VwGH 2012/04/0040

VwGH2012/04/004016.10.2013

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Vizepräsident Dr. Thienel und die Hofräte Dr. Grünstäudl, Dr. Kleiser, Mag. Nedwed und Dr. Mayr als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag.a Zirm, in der Beschwerdesache der X in Y, vertreten durch Hohenberg Strauss Buchbauer Rechtsanwälte GmbH in 8010 Graz, Hartenaugasse 6, gegen den Bescheid des Unabhängigen Verwaltungssenates für Kärnten vom 21. Februar 2012, Zl. KUVS- 1385/16/2011, betreffend Generalgenehmigung einer gewerblichen Betriebsanlage nach § 356e GewO 1994 (mitbeteiligte Partei: Z-GmbH in Y, vertreten durch Dr. Gerhard Fink, Dr. Peter Bernhart, Dr. Bernhard Fink, Mag. Klaus Haslinglehner und Dr. Bernd Peck, Rechtsanwälte in 9020 Klagenfurt, Bahnhofstraße 5; weitere Partei:

Bundesminister für Wirtschaft, Familie und Jugend), den Beschluss gefasst:

Normen

12010E267 AEUV Art267;
32011L0092 UVP-RL Art1;
32011L0092 UVP-RL Art11;
32011L0092 UVP-RL Art2;
AVG §42;
GewO 1994 §356;
GewO 1994 §356e;
GewO 1994 §74;
GewO 1994 §75;
GewO 1994 §77;
UVPG 2000 §3 Abs7;
UVPG 2000 §39 Abs1;
12010E267 AEUV Art267;
32011L0092 UVP-RL Art1;
32011L0092 UVP-RL Art11;
32011L0092 UVP-RL Art2;
AVG §42;
GewO 1994 §356;
GewO 1994 §356e;
GewO 1994 §74;
GewO 1994 §75;
GewO 1994 §77;
UVPG 2000 §3 Abs7;
UVPG 2000 §39 Abs1;

 

Spruch:

Dem Gerichtshof der Europäischen Union (EuGH) werden nach Art. 267 AEUV folgende Fragen zur Vorabentscheidung vorgelegt:

1. Steht das Unionsrecht, insbesondere die Richtlinie 2011/92/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 13. Dezember 2011 über die Umweltverträglichkeitsprüfung bei bestimmten öffentlichen und privaten Projekten, ABl. L 26 vom 28.1.2012, S. 1-12 (Richtlinie 2011/92 ), insbesondere deren Art. 11 einer nationalen Rechtslage entgegen, nach der ein Bescheid, mit dem festgestellt wird, dass bei einem bestimmten Projekt keine Umweltverträglichkeitsprüfung durchzuführen ist, Bindungswirkung auch für Nachbarn, denen im vorangegangenen Feststellungsverfahren keine Parteistellung zukam, entfaltet, und diesen in nachfolgenden Genehmigungsverfahren entgegengehalten werden kann, auch wenn diese die Möglichkeit haben ihre Einwendungen gegen das Vorhaben in diesen Genehmigungsverfahren zu erheben (das heißt im Ausgangsverfahren dahingehend, dass durch die Auswirkungen des Vorhabens ihr Leben, ihre Gesundheit oder ihr Eigentum gefährdet werden oder sie durch Geruch, Lärm, Rauch, Staub, Erschütterung oder in anderer Weise unzumutbar belästigt werden)?

Bei Bejahung der Frage 1:

2. Verlangt es das Unionsrecht, insbesondere die Richtlinie 2011/92 im Wege ihrer unmittelbaren Anwendung, die in der Frage 1 dargestellte Bindungswirkung zu verneinen?

Begründung

I. Sachverhalt und Ausgangsverfahren:

1. Angefochtener Bescheid:

Mit dem vor dem Verwaltungsgerichtshof angefochtenen Bescheid (Genehmigungsbescheid) wurde der mitbeteiligten Partei vom Unabhängigen Verwaltungssenat für Kärnten (belangte Behörde) gemäß den §§ 74 ff und 356e Abs. 1 GewO 1994 die Generalgenehmigung für die Errichtung und den Betrieb eines Handels- und Dienstleistungskonglomerates ("Fachmarktzentrum") mit einer Gesamtnutzfläche von 11.437,58 m2 in Y erteilt. Gleichzeitig wurden die Einwendungen der Beschwerdeführerin als Eigentümerin einer benachbarten Liegenschaft zurückgewiesen.

In der Begründung dieses Bescheides führte die belangte Behörde - soweit dies für die vorliegende Frage wesentlich ist - aus, mit rechtskräftigem Bescheid der Kärntner Landesregierung vom 21. Juli 2010 (UVP-Feststellungsbescheid) sei festgestellt worden, dass bezüglich des Vorhabens "Errichtung von zwei Fachmarktzentren Merkur und IC" keine Umweltverträglichkeitsprüfung nach dem (österreichischen) Umweltverträglichkeitsprüfungsgesetz 2000 (UVP-G 2000) durchzuführen sei. Der UVP-Feststellungsbescheid habe sich unter anderem auf § 3 Abs. 7 UVP-G 2000 gestützt.

Die Beschwerdeführerin habe in ihren Einwendungen (vom 8. März 2011) ausgeführt, es sei ihr nachträglich eine Kopie des UVP-Feststellungsbescheides übergeben worden, welcher von ihr vollinhaltlich beeinsprucht werde. Dazu brachte die Beschwerdeführerin vor, die (bei dieser Entscheidung) angewendeten Messdaten lägen oft mehrere Jahre zurück und entsprächen nicht den derzeitigen Werten. Weiters sei die nunmehr geplante Zu- und Abfahrt nicht Gegenstand der Umweltverträglichkeitsprüfung gewesen. Die im UVP-Feststellungsbescheid angeführten Lärmwerte widersprächen jenen, die von der Abteilung Umwelt der Stadt Klagenfurt ermittelt worden seien. Die Zahl der im UVP-Feststellungsbescheid angeführten Parkplätze sei unrichtig, weil auch ein weiteres Grundstück berücksichtigt werden müsse. Schließlich wende sich die Beschwerdeführerin entschieden gegen die Aussage im UVP-Feststellungsbescheid, dass mit keiner Gesundheitsgefährdung durch Luftschadstoffe bzw. durch Lärm zu rechnen sei.

Zu diesen Einwendungen gegen den UVP-Feststellungsbescheid führte die belangte Behörde aus, der UVP-Feststellungsbescheid sei in Rechtskraft erwachsen, weshalb diesbezügliche Einwendungen der Beschwerdeführerin einer rechtlichen Beurteilung (gemeint: im Verfahren zur Erteilung des Genehmigungsbescheides) nicht zu unterziehen seien. Eine unvollständige Bearbeitung der Einwendungen liege nicht vor, da sich ein Großteil der Einwendungen gegen den UVP-Feststellungsbescheid richte, welcher in Rechtskraft erwachsen sei und von einer Beurteilung durch die Gewerbebehörde ausgeschlossen sei.

2. Beschwerde:

In der gegen den Genehmigungsbescheid an den Verwaltungsgerichtshof gerichteten Beschwerde behauptet die Beschwerdeführerin die Unzuständigkeit der belangten Behörde, weil die genehmigte gewerbliche Betriebsanlage einer Umweltverträglichkeitsprüfung nach dem UVP-G 2000 zu unterziehen gewesen wäre und hiefür die Landesregierung zuständig sei.

Mit dem UVP-Feststellungsbescheid sei gemäß § 3 Abs. 7 UVP-G 2000 festgestellt worden, dass für die Errichtung von zwei näher bezeichneten Fachmarktzentren keine Umweltverträglichkeitsprüfung durchzuführen sei. Dieser Bescheid sei schon mangels Parteistellung der Beschwerdeführerin in Rechtskraft erwachsen. Jedoch unterscheide sich das vorliegende Projekt von dem im UVP-Feststellungsverfahren zugrundeliegenden Projekt in mehreren Punkten. So könne nicht überprüft werden, ob die durch das Vorhaben hervorgerufenen Verkehrsströme mit jenen, die dem UVP-Feststellungsverfahren zugrunde gelegt worden seien, übereinstimmten.

3. Gegenschrift:

Die mitbeteiligte Partei erstattete eine Gegenschrift, in der sie sich auf den UVP-Feststellungsbescheid beruft. Dieser Bescheid sei in Rechtskraft erwachsen und darin werde nach Durchführung einer Einzelfallprüfung festgestellt, dass vom Vorhaben "Errichtung von zwei Fachmarktzentren Merkur und IC" selbst bei einer Kumulierung mit gleichartigen Vorhaben im Untersuchungsraum keine erheblichen schädlichen oder belastenden Auswirkungen auf die Umwelt ausgingen. Es liege daher keine Unzuständigkeit der belangten Behörde vor. Eine konkrete Beurteilung der Auswirkungen des Vorhabens in allen Einzelheiten bleibe den (nachfolgenden) Genehmigungsverfahren vorbehalten.

II. Die maßgeblichen Bestimmungen des Unionsrechts:

Im Ausgangsverfahren ist bereits die Richtlinie 2011/92/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 13. Dezember 2011, ABl. L 26, vom 28.1.2012, S. 1, maßgeblich, da diese noch vor Erlassung des angefochtenen Bescheides in Kraft getreten ist (vgl. Art. 15).

Diese Richtlinie kodifiziert die Richtlinie 85/337/EWG des Rates vom 27. Juni 1985 über die Umweltverträglichkeitsprüfung bei bestimmten öffentlichen und privaten Projekten, ABl. L 175 vom 5.7.1985, S. 40, in der Fassung der Richtlinie 2009/31/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 23. April 2009, ABl. L 140 vom 5.6.2009, S. 114. So entspricht insbesondere Art. 11 der Richtlinie 2011/92 dem (bisherigen) Art. 10a der Richtlinie 85/337 (vgl. so das Urteil des EuGH vom 11. April 2013 in der Rechtssache C-260/11 , The Queen, auf Antrag von/der David Edwards und Lilian Pallikaropoulos gegen Environment Agency und andere, Slg. 2013, Randnr. 8, sowie Art. 14 der Richtlinie 2011/92 iVm dem Anhang VI).

Die maßgeblichen Bestimmungen der Richtlinie 2011/92 lauten:

"Artikel 1

(2) Im Sinne dieser Richtlinie gelten folgende Begriffsbestimmungen:

d) 'Öffentlichkeit' : eine oder mehrere natürliche oder juristische Personen und, in Übereinstimmung mit den innerstaatlichen Rechtsvorschriften oder der innerstaatlichen Praxis, deren Vereinigungen, Organisationen oder Gruppen;

e) 'betroffene Öffentlichkeit' : die von umweltbezogenen Entscheidungsverfahren gemäß Artikel 2 Absatz 2 betroffene oder wahrscheinlich betroffene Öffentlichkeit oder die Öffentlichkeit mit einem Interesse daran. Im Sinne dieser Begriffsbestimmung haben Nichtregierungsorganisationen, die sich für den Umweltschutz einsetzen und alle nach innerstaatlichem Recht geltenden Voraussetzungen erfüllen, ein Interesse;

f) 'zuständige Behörde(n)' : die Behörde(n), die von den Mitgliedstaaten für die Durchführung der sich aus dieser Richtlinie ergebenden Aufgaben bestimmt wird (werden).

Artikel 2

(1) Die Mitgliedstaaten treffen die erforderlichen Maßnahmen, damit vor Erteilung der Genehmigung die Projekte, bei denen unter anderem aufgrund ihrer Art, ihrer Größe oder ihres Standortes mit erheblichen Auswirkungen auf die Umwelt zu rechnen ist, einer Genehmigungspflicht unterworfen und einer Prüfung in Bezug auf ihre Auswirkungen unterzogen werden. …

Artikel 11

(1) Die Mitgliedstaaten stellen im Rahmen ihrer innerstaatlichen Rechtsvorschriften sicher, dass Mitglieder der betroffenen Öffentlichkeit, die

  1. a) ein ausreichendes Interesse haben oder alternativ
  2. b) eine Rechtsverletzung geltend machen, sofern das Verwaltungsverfahrensrecht bzw. Verwaltungsprozessrecht eines Mitgliedstaats dies als Voraussetzung erfordert,

    Zugang zu einem Überprüfungsverfahren vor einem Gericht oder einer anderen auf gesetzlicher Grundlage geschaffenen unabhängigen und unparteiischen Stelle haben, um die materiellrechtliche und verfahrensrechtliche Rechtmäßigkeit von Entscheidungen, Handlungen oder Unterlassungen anzufechten, für die die Bestimmungen dieser Richtlinie über die Öffentlichkeitsbeteiligung gelten.

(2) Die Mitgliedstaaten legen fest, in welchem Verfahrensstadium die Entscheidungen, Handlungen oder Unterlassungen angefochten werden können.

(3) Was als ausreichendes Interesse und als Rechtsverletzung gilt, bestimmen die Mitgliedstaaten im Einklang mit dem Ziel, der betroffenen Öffentlichkeit einen weiten Zugang zu Gerichten zu gewähren. Zu diesem Zweck gilt das Interesse jeder Nichtregierungsorganisation, welche die in Artikel 1 Absatz 2 genannten Voraussetzungen erfüllt, als ausreichend im Sinne von Absatz 1 Buchstabe a dieses Artikels. Derartige Organisationen gelten auch als Träger von Rechten, die im Sinne von Absatz 1 Buchstabe b dieses Artikels verletzt werden können.

(4) Dieser Artikel schließt die Möglichkeit eines vorausgehenden Überprüfungsverfahrens bei einer Verwaltungsbehörde nicht aus und lässt das Erfordernis einer Ausschöpfung der verwaltungsbehördlichen Überprüfungsverfahren vor der Einleitung gerichtlicher Überprüfungsverfahren unberührt, sofern ein derartiges Erfordernis nach innerstaatlichem Recht besteht.

Die betreffenden Verfahren werden fair, gerecht, zügig und nicht übermäßig teuer durchgeführt.

(5) Um die Effektivität dieses Artikels zu fördern, stellen die Mitgliedstaaten sicher, dass der Öffentlichkeit praktische Informationen über den Zugang zu verwaltungsbehördlichen und gerichtlichen Überprüfungsverfahren zugänglich gemacht werden."

III. Die maßgeblichen Bestimmungen des nationalen Rechts:

1. Das (österreichische) Umweltverträglichkeitsprüfungsgesetz 2000, BGBl. Nr. 697/1993 in der (im Beschwerdefall anwendbaren) Fassung BGBl. I Nr. 87/2009 (UVP-G 2000), lautet auszugsweise:

"Gegenstand der Umweltverträglichkeitsprüfung

§ 3.

(7) Die Behörde hat auf Antrag des Projektwerbers/der Projektwerberin, einer mitwirkenden Behörde oder des Umweltanwaltes festzustellen, ob für ein Vorhaben eine Umweltverträglichkeitsprüfung nach diesem Bundesgesetz durchzuführen ist und welcher Tatbestand des Anhanges 1 oder des § 3a Abs. 1 bis 3 durch das Vorhaben verwirklicht wird. Diese Feststellung kann auch von Amts wegen erfolgen. Der Projektwerber/die Projektwerberin hat der Behörde Unterlagen vorzulegen, die zur Identifikation des Vorhabens und zur Abschätzung seiner Umweltauswirkungen ausreichen. Die Entscheidung ist in erster und zweiter Instanz jeweils innerhalb von sechs Wochen mit Bescheid zu treffen. Parteistellung haben der Projektwerber/die Projektwerberin, die mitwirkenden Behörden, der Umweltanwalt und die Standortgemeinde. Vor der Entscheidung ist das wasserwirtschaftliche Planungsorgan zu hören. Der wesentliche Inhalt der Entscheidungen einschließlich der wesentlichen Entscheidungsgründe sind von der Behörde in geeigneter Form kundzumachen oder zur öffentlichen Einsichtnahme aufzulegen. Die Standortgemeinde kann gegen die Entscheidung Beschwerde an den Verwaltungsgerichtshof erheben. …

Behörden und Zuständigkeit

§ 39. (1) Für die Verfahren nach dem ersten und zweiten Abschnitt ist die Landesregierung zuständig. …"

Die Novelle zum UVP-G 2000, BGBl. I Nr. 77/2012, mit der dem § 3 Abs. 7 ein neuer Abs. 7a hinzugefügt wurde, um eine Beschwerdemöglichkeit für anerkannte Umweltorganisationen bei negativen UVP-Feststellungsbescheiden (zur Abwendung einer Klage der Kommission beim EuGH) zu schaffen (vgl. so die Erläuterungen in der Regierungsvorlage 1809 BlgNR XXIV. GP, 1), ist im vorliegenden Beschwerdefall noch nicht anwendbar.

2. Die im Beschwerdefall maßgeblichen Bestimmungen der (österreichischen) Gewerbeordnung 1994 (GewO 1994) lauten:

"8. Betriebsanlagen

§ 74.

(2) Gewerbliche Betriebsanlagen dürfen nur mit Genehmigung der Behörde errichtet oder betrieben werden, wenn sie wegen der Verwendung von Maschinen und Geräten, wegen ihrer Betriebsweise, wegen ihrer Ausstattung oder sonst geeignet sind,

1. das Leben oder die Gesundheit … der Nachbarn … oder das Eigentum oder sonstige dingliche Rechte der Nachbarn zu gefährden; …

2. die Nachbarn durch Geruch, Lärm, Rauch, Staub, Erschütterung oder in anderer Weise zu belästigen,

§ 75.

(2) Nachbarn im Sinne dieses Bundesgesetzes sind alle Personen, die durch die Errichtung, den Bestand oder den Betrieb einer Betriebsanlage gefährdet oder belästigt oder deren Eigentum oder sonstige dingliche Rechte gefährdet werden könnten. …

§ 77. (1) Die Betriebsanlage ist zu genehmigen, wenn … zu erwarten ist, daß … die nach den Umständen des Einzelfalles voraussehbaren Gefährdungen im Sinne des § 74 Abs. 2 Z 1 vermieden und Belästigungen, Beeinträchtigungen oder nachteilige Einwirkungen im Sinne des § 74 Abs. 2 Z 2 bis 5 auf ein zumutbares Maß beschränkt werden.

§ 356. (1) Wird eine mündliche Verhandlung anberaumt, so hat die Behörde den Nachbarn Gegenstand, Zeit und Ort der Verhandlung sowie die Voraussetzungen zur Aufrechterhaltung der Parteistellung (§ 42 AVG) … bekannt zu geben.

§ 356e. (1) Betrifft ein Genehmigungsansuchen eine verschiedenen Gewerbebetrieben zu dienen bestimmte, dem § 356 Abs. 1 unterliegende Betriebsanlage (Gesamtanlage) und wird in diesem Genehmigungsansuchen ausdrücklich nur eine Generalgenehmigung beantragt, so ist die Genehmigung hinsichtlich der nicht nur einem einzelnen Gewerbebetrieb dienenden Anlagenteile (wie Rolltreppen, Aufzüge, Brandmeldeeinrichtungen, Sprinklereinrichtungen, Lüftungseinrichtungen) zu erteilen (Generalgenehmigung) und bedarf die Anlage eines Gewerbebetriebes in der Gesamtanlage, sofern sie geeignet ist, die Schutzinteressen des § 74 Abs. 2 zu berühren, einer gesonderten, den Bestand der Generalgenehmigung für die Gesamtanlage voraussetzenden Genehmigung (Spezialgenehmigung)."

IV. Zur Vorlageberechtigung:

Der Verwaltungsgerichtshof ist ein Gericht im Sinne des Art. 267 AEUV, dessen Entscheidungen selbst nicht mehr mit Rechtsmitteln des innerstaatlichen Rechtes angefochten werden können.

Der Verwaltungsgerichtshof vertritt die Auffassung, dass sich bei der Entscheidung des von ihm zu beurteilenden Beschwerdefalles die im gegenständlichen Ersuchen um Vorabentscheidung angeführten und im Folgenden näher erörterten Fragen der Auslegung des Unionsrechts stellen (vgl. bereits den Beschluss vom 11. September 2013, Zl. 2011/04/0178).

V. Erläuterungen zu den Vorlagefragen:

1. Zur ersten Vorlagefrage:

1.1. Nach § 3 Abs. 7 UVP-G 2000 ist für die Prüfung der Frage, ob für ein Vorhaben eine Umweltverträglichkeitsprüfung durchzuführen ist, ein eigenes Verfahren vorgesehen, das mit einem Feststellungsbescheid endet (UVP-Feststellungsbescheid). In diesem Verfahren haben nur der Projektwerber/die Projektwerberin, die mitwirkenden Behörden, der Umweltanwalt und die Standortgemeinde, nicht aber die Nachbarn des Vorhabens Parteistellung (auch mit der Novelle BGBl. I 77/2012 wurde bloß vorgesehen, dass anerkannte Umweltorganisationen einen Antrag auf Überprüfung des UVP Feststellungsbescheides stellen können).

Dies bedeutet, dass Nachbarn (wie hier die Beschwerdeführerin) erst im nachfolgenden Genehmigungsverfahren (hier dem gewerbebehördlichen Betriebsanlagenverfahren) mit dem rechtskräftigen UVP-Feststellungsbescheid konfrontiert sind.

In den dem UVP-Feststellungsbescheid nachfolgenden Genehmigungsverfahren besteht nach der (bisherigen) ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes Bindungswirkung hinsichtlich eines (die UVP-Pflicht verneinenden, rechtskräftigen) Feststellungsbescheides gemäß § 3 Abs. 7 UVP-G 2000 dahingehend, dass keine Umweltverträglichkeitsprüfung durchzuführen ist. Eine derartige Bindungswirkung hat der Verwaltungsgerichtshof in dieser Rechtsprechung im hier gegebenen Zusammenhang auch aus der Sicht des Unionsrechtes nicht für bedenklich erachtet, weil die Nachbarn ihre Nachbarrechte in den einzelnen nachfolgenden (Materien)Verfahren geltend machen können. Solange die Projektwerberin selbst ihr Projekt hinsichtlich der relevanten Schwellenwerte nicht ändert, ist für ihr Projekt weiterhin von der Rechtskraft und damit der Bindungswirkung des genannten Feststellungsbescheides auszugehen (vgl. die hg. Erkenntnisse vom 28. Juni 2005, Zl. 2004/05/0032, und vom 27. Juni 2006, Zl. 2004/05/0093). Demnach sind an einen die UVP-Pflicht verneinenden rechtskräftigen Feststellungsbescheid sowohl staatliche Entscheidungsträger (Behörden, Gerichte) als auch insbesondere die Nachbarn - obwohl ihnen im Feststellungsverfahren keine Parteistellung zukam - gebunden.

1.2. Im Beschwerdefall steht die Beschwerdeführerin auf dem Standpunkt, für das bei der belangten Behörde beantragte Vorhaben sei eine Umweltverträglichkeitsprüfung durchzuführen, für welche nach nationalem Recht nicht die belangte Behörde, sondern die Landesregierung zuständig ist (§ 39 Abs. 1 UVP-G 2000).

Die belangte Behörde und die mitbeteiligte Partei verweisen auf den die UVP-Pflicht verneinenden Feststellungsbescheid und halten der Beschwerdeführerin dessen Rechtkraft entgegen. Die belangte Behörde verweist ausdrücklich darauf, dass sie als Gewerbebehörde (auf Grund der Bindungswirkung des UVP-Feststellungsbescheides) nicht befugt sei, über die Einwendungen der Beschwerdeführerin gegen den UVP-Feststellungsbescheid zu entscheiden.

Daher kommt es im Beschwerdefall darauf an, ob die oben angeführte Bindungswirkung von UVP-Feststellungsbescheiden in nachfolgenden Verfahren mit dem Unionsrecht und der einschlägigen Rechtsprechung des EuGH zur Richtlinie 85/337 vereinbar ist. Diese Rechtsprechung ist nach Auffassung des Verwaltungsgerichtshofes auch für die Richtlinie 2011/92  maßgeblich, da es sich bei dieser Richtlinie um eine Kodifizierung der erstgenannten Richtlinie handelt und insbesondere deren Art. 11 dem (bisherigen) Art. 10a der Richtlinie 85/337 entspricht (vgl. das Urteil "Edwards und Pallikaropoulos", Randnr. 8).

1.3. Im Urteil vom 30. April 2009 in der Rechtssache C-75/08 , The Queen, auf Antrag von Christopher Mellor gegen Secretary of State for Communities and Local Government, Slg. 2009, Seite I- 03799, hat der EuGH festgehalten, "dass Dritte, wie auch die interessierten Verwaltungsbehörden, sich vergewissern können müssen, dass die zuständige Behörde nach den im nationalen Recht vorgesehenen Bestimmungen geprüft hat, ob eine UVP erforderlich ist. … Ferner müssen die betroffenen Einzelpersonen, wie auch die anderen betroffenen nationalen Behörden, in der Lage sein, die Einhaltung dieser Prüfungspflicht, die der zuständigen Behörde obliegt, gegebenenfalls gerichtlich nachprüfen zu lassen. Dieses Erfordernis kann, wie im Ausgangsverfahren, die Möglichkeit bedeuten, gegen die Entscheidung, keine UVP vorzunehmen, unmittelbar vorzugehen" (Randnrn. 57 und 58).

Diese Rechtsprechung hat der EuGH im Urteil vom 16. Februar 2012 in der Rechtssache C-182/10 , Marie-NoElle Solvay u. a. gegen Region wallonne, bestätigt. Der Gerichtshof führte in diesem Urteil mit Hinweis auf sein Urteil "Mellor" erneut aus, "dass Dritte, wie auch die betroffenen Verwaltungsbehörden, sich davon vergewissern können müssen, dass die zuständige Stelle nach den im nationalen Recht vorgesehenen Bestimmungen davon Kenntnis hatte, dass im Voraus eine angemessene Prüfung gemäß den Erfordernissen der Richtlinie 85/337 durchgeführt wurde. … Ferner müssen die betroffenen Einzelpersonen, wie auch die anderen betroffenen nationalen Stellen, in der Lage sein, die Einhaltung dieser Prüfungspflicht, die der zuständigen Stelle obliegt, gegebenenfalls gerichtlich sicherstellen zu lassen." (Randnrn. 57 und 58 dieses Urteils).

In dieser Rechtsprechung verweist der EuGH auch auf die Wirksamkeit der gerichtlichen Kontrolle (vgl. Urteil "Mellor", Randnr. 59, und Urteil "Solvay", Randnr. 59), die, wie die jüngste Rechtsprechung des EuGH zur Richtlinie 85/337 zeigt, auch durch Art. 47 der Charta der Grundrechte gewährleistet ist (vgl. das Urteil vom 11. April 2013 "Edwards und Pallikaropoulos", Randnr. 33). Zudem besteht das in Art. 10a Abs. 3 der Richtlinie 85/337 vom Unionsgesetzgeber verfolgte Ziel darin, der betroffenen Öffentlichkeit "einen weiten Zugang zu den Gerichten" zu gewähren (vgl. das Urteil "Edwards und Pallikaropoulos", Randnr 31).

1.4. In der österreichischen Literatur wird die Auffassung vertreten, die Rechtsprechung "Mellor" zeige, dass eine Bindungswirkung von UVP-Feststellungsbescheiden den Anforderungen der Richtlinie 85/337/EWG nicht (mehr) entspreche, da jene Parteien, die im Feststellungsverfahren keine Parteistellung haben, nicht in der Lage seien, eine rechtswidrige Unterlassung einer Umweltverträglichkeitsprüfung zu bekämpfen (vgl. Ennöckl/N. Raschauer/Bergthaler, Kommentar zum UVP-G3 (2013), 103).

Für die Vereinbarkeit der Bindungswirkung wurde dagegen vorgebracht, dass die betroffenen Nachbarn bei einem negativen UVP-Feststellungsbescheid die Möglichkeit haben, im Rahmen der ihnen in den nachfolgenden Genehmigungsverfahren eingeräumten Parteirechte Einwendungen zu erheben und insoweit eine "de facto-UVP" zu erreichen (vgl. die Nachweise bei Altenburger/Berger, UVP-G-Kommentar2 (2010), Rz. 112 zu § 3; vgl. zu diesem Argument auch die oben angeführte Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes).

In der Tat haben die Nachbarn einer gewerblichen Betriebsanlage nach den Bestimmungen der GewO 1994 das Recht, im Rahmen ihrer Parteistellung (§ 356 Abs. 1) geltend zu machen, dass durch Auswirkungen des Vorhabens ihr Leben oder ihre Gesundheit oder ihr Eigentum gefährdet werden und sie durch Geruch, Lärm, Rauch, Staub, Erschütterung oder in anderer Weise unzumutbar belästigt werden (§§ 74 Abs. 2, 77 Abs. 1).

Der vorliegende Beschwerdefall zeigt jedoch, dass gerade die Frage, ob das Vorhaben einer Umweltverträglichkeitsprüfung zu unterziehen ist, auf Grund der Bindungswirkung von UVP-Feststellungsbescheiden von der Behörde des nachfolgenden Genehmigungsverfahrens nicht zu prüfen ist, sondern es ausreicht, den Nachbarn diese Bindungswirkung entgegen zu halten.

In einer Situation wie der des Ausgangsverfahrens würde die Bejahung der Bindungswirkung von UVP-Feststellungsbescheiden bedeuten, dass es alleine darauf ankommt, ob das vorliegende Projekt im Vergleich zu jenem, welches dem UVP-Feststellungsbescheid zu Grunde lag, hinsichtlich der relevanten Schwellenwerte abgeändert wurde. Nur in einem solchen Fall könnte der UVP-Feststellungsbescheid der Beschwerdeführerin nicht entgegen gehalten werden.

2. Zur zweiten Vorlagefrage:

Wird die erste Vorlagefrage bejaht und ist daher davon auszugehen, dass das Unionsrecht bzw. die Richtlinie 2011/92 bzw. deren Art. 11 der oben angeführten Bindungswirkung von UVP-Feststellungsbescheiden entgegen steht, so stellt sich die Frage nach den Auswirkungen auf das Ausgangsverfahren.

In dem (auf Grund eines Vorabentscheidungsersuchens des Verwaltungsgerichtshofes ergangenen) Urteil des EuGH vom 21. März 2013 in der Rechtssache C-244/12 , Salzburger Flughafen GmbH gegen Umweltsenat, hat der EuGH zu den dort maßgeblichen Bestimmungen der Richtlinie 85/337 festgehalten, dass diese "unmittelbare Wirkung haben, so dass die zuständigen nationalen Behörden sicherstellen müssen, dass zunächst geprüft wird, ob die betreffenden Projekte möglicherweise erhebliche Auswirkungen auf die Umwelt haben, und, wenn ja, sodann eine Umweltverträglichkeitsprüfung durchgeführt wird" (Randnr. 48 und Tenor).

Gleiches könnte nach Auffassung des Verwaltungsgerichtshofes für den Fall der Bejahung der ersten Vorlagefrage gelten: Das Unionsrecht, insbesondere die Richtlinie 2011/92 im Wege ihrer unmittelbaren Anwendung, könnte es verlangen, die in der Frage 1 dargestellte Bindungswirkung zu verneinen, solange die Betroffenen (Nachbarn) keine Parteistellung im Feststellungsverfahren haben.

Dann wäre die belangte Behörde in der Situation des Ausgangsverfahrens verpflichtet, zur Beurteilung ihrer eigenen Zuständigkeit auf die Einwendungen der Beschwerdeführerin gegen den UVP-Feststellungsbescheid einzugehen und aus eigenem zu beurteilen, ob das vorliegende Projekt einer Umweltverträglichkeitsprüfung durch die nach nationalem (österreichischen) Recht zuständige Behörde, also nach dem UVP-G 2000, zu unterziehen wäre.

3. Da die richtige Anwendung des Unionsrechts nicht als derart offenkundig erscheint, dass für einen vernünftigen Zweifel kein Raum bleibt (vgl. hierzu das Urteil des EuGH vom 6. Oktober 1982 in der Rechtssache C-283/81 , Srl C.I.L.F.I.T. und andere, Slg. 1982, 3415) wird die eingangs formulierte Vorlagefrage gemäß Art. 267 AEUV mit dem Ersuchen um Vorabentscheidung vorgelegt.

Wien, am 16. Oktober 2013

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