VwGH 2012/21/0072

VwGH2012/21/007216.5.2013

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Stöberl und die Hofräte Dr. Pelant, Dr. Sulzbacher und Dr. Pfiel als Richter sowie die Hofrätin Dr. Julcher als Richterin, im Beisein der Schriftführerin Mag. Dobner, über die Beschwerde der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Tirol (nunmehr: Landespolizeidirektion Tirol) gegen die Bescheide des Unabhängigen Verwaltungssenates in Tirol vom 27. Februar 2012, Zl. uvs-2012/17/0520-2, und jeweils vom 7. Februar 2012, Zl. uvs-2012/11/0274-1, und Zl. uvs-2012/17/0275- 1, betreffend Verlängerung der Frist für die freiwillige Ausreise gemäß § 55a Fremdenpolizeigesetz 2005 (weitere Partei:

Bundesministerin für Inneres; mitbeteiligte Parteien: 1. V Sch,

2. K Sch und 3. M Sch, alle in 6060 Hall in Tirol, Kaiser-Max-Straße 15a/Top 11), zu Recht erkannt:

Normen

32008L0115 Rückführungs-RL Art7 Abs2;
32008L0115 Rückführungs-RL;
AsylG 2005 §10 Abs7 idF 2011/I/038;
AsylG 2005 §10 Abs8 idF 2011/I/038;
EURallg;
FrPolG 2005 §55 Abs2 idF 2011/I/038;
FrPolG 2005 §55 Abs3 idF 2011/I/038;
FrPolG 2005 §55a Abs1 idF 2011/I/038;
FrPolG 2005 §70 Abs2 idF 2011/I/038;
FrPolG 2005 §70 idF 2011/I/038;
NAG 2005 §43;
NAG 2005 §44;
VwRallg;

 

Spruch:

Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen. Das Aufwandersatzbegehren der belangten Behörde wird abgewiesen.

Begründung

Der Erstmitbeteiligte und die Zweitmitbeteiligte, seine Ehefrau, sind weißrussische Staatsangehörige und reisten am 19. April 2006 nach Österreich ein; hier wurde ihr gemeinsamer Sohn, der Drittmitbeteiligte, am 3. Februar 2009 geboren.

Die von den Genannten gestellten Anträge auf Gewährung von internationalem Schutz wurden im Instanzenzug mit Erkenntnissen des Asylgerichtshofes vom 16. Dezember 2011 vollinhaltlich abgewiesen; unter einem wurde die Ausweisung der Mitbeteiligten "nach Belarus" verfügt. In der angeschlossenen Belehrung wurden die Mitbeteiligten darauf hingewiesen, dass sie gemäß § 10 Abs. 7 erster Satz AsylG 2005 innerhalb von 14 Tagen auszureisen hätten. Weiters wurden die Mitbeteiligten über die Möglichkeit eines Antrages auf Verlängerung der Frist für die freiwillige Ausreise bei der örtlich zuständigen Fremdenpolizeibehörde informiert.

Dem entsprechend beantragten die Mitbeteiligten bei der Bezirkshauptmannschaft Innsbruck (BH) am 9. Jänner 2012 (rechtzeitig), die Ausreisefrist bis 31. Mai 2012 gemäß § 55a Fremdenpolizeigesetz 2005 (FPG) zu verlängern. Dieser Antrag wurde damit begründet, dass der Erst- und die Zweitmitbeteiligte vor sechs Jahren Weißrussland verlassen und dort kein soziales Netz mehr hätten. Ihre "frühere" Wohnung sei nicht mehr verfügbar und die dort lebenden wenigen Verwandten könnten sie nicht aufnehmen. In Weißrussland sei jetzt Winter mit Temperaturen bis - 25 Grad, sodass eine Rückkehr ohne feste Unterkunft derzeit nicht möglich sei. Der Drittmitbeteiligte sei in Österreich geboren, in Weißrussland nicht registriert und er verfüge über keinen Reisepass, sodass er derzeit nicht ausreisen könne.

Diesen Antrag wies die BH mit - im Wesentlichen inhaltsgleichen - Bescheiden vom 11. Jänner 2012 gemäß § 55a FPG ab. Begründend führte sie nach Wiedergabe der genannten Bestimmung aus, Voraussetzung für die Fristverlängerung sei der Wille zur tatsächlichen freiwilligen Ausreise, der bei den Mitbeteiligten nicht vorhanden sei. Der Erst- und die Zweitmitbeteiligte hätten nämlich angegeben, ein so genanntes "Bleiberecht" beantragen zu wollen. Außerdem könne - so die BH wörtlich - "allein die Tatsache, dass ein Asylwerber während der Dauer des Asylverfahrens nicht in seiner Heimat war und der Winter in der Heimat sehr kalt ist", nicht "als besonderer Umstand im Sinne des Gesetzes interpretiert werden".

Der gegen diese Bescheide erhobenen Berufung gab der Unabhängige Verwaltungssenat in Tirol (die belangte Behörde) mit den angefochtenen Bescheiden jeweils Folge und verlängerte die Frist für die freiwillige Ausreise antragsgemäß bis zum 31. Mai 2012.

Die belangte Behörde legte ihren Entscheidungen das Antragsvorbringen zugrunde und vertrat dazu die Auffassung, damit lägen die Voraussetzungen für eine einmalige Verlängerung der Frist zur freiwilligen Ausreise bis zum genannten Termin vor. Es sei nachvollziehbar, dass die Beschaffung eines winterfesten Quartiers "nicht so ohne weiteres" möglich sei, wobei zu berücksichtigen sei, dass sich der Erst- und die Zweitmitbeteiligte seit dem Jahr 2006, somit über einen sehr langen Zeitraum in Österreich aufhielten. Außerdem verfüge der (erst drei Jahre alte) Drittmitbeteiligte, für den eine Ausreise in den Wintermonaten ebenfalls mit Schwierigkeiten verbunden gewesen wäre, über keine gültigen Papiere für eine "rechtskonforme" Ausreise. Schließlich sei aus der Tatsache, dass der Erst- und die Zweitmitbeteiligte beabsichtigten, Anträge auf Erteilung von Niederlassungsbewilligungen zu stellen, nicht zwingend der Schluss zu ziehen, dass eine freiwillige Ausreise gar nicht beabsichtigt sei.

Gegen diese Bescheide richtet sich die vorliegende Amtsbeschwerde der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Tirol (nunmehr: Landespolizeidirektion Tirol), über die der Verwaltungsgerichtshof nach Aktenvorlage und Erstattung einer Gegenschrift von Seiten der belangten Behörde erwogen hat:

1. Unter der Überschrift "Verbindung mit der Ausweisung" ordnet § 10 AsylG 2005 (auszugsweise) Folgendes an:

"§ 10. (1) Eine Entscheidung nach diesem Bundesgesetz ist mit einer Ausweisung zu verbinden, wenn

  1. 1. (…)
  2. 2. der Antrag auf internationalen Schutz sowohl bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten als auch der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten abgewiesen wird;

    (…)

(7) Wird eine Ausweisung durchsetzbar, gilt sie als durchsetzbare Rückkehrentscheidung nach dem Fremdenpolizeigesetz 2005 (FPG), BGBl. I Nr. 100, und hat der Fremde binnen einer Frist von 14 Tagen freiwillig auszureisen. Eine Frist für die freiwillige Ausreise besteht nicht, wenn gegen den Fremden ein Rückkehrverbot erlassen wurde und für die Fälle einer zurückweisenden Entscheidung gemäß § 5 AsylG 2005 oder § 68 AVG sowie wenn eine Entscheidung auf Grund eines Verfahrens gemäß § 38 durchführbar wird; in diesen Fällen hat der Fremde unverzüglich auszureisen.

(8) Mit Erlassung der Ausweisung ist der Fremde über seine Pflicht zur unverzüglichen oder fristgerechten Ausreise und gegebenenfalls über die Möglichkeit eines Antrages auf Verlängerung der Frist für die freiwillige Ausreise bei der örtlich zuständigen Fremdenpolizeibehörde (§ 55a FPG) zu informieren, insbesondere auf Rückkehrhilfe, sowie auf mögliche fremdenpolizeiliche Maßnahmen zur Durchsetzung der Ausreiseverpflichtung (§ 46 FPG) hinzuweisen."

Der im § 10 Abs. 8 AsylG 2005 angesprochene § 55a FPG lautet in seinen hier wesentlichen Teilen samt Überschrift wie folgt:

"Frist für die freiwillige Ausreise nach einer asylrechtlichen Entscheidung

§ 55a. (1) Einem Drittstaatsangehörigen, gegen den eine Entscheidung gemäß § 10 AsylG 2005 durchsetzbar wird und der binnen einer Frist von 14 Tagen auszureisen hat, kann auf Antrag einmalig eine Verlängerung der Frist für die freiwillige Ausreise eingeräumt werden, wenn er besondere Umstände, die eine Verlängerung der Frist notwendig machen, nachweist und zugleich einen Termin für seine Ausreise bekanntgibt.

(2) Der Antrag gemäß Abs. 1 ist binnen drei Tagen ab Durchsetzbarkeit der Entscheidung persönlich bei der Behörde einzubringen und hat diese längstens binnen zehn Tagen zu entscheiden.

(…)"

Eine ähnliche Regelung betreffend die Möglichkeit zur Verlängerung der Ausreisefrist findet sich in Bezug auf Rückkehrentscheidungen iSd § 52 FPG in § 55 FPG, der samt Überschrift (auszugsweise) lautet:

"Frist für die freiwillige Ausreise

§ 55. (1) Mit einer Rückkehrentscheidung gemäß § 52 wird zugleich eine Frist für die freiwillige Ausreise festgelegt.

(2) Die Frist für die freiwillige Ausreise beträgt 14 Tage ab Erlassung des Bescheides, sofern nicht im Rahmen einer von der Behörde vorzunehmenden Abwägung festgestellt wurde, dass besondere Umstände, die der Drittstaatsangehörige bei der Regelung seiner persönlichen Verhältnisse zu berücksichtigen hat, die Gründe, die zur Erlassung der Rückkehrentscheidung geführt haben, überwiegen.

(3) Bei Überwiegen besonderer Umstände kann die Frist für die freiwillige Ausreise einmalig mit einem längeren Zeitraum als die vorgesehenen 14 Tage festgesetzt werden. Die besonderen Umstände sind vom Drittstaatsangehörigen nachzuweisen und hat er zugleich einen Termin für seine Ausreise bekanntzugeben. (…)"

Dem zitierten § 55 Abs. 2 FPG entspricht im Wesentlichen die Regelung über den Durchsetzungsaufschub im Abs. 2 des § 70 FPG; dieser Paragraf hat auszugsweise folgenden Inhalt:

"§ 70. (1) Die Ausweisung und das Aufenthaltsverbot werden spätestens mit Eintritt der Rechtskraft durchsetzbar; der Fremde hat dann unverzüglich auszureisen. (…)

(2) Einem Drittstaatsangehörigen kann auf Antrag während eines Verfahrens zur Erlassung einer Ausweisung gemäß § 62 oder eines Aufenthaltsverbotes gemäß § 63 ein Durchsetzungsaufschub von höchstens drei Monate erteilt werden; hiefür sind die öffentlichen Interessen an einer sofortigen Ausreise gegen jene Umstände abzuwägen, die der Drittstaatsangehörige bei der Regelung seiner persönlichen Verhältnisse zu berücksichtigen hat.

(3) EWR-Bürgern, Schweizer Bürgern und begünstigten Drittstaatsangehörigen ist bei der Erlassung einer Ausweisung oder eines Aufenthaltsverbotes von Amts wegen ein Durchsetzungsaufschub von einem Monat zu erteilen, es sei denn, die sofortige Ausreise wäre im Interesse der öffentlichen Ordnung oder Sicherheit erforderlich."

2. Der mit dem Fremdenrechtsänderungsgesetz 2011, BGBl. I Nr. 38, (FrÄG 2011) inhaltlich neu formulierte § 55 FPG und der eingefügte § 55a FPG sowie die angefügten Abs. 7 und 8 des § 10 AsylG 2005 werden in den Gesetzesmaterialien (RV 1078 BlgNR 24. GP 30 f bzw. 43 f) - soweit hier relevant - wie folgt erläutert:

"Zu § 55:

Der vorgeschlagene Abs. 1 bestimmt in Umsetzung des Art. 7 Abs. 1 der RückführungsRL, dass dem Drittstaatsangehörigen, gegen den eine Rückkehrentscheidung mit einem Einreiseverbot erlassen wird, amtswegig eine Frist für die freiwillige Ausreise zu gewähren und diese Entscheidung als zweiter Spruchpunkt im Bescheid festzulegen ist.

In Abs. 2 wird normiert, dass die Frist für die freiwillige Ausreise grundsätzlich 14 Tage ab Erlassung des Bescheides, mit welchem die Rückkehrentscheidung mit der Dauer des Einreiseverbotes bekannt gegeben wird, beträgt. Daraus ergibt sich, dass die Behörde bereits im Rückkehrentscheidungsverfahren eine Prüfung über die Gewährung einer Frist für die freiwillige Ausreise vorzunehmen hat.

Im Rahmen dieser Prüfung hat die Behörde dahingehend eine Abwägung vorzunehmen, ob besondere Umstände, die der Drittstaatsangehörige bei der Regelung seiner persönlichen Verhältnisse zu berücksichtigen hat, die Gründe, die zur Erlassung der Rückkehrentscheidung geführt haben, überwiegen.

Nur bei einem solchen Überwiegen, kann die Behörde gemäß Abs. 3 die Frist für die freiwillige Ausreise einmalig mit einem längeren Zeitraum als die vorgesehenen 14 Tage festsetzen. Diese Möglichkeit erfolgt in Umsetzung des Art 7 Abs. 2 der RückführungsRL. Das Vorliegen solch besonderer Umstände hat der betreffende Drittstaatsangehörige nachweislich darzulegen. Besondere Umstände können insbesondere die Dauer des bisherigen Aufenthaltes oder das Abschließen des bereits begonnen(en) Schulsemesters eines schulpflichtigen Kindes oder gleichwertige Gründe sein. (…)

Zu § 55a:

Mit § 55a wird einem Drittstaatsangehörigen, der nach einer Ausweisungsentscheidung gemäß § 10 AsylG 2005 binnen einer Frist von 14 Tagen freiwillig und nicht unverzüglich ausreisen muss (siehe dazu ausführlich die Erläuterungen zu § 10 Abs. 7 AsylG 2005), die Möglichkeit eingeräumt, auf Antrag bei der örtlich zuständigen Fremdenpolizeibehörde einmalig eine Verlängerung eingeräumt zu bekommen, wenn er besondere Umstände nachweislich darlegen kann, die eine Verlängerung der Frist notwendig machen und er zugleich einen genauen Termin für seine Ausreise bekannt gibt. Besondere Gründe können insbesondere die Dauer des bisherigen Aufenthaltes oder das Abschließen des bereits begonnen(en) Schulsemesters eines schulpflichtigen Kindes oder gleichwertige Gründe sein. (…)

Die Abs. 2 bis 4 stellen Verfahrensbestimmungen für diese Form der Fristgewährung dar. Mit Abs. 5 wird die Widerrufsmöglichkeit bei Vorliegen der dort genannten Gründe normiert.

Zu Z 4 (§ 10 Abs. 7 und 8):

Abs. 7 normiert, dass eine Ausweisung mit dem Zeitpunkt ihrer Durchsetzbarkeit sogleich als durchsetzbare Rückkehrentscheidung nach dem Fremdenpolizeigesetz 2005 (FPG), BGBl. I Nr. 100, gilt. (…) Weiters hat der Fremde ex lege binnen einer Frist von 14 Tagen freiwillig auszureisen. Diese Frist besteht nicht, wenn gegen den Fremden ein Rückkehrverbot erlassen wurde und für die Fälle einer zurückweisenden Entscheidung gemäß § 5 AsylG 2005 oder § 68 AVG sowie wenn eine Entscheidung auf Grund eines Verfahrens gemäß § 38 durchführbar wird; in diesen Fällen hat der Fremde unverzüglich auszureisen.

Abs. 8 normiert eine Informationsverpflichtung des Bundesasylamtes gegenüber den(m) Fremden, gegen den eine Ausweisung erlassen wurde, damit dieser umfassend über seine damit einhergehenden Rechte und Pflichten aufgeklärt ist, insbesondere über die Möglichkeit eines Antrages auf Verlängerung der Frist für die freiwillige Ausreise bei der örtlich zuständigen Fremdenpolizeibehörde (§ 55a FPG)."

3. In Bezug auf die freiwillige Ausreise und die hierfür zu gewährende Frist und deren Verlängerung sind im vorliegenden Zusammenhang folgende Bestimmungen der Richtlinie 2008/115/EG des Europäischen Parlamentes und des Rates vom 16. Dezember 2008 über gemeinsame Normen und Verfahren in den Mitgliedstaaten zur Rückführung illegal aufhältiger Drittstaatsangehöriger (RückführungsRL), die mit den erwähnten Bestimmungen des FPG umgesetzt wurden, maßgeblich:

"Artikel 3

Begriffsbestimmungen

Im Sinne dieser Richtlinie bezeichnen die Ausdrücke

8. 'freiwillige Ausreise': die Erfüllung der Rückkehrverpflichtung innerhalb der dafür in der Rückkehrentscheidung festgesetzten Frist;

Artikel 7

Freiwillige Ausreise

(1) Eine Rückkehrentscheidung sieht unbeschadet der Ausnahmen nach den Absätzen 2 und 4 eine angemessene Frist zwischen sieben und 30 Tagen für die freiwillige Ausreise vor. (…)

(2) Die Mitgliedstaaten verlängern - soweit erforderlich - die Frist für die freiwillige Ausreise unter Berücksichtigung der besonderen Umstände des Einzelfalls - wie etwa Aufenthaltsdauer, Vorhandensein schulpflichtiger Kinder und das Bestehen anderer familiärer und sozialer Bindungen - um einen angemessenen Zeitraum.

(…)"

Dem entsprechend heißt es in diesem Zusammenhang auch im

10. Erwägungsgrund der genannten Richtlinie:

"Besteht keine Veranlassung zu der Annahme, dass das Rückkehrverfahren dadurch gefährdet wird, ist die freiwillige Rückkehr der Rückführung vorzuziehen, wobei eine Frist für die freiwillige Ausreise gesetzt werden sollte. Eine Verlängerung der Frist für die freiwillige Ausreise sollte vorgesehen werden, wenn dies aufgrund der besonderen Umstände eines Einzelfalls als erforderlich erachtet wird. Zur Förderung der freiwilligen Rückkehr sollten die Mitgliedstaaten eine verstärkte Rückkehrhilfe und -beratung gewähren und die einschlägigen vom Europäischen Rückkehrfonds gebotenen Finanzierungsmöglichkeiten optimal nutzen."

4.1. In der Amtsbeschwerde wird zunächst geltend gemacht, es sei Intention des Gesetzgebers des FrÄG 2011 gewesen, bei Vorliegen der Voraussetzungen des § 55a Abs. 1 FPG eine Fristverlängerung für die freiwillige Ausreise nur dann zu gewähren, wenn der Fremde auch bereit sei, an dem von ihm anzugebenden Termin freiwillig aus dem Bundesgebiet auszureisen.

4.2. Dem ist beizupflichten. Die Zubilligung einer längeren als der grundsätzlich in § 10 Abs. 7 AsylG 2005 vorgesehenen Frist von 14 Tagen für die freiwillige Ausreise setzt nämlich schon definitionsgemäß voraus, dass der Fremde bereit ist, das Bundesgebiet nach Wegfall des die Fristverlängerung rechtfertigenden Hindernisses zu dem von ihm genannten Termin von sich aus, allenfalls unter Inanspruchnahme von Rückkehrhilfe, zu verlassen. Bestünde gar keine Absicht, freiwillig auszureisen, gäbe es keinen Grund, die Frist hierfür zu verlängern. Fehlt es an einem echten Willen, der Rückkehrverpflichtung freiwillig zu entsprechen, gilt auch der in der RückführungsRL postulierte Vorrang der freiwilligen Ausreise nicht.

4.3. Eine davon abweichende Meinung hat die belangte Behörde aber auch nicht vertreten. Sie hat in diesem Zusammenhang vielmehr - anders als die BH - die von den Mitbeteiligten geäußerte Absicht, Anträge auf Erteilung humanitärer Niederlassungsbewilligungen einbringen zu wollen, (beweiswürdigend) nicht dahin gedeutet, dass damit "zwingend" auf das Fehlen eines Willens zur freiwilligen Ausreise nach Ablauf der verlängerten Frist zu schließen wäre. Dem hält die Amtsbeschwerde nur entgegen, die Äußerung, in Österreich ein so genanntes "Bleiberecht" zu begehren, indiziere "nach den allgemeinen Denkgesetzen, dass der Fremde in Wahrheit gar nicht freiwillig ausreisen will, weder jetzt noch in Zukunft".

4.4. Dieser Auffassung kann nicht gefolgt werden, soweit ihr die Meinung zugrunde liegen sollte, ein (beabsichtigter) Antrag auf Niederlassungsbewilligung lasse immer auf das Fehlen einer freiwilligen Rückkehrabsicht schließen und stehe daher in jedem Fall der Bewilligung eines Antrages auf Fristverlängerung gemäß § 55a FPG entgegen. Vielmehr ist das eine Frage der Beweiswürdigung, die unter Beurteilung der Umstände des jeweiligen Einzelfalles vorzunehmen ist. Eine Unschlüssigkeit oder Mangelhaftigkeit der diesbezüglichen Einschätzung durch die belangte Behörde, die insoweit den offenbar für glaubwürdig erachteten Antragsangaben der Mitbeteiligten über ihre Absicht zur freiwilligen Ausreise bis zum 31. Mai 2012 folgte, wird in der Amtsbeschwerde aber nicht dargetan. Die dort (allein) ins Treffen geführte Indizwirkung eines Niederlassungsbewilligungsantrages genügt dafür nicht.

5.1. Die Amtsbeschwerde macht weiters geltend, besondere Umstände iSd § 55a Abs. 1 FPG (zur Regelung der persönlichen Verhältnisse) seien nach der Intention des Gesetzgebers "ausschließlich Umstände im Inland", wie die Beendigung eines schon begonnenen Schulsemesters eines schulpflichtigen Kindes oder gleichwertige Gründe, nicht jedoch die von den Mitbeteiligten ins Treffen geführten Umstände. Das Fehlen eines gültigen Reisedokumentes und der Umstand, dass der Fremde im Heimatstaat nicht (mehr) über ein aufrechtes soziales Netz und eine bereitstehende Wohnung verfüge, sei bei ehemaligen Asylwerbern der Regelfall, sodass nicht von besonderen Umständen iSd § 55a Abs. 1 FPG gesprochen werden könne. Das gelte auch für die Witterungsverhältnisse bzw. die gerade herrschende Jahreszeit im Heimatland des Fremden.

5.2.1. Die (vom Antragsteller nachzuweisenden) "besonderen Umstände" sind in § 55a Abs. 1 FPG nur dahin umschrieben, dass sie die Verlängerung der Ausreisefrist "notwendig machen". Daraus folgt, dass schon dann, wenn die vom Gesetz für den Durchschnittsfall in typisierender Weise als ausreichend unterstellte Frist für die freiwillige Ausreise von 14 Tagen nicht genügt, "besondere" Umstände iSd genannten Bestimmung vorliegen. Die "Besonderheit" dieser Umstände liegt demnach darin, dass sie die Notwendigkeit der Einräumung einer mehr als 14-tägigen Ausreisefrist begründen. Anders als die Amtsbeschwerdeführerin meint können also auch dann "besondere" Umstände iSd § 55a Abs. 1 FPG gegeben sein, wenn sie bei "ehemaligen Asylwerbern der Regelfall" sind. Das steht für sich genommen schon vor dem Hintergrund des bereits erwähnten Vorrangs der freiwilligen Ausreise einer entsprechenden Fristverlängerung nicht entgegen.

5.2.2. Eine weitere Präzisierung, insbesondere zur Frage, welche Art von besonderen Umständen zur Bewilligung einer Fristverlängerung führen können, enthält § 55a Abs. 1 FPG nicht. Beispielhaft werden in den Gesetzesmaterialien als solche Umstände "die Dauer des bisherigen Aufenthaltes oder das Abschließen des bereits begonnen(en) Schulsemesters eines schulpflichtigen Kindes oder gleichwertige Gründe" genannt. Wortgleiche Erläuterungen wählte der Gesetzgeber für die in § 55 Abs. 2 und 3 FPG erwähnten "besonderen Umstände", deren Vorliegen die Verlängerung der in einer Rückkehrentscheidung festgelegten Ausreisefrist ermöglichen kann. Im Abs. 2 des § 55 FPG erfolgte aber eine nähere Umschreibung dahin, dass es sich um "besonderen Umstände" handeln muss, "die der Drittstaatsangehörige bei der Regelung seiner persönlichen Verhältnisse zu berücksichtigen hat". Überdies ist als weitere Voraussetzung für die Fristverlängerung normiert, dass diese Umstände "die Gründe, die zur Erlassung der Rückkehrentscheidung geführt haben, überwiegen".

Dem entspricht im Wesentlichen die Regelung über den Durchsetzungsaufschub im Abs. 2 des § 70 FPG. Aus der dort enthaltenen Zweckumschreibung ("Regelung seiner persönlichen Verhältnisse") wurde in der Rechtsprechung gefolgert, der im § 70 FPG geregelte Durchsetzungsaufschub diene seiner Zielsetzung nach der Vorbereitung und Organisation der Ausreise (vgl. das Erkenntnis vom 13. Dezember 2012, Zl. 2012/21/0246, siehe zu insoweit inhaltsgleichen Vorgängerbestimmungen etwa auch die Erkenntnisse vom 22. Jänner 2009, Zl. 2008/21/0669, vom 31. März 2008, Zl. 2008/21/0127, und vom 20. Dezember 2007, Zl. 2007/21/0455, mwN).

Im Hinblick darauf, dass das Gesetz bei der Verlängerung der in einer Rückkehrentscheidung festgelegten Ausreisefrist ebenfalls auf die "Regelung der persönlichen Verhältnisse" abstellt und die (Verlängerung der) Ausreisefrist auch der Sache nach i.W. dieselbe Zielrichtung hat wie der Durchsetzungsaufschub, ist die erwähnte Rechtsprechung auch bei der Auslegung des§ 55 Abs. 2 und 3 FPG einzubeziehen. Demnach muss es sich bei den in diesen Bestimmungen genannten "besonderen Umständen" um solche handeln, die bei der Regelung der persönlichen Verhältnisse im Zusammenhang mit der Vorbereitung und Organisation der freiwilligen Ausreise zu berücksichtigen sind.

5.2.3. Dass bei der Beurteilung, ob derartige Gründe vorliegen, ein weites Verständnis geboten ist, ergibt sich aber schon aus den zitierten Gesetzesmaterialien, die als Beispielsfall den Abschluss eines bereits begonnenen Semesters eines schulpflichtigen Kindes, der nicht im unmittelbaren und direkten Zusammenhang mit der "Vorbereitung und Organisation der Ausreise" steht, "oder gleichwertige Gründe" nennen. Dabei wurde offenbar auf den mit dieser Bestimmung umgesetzten Art. 7 Abs. 2 RückführungsRL Bedacht genommen und in diesem Sinn auch noch "die Dauer des bisherigen Aufenthaltes" als möglicher besonderer Umstand iSd § 55 Abs. 2 und 3 FPG erwähnt. Außerdem werden in der beispielsweisen Aufzählung der genannten Richtlinienbestimmung neben dem "Vorhandensein schulpflichtiger Kinder" überdies "das Bestehen anderer familiärer und sozialer Bindungen" angeführt.

Vor diesem Hintergrund ist § 55 Abs. 2 und 3 FPG auszulegen und zu beurteilen, ob im jeweiligen Einzelfall besondere Gründe im genannten Sinn, welche die Einräumung einer mehr als 14-tägigen Frist für die freiwillige Ausreise notwendig machen, gegeben sind. Dabei ist eine Interessenabwägung vorzunehmen. Weiters ist zu beachten, dass es sich bei den Gründen, die eine Verlängerung der Ausreisefrist rechtfertigen können, schon definitionsgemäß um vorübergehende Umstände handeln muss; ihre Beseitigung bzw. ihr Wegfall muss absehbar sein.

5.2.4. Dem Standpunkt der Amtsbeschwerdeführerin ist insofern zu folgen, dass nach dem Gesagten als maßgebliche Gründe zur Rechtfertigung eines Antrags auf Verlängerung der Ausreisefrist in erster Linie "Umstände im Inland" in Betracht kommen. Dass aber "ausschließlich" nur solche Umstände zur Begründung dieses Antrags herangezogen werden dürften, lässt sich weder dem nationalen Recht noch der damit umgesetzten Bestimmung des Art. 7 Abs. 2 RückführungsRL entnehmen. Vielmehr kann die Notwendigkeit, die freiwillige Ausreise und damit die Rückkehr in das Heimatland vorzubereiten bzw. zu organisieren und dafür eine längere Frist eingeräumt zu erhalten, auch von Umständen abhängen, die im Zielland bestehen.

Erfordern - wie im vorliegenden Fall von der belangten Behörde dem Vorbringen der Mitbeteiligten folgend unterstellt - die im Heimatstaat zu erwartenden Verhältnisse, dass bei einer Rückkehr mit einem dreijährigen Kind eine Unterkunftsmöglichkeit besteht, so kann die Notwendigkeit, diese für die Familie von Österreich aus zu organisieren, einen besonderen Umstand iSd § 55 Abs. 2 und 3 FPG darstellen. Gleiches gilt für das Erfordernis, ein für die freiwillige Rückkehr notwendiges Dokument zu besorgen, so diesbezügliche Schritte auch tatsächlich unternommen werden.

5.2.5. Diese Überlegungen gelten nicht nur für die Fristverlängerung nach § 55 Abs. 2 und 3 FPG, sondern auch für die Verlängerung der Frist für die freiwillige Ausreise nach Erlassung einer asylrechtlichen Ausweisung gemäß § 55a Abs. 1 FPG. Eine Gleichbehandlung ist ungeachtet der im Detail abweichenden Textierung schon deshalb geboten, weil die asylrechtliche Ausweisung gemäß § 10 Abs. 7 AsylG 2005 mit ihrer Durchsetzbarkeit als durchsetzbare Rückkehrentscheidung gilt und weil erkennbar auch mit § 55a Abs. 1 FPG der Art. 7 Abs. 2 RückführungsRL umgesetzt werden sollte. Im Übrigen haben beide Bestimmungen dieselbe Zielrichtung (vgl. zur angenommenen "Parallelität" auch das hg. Erkenntnis vom 18. April 2013, Zl. 2013/21/0001, Punkt 2. der Entscheidungsgründe).

6.1. Mit der Argumentation in der Amtsbeschwerde ist es somit nicht gelungen, eine Rechtswidrigkeit der angefochtenen Bescheide aufzuzeigen. Die Beschwerde war daher gemäß § 42 Abs. 1 VwGG als unbegründet abzuweisen.

6.2. Ein Aufwandersatz steht der belangten Behörde in diesem Fall gemäß § 47 Abs. 4 VwGG nicht zu, sodass das diesbezügliche Begehren abzuweisen war.

Wien, am 16. Mai 2013

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