. Der Gesetzgeber hat somit den klaren Willen bekundet, eine Nichtigerklärung von Verträgen nur bei einer Antragstellung innerhalb von sechs Monaten nach Vertragsschluss vorsehen zu wollen, während danach der Rechtssicherheit gegenüber dem diesbezüglichen Rechtsschutzinteresse des Antragstellers der Vorrang eingeräumt werden soll. Im Hinblick auf diesen - auch im Unionsrecht anerkannten - Stellenwert der Rechtssicherheit ist es gerechtfertigt, nach Ablauf von sechs Monaten ab dem auf die Zuschlagserteilung folgenden Tag das Vorliegen eines zwingenden Grundes eines Allgemeininteresses im Sinn des § 334 Abs. 2 zweiter Satz BVergG 2006 anzunehmen, was zur Folge hat, dass - auf Antrag -
von einer Nichtigerklärung des Vertrages oder einer Aufhebung des Vertrages gemäß § 334 Abs. 4 oder 5 BVergG 2006 abzusehen und der Vertrag aufrechtzuerhalten ist (zur Verhängung einer Geldbuße vgl. demgegenüber das hg. Erkenntnis vom 11. November 2015, Ra 2015/04/0073).
7. Ungeachtet dessen war Spruchpunkt I des angefochtenen Bescheides im Hinblick auf die Ausführungen unter Punkt 5 gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufzuheben.
8. Die Beschwerdeführerin hat den Antrag auf Wiedereinsetzung erkennbar hilfsweise für den Fall der Versäumung der Antragsfrist eingebracht. Ausgehend davon bedingt die Aufhebung des Spruchpunktes I (betreffend die Zurückweisung des Feststellungsantrages wegen Versäumung der Antragsfrist) auch die Aufhebung des Spruchpunktes II (betreffend die Abweisung des Wiedereinsetzungsantrags), weil über diesen Antrag nur für den Fall der Versäumung der Antragsfrist abzusprechen war. Spruchpunkt II des angefochtenen Bescheides war daher ebenfalls gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufzuheben.
9. Soweit die Beschwerdeführerin auch die Aufhebung des Spruchpunktes VI des angefochtenen Bescheides beantragt hat, genügt es darauf hinzuweisen, dass dieser Spruchpunkt bereits mit dem (auf Grund einer Beschwerde der erstmitbeteiligten Partei ergangenen) hg. Erkenntnis vom 17. Juni 2014, 2012/04/0032, 0034, aufgehoben worden ist.
10. Die Entscheidung über den Aufwandersatz beruht (gemäß § 79 Abs. 11 letzter Satz VwGG sowie § 3 Z 1 der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2014, BGBl. II Nr. 518/2013 in der Fassung BGBl. II Nr. 8/2014) auf den §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit § 1 der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2008, BGBl. II Nr. 455.
Wien, am 16. März 2016
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