VwGH Ra 2015/04/0073

VwGHRa 2015/04/007311.11.2015

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Blaschek und die Hofräte Dr. Kleiser und Dr. Mayr, die Hofrätin Mag. Hainz-Sator sowie den Hofrat Dr. Pürgy als Richter, im Beisein des Schriftführers Mag. Pichler, über die Revision der revisionswerbenden Parteien 1. R und 2. B GmbH, beide in W und vertreten durch die Finanzprokuratur in 1011 Wien, Singerstraße 17-19, gegen Spruchpunkt A. III. des Erkenntnisses des Bundesverwaltungsgerichts vom 22. Dezember 2014, Zl. W187 2014517-1/10E, betreffend Verhängung einer vergaberechtlichen Geldbuße (mitbeteiligte Partei: G Ges.m.b.H. in M, vertreten durch Mayer Strehn Rechtsanwälte GmbH in 1010 Wien, Wipplingerstraße 32), zu Recht erkannt:

Normen

12010E260 AEUV Art260;
31989L0665 Rechtsmittel-RL Art2e Abs2;
32007L0066 Nov-31989L0665/31992L0013 Art2d;
32007L0066 Nov-31989L0665/31992L0013 Art2e;
62004CJ0503 Kommission / Deutschland;
62008CJ0271 Kommission / Deutschland;
62008CJ0568 Combinatie Spijker Infrabouw-De Jonge Konstruktie VORAB;
62009CJ0314 Strabag VORAB;
62013CJ0378 Kommission / Griechenland;
AVG §37;
AVG §45 Abs2;
AVG §45 Abs3;
BVergG 2006 §312 Abs3 Z3;
BVergG 2006 §312 Abs3 Z4;
BVergG 2006 §312 Abs3 Z5;
BVergG 2006 §312 Abs3;
BVergG 2006 §334 Abs2;
BVergG 2006 §334 Abs4;
BVergG 2006 §334 Abs7;
BVergG 2006 §334 Abs8;
EURallg;
KartG 2005 §29;
VwGVG 2014 §17;
VwRallg;

 

Spruch:

Die Revision wird als unbegründet abgewiesen.

Begründung

I.

Angefochtenes Erkenntnis

Mit Spruchpunkt A. III. des angefochtenen Erkenntnisses des Bundesverwaltungsgerichtes (Verwaltungsgericht) wurden die revisionswerbenden Auftraggeberinnen - nach Feststellung gemäß § 312 Abs. 3 Z 3 Bundesvergabegesetz 2006 (BVergG 2006), dass seitens der revisionswerbenden Auftraggeberinnen das Vergabeverfahren "Lieferung von Hygienepapier 2011; GZ X/Y" in rechtswidriger Weise ohne vorherige Bekanntmachung durchgeführt wurde (Spruchpunkt A. I.) - verpflichtet, eine Geldbuße von EUR 367.000,-- zu entrichten. Diese sei dem Forschungsförderungsfonds binnen vier Wochen ab Zustellung des Erkenntnisses zu bezahlen.

Mit Spruchpunkt C des angefochtenen Erkenntnisses wurde die Revision für nicht zulässig erklärt.

Spruchpunkt A. III. begründete das Verwaltungsgericht im Wesentlichen damit, dass gemäß § 334 Abs. 7 BVergG 2006 eine Geldbuße im Ausmaß bis zu 20% der Auftragssumme zu verhängen gewesen sei, weil wegen der Erfüllung und Beendigung des Vertrages sowie der fehlenden Möglichkeit einer Rückstellung der Leistungen von der Nichtigerklärung des Vertrages abgesehen habe werden müssen.

Dabei sei vom Wert des vergebenen Auftrags auszugehen, welcher EUR 12,240.000,-- betrage (Auftragssumme). Bei der Bemessung der Geldbuße seien Erschwerungs- und Milderungsgründe gemäß § 334 Abs. 8 BVergG 2006 zu berücksichtigen. Erschwerend gemäß § 5 Abs. 2 Z 2 Verbandsverantwortlichkeitsgesetz (VbVG) sei, dass der Vertrag zur Gänze abgewickelt worden sei. Mildernd im Sinne des § 5 Abs. 3 Z 3 VbVG seien der Beitrag der Auftraggeberinnen zur Wahrheitsfindung, die Erstmaligkeit dieses Verhaltens und der zumindest bis 2013 berechtigte Glaube an die Rechtmäßigkeit des Verhaltens zu berücksichtigen gewesen. Zu letzterem Milderungsgrund führte das Verwaltungsgericht näher aus, zumindest bis 2013 seien die Entscheidungen der Auftraggeberinnen nicht beanstandet worden. Insofern könne den Auftraggeberinnen zumindest bis zum Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes vom 6. März 2013, 2011/04/0115, 0130 und 0139, keine besondere Sorglosigkeit beim Abschluss des Vertrages und Bezug von Leistungen aus dem Vertrag vorgeworfen werden.

Das Verwaltungsgericht erachte daher eine Geldbuße in der Höhe von 3% der Auftragssumme als angemessen, die geeignet erscheine, die Auftraggeberinnen in Zukunft von gleichartigen Übertretungen des BVergG 2006 abzuhalten.

Verfahren vor dem Verfassungsgerichtshof

Gegen diesen Spruchpunkt des Erkenntnisses (A. III.) erhoben die revisionswerbenden Auftraggeberinnen zunächst Beschwerde an den Verfassungsgerichtshof (VfGH).

Dieser lehnte die Behandlung der Beschwerde mit Beschluss vom 11. Juni 2015, E 254/2015-8, ab und trat sie gemäß Art. 144 Abs. 3 B-VG dem Verwaltungsgerichtshof zur Entscheidung ab. Diesen Beschluss begründete der VfGH im Wesentlichen damit, dass spezifisch verfassungsrechtliche Überlegungen zur Beantwortung der von den revisionswerbenden Auftraggeberinnen aufgeworfenen Fragen nicht anzustellen gewesen seien. Dies gelte insbesondere für die Frage der Bemessung der Höhe der bei Vorliegen der Voraussetzungen des § 334 Abs. 4 BVergG 2006 zu verhängenden Geldbuße gemäß § 334 Abs. 7 und 8 BVergG 2006. Dabei verwies der VfGH auf die Erläuterungen zu dieser Bestimmung in RV 327 BlgNR 24. GP , 38 f, sowie auf Art. 2e Abs. 2 der Richtlinie 89/665/EWG in der Fassung der Richtlinie 2007/66/EG . Auch die Beurteilung, ob Fragen der Intensität der mit dem Vergaberechtsverstoß bewirkten Wettbewerbsverzerrung bei dieser Bemessung zu berücksichtigen seien und ob der Umstand, dass die Auftraggeberinnen ihr Verhalten an Entscheidungen der zuständigen Vergabenachprüfungsinstanz ausgerichtet hätten, angemessen in die Bemessung eingeflossen sei, erfordere keine spezifisch verfassungsrechtlichen Überlegungen.

Revision

Gegen diesen Spruchpunkt (A. III.) richtet sich die an den Verwaltungsgerichtshof erhobene (außerordentliche) Revision, die vom Verwaltungsgericht gemäß § 30a Abs. 7 VwGG unter Anschluss der Akten des Verfahrens vorgelegt wurde.

II.

 

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

Grundsätzlich

Die (außerordentliche) Revision wirft die grundsätzlichen Rechtsfragen auf, ob § 334 BVergG 2006 ein Verschulden des öffentlichen Auftraggebers bzw. die Möglichkeit, den Vertrag für nichtig zu erklären, als Voraussetzung für die Verhängung einer (vergaberechtlichen) Geldbuße normiert.

Die Revision ist zulässig. Sie ist jedoch nicht berechtigt. Rechtslage

§ 334 BVergG 2006, BGBl. I Nr 17 in der Fassung BGBl. I Nr. 128/2013, lautet (bezogen auf den hier maßgeblichen Oberschwellenbereich) auszugsweise:

"Feststellung von Rechtsverstößen, Nichtigerklärung und Verhängung von Sanktionen

§ 334. (1) Das Bundesverwaltungsgericht hat eine Feststellung gemäß § 312 Abs. 3 Z 1 und 5 und Abs. 4 Z 1 und 3 nur dann zu treffen, wenn die Rechtswidrigkeit für den Ausgang des Vergabeverfahrens von wesentlichem Einfluss war.

(2) Soweit in diesem Absatz und in den Abs. 4 und 5 nicht anderes bestimmt ist, hat das Bundesverwaltungsgericht im Oberschwellenbereich den Vertrag im Anschluss an eine Feststellung gemäß § 312 Abs. 3 Z 3 bis 5 für absolut nichtig zu erklären. Das Bundesverwaltungsgericht hat von einer Nichtigerklärung des Vertrages oder einer Aufhebung des Vertrages gemäß den Abs. 4 oder 5 abzusehen, wenn der Auftraggeber dies beantragt hat und zwingende Gründe eines Allgemeininteresses es rechtfertigen, den Vertrag aufrechtzuerhalten. Wirtschaftliche Interessen, die in unmittelbarem Zusammenhang mit dem betreffenden Vertrag stehen, können die Aufrechterhaltung des Vertrages nicht rechtfertigen, andere wirtschaftliche Interessen nur dann, wenn die Nichtigkeit in Ausnahmefällen unverhältnismäßige Folgen hätte.

...

(4) Kann die erbrachte Leistung oder ein erbrachter Leistungsteil nicht mehr oder nur wertvermindert rückgestellt werden, so hat das Bundesverwaltungsgericht, sofern Abs. 5 nicht zur Anwendung kommt, im Anschluss an eine Feststellung gemäß § 312 Abs. 3 Z 3 bis 5 auszusprechen, dass der Vertrag nur soweit aufgehoben wird, als Leistungen noch ausständig oder erbrachte Leistungen noch ohne Wertverminderung rückstellbar sind.

(5) Das Bundesverwaltungsgericht kann im Anschluss an eine Feststellung gemäß § 312 Abs. 3 Z 3 bis 5 aussprechen, dass der Vertrag mit dem Zeitpunkt der Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichtes oder einem späteren Zeitpunkt aufgehoben wird, wenn der Auftraggeber dies beantragt hat. Das Bundesverwaltungsgericht hat dafür das Interesse des Auftraggebers an der Aufrechterhaltung bestimmter vertraglicher Rechte und Pflichten, das Interesse des Antragstellers an der Aufhebung des Vertrages sowie allfällige betroffene öffentliche Interessen gegeneinander abzuwägen.

...

(7) Wenn das Bundesverwaltungsgericht von der Nichtigerklärung des Vertrages gemäß den Abs. 2 erster Satz oder 3 abgesehen hat, dann ist eine Geldbuße über den Auftraggeber zu verhängen, die wirksam, angemessen und abschreckend sein muss. Die Höchstgrenze für eine Geldbuße beträgt 20 vH, im Unterschwellenbereich 10 vH, der Auftragssumme. Geldbußen fließen dem Fonds zur Förderung der wissenschaftlichen Forschung (§ 2 des Bundesgesetzes zur Förderung der Forschung und Technologieentwicklung, BGBl. Nr. 434/1982) zu.

(8) Das Bundesverwaltungsgericht hat bei der Verhängung der Geldbuße die Schwere des Verstoßes, die Vorgangsweise des Auftraggebers sowie sinngemäß die Erschwerungs- und Milderungsgründe gemäß § 5 des Verbandsverantwortlichkeitsgesetzes - VbVG, BGBl. I Nr. 151/2005, heranzuziehen und zu berücksichtigen, in welchem Ausmaß der Vertrag aufrecht erhalten wird."

Die Richtlinie 2007/66/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 11. Dezember 2007 zur Änderung der Richtlinien 89/665/EWG und 92/13/EWG des Rates im Hinblick auf die Verbesserung der Wirksamkeit der Nachprüfungsverfahren bezüglich der Vergabe öffentlicher Aufträge, ABl. L 335 vom 20.12.2007, S. 31-46 (Richtlinie 2007/66 ), lautet auszugsweise:

"in Erwägung nachstehender Gründe:

...

(13) Um gegen die rechtswidrige freihändige Vergabe von Aufträgen vorzugehen, die der Gerichtshof als die schwerwiegendste Verletzung des Gemeinschaftsrechts im Bereich des öffentlichen Auftragswesens durch öffentliche Auftraggeber oder Auftraggeber bezeichnet hat, sollten wirksame, verhältnismäßige und abschreckende Sanktionen vorgesehen werden. Ein Vertrag, der aufgrund einer rechtswidrigen freihändigen Vergabe zustande gekommen ist, sollte daher grundsätzlich als unwirksam gelten. Die Unwirksamkeit sollte nicht automatisch gelten, sondern durch eine unabhängige Nachprüfungsstelle festgestellt werden oder auf der Entscheidung einer unabhängigen Nachprüfungsstelle beruhen.

(14) Die Unwirksamkeit ist das beste Mittel, um den Wettbewerb wiederherzustellen und neue Geschäftsmöglichkeiten für die Wirtschaftsteilnehmer zu schaffen, denen rechtswidrig Wettbewerbsmöglichkeiten vorenthalten wurden. Eine freihändige Vergabe im Sinne dieser Richtlinie sollte alle Auftragsvergaben ohne vorherige Veröffentlichung einer Bekanntmachung im Amtsblatt der Europäischen Union im Sinne der Richtlinie 2004/18/EG umfassen. ...

...

(19) Bei anderen Verstößen gegen förmliche Anforderungen können die Mitgliedstaaten den Grundsatz der Unwirksamkeit als ungeeignet betrachten. In diesen Fällen sollten die Mitgliedstaaten die Möglichkeit haben, alternative Sanktionen vorzusehen. Alternative Sanktionen sollten auf die Verhängung von Geldbußen bzw. -strafen, die an eine von dem öffentlichen Auftraggeber oder dem Auftraggeber unabhängige Stelle zu zahlen sind, oder auf die Verkürzung der Laufzeit des Vertrags beschränkt sein. Es obliegt den Mitgliedstaaten, die Einzelheiten der alternativen Sanktionen und die Bestimmungen für ihre Anwendung festzulegen.

...

(22) Um zu gewährleisten, dass die Verhältnismäßigkeit der Sanktionen gewahrt bleibt, können die Mitgliedstaaten der für die Nachprüfungsverfahren zuständigen Stelle die Möglichkeit geben, den Vertrag nicht für unwirksam zu erklären oder einige oder alle zeitlichen Wirkungen des Vertrags anzuerkennen, wenn zwingende Gründe eines Allgemeininteresses dies in Ausnahmesituationen rechtfertigen. In diesen Fällen sollten stattdessen alternative Sanktionen zur Anwendung gelangen. Die von dem öffentlichen Auftraggeber oder dem Auftraggeber unabhängige Nachprüfungsstelle sollte alle relevanten Aspekte prüfen, um festzustellen, ob zwingende Gründe eines Allgemeininteresses es erfordern, dass die Wirkungen des Vertrags bestehen bleiben.

...

Artikel 2d

Unwirksamkeit

(1) Die Mitgliedstaaten tragen in folgenden Fällen dafür Sorge, dass ein Vertrag durch eine von dem öffentlichen Auftraggeber unabhängige Nachprüfungsstelle für unwirksam erklärt wird oder dass sich seine Unwirksamkeit aus der Entscheidung einer solchen Stelle ergibt,

a) falls der öffentliche Auftraggeber einen Auftrag ohne vorherige Veröffentlichung einer Bekanntmachung im Amtsblatt der Europäischen Union vergeben hat, ohne dass dies nach der Richtlinie 2004/18/EG zulässig ist,

...

(2) Die Folgen der Unwirksamkeit eines Vertrags richten sich nach einzelstaatlichem Recht.

Die einzelstaatlichen Rechtsvorschriften können somit vorsehen, dass alle vertraglichen Verpflichtungen rückwirkend aufgehoben werden oder dass die Wirkung der Aufhebung auf die Verpflichtungen beschränkt ist, die noch zu erfüllen sind. Im letzteren Fall tragen die Mitgliedstaaten dafür Sorge, dass auch alternative Sanktionen im Sinne des Artikels 2e Absatz 2 Anwendung finden.

(3) Die Mitgliedstaaten können vorsehen, dass die von dem öffentlichen Auftraggeber unabhängige Nachprüfungsstelle einen Vertrag nicht als unwirksam erachten kann, selbst wenn der Auftrag aus den in Absatz 1 genannten Gründen rechtswidrig vergeben wurde, wenn die Nachprüfungsstelle nach Prüfung aller einschlägigen Aspekte zu dem Schluss kommt, dass zwingende Gründe eines Allgemeininteresses es rechtfertigen, die Wirkung des Vertrags zu erhalten. In diesem Fall sehen die Mitgliedstaaten alternative Sanktionen im Sinne des Artikels 2e Absatz 2 vor, die stattdessen angewandt werden.

...

(4) Die Mitgliedstaaten sehen vor, dass Absatz 1 Buchstabe a nicht zur Anwendung kommt, wenn

(2) Die alternativen Sanktionen müssen wirksam, verhältnismäßig und abschreckend sein. Sie umfassen Folgendes:

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