VwGH 2011/04/0121

VwGH2011/04/012125.3.2014

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Beck, die Hofräte Dr. Grünstäudl, Dr. Kleiser und Dr. Mayr sowie die Hofrätin Mag. Hainz-Sator als Richter, im Beisein des Schriftführers Mag. Pichler, in der Beschwerdesache der M GmbH in I, vertreten durch die Haslinger/Nagele & Partner Rechtsanwälte GmbH in 1010 Wien, Mölker Bastei 5, gegen den Bescheid des Bundesvergabeamtes vom 13. Mai 2011, Zlen. F/0002- BVA/13/2011-69, F/0007-BVA/13/2011-3, F/0008-BVA/13/2011-3 und F/0009-BVA/13/2011-3, betreffend Zurückweisung eines Feststellungsantrags nach dem BVergG 2006 (weitere Partei:

Bundesminister für Wissenschaft, Forschung und Wirtschaft; mitbeteiligte Parteien: 1. H in W, vertreten durch die Höhne, In der Maur & Partner Rechtsanwälte OG in 1070 Wien, Mariahilfer Straße 20, 2. P in W, vertreten durch Schramm Öhler Rechtsanwälte in 1010 Wien, Bartensteingasse 2), den Beschluss gefasst:

Normen

12010E267 AEUV Art267;
31989L0665 Rechtsmittel-RL;
32007L0066 Nov-31989L0665/31992L0013;
61981CJ0283 CILFIT und Lanificio di Gavardo VORAB;
62000CJ0327 Santex VORAB;
62006CJ0454 Pressetext Nachrichtenagentur VORAB;
62008CJ0406 Uniplex VORAB;
62008CJ0568 Combinatie Spijker Infrabouw-De Jonge Konstruktie VORAB;
62009CJ0314 Strabag VORAB;
BVergG 2006 §2 Z50;
BVergG 2006 §312 Abs3;
BVergG 2006 §331 Abs1;
BVergG 2006 §332 Abs3;
BVergG 2006 §334 Abs2;
BVergG 2006 §341 Abs2;
12010E267 AEUV Art267;
31989L0665 Rechtsmittel-RL;
32007L0066 Nov-31989L0665/31992L0013;
61981CJ0283 CILFIT und Lanificio di Gavardo VORAB;
62000CJ0327 Santex VORAB;
62006CJ0454 Pressetext Nachrichtenagentur VORAB;
62008CJ0406 Uniplex VORAB;
62008CJ0568 Combinatie Spijker Infrabouw-De Jonge Konstruktie VORAB;
62009CJ0314 Strabag VORAB;
BVergG 2006 §2 Z50;
BVergG 2006 §312 Abs3;
BVergG 2006 §331 Abs1;
BVergG 2006 §332 Abs3;
BVergG 2006 §334 Abs2;
BVergG 2006 §341 Abs2;

 

Spruch:

Dem Gerichtshof der Europäischen Union (EuGH) wird nach Art. 267 AEUV folgende Frage zur Vorabentscheidung vorgelegt:

Ist das Unionsrecht - insbesondere die allgemeinen Grundsätze der Äquivalenz und der Effektivität sowie die Richtlinie 89/665/EWG des Rates vom 21. Dezember 1989 zur Koordinierung der Rechts- und Verwaltungsvorschriften für die Anwendung der Nachprüfungsverfahren im Rahmen der Vergabe öffentlicher Liefer- und Bauaufträge in der Fassung der Richtlinie 2007/66/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 11. Dezember 2007 zur Änderung der Richtlinien 89/665/EWG und 92/13/EWG des Rates im Hinblick auf die Verbesserung der Wirksamkeit der Nachprüfungsverfahren bezüglich der Vergabe öffentlicher Aufträge -

dahin auszulegen, dass es einer nationalen Rechtslage entgegensteht, nach der ein Antrag auf Feststellung eines vergaberechtlichen Verstoßes binnen sechs Monaten nach Vertragsschluss gestellt werden muss, wenn die Feststellung eines vergaberechtlichen Verstoßes nicht nur Voraussetzung für die Nichtigerklärung des Vertrages, sondern auch für die Geltendmachung eines Schadenersatzanspruches ist?

Begründung

I. Sachverhalt und Ausgangsverfahren:

1. Angefochtener Bescheid:

Mit dem vor dem Verwaltungsgerichtshof angefochtenen Bescheid des Bundesvergabeamtes (belangte Behörde) vom 13. Mai 2011 wurde - soweit für das vorliegende Vorabentscheidungsersuchen von Relevanz - der Antrag der M GmbH (Beschwerdeführerin) vom 1. März 2011, gemäß § 312 Abs. 3 Z 3 des Bundesvergabegesetzes 2006 (BVergG 2006) festzustellen, dass die Durchführung des Vergabeverfahrens durch den H als öffentlicher Auftraggeber (erstmitbeteiligte Partei) betreffend die Umsetzung des Systems der e-Medikation mit der "P" (zweitmitbeteiligte Partei) ohne vorherige Bekanntmachung wegen eines Verstoßes gegen das BVergG 2006, die hierzu ergangenen Verordnungen oder unmittelbar anwendbares Gemeinschaftsrecht rechtswidrig war, zurückgewiesen.

In der Begründung dieses Bescheides stellte die belangte Behörde zunächst fest, dass die erstmitbeteiligte Partei am 10. August 2010 einen Vertrag mit der zweitmitbeteiligten Partei über die "Durchführung eines Pilotprojektes für das Projekt e-Medikation in drei Pilotregionen einschließlich der dafür erforderlichen Errichtungs- und Betriebsleistungen" abgeschlossen habe. Der Vertrag sei mit 10. August 2010 unterschrieben worden und an diesem Tag in Kraft getreten. Die erstmitbeteiligte Partei sei ein öffentlicher Auftraggeber iSd § 3 BVergG 2006.

Unter Berufung auf die Regelung der Antragsfrist für Feststellungsanträge wie den hier vorliegenden in § 332 Abs. 3 BVergG 2006 führte die belangte Behörde aus, dass ein derartiger Antrag binnen sechs Monaten ab dem auf die Zuschlagserteilung folgenden Tag einzubringen sei. Nach den Erläuterungen zu dieser Bestimmung (Regierungsvorlage 327 BlgNR XXIV. Gesetzgebungsperiode (GP), 35) werde damit die Grundregel des Art. 2f Abs. 1 lit. b der Richtlinie 89/665/EWG in der Fassung der Richtlinie 2007/66/EG (im Folgenden: Rechtsmittelrichtlinie) umgesetzt, nach der ein auf die Nichtigkeit des Vertrages gerichteter Antrag binnen sechs Monaten einzubringen sei, "gerechnet ab dem Tag, der auf den Tag folgt, an dem der Vertrag geschlossen wurde". Bei der Frist des § 332 Abs. 3 BVergG 2006 handle es sich um eine absolute Frist, die unabhängig davon zu berechnen sei, ob der Antragsteller vom fristauslösenden Ereignis Kenntnis erlangt habe oder hätte erlangen können. Auch Art. 2f Abs. 1 lit. b der Rechtsmittelrichtlinie stelle darauf ab, dass von den Mitgliedstaaten "in jedem Fall" - somit auch ohne diesbezügliche Kenntnis - eine Frist von sechs Monaten vorgesehen werden könne. Weiters verwies die belangte Behörde auf Erwägungsgrund 25 der Richtlinie 2007/66/EG , dem zufolge durch die Festlegung einer angemessenen Mindest-Verjährungsfrist für die Rechtssicherheit hinsichtlich der Entscheidungen der öffentlichen Auftraggeber zu sorgen sei. § 332 Abs. 3 BVergG 2006 entspreche somit dem Ziel und Zweck der Rechtsmittelrichtlinie.

Mit der Unterfertigung des gegenständlichen Vertrages am 10. August 2010 sei der Zuschlag erteilt worden. Die Frist von sechs Monaten sei zum Zeitpunkt des Einlangens des Feststellungsantrags der Beschwerdeführerin am 1. März 2011 somit bereits abgelaufen gewesen, weshalb der Antrag zurückzuweisen gewesen sei.

2. Beschwerde:

In der gegen diesen Bescheid an den Verwaltungsgerichtshof gerichteten Beschwerde brachte die Beschwerdeführerin unter Verweis auf das Urteil des EuGH vom 28. Jänner 2010 in der Rechtssache C-406/08 , Uniplex, vor, dass Ausschlussfristen für Anträge auf Feststellung von vergaberechtlichen Verstößen und für Schadenersatzklagen mit dem Gebot eines effektiven Rechtsschutzes dann nicht vereinbar seien, wenn der Fristenlauf zu einem Zeitpunkt beginne, bevor der übergangene Bieter vom Rechtsverstoß Kenntnis erlangt habe oder hätte erlangen können. Zur Richtlinie 2007/66/EG führte die Beschwerdeführerin aus, dass die Fristenregelung des Art. 2f Abs. 1 auf Art. 2d dieser Richtlinie verweise, weshalb die Antragsfrist nur für die Erklärung der Unwirksamkeit des Vertrages auf sechs Monate beschränkt werden könne, nicht aber hinsichtlich anderer - im Wege einer Nachprüfung geltend gemachter - Ansprüche. Zwar sei die Festlegung von Fristen in allen anderen Fällen (als den auf die Unwirksamkeit eines Vertrages gerichteten Anträgen) den Mitgliedstaaten überlassen. Diese hätten dabei aber den Grundsätzen der Äquivalenz und der Effektivität Rechnung zu tragen, was bei der in § 332 Abs. 3 BVergG 2006 vorgesehenen Ausschlussfrist von maximal sechs Monaten ab Vertragsschluss nicht der Fall sei.

3. Gegenschriften:

Die beiden mitbeteiligten Parteien erstatteten - ebenso wie die belangte Behörde - jeweils eine Gegenschrift, in der sie unter Verweis auf die Regelung des Art. 2f Abs. 1 lit. b der Rechtsmittelrichtlinie eine Unionsrechtswidrigkeit der nationalen Fristenregelung verneinten. Die Ausführungen des EuGH in seinem Urteil in der Rechtssache C-406/08 , Uniplex, könnten auf die hier gegenständliche Konstellation nicht übertragen werden, weil zum einen eine sachverhaltsmäßig anders gelagerte Ausgangssituation vorliege und zum anderen dieses Urteil zur Richtlinie 89/665/EWG in der Fassung vor der Änderung durch die Richtlinie 2007/66/EG ergangen sei.

II. Die maßgeblichen Bestimmungen des Unionsrechts:

Die relevanten Bestimmungen der Richtlinie 89/665/EWG des Rates vom 21. Dezember 1989 zur Koordinierung der Rechts- und Verwaltungsvorschriften für die Anwendung der Nachprüfungsverfahren im Rahmen der Vergabe öffentlicher Liefer- und Bauaufträge in der (im Beschwerdefall maßgeblichen) Fassung der Richtlinie 2007/66/EG lauten:

"Artikel 1

Anwendungsbereich und Zugang zu Nachprüfungsverfahren

(1) ...

Die Mitgliedstaaten ergreifen die erforderlichen Maßnahmen, um sicherzustellen, dass hinsichtlich der in den Anwendungsbereich der Richtlinie 2004/18/EG fallenden Aufträge die Entscheidungen der öffentlichen Auftraggeber wirksam und vor allem möglichst rasch nach Maßgabe der Artikel 2 bis 2f der vorliegenden Richtlinie auf Verstöße gegen das Gemeinschaftsrecht im Bereich des öffentlichen Auftragswesens oder gegen die einzelstaatlichen Vorschriften, die dieses Recht umsetzen, nachgeprüft werden können.

(2) Die Mitgliedstaaten stellen sicher, dass die in dieser Richtlinie getroffene Unterscheidung zwischen einzelstaatlichen Vorschriften zur Umsetzung des Gemeinschaftsrechts und den übrigen innerstaatlichen Bestimmungen nicht zu Diskriminierungen zwischen Unternehmen führt, die im Rahmen eines Verfahrens zur Vergabe eines öffentlichen Auftrags einen Schaden geltend machen könnten.

...

Artikel 2

Anforderungen an die Nachprüfungsverfahren

(1) Die Mitgliedstaaten stellen sicher, dass für die in Artikel 1 genannten Nachprüfungsverfahren die erforderlichen Befugnisse vorgesehen werden, damit

...

c) denjenigen, die durch den Verstoß geschädigt worden sind, Schadensersatz zuerkannt werden kann.

...

(7) Außer in den in den Artikeln 2d bis 2f genannten Fällen richten sich die Wirkungen der Ausübung der in Absatz 1 des vorliegenden Artikels genannten Befugnisse auf den nach der Zuschlagsentscheidung geschlossenen Vertrag nach dem einzelstaatlichen Recht.

Abgesehen von dem Fall, in dem eine Entscheidung vor Zuerkennung von Schadensersatz aufgehoben werden muss, kann ein Mitgliedstaat ferner vorsehen, dass nach dem Vertragsschluss in Übereinstimmung mit Artikel 1 Absatz 5, Absatz 3 des vorliegenden Artikels oder den Artikeln 2a bis 2f die Befugnisse der Nachprüfungsstelle darauf beschränkt werden, einer durch einen Verstoß geschädigten Person Schadensersatz zuzuerkennen.

...

Artikel 2d

Unwirksamkeit

(1) Die Mitgliedstaaten tragen in folgenden Fällen dafür Sorge, dass ein Vertrag durch eine von dem öffentlichen Auftraggeber unabhängige Nachprüfungsstelle für unwirksam erklärt wird oder dass sich seine Unwirksamkeit aus der Entscheidung einer solchen Stelle ergibt,

a) falls der öffentliche Auftraggeber einen Auftrag ohne vorherige Veröffentlichung einer Bekanntmachung im Amtsblatt der Europäischen Union vergeben hat, ohne dass dies nach der Richtlinie 2004/18/EG zulässig ist,

...

Artikel 2f

Fristen

(1) Die Mitgliedstaaten können vorsehen, dass eine Nachprüfung gemäß Artikel 2d Absatz 1 innerhalb der folgenden Fristen beantragt werden muss:

  1. a) ...
  2. b) und in jedem Fall vor Ablauf einer Frist von mindestens sechs Monaten, gerechnet ab dem Tag, der auf den Tag folgt, an dem der Vertrag geschlossen wurde.

(2) In allen anderen Fällen, einschließlich der Beantragung einer Nachprüfung gemäß Artikel 2e Absatz 1, werden die Fristen für die Beantragung einer Nachprüfung vorbehaltlich des Artikels 2c durch das einzelstaatliche Recht geregelt."

III. Die maßgeblichen Bestimmungen des nationalen Rechts:

Die relevanten Bestimmungen des Bundesvergabegesetzes 2006 (BVergG 2006), BGBl. I Nr. 17 in der (im Beschwerdefall maßgeblichen) Fassung BGBl. I Nr. 15/2010, lauten:

"Begriffsbestimmungen

§ 2. Im Geltungsbereich dieses Bundesgesetzes sind folgende Begriffsbestimmungen maßgebend:

...

50. Zuschlagserteilung (Zuschlag) ist die an den Bieter abgegebene schriftliche Erklärung, sein Angebot anzunehmen.

...

Zuständigkeit

§ 312. ...

(3) Nach Zuschlagserteilung ist das Bundesvergabeamt zuständig

...

3. zur Feststellung, ob ein Vergabeverfahren rechtswidriger Weise ohne vorherige Bekanntmachung bzw. ohne vorherigen Aufruf zum Wettbewerb durchgeführt wurde;

...

6. in einem Verfahren gemäß den Z 3 bis 5 zur Nichtigerklärung oder Aufhebung des Vertrages;

...

Einleitung des Verfahrens

§ 331. (1) Ein Unternehmer, der ein Interesse am Abschluss eines dem Anwendungsbereich dieses Bundesgesetzes unterliegenden Vertrages hatte, kann, sofern ihm durch die behauptete Rechtswidrigkeit ein Schaden entstanden ist oder zu entstehen droht, die Feststellung beantragen, dass

  1. 1. ...
  2. 2. die Durchführung eines Vergabeverfahrens ohne vorherige Bekanntmachung bzw. ohne vorherigen Aufruf zum Wettbewerb wegen eines Verstoßes gegen dieses Bundesgesetz, die hierzu ergangenen Verordnungen oder unmittelbar anwendbares Gemeinschaftsrecht rechtswidrig war, oder

    ...

    Inhalt und Zulässigkeit des Feststellungsantrags

§ 332. ...

(3) Anträge gemäß § 331 Abs. 1 Z 2 bis 4 sind binnen sechs Monaten ab dem auf die Zuschlagserteilung folgenden Tag einzubringen. Abweichend vom ersten Satz ist

1. ein Antrag gemäß § 331 Abs. 1 Z 2 bis 4 - wenn es sich beim Antragsteller um einen im Vergabeverfahren verbliebenen Bieter handelt - binnen 30 Tagen ab dem Tag der Absendung der Mitteilung gemäß den §§ 132 Abs. 2 oder 273 Abs. 2 bzw.

2. ein Antrag gemäß § 331 Abs. 1 Z 2 - wenn es sich beim Antragsteller nicht um einen im Vergabeverfahren verbliebenen Bieter handelt - binnen 30 Tagen ab dem Tag der erstmaligen Verfügbarkeit einer Bekanntmachung gemäß den §§ 54 Abs. 6, 55 Abs. 6, 217 Abs. 7 oder 219 Abs. 6

einzubringen.

...

Feststellung von Rechtsverstößen, Nichtigerklärung und Verhängung von Sanktionen

§ 334. (1) ...

(2) Soweit in diesem Absatz und in den Abs. 4 und 5 nicht anderes bestimmt ist, hat das Bundesvergabeamt im Oberschwellenbereich den Vertrag im Anschluss an eine Feststellung gemäß § 312 Abs. 3 Z 3 bis 5 für absolut nichtig zu erklären. Das Bundesvergabeamt hat von einer Nichtigerklärung des Vertrages oder einer Aufhebung des Vertrages gemäß den Abs. 4 oder 5 abzusehen, wenn der Auftraggeber dies beantragt hat und zwingende Gründe eines Allgemeininteresses es rechtfertigen, den Vertrag aufrechtzuerhalten. Wirtschaftliche Interessen, die in unmittelbarem Zusammenhang mit dem betreffenden Vertrag stehen, können die Aufrechterhaltung des Vertrages nicht rechtfertigen, andere wirtschaftliche Interessen nur dann, wenn die Nichtigkeit in Ausnahmefällen unverhältnismäßige Folgen hätte.

...

Zuständigkeit und Verfahren

§ 341. (1) ...

(2) Eine Schadenersatzklage ist nur zulässig, wenn zuvor eine Feststellung der jeweils zuständigen Vergabekontrollbehörde erfolgt ist, dass

...

2. die Durchführung eines Vergabeverfahrens ohne vorherige Bekanntmachung bzw. ohne vorherigen Aufruf zum Wettbewerb wegen eines Verstoßes gegen dieses Bundesgesetz, die hierzu ergangenen Verordnungen oder unmittelbar anwendbares Gemeinschaftsrecht rechtswidrig war, oder

...

Dies gilt auch für die in § 338 Abs. 1 letzter Satz genannten Ansprüche sowie für Ansprüche aus unlauterem Wettbewerb. Unbeschadet des Abs. 4 sind das Gericht und die Parteien des Verfahrens vor dem Bundesvergabeamt an eine solche Feststellung gebunden."

IV. Zur Vorlageberechtigung:

Der Verwaltungsgerichtshof ist ein Gericht im Sinn des Art. 267 AEUV, dessen Entscheidungen selbst nicht mehr mit Rechtsmitteln des innerstaatlichen Rechtes angefochten werden können.

Der Verwaltungsgerichtshof vertritt die Auffassung, dass sich bei der Entscheidung des von ihm zu beurteilenden Beschwerdefalles die im gegenständlichen Ersuchen um Vorabentscheidung angeführte und im Folgenden näher erörterte Frage der Auslegung des Unionsrechts stellt.

V. Erläuterungen zur Vorlagefrage:

1. Gemäß § 312 Abs. 3 BVergG 2006 ist die belangte Behörde zuständig, nach Zuschlagserteilung (und damit nach Vertragsschluss) bestimmte, näher spezifizierte Feststellungen zu treffen. Dazu zählt auch die im vorliegenden Fall beantragte Feststellung, dass die Durchführung eines Vergabeverfahrens durch einen öffentlichen Auftraggeber ohne vorherige Bekanntmachung rechtswidrig gewesen sei. Trifft die belangte Behörde eine solche Feststellung, dann hat sie - zumindest im Regelfall - den auf Grund dieses Vergabeverfahrens abgeschlossenen Vertrag gemäß § 334 Abs. 2 BVergG 2006 für absolut nichtig zu erklären. Gemäß § 332 Abs. 3 erster Satz BVergG 2006 ist ein derartiger Feststellungsantrag binnen sechs Monaten ab dem auf die Zuschlagserteilung folgenden Tag einzubringen (die weiteren, alternativ vorgesehenen Fristenregelungen des § 332 Abs. 3 BVergG 2006 spielen für die Beurteilung des Beschwerdefalles keine Rolle).

Der dem Feststellungsantrag zugrunde liegende Vertrag wurde am 10. August 2010 abgeschlossen, dies ist somit der Tag der Zuschlagserteilung. Die Antragstellung erfolgte am 1. März 2011 und demnach nicht binnen sechs Monaten ab dem auf die Zuschlagserteilung folgenden Tag.

2. Gemäß Art. 2f Abs. 1 lit. b der Rechtsmittelrichtlinie können die Mitgliedstaaten vorsehen, dass eine Nachprüfung gemäß Art. 2d Abs. 1 dieser Richtlinie in jedem Fall vor Ablauf einer Frist von mindestens sechs Monaten beantragt werden muss, gerechnet ab dem Tag, der auf den Tag folgt, an dem der Vertrag geschlossen wurde. Art. 2d Abs. 1 der Rechtsmittelrichtlinie verpflichtet die Mitgliedstaaten dazu, dafür Sorge zu tragen, dass ein Vertrag bei Vorliegen bestimmter näher spezifizierter Verstöße (darunter auch die Vergabe eines Auftrages ohne vorherige Veröffentlichung einer Bekanntmachung, ohne dass dies zulässig gewesen wäre) für unwirksam erklärt wird. Erwägungsgrund 25 der Richtlinie 2007/66/EG führt dazu aus, dass es die Notwendigkeit, für Rechtssicherheit hinsichtlich der Entscheidungen der öffentlichen Auftraggeber zu sorgen, erfordert, für Nachprüfungsanträge, in denen die Unwirksamkeit eines Vertrages festgestellt werden kann, eine angemessene Mindest-Verjährungsfrist festzulegen.

Ausgehend davon stellt sich die nationale Fristenregelung für Feststellungsanträge nach Auffassung des Verwaltungsgerichtshofes insoweit als unionsrechtlich unbedenklich dar, als die Feststellung eines Rechtsverstoßes Voraussetzung für die Nichtigerklärung eines Vertrages ist.

3. Die nationale Rechtslage ist aber dadurch gekennzeichnet, dass die Feststellung bestimmter vergaberechtlicher Verstöße nicht nur Grundlage für die Nichtigerklärung des Vertrages ist, sondern darüber hinaus auch Voraussetzung für die Erhebung einer Schadenersatzklage. Gemäß § 341 Abs. 2 BVergG 2006 ist eine Schadenersatzklage nämlich nur zulässig, wenn zuvor eine Feststellung erfolgt ist, dass - fallbezogen - die Durchführung eines Vergabeverfahrens ohne vorherige Bekanntmachung rechtswidrig war. Auf Grund dieser Verknüpfung hängt die Zulässigkeit einer Schadenersatzklage davon ab, dass innerhalb der sechsmonatigen Frist des § 332 Abs. 3 BVergG 2006 ein entsprechender Feststellungsantrag gestellt worden ist.

4. Nach ständiger Rechtsprechung des EuGH müssen die Mitgliedstaaten nämlich zwar Rechtsschutzmöglichkeiten vorsehen, mit deren Hilfe die Aufhebung einer vergaberechtswidrigen Entscheidung eines öffentlichen Auftraggebers herbeigeführt werden kann, doch sind sie in Anbetracht des mit der Richtlinie 89/665 verfolgten Ziels einer zügigen Behandlung befugt, für diese Art von Rechtsschutzmöglichkeiten angemessene Ausschlussfristen vorzusehen, um zu verhindern, dass die Bewerber und Bieter jederzeit Verstöße gegen Vergabevorschriften rügen und dadurch den öffentlichen Auftraggeber zwingen können, das gesamte Verfahren erneut durchzuführen, um den Verstoß zu beheben (vgl. das Urteil des EuGH vom 30. September 2010 in der Rechtssache C-314/09 , Stadt Graz gegen Strabag AG u.a., Randnr. 37, mwH auf die Rechtsprechung des EuGH).

Der EuGH hat ferner ausgesprochen, dass die Rechtsmittelrichtlinie einer nationalen Regelung nicht entgegensteht, nach der die Nachprüfung einer Entscheidung des öffentlichen Auftraggebers binnen einer bestimmten, angemessenen Frist beantragt werden muss. Die Festsetzung angemessener Ausschlussfristen genügt grundsätzlich dem Effektivitätsgebot, weil sie ein Anwendungsfall des Grundsatzes der Rechtssicherheit ist (Urteil des EuGH vom 27. Februar 2003 in der Rechtssache C- 327/00 , Santex, Randnrn. 50 ff). Allerdings hat der EuGH in diesem Urteil auch festgehalten, dass die (dort zu beurteilende) Frist ab dem Tag läuft, an dem der Betroffene vollständige Kenntnis (von dem zu bekämpfenden Akt) erlangt hat.

5. Damit stellt sich aber die Frage, ob die Normierung einer absoluten sechsmonatigen Frist, die unabhängig von der (auch nur zumutbaren) Kenntnis der Beschwerdeführerin vom Vertragsschluss und damit vom potentiellen Schaden zu laufen beginnt, mit den Grundsätzen der Äquivalenz und der Effektivität in Einklang steht (zu diesen Grundsätzen im Zusammenhang mit der Geltendmachung von Schadenersatzansprüchen im Bereich des öffentlichen Auftragswesens vgl. schon das Urteil des EuGH vom 9. Dezember 2010 in der Rechtssache C-568/08 , Combinatie Spijker Infrabouw-De Jonge Konstruktie, Randnr. 91; vgl. weiters das bereits zitierte Urteil in der Rs C-314/09 , Randnrn. 32 ff). In Zusammenhang mit dem Äquivalenzgrundsatz ist auch darauf hinzuweisen, dass nach der (innerstaatlichen) allgemeinen zivilrechtlichen Regelung des § 1489 des Allgemeinen bürgerlichen Gesetzbuches (ABGB) Schadenersatzansprüche nach drei Jahren ab Kenntnis des Schadens und der Person des Schädigers verjähren.

6. Der EuGH hat sich in seinem Urteil vom 28. Jänner 2010 in der Rechtssache C-406/08 , Uniplex, Randnrn. 30 ff, mit dem Zeitpunkt des Beginns des Fristenlaufs in einem Nachprüfungsverfahren im Rahmen der Vergabe öffentlicher Aufträge auseinandergesetzt.

Diesem Verfahren lag - insoweit abweichend vom hier maßgeblichen Sachverhalt (nämlich der Durchführung eines Vergabeverfahrens ohne vorherige Bekanntmachung und der Antragstellung durch einen am Verfahren nicht beteiligten Unternehmer) - die Konstellation zugrunde, dass einem Bieter die Entscheidung über die Nichtberücksichtigung seines Angebotes - allerdings ohne die dafür ausschlaggebenden Gründe - mitgeteilt worden ist. Ausgehend davon hielt der EuGH zunächst fest, dass sich ein Bieter erst dann darüber klar werden kann, ob ein vergaberechtlicher Verstoß vorliegt, nachdem er von den Gründen über die Ablehnung seines Angebotes in Kenntnis gesetzt worden ist. Daran anschließend führte der EuGH aus, dass nach den Anforderungen des Art. 1 Abs. 1 der Richtlinie 89/665/EWG für den Beginn der Frist für die Einleitung eines Verfahrens zur Feststellung eines Verstoßes gegen die Vorschriften über die Vergabe öffentlicher Aufträge oder zur Erlangung von Schadenersatz wegen Verstoßes gegen diese Vorschriften auf den Zeitpunkt abzustellen ist, zu dem der Antragsteller von dem Verstoß Kenntnis erlangt hat oder hätte erlangen müssen (Randnr. 32).

Abweichend von dem vom Verwaltungsgerichtshof zu beurteilenden Beschwerdefall war bei diesem Urteil allerdings die Richtlinie 89/665/EWG in der Fassung vor der Richtlinie 2007/66/EG (und damit vor Einfügung der Fristenregelung des Art. 2f, auf den auch im geänderten Art. 1 Abs. 1 der Rechtsmittelrichtlinie verwiesen wird) maßgeblich.

7. Die Schlussanträge der Generalanwältin Kokott in der Rechtssache C-454/06 , pressetext Nachrichtenagentur GmbH, Randnrn. 155 ff, enthalten bereits Ausführungen zur Frage der Gemeinschaftsrechtskonformität der absoluten Frist von sechs Monaten für die Einbringung eines Feststellungsantrags, der Voraussetzung für eine spätere Schadenersatzklage ist - allerdings wiederum zur Rechtslage vor der Änderung der Rechtsmittelrichtlinie durch die Richtlinie 2007/66/EG . Vor dem Hintergrund der Zielsetzung einer möglichst raschen Nachprüfung im öffentlichen Auftragswesen erkannte die Generalanwältin ungeachtet der längeren Verjährungsfristen, denen Schadenersatzansprüche nach den allgemeinen innerstaatlichen Rechtsvorschriften unterworfen sind, zwar keine Verletzung des Grundsatzes der Äquivalenz. Im Hinblick auf den Grundsatz der Effektivität sei es allerdings erforderlich, dass die Frist für die Einbringung eines Feststellungsantrags, mit dem der Antragsteller die Durchsetzung von Schadenersatzansprüchen vorbereite, nicht zu laufen beginne, bevor der Antragsteller den Schadenseintritt kannte oder kennen musste.

8. Nach der mittlerweile geänderten sekundärrechtlichen Unionsrechtslage stellt sich für den Verwaltungsgerichtshof die Frage, ob die auf dem Grundsatz der Rechtssicherheit beruhenden Erwägungen des Richtliniengebers zur Beschränkung der Antragsfrist in Art. 2f Abs. 1 der Rechtsmittelrichtlinie auch für die (durch die nationale Rechtslage faktisch herbeigeführte) Beschränkung der Antragsfrist für die Geltendmachung von Schadenersatzansprüchen herangezogen werden können. Die Rechtssicherheit wird durch die Ermöglichung von Schadenersatzklagen nach Ablauf der genannten Frist von sechs Monaten nicht in gleichem Maße beeinträchtigt wie durch die Möglichkeit der Vernichtung eines Vertrages.

9. Da die richtige Anwendung des Unionsrechts aber nicht als derart offenkundig erscheint, dass für einen vernünftigen Zweifel kein Raum bleibt (vgl. hierzu das Urteil des EuGH vom 6. Oktober 1982 in der Rechtssache C-283/81 , Srl C.I.L.F.I.T. und andere, Slg. 1982, 3415) wird die eingangs formulierte Vorlagefrage gemäß Art. 267 AEUV mit dem Ersuchen um Vorabentscheidung vorgelegt.

Wien, am 25. März 2014

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